Skip to content
Publicly Available Published by De Gruyter March 31, 2020

Bobo Lo: Greater Eurasia: The Emperor’s New Clothes or the Idea whose Time Has Come? Paris: Institut français des relations internationales (Ifri), Études de l’Ifri, Russie.Nei.Reports, No. 2, Juli 2019.

  • Hannes Adomeit EMAIL logo

Reviewed Publication:

Lo Bobo Greater Eurasia: The Emperor’s New Clothes or the Idea whose Time Has Come? Paris Institut français des relations internationales (Ifri) Études de l’Ifri, Russie.Nei.Reports, No. 2 Juli 2019


Bobo Lo, Associate Research Fellow beim Russia/NIS Center des Französischen Instituts für Internationale Beziehungen, untersucht das von Putin auf dem Internationalen Wirtschaftsforum 2016 in St. Petersburg ins Spiel gebrachte Projekt eines Groß-Eurasiens (Bol’šaja Evraszja). Vorläufer zu diesem Gedanken war die von ihm fünf Jahre zuvor gestartete Initiative zur Gründung einer „Eurasischen Union“. Diese sollte dazu dienen, die „geopolitische und geoökonomische Konfiguration des gesamten Kontinents zu verändern“. In der Praxis konzentrierte sich diese Initiative jedoch auf wirtschaftliche Integrationsaspekte und mündete in die Eurasische Wirtschaftsunion (EWU).

Der neue Vorstoß, führt der Autor aus, nimmt die EWU als Basis. „Unsere Partner und wir“, so Putin in St. Petersburg, „glauben, dass die [Eurasische Wirtschaftsunion] eines der Zentren eines größeren aufstrebenden Integrationsgebiets werden kann. […] Wir schlagen nun vor, die Möglichkeiten einer breiteren eurasischen Partnerschaft zu prüfen, welche die EWU-Mitglieder und Länder, mit denen wir schon eine enge Partnerschaft haben – China, Indien, Pakistan und Iran – und definitiv unsere Partner der GUS [Gemeinschaft Unabhängiger Staaten] einbezieht.“

Der Autor stellt die Frage, was hinter dieser Idee steckt. Ist „Groß Eurasien“ ein breit angelegtes Konzept, um eine politische und normative Transformation zweier Kontinente, womöglich maßgeblich unter russischer Führung oder Einfluss, zu bewerkstelligen? ist sie Teil einer Strategie, Chinas „Gürtel und Straße“-Projekt den Wind aus den Segeln zu nehmen? oder ist sie lediglich eine leere Worthülse, ein Slogan, mit dem sowohl interne russische Akteure als auch die von Putin genannten prospektiven Partner wenig oder nichts anzufangen wissen oder wollen?

Um diese Fragen zu beantworten, zerlegt Bobo Lo das Konzept in seine konstitutiven Komponenten – ideologische, ökonomische und sicherheitspolitische. Er weist nach, dass entgegen allen russischen und westlichen Anschauungen, die Außenpolitik Putins einschließlich des Groß-Eurasien-Projekts eine ideologische Basis habe. Als einen der Kronzeugen benennt er dabei Sergej Karaganov, der das Projekt als einen „Rahmen für geopolitisches, geoökonomisches und geoideologisches Denken“ bezeichnet und die These vertreten hat, dass autoritären politischen Systemen die Zukunft gehöre, denn diese seien besser als entwickelte Demokratien in der Lage, sich im globalen Wettbewerb zu behaupten. Lo zieht daraus den Schluss, dass „Groß Eurasien“ auch und nicht zuletzt einen normativen Aspekt habe und Teil des Moskauer Kampfes gegen westlichen Liberalismus, Universalismus und Globalisierung sei.

Die wirtschaftlichen Aspekte des Projekts stellt der Autor in den Zusammenhang mit dem chinesischen „Ein Gürtel, eine Straße“-Projekt. In Anbetracht der Tatsache, wie energisch die entsprechenden Pläne Pekings ausgeführt würden, sei es Moskau daran gelegen, nicht lediglich am Rande und als Juniorpartner Pekings eingebunden zu werden, sondern sicherzustellen, dass die Haupttransportrouten über russisches Territorium führen und China und andere asiatische Staaten weit mehr als bisher in Russland investieren. Der Kreml hoffe, die bereits bestehenden Organisationen, an denen der Westen nicht beteiligt ist (Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, BRICS und EWU) mit Groß Eurasien zusammenfassen zu können und wie der Erste stellvertretende Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Aleksej Lichačёv, ausgeführt hat, „eine Organisation [sic] mit einer ihr gemeinsamen Wirtschaftszone, eine mächtige Wirtschaftsunion ohnegleichen in der Welt […] zu gründen“.

Hinsichtlich der sicherheitspolitischen Aspekte des Konzepts vertritt der Autor die These, dass Moskau im Vergleich zu Peking die führende Rolle in Eurasien spiele und dass dies auch für die nächsten Jahre gelte. Entsprechend zitiert er russische Analysten mit der Auffassung, im gegenseitigen Verhältnis existiere eine Art Arbeitsteilung: Während sich China um die wirtschaftliche Entwicklung kümmere, fiele es Russland zu, die Sicherheit des Großraumes zu gewährleisten. Dies ist eine ziemlich kühne Vorstellung, denn es ist mehr als zweifelhaft, ob Peking mit einer derartigen Deutung des Verhältnisses oder der eurasischen Sicherheitsarchitektur einverstanden ist. Richtig ist jedenfalls die Darstellung des Autors, wonach Russland im letzten Jahrzehnt seine Fähigkeiten für militärische Machtprojektion und Interventionen ausgebaut hat. Offen bleibt allerdings, ob dies einem allen Beteiligten genehmen großräumigen Sicherheitssystem oder von der Machtelite im Kreml definierten außenpolitischen Interessen und Ambitionen dienlich ist.

Der Autor kommt abzüglich einiger Abstriche und Abschwächungen zu dem Schluss, dass Putins „Groß Eurasien“-Initiative in seiner gegenwärtigen Ausprägung eher ein vages Anti-Projekt als ein konkretes, machbares Projekt sei – Ausdruck der Aversion des Kremls gegen globalen US-amerikanischen Einfluss und eine liberale Weltordnung. Moskau käme es darauf an, in dieser Großregion einen größtmöglichen Konsensus gegen diese beiden Übel herzustellen.

Die Studie ist stark und interessant hinsichtlich der konzeptionellen Aspekte des russischen Projekts. Eine ihrer Schwächen Studie ist ihr relativer Mangel an Daten. Das betrifft sowohl die Wirtschaftspotentiale und Perspektiven als auch die relativen militärischen Dispositive.

https://www.ifri.org/sites/default/files/atoms/files/bobo_lo_greater_eurasia_2019.pdf

Published Online: 2020-03-31
Published in Print: 2020-04-01

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 29.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/sirius-2020-1010/html
Scroll to top button