Zusammenfassung
Dieser Artikel gibt einen Überblick über die dramadidaktische Lernform STARs (Student Activating Roleplaying Games). Mithilfe des konkreten Beispiels „Weltraumrundreise“ soll aufgezeigt werden, wie ein 90-minütiges Rollenspiel im Unterricht zur Förderung der Language Awareness und der Wahrnehmung der Sprachenvielfalt eingesetzt werden kann.
Summary
This article gives an introduction to the roleplaying tool STARs (Student Activating Roleplaying Games). Through “Weltraumrundreise” – “Space Journey”, an example is given of how a 90-minute roleplaying game can be used to raise language awareness and contribute to the positive perception of multilingualism.
1 Mehrsprachigkeit im Unterricht
Durch die Sprachenvielfalt in deutschen Klassenzimmern gewinnt das Konzept der Language Awareness zunehmend an Bedeutung (Demming 2016: 75). Es umfasst die Förderung von Sprachbewusstheit bei Schüler/innen sowie die Anerkennung sprachlicher Vielfalt im Regelunterricht seitens der Lehrkräfte (Budde 2016: 2). Durch die Wertschätzung innerer wie äußerer Mehrsprachigkeit kann das metasprachliche Potenzial der Kinder und Jugendlichen aktiviert werden, was eine motivierende Wirkung hat (Jeuk 2015). Diesen Überlegungen folgend, kann die Thematisierung von Sprachenvielfalt eine Bereicherung für die sprachliche, kognitive und soziale Entwicklung der Schüler/innen darstellen. An dieser Stelle setzt das Projekt STARs (Student Activating Roleplaying Games) an, das im Unterricht mithilfe von längeren, größtenteils improvisierten Rollenspielen, in welchen sowohl eine Vielfalt von Erstsprachen als auch Gesten oder Dialekte aktiviert werden, eine wertschätzende Einstellung gegenüber Sprachenvielfalt etabliert. Zuerst werden in diesem Beitrag kurz die Grundlagen dieser Lernform dargestellt, um anschließend das STAR „Weltraumrundreise“ detailliert zu beschreiben.
2 STARs als Lernform
STARs sind didaktisierte Live-Rollenspiele, in welchen alle Teilnehmenden eine Rolle bekommen und simultan spielend Handlungen erschaffen. Das Szenario mit Ort, Zeit und Grund des Handelns ist vorgegeben. Statt einen geschriebenen Text aufzusagen, improvisieren die Teilnehmenden die verbale und nonverbale Interaktion. Die Spielleitung gibt, ebenfalls aus einer Rolle heraus, Impulse an die Spielenden. Da es kein Publikum gibt und alle Anwesenden eine eigene Rolle spielen, können sich die Teilnehmenden im geschützten Raum ausprobieren.
Die Spielform Edu-Larp (Educational Live-Action-Role-Playing Game) wurde im Rahmen der Dissertation von Geneuss (2019) modelliert sowie mitsamt ihren Potenzialen, Schwierigkeiten und Wirkungen beschrieben. Aus der Beschäftigung mit dieser in der skandinavischen Bildungslandschaft häufig eingesetzten Lernform entstand der Wunsch, diese auch für den deutschen Regelunterricht operationalisierbar zu machen. Aus Edu-Larp und in Abgrenzung zu anderen verwandten Formaten wie Simulation Globale (Maak 2011) oder Storyline wurde der Begriff STARs geprägt. Ein STARs-Rollenspiel umfasst nur vier Schulstunden (eine Schulstunde für die Vorbereitung, zwei für das Spiel und eine für die Nachbereitung) und wird von traditionellen Lernformen flankiert. Auf aufwendige Kostümierung wird ebenso verzichtet wie auf Kulissengestaltung. Die Vorbereitung der Spielphase wird gemeinsam mit den Schüler/innen vorgenommen.
Für ein STAR ergeben sich die fachgebundenen Lernziele aus den Bildungsstandards und dem Lehrplan, während übergeordnet stets das Training sozialer, sprachlicher und performativer Kompetenzen angestrebt wird. Die Szenarien werden thematisch an das Schulfach, in welchem gespielt wird, gebunden. Für den Deutschunterricht wurden beispielsweise STARs zum Thema Lyrik konzipiert. Das nachfolgend beschriebene Spiel fokussiert Mehrsprachigkeit und kann an den Deutschunterricht, aber auch an Ethik- oder den Fremdsprachenunterricht gebunden werden.
3 Praxisbeispiel „Weltraumrundreise“
Das Rollenspiel „Weltraumrundreise“ hat zum Ziel, den teilnehmenden Schüler/innen ein Bewusstsein für die Sprachenvielfalt in ihrer Klasse zu vermitteln und eine Anerkennung von Mehrsprachigkeit zu demonstrieren. Hierbei wird sowohl auf innere als auch auf äußere Mehrsprachigkeit hingewiesen (Riehl 2014: 16–17), sodass neben Fremdsprachen auch Varianten des Deutschen wie Dialekte, Soziolekte, Register und Gesten Bestandteil der Auseinandersetzung mit Sprachen sein können. Auf diese Weise sollen Kinder und Jugendliche mit der Erstsprache Deutsch die Möglichkeit haben, sich ebenso mit differenzierter Sprachanwendung auseinanderzusetzen wie ihre mehrsprachigen Klassenkameradinnen und -kameraden.
„Weltraumrundreise“ ist für die Klassen fünf bis sieben aller Schulformen geeignet und kann mit einer Lehrkraft in einem normalen Klassenzimmer durchgeführt werden. Im Folgenden soll der genaue Ablauf des STARs beschrieben werden, wobei die Reihenfolge der Aktivitäten einer inneren Progression folgt und die Geschlossenheit des Aufbaus verdeutlicht.
3.1 Vorbereitung des Spiels (45 Minuten)
Die Vorbereitungsstunde hat das Ziel, die Schüler/innen mit dem Szenario sowie der Methodik des Live-Rollenspiels vertraut zu machen. Dieses Ziel wird in vier Schritten erreicht:
3.2 Spielphase (90 Minuten)
Dieser Teil stellt das eigentliche Rollenspiel dar, in welchem die Schüler/innen miteinander interagieren, während sie sich im Klassenzimmer frei bewegen. Als Orientierung für die Rollengestaltung dienen ihnen die persönlichen Rollenbiografien sowie die Eigenschaften der jeweiligen Planeten. Der Lehrkraft, die die Reiseleitung verkörpert, steht außerdem ein Skript zur Verfügung, das als Rahmen für den Spielverlauf zu sehen ist. Als Reiseleitung gibt die Lehrkraft immer wieder Impulse, die ein Fortschreiten der Handlung ermöglichen.
Das Spielgeschehen erfordert in bestimmten Phasen Bewegung und simultane Interaktion. Immer wieder sind auch Phasen der Einzelarbeit eingebaut, wie zum Beispiel das Verfassen von Tweets. Im Vorfeld kann mit der Klasse besprochen werden, dass das STAR nur dann funktionieren kann, wenn alle Anwesenden den Instruktionen der Reiseleitung Folge leisten. Im Rahmen dieser Aufträge jedoch sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Sollten sich aus den Impulsen der Kinder neue Spielverläufe ergeben, kann die Spielleitung gerne darauf eingehen, auch wenn dies vom ursprünglichen Skript abweicht.
Die Lehrkraft, der in der Rolle der Reiseleitung die Spielleitung obliegt, sollte einsprachig agieren und nur Standarddeutsch sprechen. Immer wieder kann sie sich beeindruckt zeigen, wenn auf anderen Sprachen kommuniziert wird, und versuchen, einzelne von den SuS geäußerte Worte nachzusprechen, sowie die SuS um Unterstützung bei der Aussprache bitten. Damit erhalten die SuS im Rahmen des Rollenspiels Expertenstatus für ihre jeweilige Sprache.
3.3 Nachbereitung des Spiels (45 Minuten)
Nach der emotionalen Entlastung, die unmittelbar im Anschluss an das Rollenspiel zur Reflexion des eigenen Befindens stattfindet, werden die Schüler/innen in der Nachbereitung dazu angeregt, sich auf kognitiver Ebene mit dem Lerninhalt „Mehrsprachigkeit“ auseinanderzusetzen.
Die Hausaufgabe stellt die schriftliche Reflexion in Form eines Tagebucheintrags zu der Planetenreise dar. Impulsfragen regen dazu an, die Sprachenvielfalt zu reflektieren, aber auch einzelne multilinguale Spielmomente hervorzuheben.
4 Fazit
Mit dem detaillierten Verlaufsplan des STARs „Weltraumrundreise“ wird eine Möglichkeit für den Einbezug von Sprachen und Sprachvarianten skizziert und damit eine Umsetzung des Language-Awareness-Konzeptes konkretisiert. Während des gesamten Rollenspiels werden die Schüler/innen immer wieder dazu angeregt, die von ihnen gewählte Sprache aktiv anzuwenden, beispielsweise während der Planetenbesuche (z. B. Bingo, Charade) auf mündlicher sowie während des Verfassens des Freundschaftsgedichtes auf schriftlicher Ebene. Das Rollenspiel ist dabei immer so angelegt, dass die verschiedenen Sprachen und Varianten nie miteinander konkurrieren und alle Schüler/innen in ihrer jeweiligen Mehrsprachigkeit wertgeschätzt werden. Die Nachbereitung des STARs bietet zudem die Möglichkeit, die im Spiel erlebte Sprachenvielfalt auf kognitiver Ebene zu reflektieren und auf die Alltagswelt zu übertragen, womit verdeutlicht werden kann, dass Mehrsprachigkeit in unserer Gesellschaft zum Normalfall geworden ist und auch in schulischer Umgebung eine Berechtigung hat. Um das Rollenhandeln nachhaltig in die Lebensrealität zu implementieren, wird empfohlen, verschiedene STARs punktuell 2–3 Mal pro Schuljahr durchzuführen.
Seit 2017 konnten 14 verschiedene STAR-Rollenspiele an sieben Münchner Schulen realisiert werden, die meisten davon mehrfach. Bespielt wurden sämtliche Schulformen und Jahrgangsstufen. Insbesondere jene Spiele, die wie „Weltraumrundreise“ den Fokus auf Sprachenvielfalt und Language Awareness legen, schneiden bei Evaluationen besonders gut ab – mit der Begründung, dass durch das Spiel eine Facette der Lebensrealität in das Klassenzimmer getragen werde, die bisher keine Beachtung gefunden habe. Dadurch, so gibt ein Teilnehmer in der schriftlichen Evaluation an, sei ihm bewusst geworden, „dass mehrere Sprachen besser als nur eine Sprache [sind].“
Über die Autoren
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Fachdidaktik Deutsch der Ludwig-Maximilians-Universität München. Hier ist sie in der Lehrerbildung tätig und legt den Schwerpunkt in Forschung und Lehre auf szenische und dramadidaktische Verfahren. Ihr ist die Projektleitung für STARs (Student Activating Roleplaying Games) inne. Im Februar 2019 promovierte sie über ganzheitliches Lernen im Rollenspiel und modellierte die Lernform STARs. Früher war sie am Oberstufenkolleg Bielefeld (2003–2008) und an der Katedralskolan Uppsala (2009–2016) tätig.
studierte Deutsch als Fremdsprache an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit Februar 2017 ist sie Mitarbeiterin im Projekt STARs (Student Activating Roleplaying Games). Ihr Fokus liegt auf der Erforschung des Einsatzes von Rollenspielen im Unterricht mit Kindern, die Deutsch als Zweitsprache erwerben.
Literatur
Budde, Monika Angela (2016): „Mehrsprachigkeit – Language Awareness – Sprachbewusstheit: Einführung“. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 21 (2), 1–4. Online: http://tujournals.ulb.tu-darmstadt.de/index.php/zif/ (11.07.2019).Search in Google Scholar
Demming, Silvia (2016): „Language awareness und Deutsch als Fremdsprache“. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 21 (2), 68–75.Search in Google Scholar
Geneuss, Katrin (2019): „Die waren ja mittendrin!” Ganzheitliches Lernen im Rollenspiel EduLARP: Grundlagen – Wirkungen – Einsatz im Deutschunterricht. elektronische Hochschulschriften: Ludwig-Maximilians-Universität München. Online: https://edoc.ub.uni-muenchen.de/24863/ (08.10.2019).Search in Google Scholar
Jeuk, Stefan (2015): Deutsch als Zweitsprache in der Schule: Grundlagen – Diagnose – Förderung. 3. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer.Search in Google Scholar
Maak, Diana (2011): „Geschützt im Mantel eines Anderen – die globale Simulation im Fremdsprachenunterricht“. In: Info DaF 38 (5), 551–565.Search in Google Scholar
Riehl, Claudia M. (2014): Mehrsprachigkeit: Eine Einführung. Darmstadt: WBG.Search in Google Scholar
Anhang
(kann bei den Kontaktpersonen für diesen Beitrag angefordert werden)
AB1: Rollenbiografie
AB2: Planeteneigenschaften
AB3: Essen
AB4: Bingo
AB5: Tweet-Blatt
AB6: Charade-Wörter
AB7: Galaktische Reisen
AB8: Weltraum-Café
Material: Fest verschnürte Päckchen
Kostümierung: Dunkle Sonnenbrillen (secondhand) oder Schlipse (secondhand) oder Küchenrollenpapier
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