Rezensierte Publikation:
Salomo, Dorothé; Mohr, Imke: DaF für Jugendliche. München: Klett Langenscheidt, 2016 (Deutsch Lehren Lernen / DLL 10). – ISBN 978-3-12-606982-3. 199 Seiten, € 21,99.
Alle Lehrenden scheinen das Phänomen zu kennen: Ab etwa dem zwölften Lebensjahr nimmt die Lernbereitschaft der Kinder und Jugendlichen ab; sie werden unkonzentrierter und beschäftigen sich mit allen möglichen Dingen, nur nicht mit dem, was Schule ihnen gerade bietet. Warum ist das so? Wie sehen die Bedingungen für den Unterricht mit diesen Lernenden aus? Wie lässt sich ein den Bedürfnissen dieser Jugendlichen angepasster Unterricht organisieren? Mit diesen Fragestellungen beschäftigt sich der Band 10 von Dorothé Salomo und Imke Mohr, der unter dem schlichten Titel DaF für Jugendliche in der vom Goethe-Institut betreuten Fort- und Weiterbildungsreihe Deutsch Lehren Lernen erschienen ist. Und es ist nicht despektierlich gemeint, denn vermutlich gibt es keine andere Lebensphase, in der mehr Menschen eine Fremdsprache lernen als in den Jugendjahren.
Aufgrund der individuellen Entwicklungsgeschwindigkeit bei Kindern und Jugendlichen kann man der Jugendphase keinen klar abgrenzbaren Zeitraum zuweisen. Deshalb wählen die beiden Autorinnen für ihr Fortbildungsprogramm die Altersgruppe zwischen dem 12. und 19. Lebensjahr. Außerdem gibt es Kulturen, die ohne eine gesonderte Lebensphase zwischen Kindheit und Erwachsensein auskommen. Konzepte, die die Jugendzeit bis zur ökonomischen Unabhängigkeit ausdehnen, bringen für eine pädagogische Betrachtung keinen Gewinn. Wichtig scheint die mit der Pubertät einsetzende Veränderung des Gehirns zu sein, die grundlegend die kognitive Entwicklung der jungen Menschen beeinflusst. Jugendliche sind in der Lage, schnell und effektiv zu lernen, gehen aber oft planlos vor. Verbunden ist diese Entwicklung mit einer starken Emotionalität und dem Gefühl, ungerecht behandelt zu werden. Mit der Pubertät sind ebenso erhebliche körperliche Veränderungen wie verstärktes Wachstum und Ausbildung der Geschlechtsreife verbunden. Ausdruck dieser Entwicklung sind z. B. ein verändertes Schlafverhalten (mit der Folge: Müdigkeit am Morgen), eine veränderte Körperwahrnehmung und unter Umständen eine Selbstunsicherheit, die Sprechhemmung zur Folge haben kann.
Neben den kognitiven und physischen Veränderungen sind es die sozialen Umstände, die das Leben der Jugendlichen beeinflussen. Der Ablösungsprozess von den Eltern geht einher mit der Hinwendung zu Peergroups, in denen sie Halt und Orientierung suchen.
Wie sieht schließlich die Motivationskurve der Lernenden aus? Grundsätzlich nimmt sie bis zum 16. Lebensjahr stetig ab, bei Jungen stärker als bei Mädchen; danach steigt sie wieder. Diese Entwicklung legen zumindest die psychologischen und pädagogischen Forschungsergebnisse nahe. Es ist zu berücksichtigen, dass die Motivation individuell ausprägt ist. Das Deutschlernen wird nach Ansicht der Autorinnen durch die folgenden fünf Faktoren wesentlich bestimmt: Wichtig ist, welche Erfahrungen die Lernenden beim Sprachenerwerb bislang gemacht haben und wie ihr Selbstbild durch das Sprachenlernen beeinflusst wird. Die drei anderen Faktoren haben direkt mit der Sprache zu tun: Hat der Lernende Interesse an Deutschland und der deutschen Sprache? Ist die Sprache relevant für die Zukunft und, schließlich, bringt der Lernende ein positives Deutschlandbild mit?
Ein weiterer Faktor für den Lernerfolg liegt in der Person der Lehrkraft. Auch sie trägt erheblich zum Lernerfolg bei. Dabei sind die Erwartungen von Seiten der Lernenden sehr unterschiedlich und in hohem Maß von den jeweiligen Lernkulturen in den Ländern abhängig.
Mit den Lehrenden treffen wir auf den zweiten großen Bereich, der das Lernen der Jugendlichen beeinflusst, nämlich die Institution und das System Schule. Der Lernende mit seinen entwicklungsbedingten Veränderungen wird mit den Anforderungen und Strukturen des jeweiligen Bildungssystems und seinen mannigfaltigen Faktoren konfrontiert. Die Autorinnen unterteilen diese Faktoren in fünf Bereiche. Bei den äußeren Einflussfaktoren geht es ihnen nicht so sehr um die Größe oder Ausstattung der Schulen (natürlich auch), sondern vielmehr darum, welche Rolle das Fach Deutsch als Fremdsprache in der Schule spielt und wie es mit Prüfungen, Schulpartnerschaften oder anderen Angeboten verankert ist. Der zweite Faktor ist durch die curricularen Vorgaben bestimmt. Neben den schulischen und nationalen Bildungsplänen und Zielen sind es für den Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht die Vorgaben durch den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen und den kompetenzorientierten Rahmenplan DaF für das Auslandschulwesen, die großen Einfluss nehmen. Diese Vorgaben basieren auf sprachlernpsychologischen Erkenntnissen und bestimmen wesentlich das verwendete Lehr- und Unterrichtsmaterial, das somit Einfluss auf das Unterrichtshandeln der Lehrkräfte nimmt. Welche Erfahrungen Lernende mit und in der Erstsprache und weiteren Fremdsprachen machen, beeinflusst das Lernen ebenfalls, da sich dabei ein Sprachbewusstsein und eine Bewusstheit des Sprachlernens entwickelt.
In dieser Gemengelage aus Wissen, Anforderungen und Erwartungen werden von den Lehrkräften erhebliche Kompetenzen erwartet. Dazu gehören die „Selbstkompetenz“ (sich um sich selbst zu kümmern), die „Beziehungskompetenz“ (Kontakt zu allen beteiligten Gruppen zu halten), die „erzieherische Kompetenz“ (in jeder Phase positiv auf die Lernenden einzuwirken) und die „fachliche Kompetenz“ (Deutsch in Wort und Schrift zu beherrschen). Das Ganze kulminiert in der „didaktische[n] und unterrichtsorganisatorische[n] Kompetenz“ (87), durch die schließlich erfolgreicher Unterricht in die Tat umgesetzt wird.
Der dritte Teil des Fortbildungsprogramms beschäftigt sich mit der Umsetzung der zuvor gewonnenen Erkenntnisse in konkrete Unterrichtseinheiten. Dabei setzen die Autorinnen vier Schwerpunkte für die didaktische und unterrichtsorganisatorische Umsetzung: Erstens zeigen sie, wie man beispielsweise beim Thema „Mode“ Jugendliche aktiv und konzentriert an Sprache arbeiten lassen kann. Der Unterrichtsplan verdeutlicht den Wechsel von verschiedenen Sozialformen, die auch Ruhephasen enthalten. Einen Schwerpunkt bildet das Üben von Lernstrategien, hier die Erweiterung des Wortschatzes mit Hilfe von Wörterbüchern und Vokabelkarten zum Thema „Mode“.
In der zweiten Unterrichtseinheit steht die Verwendung digitaler Medien im Unterricht im Mittelpunkt. Die Einheit, die sich auch thematisch mit „Medien“ beschäftigt, zeigt u. a., wie Lern-Apps in den Unterricht integriert werden können, um beispielsweise Wortwolken zu erzeugen oder Comics zu gestalten. Der Unterrichtsverlauf soll auch eine kritische Bewertung des eigenen Mediengebrauchs ermöglichen.
Die dritte Unterrichtseinheit ist ebenfalls handlungsorientiert geplant und schließt mit der Erstellung von Interviews ab, die mit Smartphones dokumentiert werden sollen. Gegenstand ist landeskundliches Wissen über deutsche Erfindungen, Produkte und Unternehmen. Die Arbeit ist – natürlich – auch mit einer Internetrecherche verbunden, so dass die Lernenden immer mit unterschiedlichen Arbeits- und Sozialformen aktiv bleiben.
Der vierte Bereich der Unterrichtseinheiten ist der Darstellung von Unterrichtsprojekten gewidmet. Die verschiedenen mehr oder weniger umfangreichen Projektvorschläge sollen die Verschränkung von sprachlichen Lernzielen mit der Förderung von Schlüsselkompetenzen (z. B. selbstständig arbeiten oder präsentieren können) und der Förderung von Kreativität verdeutlichen. Gerade bei diesen Unterrichtseinheiten werden Handlungs- und Produktorientierung des Unterrichts deutlich, sollen doch am Ende kleine Ausstellungen, Videoclips, literarische Texte etc. stehen.
Als Teil des Fortbildungsprogramms Deutsch Lehren Lernen beschränkt sich der Band natürlich nicht auf die Darstellung der unterrichtlichen Voraussetzungen und Bedingungen. Er bietet den Leser(innen) vielmehr unterschiedliche Aufgaben an, durch die sie zu Selbstreflexion und zum Erfahrungsaustausch mit Kolleg(inn)en angeregt werden. Mit Hilfe von Videos oder durch aktive Unterrichtsbesuche bei Kolleg(inn)en werden sie angeleitet, wie konkreter Unterricht beobachtet und bewertet werden kann. Schemata, Tabellen, Übersichten oder Checklisten unterstützen sie bei der Analyse des Unterrichts, Formblätter helfen bei der Vorbereitung der eigenen Unterrichtseinheiten.
Der Band DaF für Jugendliche gehört zu dem soliden Fort- und Weiterbildungsprogramm des Goethe-Instituts. Wie immer ist der Band mit einem Lösungsteil für einen Teil der Aufgaben versehen, bietet ein Glossar der wichtigsten Begriffe und gibt eine Übersicht der wichtigsten aktuellen Literatur zu diesem Thema. Neue Kolleg(inn)en sind vielleicht erst einmal erschlagen von der Komplexität der Unterrichtsbedingungen, erhalten aber einen guten Wegweiser durch die Wirrnis der verschiedenen Faktoren. Erfahrene Lehrkräfte werden für schwierige Situationen sensibilisiert und können ihren Unterricht besser an die Bedürfnisse der Jugendlichen anpassen. Bleiben Fragen offen, so ist man gut beraten, sich mit den „grundlegenden“ Bänden der Reihe (DLL 1 bis 6) zu beschäftigen.
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