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Publicly Available Published by De Gruyter Oldenbourg July 1, 2020

Rüstungsexporte und Holocaust-Erinnerung

Saudi-Arabien, der Leopard 2 und die geheime Israel-Klausel von 1982 – ein Bonner Paradigmenwechsel

Arms Exports and Holocaust Remembrance.
Saudi Arabia, Leopard 2 Tanks and the Secret Israel Clause of 1982 – a Paradigm Shift
  • Hubert Leber EMAIL logo

Abstract

Als der Bundessicherheitsrat unter Kanzler Helmut Schmidt im Frühjahr 1982 neue Politische Grundsätze für den Rüstungsexport verabschiedete, wurde eine geheime Protokollnote angenommen, die als Israel-Klausel firmierte. Sie gab vor, dass bei Entscheidungen zur Waffenausfuhr „auch die geschichtliche Verantwortung der Deutschen gegenüber dem jüdischen Volk berücksichtigt wird“. Hintergrund war der Wunsch Saudi-Arabiens, Hunderte Leopard 2-Panzer zu erwerben, der in Bonn eine monatelange Kontroverse ausgelöst und zu einer tiefen Krise der deutsch-israelischen Beziehungen geführt hatte. Hubert Leber untersucht den Panzer-Streit von 1981/82 erstmals auf Basis deutscher wie israelischer Regierungsakten und verknüpft dabei Internationale Geschichte mit vergangenheitspolitischen Perspektiven. Das Verantwortungspostulat, das sich die Bundesregierung auf Initiative von Außenminister Hans-Dietrich Genscher zu eigen machte, markierte eine Zäsur für die Bonner Israel-Politik. Galt im Umgang mit dem jüdischen Staat bis dahin eine Art Verjährungsparadigma, so wurde die Erinnerung an den Holocaust zu Beginn der 1980er Jahre als dauerhaft wirksamer Faktor deutschen Regierungshandelns anerkannt.

Abstract

When the Federal Security Council passed new political principles for arms exports under Chancellor Helmut Schmidt in spring 1982, a secret protocol note was adopted, which became known as the Israel Clause. It stated that decisions about arms exports should “also take into account the historical responsibility of the Germans towards the Jewish People”. The background was that Saudi Arabia wished to purchase hundreds of Leopard 2 tanks, which had led to months of controversy in Bonn and a deep crisis in German-Israeli relations. For the first time Hubert Leber investigates the 1981/82 tank dispute on the basis of both German and Israeli government files while connecting international relations with the politics of the past. This postulated responsibility, which the German government approved on the initiative of Foreign Minister Hans-Dietrich Genscher, marked a caesura in Bonn’s Israel policy. While until then a sort of statute of limitations paradigm applied in relation to the Jewish state, the memory of the Holocaust was recognised as a permanently operative factor in German governance in the early 1980s.

Vorspann

1981 brach in der Bundesrepublik eine Kontroverse über mögliche deutsche Panzerlieferungen an Saudi-Arabien aus. Riads Waffenwünsche gaben den Anstoß zu einer Lockerung der Richtlinien für den Rüstungsexport, und Bundeskanzler Schmidt zeigte sich zunächst bereit, auf den Waffendeal einzugehen – ohne Rücksicht auf die Kritik, die ihm aus Israel und dem Bundestag entgegenschlug. Am 3. März 1982 verabschiedete der Bundessicherheitsrat jedoch auf Initiative von Bundesaußenminister Genscher eine geheime Klausel, der zufolge die „geschichtliche Verantwortung der Deutschen gegenüber dem jüdischen Volk“ bei Rüstungsexporten berücksichtigt werden müsse. Hubert Leber zeigt, dass die Entstehungsgeschichte der Israel-Klausel in engem Zusammenhang mit der Fokussierung der Erinnerung auf den Holocaust zu Beginn der 1980er Jahre gesehen werden muss, die zu einem Paradigmenwechsel in der Bonner und schließlich auch in der Berliner Israelpolitik führte.

I. Die Protokollnote des Bundessicherheitsrats

Anfang 1981 wurde in der Bundesrepublik hitzig über ein mögliches Waffengeschäft diskutiert. Zur Debatte stand, ob die Bonner Regierung den Export deutscher Panzer an Saudi-Arabien genehmigen solle. Der Spiegel hatte enthüllt, dass Riad unter anderem den Kampfpanzer Leopard 2 kaufen wolle und Kanzler Helmut Schmidt dem Geschäft nicht abgeneigt sei.[1] Mehr als ein Jahr lang blieb die Angelegenheit offen, bevor die Bundesregierung den Saudis im Sommer 1982 eine Absage zukommen ließ.

In der Geschichte der Bundesrepublik ist diese Auseinandersetzung über Panzerlieferungen an Saudi-Arabien auf doppelte Weise von Belang. Zum einen war sie eine wichtige Station in der Entwicklung der deutschen Rüstungsexportpolitik. Denn Riads Waffenwünsche veranlassten die Bundesregierung, ihre politischen Richtlinien für die Rüstungsausfuhr zu überarbeiten und im Ergebnis faktisch zu lockern. Zum anderen hat die Kontroverse ihren Platz in der Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen. Die Bonner Exportpläne sorgten für massive Spannungen zwischen beiden Ländern und trugen maßgeblich zum SchmidtBegin-Konflikt von Mai 1981 bei – einer öffentlichen Konfrontation zwischen den Regierungschefs beider Länder, mit der das deutsch-israelische Verhältnis einen historischen Tiefpunkt erreichte.[2] Israel sah durch die Aufrüstung Saudi-Arabiens, mit dem es sich offiziell im Kriegszustand befand, seine Sicherheitsinteressen bedroht. Dass Schmidt erwog, der Golfmonarchie hochmoderne Panzer zu liefern, werteten Zeitgenossen wie Historiker vielfach als Beleg für sein distanziertes Verhältnis zu Israel, sogar als Ausdruck einer „normalisierten“ Nahostpolitik, die im Umgang mit dem jüdischen Staat keinen besonderen, aus dem Holocaust rührenden Bindungen unterworfen sein sollte.[3] Mit der Frage, ob der Leopard 2 nach Saudi-Arabien exportiert werden sollte, standen also auch die normativen Grundlagen der deutsch-israelischen Beziehungen zur Debatte.

Mittlerweile sind in den Archiven vertrauliche Regierungsakten zugänglich, die es erlauben, einen neuen Blick auf den Panzerstreit von 1981/82 zu werfen. Nachvollziehbar wird der interne Entscheidungsprozess der maßgeblichen Bonner Akteure, zu denen neben Schmidt vor allem Außenminister Hans-Dietrich Genscher gehörte, zudem auch Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, die Ministerialbürokratie und Spitzenvertreter der Koalitionsfraktionen.

Das Ergebnis ist hochgradig ambivalent und scheinbar widersprüchlich. Für die Anfangsphase der Kontroverse bestätigt sich das bislang vorherrschende Bild, wonach die sozialliberale Bundesregierung, mit Schmidt als treibender Kraft, tatsächlich auf den Waffendeal mit Riad hinarbeitete, ohne dabei in spezifischer Weise auf Israel Rücksicht zu nehmen. Am Ende des Entscheidungsprozesses aber stand eine geheime Grundsatzentscheidung der Bonner Regierung, die all dem zuwiderlief, was Schmidt bis dahin im Kontext des Panzerstreits über seine israelpolitischen Maximen hatte verlauten lassen. Denn tatsächlich wurden in einem zentralen Regierungsdokument die besonderen Beziehungen der Bundesrepublik zum Staat Israel ausdrücklich anerkannt, geradezu kodifiziert – auf Initiative von Außenminister Genscher, aber mit Zustimmung von Kanzler Schmidt.

Im Frühjahr 1982 wurden, nach einjährigem Überarbeitungsprozess, die neuen „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ verabschiedet. Beschlussfassendes Organ war der Bundessicherheitsrat (BSR), ein geheim tagender Kabinettsausschuss, den der Kanzler leitete und dem die Minister einschlägiger Schlüsselressorts angehörten. Zu den novellierten Richtlinien nahm das Gremium eine Protokollnote an, die regierungsintern als Israel-Klausel bezeichnet wurde. Im Protokoll der BSR-Sitzung vom 3. März 1982 heißt es: „BM [Bundesminister] Genscher möchte festgehalten wissen, daß bei Abwägung unserer Gesamtinteressen auch die geschichtliche Verantwortung der Deutschen gegenüber dem jüdischen Volk berücksichtigt wird. Der Bundeskanzler stellt hierzu ausdrücklich allgemeines Einverständnis fest.“[4]

Diese Erklärung mag heute, wo das Bekenntnis zur historisch begründeten Verantwortung für Israel und die Juden ein rhetorisches Gemeingut bei Deutschlands politischer Klasse ist, eher undramatisch erscheinen. Doch unter den vergangenheitspolitischen Prämissen der späten 1970er und frühen 1980er Jahre stellte sich das anders dar. Damals vollzog sich – das ist die zentrale These dieses Aufsatzes – hinter verschlossenen Türen ein israelpolitischer Paradigmenwechsel. Das bis dahin in Bonn vorherrschende Leitbild, das man als Verjährungsparadigma bezeichnen kann, wurde abgelöst durch das Postulat dauerhafter Verantwortung. Dies bedeutet nicht, dass die Bundesrepublik den Staat Israel fortan in allen Fragen kritiklos unterstützt hätte. Wohl aber wurde vom politischen Mainstream des Lands mehr und mehr anerkannt, dass sich der Umgang mit dem jüdischen Staat auch durch fortwährenden Generationswechsel nicht von der NS-Vergangenheit lösen lässt; der deutschen Außenpolitik sind demnach zumindest dort Bindungen auferlegt, wo es um harte Fragen von Existenz und Sicherheit Israels geht. Die Israel-Klausel von 1982 hat diesen Wandel nicht verursacht – sie brachte ihn vielmehr in besonders markanter, nämlich regierungsamtlicher Weise zum Ausdruck.

Im Folgenden soll nachgezeichnet werden, wie die Klausel im Kontext der Debatte über Panzerlieferungen an Saudi-Arabien entstand und weshalb sie über die Amtszeit der Regierung Schmidt/Genscher hinaus eine Zäsur markierte. Die Analyse kann dazu beitragen, einen neuen Blick für Brüche und Kontinuitäten in der Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen zu gewinnen, denn in der bisherigen Literatur zum Thema ist die Protokollnote weitgehend unbekannt.[5]

Bislang wurde die Entwicklung des deutsch-israelischen Verhältnisses unter Schmidts Kanzlerschaft nur ansatzweise auf der Basis von Archivquellen erforscht.[6] Zur Kontroverse über einen Waffendeal mit Riad gibt es bisher keine umfassende Untersuchung, die sich auf interne Regierungsquellen stützt.[7] Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Geschichte der bundesdeutschen Rüstungsexportpolitik von der Forschung lange vernachlässigt wurde.[8] Von den zahlreichen Schmidt-Biografen wiederum ist der Panzerstreit kaum näher behandelt oder gar in einen größeren Kontext des Bonner Umgangs mit Waffenausfuhren eingeordnet worden.[9]

Für den vorliegenden Aufsatz wurden einschlägige Akten aus dem Bundesarchiv in Koblenz, dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amts in Berlin – teils veröffentlicht in der Edition „Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland“ – sowie den beiden Schmidt-Archiven in Bonn und Hamburg[10] ausgewertet. Ebenfalls herangezogen wurden Akten aus dem Israelischen Staatsarchiv in Jerusalem, in denen sich – vor allem dank regelmäßiger Berichte der israelischen Botschaft in Bonn – vielfältige Informationen zum Entscheidungsprozess der Bundesregierung finden.[11] Weil für die Argumentation des Beitrags auch die Rolle von Nichtregierungsakteuren wichtig ist, wurden überdies Pressekommentare und Parlamentsprotokolle aus beiden Ländern als Quellen herangezogen.

Das verfügbare Archivmaterial liefert kein vollständiges Bild davon, wie die Israel-Klausel entstanden ist und welche Konsequenzen sie hatte. Grundlegende Charakteristika der Protokollnote lassen sich aber umreißen. Erstens war sie nicht nur von rhetorischer Bedeutung, sondern hatte operative Folgen für die Bonner Rüstungsexportpolitik. Zuständige Beamte des Auswärtigen Amts (AA) und des Bundesministeriums für Wirtschaft (BMWi) behandelten die Klausel im internen Entscheidungsprozess als ein Argument – unter mehreren – gegen die Lieferung schwerer Panzer an Saudi-Arabien, und zwar auch nach dem Wechsel von der sozialliberalen Koalition zur christlich-liberalen Regierung Kohl/Genscher im Oktober 1982.[12] Zugleich war die Klausel auslegbar. Wie etwa eine BSR-Entscheidung vom Dezember 1982 zeigt, schloss sie nicht die Lieferung deutscher Patrouillenboote an Saudi-Arabien aus, die für Israel weniger bedrohlich waren als Kampfpanzer.[13] Und um ein mögliches Missverständnis zu vermeiden: Die Israel-Klausel von 1982 zielte offenkundig nicht darauf, deutsche Waffenlieferungen an den jüdischen Staat zu fördern, sondern sollte bestimmte Rüstungsexporte an arabische Abnehmer verhindern.

Zweitens hatte die Protokollnote eine spezifische Funktion im Kontext der neuen Rüstungsexport-Grundsätze von 1982. Mit der Klausel suchte Genscher ein Instrument zu schaffen, das speziell hinsichtlich der Nahost-Region als Korrektiv zur allgemeinen Lockerung der Bonner Rüstungsexportpolitik dienen konnte, wie sie sich aus den neuen Richtlinien ableiten ließ. Ohne die Israel-Klausel hätte man die novellierten Grundsätze nämlich durchaus so auslegen können, dass ein Panzergeschäft mit Saudi-Arabien zu rechtfertigen gewesen wäre.

Drittens hielt man die Israel-Klausel streng geheim, während die neuen Grundsätze selbst veröffentlicht wurden. Vertreter der Bundesregierung nutzten die Klausel nicht etwa dazu, die Israelis zu beschwichtigen, auch nicht im vertraulichen Rahmen. Das israelische Außenministerium und die Botschaft in der Bundeshauptstadt hatten den Bonner Entscheidungsprozess über den Rüstungsexport in die Golfmonarchie monatelang akribisch mitverfolgt. Doch war ihnen der Beschluss des BSR definitiv unbekannt.[14] Die Israel-Klausel war demnach eine rein interne Selbstbindung der Bundesregierung.

II. Zum Hintergrund

Generell durchliefen die deutsch-israelischen Regierungsbeziehungen während Schmidts Kanzlerschaft eine schwierige Phase, auch wenn sich der gesellschaftliche Austausch zwischen beiden Ländern zu jener Zeit deutlich verstärkte. Bereits in den frühen 1970er Jahren war das bilaterale Verhältnis zwischen Bonn und Jerusalem immer wieder angespannt, wofür vor allem Meinungsverschiedenheiten über den Nahostkonflikt sorgten.[15] Die Differenzen verschärften sich, als 1977 mit Menachem Begin erstmals ein Vertreter des nationalkonservativen Likud das Amt des israelischen Premiers übernahm.[16] Die Begin-Regierung schloss zwar 1979 Frieden mit Ägypten, sorgte zugleich aber mit einer Reihe politischer und militärischer Schritte für internationale Kritik, etwa der forcierten Siedlungspolitik in den besetzten palästinensischen Gebieten oder der Libanon-Invasion 1982.[17] Die Bonner Rüstungsexportpolitik wiederum verursachte schon 1978 größere Spannungen zwischen Israel und der Bundesrepublik. Entgegen israelischen Forderungen verhinderte es die Schmidt/Genscher-Regierung nicht, dass tausende Panzerabwehrraketen aus deutsch-französischer Koproduktion von Frankreich an Syrien geliefert wurden.[18] Die deutsch-israelische Aussöhnung hatte Begin als Oppositionsführer jahrzehntelang abgelehnt.[19] Im Amt des Premiers jedoch verlegte er sich Bonn gegenüber auf einen pragmatischen Kurs. Dies zeigte sich etwa darin, dass er 1977 eine bestehende Einladung an Schmidt für einen Israel-Besuch erneuerte[20] – die vom Kanzler aber dilatorisch behandelt und letztlich ausgeschlagen wurde.[21]

Kennzeichnend für die Situation der Bundesrepublik in den frühen 1980er Jahre waren wirtschaftliche Krisenerfahrung, die Verschärfung des Ost-West-Konflikts und ein Bedeutungszuwachs der Bonner Regierung auf internationaler Bühne.[22] All dies waren Faktoren, die dahingehend wirken konnten, Rüstungsexporte gerade an den strategisch wichtigen Öllieferanten Saudi-Arabien weniger restriktiv zu behandeln als bisher. An der Wende zu den 1980er Jahren vollzog sich in der Bundesrepublik jedoch auch ein gesellschaftlich-kultureller Umbruch, der von Zeithistorikern übereinstimmend als „Rückkehr der Geschichte“ charakterisiert wird[23] und der die Entscheidungsfindung bei dem Exportvorhaben maßgeblich mitbeeinflusst haben dürfte. Waren die 1960er und frühen 1970er Jahre insgesamt von einem zukunftsorientierten Zeitgeist geprägt, so kam es nun auf breiter Ebene zu einer Konjunktur historischer Erinnerung, die nicht ausschließlich, aber doch in starkem Maße die NS-Zeit und die damals verübten Massenverbrechen in den Fokus rückte. Die amerikanische Fernsehserie „Holocaust“, die Anfang 1979 vom westdeutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde, gilt gemeinhin als Zäsur in der Erinnerungsgeschichte der Bundesrepublik.[24] Im selben Jahr erlebte das Land die letzte Debatte über die Verjährung von NS‑Verbrechen, an deren Ende der Bundestag beschloss, der Justiz die zeitlich unbegrenzte Verfolgung von Mord zu ermöglichen.[25] Zunehmend gewann die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust zentrale Bedeutung für die politische Kultur der Bundesrepublik. Der Wandel zeigte sich auf lokaler Ebene, wo bürgerschaftliches Engagement eine Fülle an Gedenkinitiativen hervorbrachte.[26] Er erfasste aber auch das Selbstverständnis und die Außendarstellung der Bundesregierung. Dafür steht etwa die Gedenkfeier aus Anlass des 40. Jahrestags der „Kristallnacht“, zu der sich im November 1978 die höchsten Repräsentanten von Staat und Gesellschaft in der Kölner Synagoge versammelten.[27]

In der Literatur zur bundesdeutschen Gedenkkultur ist bislang die Frage unterbelichtet geblieben, ob beziehungsweise wie sich der erinnerungsgeschichtliche Umbruch auf die Bonner Außenpolitik – gerade im Umgang mit Israel – auswirkte. Umgekehrt hat die Forschung zur Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen insgesamt nur wenig berücksichtigt, in welchem Maße ihr Gegenstand den Wandlungen öffentlichen Holocaust-Gedenkens unterlag. Stattdessen scheint man oft unterstellt zu haben, die Erinnerung an den Holocaust sei gleichsam eine konstante Größe, die das Verhältnis zwischen beiden Ländern stets in gleicher Weise geprägt habe. Der vorliegende Aufsatz bietet somit auch ein Fallbeispiel dafür, dass sich die Dynamik im deutsch-israelischen Verhältnis nur dann hinreichend erklären lässt, wenn man dieses Thema der Internationalen Geschichte um eine erinnerungsgeschichtliche Dimension ergänzt.

III. Bonns Interesse an einem Panzergeschäft mit Saudi-Arabien

Bevor die Bonner Überlegungen zu Panzerlieferungen an Riad im Januar 1981 publik wurden, hatte das Thema die Bundesregierung intern schon einige Monate beschäftigt. Der saudische König Khalid stattete Westdeutschland im Juni 1980 einen Staatsbesuch ab. Im Vorfeld des Termins wandte er sich schriftlich an Bundespräsident Karl Carstens, während Kronprinz Fahd – der faktische Regierungschef der Golfmonarchie – parallel an Kanzler Schmidt schrieb. Im Zentrum der vertraulichen Botschaften stand die Bitte, deutsche Panzer kaufen zu können, namentlich den Kampfpanzer Leopard 2, den Flugabwehrkanonenpanzer Gepard und den Schützenpanzer Marder.[28] Allein vom Leopard 2 wollten die Saudis nach internen Bonner Angaben 240 bis 280 Stück erwerben.[29]

Der Leopard 2 war 1979 bei der Bundeswehr eingeführt worden und galt als einer der besten Kampfpanzer weltweit.[30] Ausgestattet mit der 120 mm-Glattrohrkanone der Düsseldorfer Firma Rheinmetall – damals das modernste Panzergeschütz des Westens –[31] war er an Feuerkraft nicht nur zeitgenössischen US-Modellen überlegen, sondern ebenso Israels neuem Kampfpanzer Merkava.[32]

Hätte Bonn die von Riad gewünschten Waffenlieferungen genehmigt, wäre dies einem Bruch mit den bundesdeutschen Rüstungsexport-Richtlinien gleichgekommen. Die geltenden Politischen Grundsätze, 1971 vom Kabinett Brandt/Scheel verabschiedet, waren prinzipiell restriktiv.[33] Kriegswaffen wie schwere Panzer durften demnach nur an Mitgliedstaaten der North Atlantic Treaty Organization (NATO) und diesen gleichgestellte Länder (wie etwa die Schweiz) geliefert werden. Ausnahmen waren im Einzelfall zwar möglich, aber nur dann, wenn der Empfängerstaat in keinem Spannungsgebiet lag – ein Kriterium, das Saudi-Arabien, das sich im Kriegszustand mit Israel befand, klar ausschloss. Zwar stiegen die Rüstungsexporte aus der Bundesrepublik im Laufe der 1970er Jahre sprunghaft an,[34] doch den wiederholt vorgetragenen Wunsch aus Riad, deutsche Panzer zu kaufen, lehnte die Bundesregierung stets ab.[35] Dabei wurde Israel keineswegs bevorzugt behandelt, denn auch diesem Land verweigerte Bonn während der Zeit der sozialliberalen Koalition die Lieferung von Kriegswaffen.[36]

Die zuständigen Beamten von AA und BMWi rieten im Frühjahr 1980 einhellig dazu, das neuerliche Ersuchen Saudi-Arabiens nach dem Kauf von Panzern zurückzuweisen.[37] Kanzler Schmidt jedoch verlegte sich dem Königreich gegenüber spätestens im Herbst des Jahrs auf einen rüstungsexportpolitischen Öffnungskurs. Die Archivquellen erlauben es, mit einer Legende aufzuräumen, die Schmidt in eigener Sache in die Welt setzte und bis an seinen Lebensabend kultivierte – dass er als Regierungschef niemals den politischen Willen gehabt habe, Riads Wunsch nach Leopard 2-Panzern zu erfüllen.[38] Zwar bleibt die Frage offen, ob Schmidt der Golfmonarchie jemals eine entsprechende Zusage gegeben hat (wie die Saudis später behaupteten)[39] oder nicht (wie er selbst beteuern sollte).[40] Dass er jedoch im Dezember 1980 innerhalb der Bundesregierung dafür eintrat, den Panzerdeal mit Riad zu verwirklichen, belegen die damaligen Protokolle der Koalitionsgespräche – ein Sitzungsformat, das wöchentlich die Spitze der Regierung mit der Partei- und Fraktionsführung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und der Freien Demokratischen Partei (FDP) zusammenbrachte. Auch wenn die Aufzeichnungen teils verkürzt formuliert sind, lassen sie doch klar erkennen, dass Schmidt dafür warb, die saudische Anfrage positiv zu beantworten. So heißt es etwa, der Kanzler „weist als ergänzende Begründung für seine Position auf große saudische DM-Holdings hin“.[41]

Schmidt stieß in der Runde nicht auf rückhaltlose Unterstützung, allerdings auch nicht auf grundsätzlichen Widerspruch. Genscher ließ uneindeutig verlauten, dass er Schmidts Standpunkt „zuneige“.[42] SPD-Chef Willy Brandt bemerkte, wenn die Regierung „Ja sagen muß, muß ich nicht Amen sagen“; er werde einen Beschluss zugunsten des Waffendeals so „gut verkaufen, wie ich kann“. Zugleich mahnte er im Einvernehmen mit Parteivize Hans-Jürgen Wischnewski, man solle zuerst mit Israel reden.[43] Wischnewski prognostizierte, die Regierung in Jerusalem werde letztlich keinen Widerstand leisten, sondern „erhebliche Gegenforderungen stellen“ – was Genscher bestritt: „Israel wird knallhart nein sagen.“ Der Außenminister wie auch SPD-Bundesgeschäftsführer Egon Bahr plädierten dafür, die drei Westmächte zu konsultieren; würden sie zustimmen, so Bahr, „dann sollten wir handeln“.[44] Im Ergebnis verständigte man sich darauf, dass die Bundesregierung ihre Politischen Grundsätze für die Waffenausfuhr überarbeiten werde.[45] Genscher konstatierte, man benötige eine „neue Philosophie für Rüstungsexport“.[46]

Wenn sich Ende 1980 bei der Bundesregierung also die Tendenz abzeichnete, das Leopard 2-Geschäft mit Riad zu genehmigen, so lässt sich das als Ausdruck nüchterner Interessenpolitik verstehen. Bei den Bonner Überlegungen ging es nicht etwa nur darum, Arbeitsplätze in der deutschen Rüstungsindustrie zu sichern.[47] Den Hintergrund für die Saudi-Panzer-Debatte bildete unter anderem die zweite Ölpreiskrise 1979/80.[48] Die Islamische Revolution im Iran 1979 sowie der Krieg zwischen Iran und Irak ab September 1980 ließen die Ölproduktion beider Länder einbrechen, wodurch Saudi-Arabien zum wichtigsten Öllieferanten der Bundesrepublik wurde.[49] Im Herbst 1980 setzte sich Schmidt persönlich bei Kronprinz Fahd dafür ein, dass der bestehende Rohöl-Liefervertrag zwischen der deutschen VEBA Oel AG und der saudischen Staatsgesellschaft Petromin verlängert und quantitativ ausgeweitet werde.[50] Fahd sagte zu, offenbar in der zumindest stillen Erwartung, Bonn werde sich auf dem Feld der Rüstungsexporte erkenntlich zeigen.[51] Kurz darauf reiste der saudische Außenminister Saud al‑Faisal nach Bonn, wo er Schmidt eine umfassende wirtschaftlich-finanzielle Zusammenarbeit zwischen der Golfmonarchie und der Bundesrepublik angeboten haben soll. Als Gegenleistung für deutsche Panzerlieferungen lockte dem Spiegel zufolge ein Paket aus saudischen Krediten zu attraktiven Konditionen, dem Kauf deutscher Industrieanlagen als Ausgleich für Ölrechnungen sowie finanziellen Beteiligungen des Königreichs an deutschen Unternehmen.[52]

Angesichts der schwierigen Wirtschaftslage, in der sich Westdeutschland befand, war dies eine attraktive Offerte. Die Bundesrepublik verzeichnete 1979 wie 1980, nicht zuletzt wegen teurer Ölimporte, erstmals seit anderthalb Jahrzehnten ein Leistungsbilanzdefizit und litt unter steigender Arbeitslosigkeit.[53] Bereits 1980 hatte die Bundesregierung von Saudi-Arabien – ihrem größten ausländischen Gläubiger – rund neun Milliarden DM an Darlehen erhalten; 1981 wollte (und sollte) sie sich weitere Milliardenbeträge in Riad beschaffen.[54] Zugleich war das Königreich ein solventer Kunde westdeutscher Unternehmen. Im Januar 1981 entfielen nicht weniger als 70 Prozent aller Auslandsaufträge der deutschen Bauwirtschaft auf Saudi-Arabien.[55] Die ökonomischen Aussichten im deutsch-saudischen Verhältnis schienen sich durch den von Riad gewünschten Panzerdeal verbessern zu lassen – auch wenn Bonn letztlich nicht wissen konnte, ob sie wirklich gefährdet waren, sollte das Geschäft platzen.

Hinzu kam die sicherheitspolitische Dimension im Kontext des Ost-West-Konflikts. 1979 erfuhr der Mittlere Osten zwei fundamentale Erschütterungen: den Sturz des pro-westlichen Schahs im Iran und den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan, mit dem sich der Kalte Krieg nach einem Jahrzehnt der Entspannung wieder verschärfte.[56] Der amerikanische Präsident Jimmy Carter erklärte im Januar 1980 den Persischen Golf zur vitalen Einflusssphäre der USA, die notfalls mit militärischen Mitteln zu verteidigen sei.[57] Westliche Rüstungsexporte an das verbündete Saudi-Arabien, dessen traditioneller Hauptwaffenlieferant die USA waren, gewannen an strategischer Bedeutung. Kurz nach Amtsantritt des neuen Präsidenten Ronald Reagan gab Washington im Frühjahr 1981 bekannt, die Saudis mit AWACS (Airborne Warning and Control System)-Überwachungsflugzeugen ausstatten zu wollen – ein milliardenschweres Rüstungsprojekt, gegen das Israel heftig, aber erfolglos protestierte.[58] Zugleich forderten die USA von ihren europäischen Verbündeten, sich an den Lasten zu beteiligen, die der militärische Schutz der Ölquellen am Golf mit sich brachte.[59] Vor diesem Hintergrund ließ sich das von Bonn erwogene Leopard 2-Geschäft auch als deutscher Beitrag zu einem westlichen Gesamtkonzept darstellen.[60]

Doch wurde Bonn von den USA keineswegs dazu gedrängt, den Panzerdeal zu genehmigen; ebenso wenig ist dieser etwa an einem amerikanischen Veto gescheitert. Die Reagan-Administration scheint in der Frage keinen kohärenten Standpunkt bezogen zu haben. Der Bundesregierung gaben Vertreter Washingtons ermutigende Signale,[61] während sie vor israelischen Diplomaten eher Bedenken gegen den umstrittenen Panzerexport äußerten.[62] Insgesamt aber zeigte die US-Regierung bei dem Thema eine bemerkenswerte, an Indifferenz grenzende Zurückhaltung.

IV. Die öffentliche Debatte von Januar bis April 1981

Am stärksten wogte die öffentliche Diskussion um mögliche Panzerlieferungen an Riad in den ersten vier Monaten des Jahrs 1981 – zwischen der Enthüllungsgeschichte des Spiegel vom 5. Januar und einem Besuch Schmidts in Saudi-Arabien Ende April, bei dem deutlich wurde, dass zumindest nicht kurzfristig mit einer Exportgenehmigung zu rechnen war. In dieser Zeit formierte sich gegen das Panzergeschäft insbesondere von zwei Seiten substanzieller Widerstand, den die Koalitionsspitze erwartet, aber wohl unterschätzt hatte.

Der eine Akteur war Israel, dessen Regierung von den Bonner Leopard 2-Plänen ebenso überrascht wurde wie die deutsche Öffentlichkeit.[63] Zwar entschied sich das Außenministerium in Jerusalem zunächst dafür, eine öffentliche Konfrontation mit der Bundesregierung nach Möglichkeit zu vermeiden.[64] Und auch Premier Begin hielt sich in den ersten Monaten der Debatte weitgehend zurück. Doch ließ Jerusalem die Bundesregierung unmissverständlich wissen, dass man ein deutsches Panzergeschäft mit Saudi-Arabien nicht akzeptieren werde, auch nicht gegen kompensatorische Waffenlieferungen an Israel. Dabei betonte die israelische Regierung, angesichts der NS‑Vergangenheit erwarte sie von der Bundesrepublik, die Sicherheitsinteressen des jüdischen Staats in besonderer Weise zu berücksichtigen.[65] Bei ihrem Protest gegen die Bonner Exportpläne konnte sich die BeginRegierung auf einen breiten Konsens im eigenen Land stützen, der Oppositionsparteien,[66] Parlamentarier der Knesset[67] und die Presse[68] einschloss. Schmidt unterstellte den Israelis, sie würden, um Entschädigung von deutscher Seite fordern zu können, ihre Bedrohungswahrnehmung bewusst überzeichnen – mithin „als Vorwand benutzen, ihrerseits die Hand aufzuhalten“, wie der Kanzler nichtöffentlich formulierte.[69] Doch hier irrte der Kanzler. Der israelische Sicherheits- und Geheimdienstapparat, so zeigen dessen interne Analysen von damals, erwartete tatsächlich, dass die militärische Gefährdung Israels deutlich steigen würde, sollte Riad mehrere Hundert Leopard 2-Panzer erhalten. Zum einen würden sich die Kräfteverhältnisse in Nahost quantitativ wie qualitativ spürbar zugunsten der arabischen Seite verschieben; zum anderen wäre zu befürchten, dass Saudi-Arabien, sollte ein umfassender Krieg in der Region ausbrechen, den Leopard 2 im Rahmen eines Expeditionskorps gegen Israel einsetzen würde (ein solches hatte Riad bereits im Yom-Kippur-Krieg von 1973 entsandt).[70]

Deutlichen Widerspruch gegen ihre Pläne erfuhr die Bundesregierung zudem aus den Koalitionsfraktionen. Die Einwände von Abgeordneten der SPD und FDP waren umso wirkungsvoller, als sie vom linken wie vom rechten Flügel der beiden Parteien kamen. Zahlreiche Vertreter des linksliberalen Spektrums wandten sich gegen das Panzergeschäft, weil sie es aufgrund einer rüstungskritischen Haltung ablehnten, deutsche Waffenexporte auszuweiten. Hinzu kamen jedoch Stimmen, die sich speziell aus historisch bedingter Israel-Solidarität gegen die Panzerlieferung aussprachen. Prominente Gegner einer Ausfuhrgenehmigung waren etwa die SPD-Politikerin Annemarie Renger, Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe im Bundestag,[71] oder Burkhard Hirsch, Chef der nordrhein-westfälischen FDP,[72] insbesondere aber auch SPD-Fraktionschef Herbert Wehner. Noch im Januar 1981 versprach er dem israelischen Botschafter Yochanan Meroz „feierlich“ in einem Vier-Augen-Gespräch, „dass, komme was wolle, das Saudi-Geschäft nicht verwirklicht werde“.[73] Einen Meinungswechsel vollzogen Brandt und Bahr, die sich nunmehr als Gegner des Waffendeals zeigten, wobei sie auf israelbezogene Argumente dezidiert verzichteten.[74]

Der Widerstand in den Koalitionsfraktionen hatte auch deshalb besonderes Gewicht, weil Schmidt zum Zeitpunkt der Debatte über den Panzerexport mit weiten Teilen der SPD schon auf anderen Politikfeldern Konflikte ausfocht. Dies betraf, neben der Wirtschafts- und der Energiepolitik, vor allem den NATO-Doppelbeschluss von 1979, das dominierende Thema der westdeutschen Außen- und Sicherheitspolitik jener Tage.[75] Eine weitere Streitfrage, so die gängige Einschätzung damals, konnte der Kanzler seiner Fraktion kaum zumuten; er hätte sonst riskiert, seinen Rückhalt bei den SPD-Abgeordneten in der Nachrüstungsfrage zu verlieren.

Schmidt sprach sich öffentlich nicht explizit für den Waffendeal mit Saudi-Arabien aus, ließ aber durchblicken, dass die Bundesregierung das Ersuchen aus Riad angesichts seiner wirtschaftlichen und strategischen Implikationen wohlwollend prüfen werde.[76] Andere Koalitionspolitiker warben offensiv für eine Exportgenehmigung, darunter SPD-Vize Wischnewski oder FDP-Außenexperte Jürgen Möllemann.[77] Als Unterstützer des Geschäfts galt auch Wirtschaftsminister Lambsdorff, der sich öffentlich jedoch zurückhielt.[78] Die oppositionelle Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) war in der Frage gespalten.[79] Parteichef Kohl signalisierte bedingte Zustimmung,[80] während etwa Generalsekretär Heiner Geißler eine Gegenposition einnahm.[81] Die Christlich-Soziale Union (CSU) unter Ministerpräsident Franz Josef Strauß befürwortete die Panzerlieferung,[82] wobei ihr weithin nachgesagt wurde – auch von israelischen Diplomaten[83] –, hier vor allem die Interessen der bayerischen Rüstungsindustrie zu vertreten.[84] Ein sehr heterogenes Meinungsbild zeigte sich in Kommentaren der westdeutschen Presse, wo sich Befürworter und Gegner des Waffengeschäfts in etwa die Waage hielten, während auch hier die kritischen Stimmen uneinheitlich argumentierten: teils gegenwartsbezogen, teils mit der deutschen Rolle im Zweiten Weltkrieg, teils mit spezifischer Rücksicht auf Israel, teils unabhängig davon.[85] Der wohl stärkste Druck zugunsten einer Exportbewilligung kam von Wirtschaftsvertretern. In alarmistischen Stellungnahmen verkündeten der Bundesverband der Deutschen Industrie, die Mineralöl- und die Bauwirtschaft, der Bundesrepublik drohten harte ökonomische Sanktionen der Saudis, sollte deren Wunsch nach Lieferung von Panzern zurückgewiesen werden[86] – ein Szenario, das später so nicht eintrat. Gegen das Waffengeschäft wandten sich die Gewerkschaften, sowohl die Industriegewerkschaft Metall als auch Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbunds.[87]

V. Ein „Rohstoffkriterium“ für Rüstungsexporte?

Angesichts des breiten Widerstands gegen das Exportvorhaben wurde im Februar und März 1981 mitunter spekuliert, die Bundesregierung habe in der Sache bereits einen negativen Beschluss gefasst.[88] Richtig war, dass Schmidt sich außerstande sah, seinen saudischen Gastgebern einen positiven Bescheid in der Panzerfrage zu überbringen, als er Ende April 1981 seinen mit Spannung erwarteten Besuch in Riad absolvierte. Dies wollte Schmidt jedoch keineswegs als endgültige Absage verstanden wissen. Im vertraulichen Gespräch mit Kronprinz Fahd stellte er vielmehr in Aussicht, der Verkauf des Leopard 2 könne mittelfristig möglich werden, sobald die Bundesregierung ihre Rüstungsexport-Grundsätze überarbeitet habe. Jeder in Deutschland wisse, so Schmidt zu Fahd, „daß er für die Waffenlieferung an Saudi-Arabien eintrete“.[89]

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Prozess zur Überarbeitung der Politischen Grundsätze schon begonnen. Hauptakteurin in diesem Verfahren war die Exekutive, vertreten durch Kanzleramt, AA, BMWi und Bundesverteidigungsministerium (BMVg); parlamentarisch flankiert wurde es durch zwei Arbeitsgruppen der Bundestagsfraktionen von SPD und FDP.[90] Dabei folgten die ersten Weichenstellungen der Regierung erkennbar dem Ausgangsimpuls der Koalitionsgespräche, mit novellierten Richtlinien den Weg auch und gerade für Panzerlieferungen an Saudi-Arabien freizumachen. Am 24. März 1981 sprach Schmidt mit Genscher über die Fortentwicklung der Grundsätze. Auf der Basis „dabei geäußerter Gedanken“, wie es in den Akten heißt, erstellte das AA zusammen mit Kanzleramt, BMWi und BMVg ein Papier, das grundsätzliche Überlegungen für die künftigen Richtlinien enthielt. Demnach wollte man zwar generell am Begriff Spannungsgebiet festhalten, zugleich aber auch Kriterien definieren, nach denen Kriegswaffen-Lieferungen in solche Regionen ausnahmsweise doch erlaubt sein könnten. Angeführt wurden drei mögliche Voraussetzungen, subsumiert unter dem Oberbegriff der „übergeordneten sicherheits-/bündnispolitischen Interessen“. Die ersten beiden Punkte lauteten „Stärkung der Abwehrkräfte eines befreundeten Staates“ und „Förderung der Stabilität einer Region“. Ließen sich diese Kriterien in einem allgemeinen Sinne auf Saudi-Arabien beziehen, so galt das im dritten Fall geradezu passgenau: „Auch im Hinblick auf existentielle Fragen der Energie- und Rohstoffsicherung sollten Ausnahmen im Einzelfall möglich sein.“[91]

Das Papier war als Diskussionsgrundlage für den BSR gedacht, der auf einer Sitzung am 1. April die künftigen Rüstungsexport-Grundsätze erörtern wollte. Bei dieser Zusammenkunft beauftragte der BSR dann formell die vier involvierten Bundesbehörden, das bestehende Regelwerk von 1971 – unter Federführung des BMWi – zu überprüfen und zu überarbeiten. Eine der Kernfragen des Prüfauftrags lautete, „ob und ggf. inwieweit Gesichtspunkte der Sicherstellung der Rohstoff- und Energieversorgung Eingang in die Entscheidungskriterien finden können und müssen“. Das BMWi sollte im weiteren Verlauf vorschlagen, diese Frage positiv zu beantworten, mithin ein „Rohstoffkriterium“ – so der Begriff aus den Akten – in die künftigen Rüstungsexport-Grundsätze aufzunehmen.[92] In diesem Sinne enthielt ein erster, Mitte Juni vorgelegter BMWi-Entwurf für die neuen Richtlinien den Passus, dass vom Verbot der Kriegswaffen-Exporte in Spannungsgebiete abgewichen werden könne, sollten dabei für die Bundesrepublik „existentielle wirtschaftliche Interessen der Energie- und Rohstoffsicherung“ betroffen sein.[93]

VI. Genschers Doppelkurs

Über die Position von Außenminister Genscher im Streit um mögliche Panzerexporte nach Saudi-Arabien wurde öffentlich, aber ebenso unter israelischen Diplomaten viel gerätselt.[94] Nach außen hin verstand es der FDP-Chef meisterhaft, jeden Anschein einer Festlegung zu vermeiden.[95] Und auch er sollte später behaupten, Panzerlieferungen an Saudi-Arabien stets abgelehnt zu haben.[96] Wie indes die Entwicklung des möglichen „Rohstoffkriteriums“ für die künftigen Rüstungsexport-Grundsätze nahelegt, war der Minister ursprünglich daran beteiligt, politische Spielräume für Waffenverkäufe an Saudi-Arabien zu schaffen. Dafür sprechen auch weitere Hinweise. Am 18. Januar 1981 sagte Genscher in einem ZDF-Interview, bundesdeutsche Waffenexporte könnten „ein Instrument zur Wahrnehmung unserer sicherheitspolitischen Interessen, unserer energiepolitischen Interessen sein“.[97] Zur gleichen Zeit legte der Planungsstab des AA ein internes Grundsatzpapier vor, das sich für eine begrenzte Öffnung der Bonner Rüstungsexportpolitik aussprach. Waffenlieferungen in Spannungsgebiete der Dritten Welt könnten unter Umständen „friedensfördernd“ wirken, sollten sie dazu beitragen, militärische Ungleichgewichte abzubauen, lautete nunmehr die zentrale Argumentation.[98] Dies war ein – mutmaßlich von Genscher herbeigeführter – Bruch mit der bisherigen Linie der AA-Ministerialbürokratie.

Allerdings verfolgte Genscher dabei einen bemerkenswerten Doppelkurs. Denn er legte sich schon früh auf den Grundsatz fest, dass die Bundesregierung bei der Entscheidung über den Panzerexport nach Saudi-Arabien einer historischen Verantwortung gegenüber Israel gerecht werden müsse. Dazu bekannte er sich im vertraulichen Gespräch mit Botschafter Meroz am 16. Januar 1981, er wiederholte dieses Bekenntnis kurz darauf in dem erwähnten ZDF-Interview und ebenso in einer Rede vor dem Bundestag.[99] Wichtiger noch, Genscher machte ein solches Verantwortungspostulat zur offiziellen Linie seiner Partei beziehungsweise ihrer parlamentarischen Vertretung. Am 26. Januar 1981 verkündete er öffentlich ein Positionspapier der FDP-Bundestagsfraktion zur künftigen Bonner Rüstungsexportpolitik. Vorausgegangen war eine turbulente Sitzung der Fraktion. Zahlreiche Abgeordnete hatten sich über eine Vorlage Möllemanns empört, da sie davon ausgingen, diese solle einem Panzergeschäft mit Riad den Weg bahnen.[100] Das in der Diskussion „erzielte Einvernehmen“ fasste Parteichef Genscher anschließend in sechs Grundsätzen zusammen, die im Mai vom Kölner FDP-Bundesparteitag wörtlich bestätigt wurden. Das Papier bekannte sich zum restriktiven Charakter der bisherigen Ausfuhrpolitik, ließ aber Raum für etwaige Lockerungen, indem es festhielt, die Rüstungsexport-Kriterien seien „gegebenenfalls neu zu definieren und zu präzisieren“. Während die ersten fünf Punkte allgemeiner Natur waren, ließ sich der sechste konkret auf mögliche Waffenlieferungen an Riad beziehen: „Bei Rüstungsexporten in den Nahen Osten sind die Sicherheits­interessen Israels und die geschichtliche Verantwortung der Deutschen gegenüber dem jüdischen Volk zu beachten.“[101]

Diese Formel lieferte quasi die Vorlage für die Israel-Klausel, die ein Jahr später auf Genschers Initiative vom BSR verabschiedet werden sollte. Die Protokollnote benannte zwar nicht explizit Israels Sicherheitsinteressen, ging jedoch über die ursprüngliche Wendung insofern noch hinaus, als sie die Verantwortung für Israel zum deutschen Interesse erklärte. In der Wahrnehmung der zeitgenössischen westdeutschen Presse wie auch späterer Historiker blieb Genschers vergangenheitspolitischer Programmpunkt sonderbar unterbelichtet, als hätte es sich dabei um bloße Rhetorik gehandelt – ohne Folgen für den Entscheidungsprozess in der Kontroverse um den Panzerexport nach Saudi-Arabien.[102] Zu dieser Einschätzung trug vielleicht bei, dass es ausgerechnet die als traditionell israelfern geltende FDP war, die sich ein solches Verantwortungspostulat zu eigen machte.[103] Dagegen enthielten die programmatischen Stellungnahmen, die die Fraktionen von SPD und CDU/CSU in der Rüstungsexport-Debatte von 1981/82 abgaben, keine Appelle zu spezifischer Rücksichtnahme auf den jüdischen Staat.[104]

Genscher vertrat mithin zwei Zielsetzungen, von denen abzusehen war, dass sie früher oder später in Konflikt miteinander geraten würden. Er arbeitete darauf hin, die Voraussetzungen für ein Waffengeschäft zu schaffen, gegen das die gesamte politische Klasse eines Lands protestierte, für dessen Sicherheit er sich in einer besonderen Verantwortung sah. Vielleicht wollte Genscher schlicht für alle Eventualitäten gerüstet sein. Allerdings lässt sich die vermeintliche Widersprüchlichkeit seines Kurses auch auflösen. Denn in den ersten Monaten des Jahrs 1981 wurde (irrigerweise) weithin erwartet, dass Premier Begin die im Frühsommer anstehenden Knesset-Wahlen verlieren und vom bisherigen Oppositionsführer Shimon Peres abgelöst würde.[105] Und bei einem Bonn-Besuch im Januar 1981 hatte Peres den – nicht widerspruchsfreien – Eindruck hinterlassen, er wäre möglicherweise für ein Arrangement zu gewinnen, bei dem ein deutscher Panzerexport nach Saudi-Arabien mit parallelen Waffenlieferungen an Israel verknüpft würde.[106]

VII. „Sich lösen von all diesen Dingen“: Schmidts Schlussstrich-Rhetorik

Genscher mochte also darauf spekuliert haben, dass Rüstungsexporte an Riad und der Anspruch besonderer Israel-Solidarität sich durch einen Machtwechsel in Jerusalem würden vereinbaren lassen. Bei Schmidt indes legen verschiedene Äußerungen nahe, er habe mit dem Waffengeschäft gerade auch demonstrieren wollen, dass sich die Bonner Außenpolitik von moralischen Beschränkungen, die aus der NS‑Zeit resultierten, mittlerweile emanzipiert habe.[107]

Kurz bevor er Ende April 1981 nach Saudi-Arabien reiste, gab Schmidt drei Zeitungen des Lands ein Interview. Dabei betonte er – direkt auf die Kriegsvergangenheit angesprochen – bei den deutsch-israelischen Beziehungen handle es sich um „normale Beziehungen“.[108] In einem ZDF-Interview wurde der Kanzler gefragt, ob „die Rücksichtnahme und die Verpflichtung gegenüber Israel“ für Bonn ein Grund sei, Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien restriktiv zu behandeln. Schmidt antwortete schroff (und etwas an der Frage vorbei): „Nein, wir lassen uns das nicht von einem anderen Staat oder von der Regierung eines anderen Staates vorschreiben, was wir tun und lassen“.[109] In Riad musste er dann seine Gastgeber in der Panzerfrage erst einmal enttäuschen. Als Schmidt auf dem Rückflug vom Golf vertraulich mit deutschen Journalisten sprach, wurde er gefragt, wie er sich künftig positionieren müsse, um das Waffengeschäft mit den Saudis doch noch verwirklichen zu können. Schmidt antwortete: „Wir Deutsche müssen langsam und schrittweise alle die Eierschalen hinter uns lassen, die meine Generation aus dem 2. Weltkrieg mitgebracht hat. Es kann nicht sein, daß die deutsche Außenpolitik auch noch in den neunziger Jahren von Auschwitz überschattet wird.“ Ihm selbst und seinen Altersgenossen möge dies noch schwerfallen, doch die nachfolgende Generation müsse lernen, „eine Politik im Interesse unseres Volkes zu machen“ – „Sie müssen sich lösen können von all diesen Dingen.“[110] Später in dem Gespräch warf Schmidt den Bonner Kritikern des ins Auge gefassten Rüstungsgeschäfts mit Saudi-Arabien vor, „die Schuldkomplexe nach Auschwitz, die nur zu berechtigt sind, über die deutsche Außenpolitik abzureagieren“.[111]

Der Tenor dieser Äußerungen klang nach, als Schmidt am 30. April 1981 in der ARD ein längeres Interview zu seiner Nahostpolitik gab, das zum unmittelbaren Auslöser für den Schmidt-Begin-Konflikt wurde.[112] Später wurde mitunter das Bild vermittelt, der israelische Premier habe Schmidt allein deshalb angegriffen, weil dieser sich in dem Interview für die Rechte der Palästinenser eingesetzt habe.[113] Das tat die Schmidt/Genscher-Regierung, zusammen mit den anderen Staaten der Europäischen Gemeinschaft (EG), allerdings schon seit Jahren.[114] Was von Kritikern – die sich nicht auf Begin oder israelische Stimmen beschränkten – tatsächlich als skandalös empfunden wurde, war die ideelle Grundierung, die Schmidt seinen nahostpolitischen Anliegen verlieh, zusammen mit einer Reihe vergangenheitsbezogener Anspielungen und Auslassungen. Die Begriffe Verpflichtung, Verantwortung und Moral nutzte er ausschließlich dazu, um pro-arabische Schritte zu rechtfertigen – wozu im Kontext des Interviews nicht nur das Engagement für die Palästinenser, sondern ebenso deutsche Waffenlieferungen an Saudi-Arabien gehörten.

Weniger wie ein Versehen, sondern vielmehr folgerichtig wirkt es dabei, dass Schmidt an einer Stelle zu versuchen schien, im Rückblick auf die NS-Zeit den Holocaust zu marginalisieren oder ihn, bei wohlwollender Lesart, zumindest vom deutsch-israelischen Verhältnis zu entkoppeln. Zunächst betonte er, dass die deutsch-arabischen Beziehungen auch deshalb so gut seien, weil die Araber im Zweiten Weltkrieg keine negativen Erfahrungen mit den Deutschen gemacht hätten. Schmidt sprach hier von einem „geschichtlichen Vorteil“ – ohne zu problematisieren, dass manche arabischen Akteure mit dem Hitler-Regime kollaboriert hatten.[115] Der, wie Schmidt suggerierte, historischen Ungetrübtheit der deutsch-arabischen Beziehungen stellte er die Belastungen gegenüber, denen die Bonner Außenpolitik wegen der NS-Vergangenheit im Verhältnis zu anderen Völkern beziehungsweise Staaten ausgesetzt sei. Explizit nannte er dabei Holländer, Dänen, Norweger, Franzosen, Griechen, Italiener und schloss mit den Worten: „um nur einige zu nennen“. Die jüdischen Opfer, der Holocaust und die Beziehungen zu Israel fehlten in dieser Aufzählung, wie übrigens auch Russen, Polen und alle weiteren ost- und südosteuropäischen Völker.[116] Aus der Summe der Interview-Äußerungen konnte man leicht den Eindruck gewinnen, Schmidt sei entschlossen, die Erinnerung an die Judenvernichtung vollständig aus der Bonner Nahostpolitik zu verbannen. Was die Rezeption seiner Worte noch verschärfte, war der Umstand, dass sie ausgerechnet am Yom Ha‑Shoah geäußert wurden, dem israelischen Holocaust-Gedenktag.

Im kritischen Bewusstsein der Nachwelt hat Schmidts Schlussstrich-Rhetorik von 1981 erstaunlich wenig Spuren hinterlassen, verglichen etwa mit der weithin getadelten Losung von der „Gnade der späten Geburt“, mit der sein Nachfolger Helmut Kohl bei einem Israel-Besuch drei Jahre später – moderater im Ton – vergangenheitspolitische Unbefangenheit zu signalisieren suchte.[117] Was Schmidt zugutekam, war die Reaktion des israelischen Premiers auf das ARD-Interview. Sie fiel so polemisch und überzogen aus, dass ihr Anlass, zumindest in den Augen deutscher Beobachter, oft völlig in den Hintergrund geriet.

Nicht nur, dass Begin dem Kanzler öffentlich „Arroganz und Frechheit“ vorwarf und ihm unterstellte, gegenüber Riad von „Habsucht“ getrieben zu sein.[118] Der Premier hielt Schmidt dessen persönliche Vergangenheit in der Wehrmacht vor und charakterisierte ihn als regimetreuen Offizier, der „nie seinen Treueeid auf seinen Führer Adolf Hitler gebrochen“ habe. Zugleich legte er nahe, Schmidt sei durch seinen Ostfront-Einsatz 1941 zumindest indirekt an der Judenvernichtung mitschuldig geworden.[119] Absurd war Begins Behauptung, Schmidt sei anwesend gewesen, als die Verschwörer des 20. Juli 1944 hingerichtet wurden; tatsächlich war der damalige Oberleutnant vom Reichsluftfahrtministerium als Zuschauer zum Prozess vor dem sogenannten Volksgerichtshof abkommandiert worden.[120] Überdies erhob Begin, dessen Eltern und Bruder den Holocaust nicht überlebt hatten, einen expliziten Kollektivschuld-Vorwurf gegen die Kriegsgeneration der Deutschen.[121] Er habe dem deutschen Volk als Ganzem nie vergeben. Diese Vorhaltungen, erstmals auf einer Parteiveranstaltung am 3. Mai 1981 gemacht, wiederholte Begin in Variationen über einen ganzen Monat hinweg – in einem Radio-Interview, bei Wahlkampfauftritten und vor der Knesset.[122] Sie führten zu einer intensiven Auseinandersetzung in Politik und Medien beider Länder, die als Schmidt-Begin-Konflikt in die Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen eingehen sollte.

VIII. Der Schmidt-Begin-Konflikt – ein Wendepunkt

Die bisherige Forschung hat meist betont, dass der Schmidt-Begin-Konflikt zu allgemeiner Entfremdung und einer starken Polarisierung im deutsch-israelischen Verhältnis geführt habe.[123] Das ist nicht falsch – doch zugleich scheint diese Krise auch als eine Art Katalysator gewirkt zu haben, der dem Postulat historischer Verantwortung für Israel zumindest im politischen Raum Westdeutschlands nachhaltig Geltung verschaffte. Richtig ist, dass sich Politik und Medien der Bundesrepublik so gut wie geschlossen gegen die Äußerungen des Premiers verwahrten, während die israelische Öffentlichkeit einig darin war, Schmidts Interview-Aussagen zu verurteilen. Das heißt aber nicht, dass der Kanzler auf deutscher Seite keine Kritik erfahren hätte (wie auch Begin in Israel vielfach vorgeworfen wurde, mit seinem Stil den Interessen des Lands zu schaden).[124]

Tatsächlich fiel das Echo in der Bundesrepublik differenziert aus. Einerseits reagierten Politiker und Journalisten empört.[125] Begins persönliche Attacke auf Schmidt wurde ebenso zurückgewiesen wie der Kollektivschuldvorwurf gegen die Deutschen.[126] Vielfach unterstellte man Begin, seine Schmähungen dienten Wahlkampfzwecken.[127] Tenor mancher Stellungnahmen war zugleich, Begin missbrauche die Erinnerung an den Holocaust, um Kritik am israelischen Umgang mit den Palästinensern zu disqualifizieren. Einzelne Stimmen stellten den NS-Verbrechen in aufrechnender Weise die israelische Besatzungspolitik gegenüber und verwiesen auf Begins eigene Vergangenheit als Kommandeur der militanten Untergrundorganisation Irgun.[128] Manche Kommentatoren ziehen ihn des Undanks angesichts der Wiedergutmachungszahlungen der Bundesrepublik.[129] Mitunter schienen antisemitische Stereotype durch, etwa wenn nahegelegt wurde, Begin sei von alttestamentarischer Rachsucht getrieben.[130]

Andererseits blieb der Protest gegen Begin, so energisch er auch vorgetragen wurde, auf geschichtspolitischer Ebene doch erstaunlich defensiv. Dem ursprünglichen Anliegen Schmidts, die Bonner Nahostpolitik aus dem „Schatten von Auschwitz“ treten zu lassen, verschaffte der Streit mit Israels Premier jedenfalls kaum Rückendeckung. Es blieb im Mai 1981 eine Ausnahme unter Meinungsführern der westdeutschen Öffentlichkeit, dass explizit gefordert wurde, die Beziehungen zu Israel von vergangenheitsbedingter Rücksichtnahme zu lösen.[131]

Vielmehr scheint der Schmidt-Begin-Konflikt in der Bundesrepublik gerade Gegentendenzen befördert zu haben. Politiker von Koalition wie Opposition beschworen, deutlicher denn je, eine historisch bedingte Verantwortung der Deutschen für den jüdischen Staat, als Begins Äußerungen im Bundestag thematisiert und einhellig zurückgewiesen wurden.[132] Auch Schmidt, der eben noch den israelpolitischen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit propagiert hatte, sprach nun öffentlich von einer „besonderen geschichtlichen Verantwortung“ der Bundesrepublik gegenüber dem Judentum, die „natürlich“ den Staat Israel mit einschließe und auch für die Nachkriegsgeneration gelte.[133] Auf Begins Vorwürfe ging der Kanzler öffentlich nicht ein. Außenminister Genscher hatte sich schon vor dem Schmidt-Begin-Konflikt zur historischen Verantwortung für Israels Sicherheit bekannt, ging jetzt aber noch einen Schritt weiter, indem er dieses Postulat auf die Bonner Eigeninteressen bezog: „Es gibt keinen Gegensatz zwischen unseren Interessen und dem, was wir als geschichtliche Verantwortung empfinden.“[134]

Die Reaktionen der westdeutschen Presse wiederum erschöpften sich keineswegs darin, Begins Attacken zu kontern. In zahlreichen Kommentaren wurde kritisch gefragt, ob es die Bundesregierung zuletzt nicht an der gebotenen Solidarität mit Israel habe fehlen lassen. So schrieb etwa die Süddeutsche Zeitung, kein Blatt mit pro-israelischer Grundlinie: „Haben wir nicht [...] die stets ‚besonderen‘ Beziehungen zu diesem Land als etwas in der Praxis Lästiges, den Gang der Diplomatie und auch des Kommerzes bisweilen Hemmendes zu verdrängen versucht, mehr unbewußt als bewußt?“[135] Das Bekenntnis zur Verbundenheit mit Israel und Kritik an Begin schlossen sich dabei keineswegs aus; ein Großteil der Einlassungen hatte vielmehr den Tenor, das deutsch-israelische Miteinander müsse vor den Angriffen des Premiers geschützt werden.

Für die außenpolitische Klasse der Bundesrepublik war der Schmidt-BeginKonflikt offenbar eine Art Schock; als Folge wurde der Wert guter Beziehungen zu Israel neu bemessen. Für einen Moment schien die realistische Gefahr zu bestehen, dass der gesamte Prozess deutsch-israelischer Aussöhnung kollabieren würde, was kaum im Interesse der Bundesrepublik sein konnte. Überdies gefährdete der Konflikt auch die Bonner Beziehungen zur amerikanisch-jüdischen Community. Dies musste Schmidt unter anderem auf einer USA-Reise erfahren, die er – zum Antrittsbesuch beim neuen Präsidenten Reagan – in der zweiten Maihälfte 1981 unternahm. Auf einem Treffen, das der Kanzler mit Spitzenvertretern der Conference of Presidents of Major American Jewish Organizations hatte, wäre es fast zum Eklat gekommen. Schmidt drohte zwischenzeitlich damit, die Runde zu verlassen, als seine jüdischen Gesprächspartner ihn wegen seiner Interviewaussagen wiederholt kritisierten.[136]

Dabei bestand bei den Bonner Entscheidern durchaus die Sorge, ein Zerwürfnis mit amerikanisch-jüdischen Verbänden könnte das Ansehen der Bundesrepublik in der US-Öffentlichkeit beeinträchtigen und so die deutsch-amerikanischen Beziehungen als solche in Mitleidenschaft ziehen. Eine Rolle spielte, dass die öffentliche Holocaust-Erinnerung während der 1970er Jahre auch in den USA erheblich an Gewicht gewonnen hatte – eine Entwicklung, die Schmidt bewusst war.[137] Im Januar 1982 berichtete Yitzchak Ben‑Ari, der Nachfolger Meroz’ im Amt des israelischen Botschafters, von Bonn nach Jerusalem, Schmidt habe seinen Beratern erklärt, einen Meinungswechsel in der Frage von Panzerlieferungen an Saudi-Arabien vollzogen zu haben. Angenommen werde, „dass Schmidt die Beziehungen zwischen den USA und der BRD in Rechnung gestellt und auch deshalb seinen Entschluss geändert habe“.[138]

Angesichts der potenziellen Rückwirkungen in der internationalen Politik – mit denen zusätzlich zum Widerstand auf innenpolitischer Bühne zu rechnen war – dürfte sich in Bonn die Kosten-Nutzen-Kalkulation des möglichen Panzergeschäfts mit den Saudis erheblich verändert haben, wenn sich auch die Reagan-Administration deutschen Waffenlieferungen an Riad nicht entgegenstellte. Schmidt musste offenbar anerkennen, dass im deutsch-israelischen Verhältnis rote Linien existieren, die sich mit einem vertretbaren Risiko nicht überschreiten ließen. Aus den harschen Konflikten zwischen Bonn und Jerusalem zog die Bundesregierung zumindest eine zentrale Schlussfolgerung: dass ein sensibler Umgang mit den bilateralen Beziehungen zu Israel weniger ein Hindernis als vielmehr eine Voraussetzung dafür war, im Nahostkonflikt eine aktive und ausgewogene Rolle spielen zu können.[139]

Aus solcher Perspektive konnte es für die deutsche Politik durchaus als gebotene Konfliktvermeidungsstrategie erscheinen, sich zur historischen Verantwortung für Israels Sicherheit zu bekennen; damit war dieses Postulat eben nicht mehr nur Ausdruck einer moralischen (und, zynisch gesprochen, entbehrlichen) Einstellung. Zugleich lässt sich argumentieren, dass der Bundesregierung im Streit um den Panzerexport letztlich nur ein Ausweg blieb, um nicht in demütigender Weise dem Druck Israels und seiner deutschen Fürsprecher nachgeben zu müssen: sich eine Selbstbindung aufzuerlegen, mit der die Bundesrepublik ihre Verantwortung dem jüdischen Staat gegenüber kraft eigener Souveränität anerkannte.

Zu bedenken ist dabei auch der Unterschied zwischen Verantwortung und Verpflichtung. Im Zuge der Schmidt-Begin-Krise machte die israelische Öffentlichkeit stärker denn je geltend, die Bundesrepublik sei geschichtlich zur Unterstützung Israels verpflichtet[140] – offenkundig ein Reflex auf Schmidts (zumindest so wahrgenommene) Botschaft, die Deutschen stünden gleichsam in der Schuld der Araber. Sehr viel opportuner, als die israelischen Ansprüche zurückzuweisen, mag es Bonn erschienen sein, sie im eigenen Sinne umzuinterpretieren: indem man zwar keine Verpflichtung, wohl aber eine Verantwortung für Israel akzeptierte, über deren Auslegung man selbst befinden würde und die im Zweifel auch Kritik an der israelischen Regierung legitimieren konnte.

Erklärbar ist, warum diese Art der Selbstbindung 1982 geheim gehalten wurde. Augenscheinlich trieb Schmidt die Sorge um, ihm selbst wie auch den Saudis drohe ein Gesichtsverlust, sollte das Nein zum Panzerverkauf als Ergebnis Bonner Rücksichtnahme auf Israel erscheinen. Mit der vertraulichen Protokollnote aber hatte die Bundesregierung ein internes Instrument, um Zusammenstöße mit Israel wegen Waffenlieferungen an arabische Abnehmer zu vermeiden, während Schmidt auf offener Bühne seine bisherigen Bekundungen nicht revidieren musste, in Fragen des Rüstungsexports ohne historisch bedingte Hemmungen zu entscheiden.

IX. Absage an Riad trotz neuer Rüstungsexport-Grundsätze

Der Schmidt-Begin-Konflikt bedeutete für die Bundesregierung offenkundig eine israelpolitische Zäsur, die sich auch im Entscheidungsprozess über den Panzerverkauf an Saudi-Arabien und in der laufenden Überarbeitung der Rüstungsexport-Grundsätze niederschlug. In der zweiten Jahreshälfte 1981 verabschiedeten sich Schmidt und Genscher von der Vorstellung, der Leopard 2 könnte zumindest mittelfristig doch noch an Riad geliefert werden. Bei zwei Treffen mit Vertretern amerikanisch-jüdischer Verbände im Sommer suchte der Kanzler nunmehr damit zu renommieren, er habe das für die Bundesrepublik so lukrative Waffengeschäft mit den Saudis aus besonderer Rücksicht auf Israel verweigert.[141] Genscher ließ Anfang Oktober auf einer Pressekonferenz in Katar verlauten, Bonn werde auch künftig keine Waffenlieferungen an Israel oder andere Nahoststaaten bewilligen – was weithin als Verzicht auf den Panzerdeal gedeutet wurde.[142] Ein ähnlich negatives Signal vermittelte Genscher, als er im selben Monat den saudischen Kronprinzen Fahd auf dem Nord-Süd-Gipfel im mexikanischen Cancún traf.[143]

Was die Überarbeitung der Rüstungsexport-Grundsätze anging, so drängte die AA-Wirtschaftsabteilung im Laufe des Sommers darauf, das „Rohstoffkriterium“ nicht explizit – wie vom BMWi vorgesehen – zum neuen Ausnahmefall für mögliche Waffenlieferungen in Spannungsgebiete zu erklären.[144] Nach außen hin sollte demnach der Eindruck vermieden werden, die Bundesregierung schaffe eine Sonderregelung für Saudi-Arabien und wolle ihre Rüstungsexportpolitik künftig an einem Geschäftsmodell „Öl gegen Waffen“ ausrichten.[145] Zugleich verwies die AA-Abteilung darauf, die Sicherheit der bundesdeutschen Energie- und Rohstoffversorgung lasse sich implizit unter jene übergeordneten sicherheitspolitischen Gründen subsumieren, die künftig ein generelles Ausnahmekriterium für Waffenexporte in Spannungsgebiete bilden sollten.[146] Das BMWi akzeptierte den Vorschlag, diesen begrifflichen Zusammenhang – wonach Sicherheitspolitik auch Rohstoffsicherung umfasse – in einer Protokollerklärung zu den neuen Grundsätzen festzuhalten. Darauf reagierte Genscher mit der Ankündigung, er werde seinerseits einen „Israelvorbehalt“ zu Protokoll geben.[147]

Die anderen Ressorts stimmten auf Arbeitsebene dem Anliegen unmittelbar zu, „die geschichtliche Verantwortung der Deutschen gegenüber dem jüdischen Volke“ bei Rüstungsexporten in den Nahen Osten zu berücksichtigen.[148] Dass Genscher mit seiner Initiative bei Schmidt, Wirtschaftsminister Lambsdorff oder anderen im BSR vertretenen Ministern auf Widerspruch gestoßen wäre, lässt sich den Akten nicht entnehmen. So wurde am 3. März 1982 die Israel-Klausel in der eingangs zitierten Form vom BSR angenommen,[149] bevor das Gremium auf einer weiteren Sitzung am 28. April 1982 die neuen Rüstungsexport-Grundsätze selbst verabschiedete.[150]

Ohne die Israel-Klausel hätte man die novellierten Richtlinien durchaus so auslegen können, dass ein Panzergeschäft mit Saudi-Arabien zu rechtfertigen gewesen wäre. Denn auch wenn die Grundsätze die Ausfuhrbestimmungen in einigen Punkten verschärften,[151] brachten sie insgesamt doch eine entscheidende Lockerung. Zum einen wurde das bisherige Verbot, Kriegswaffen in Spannungsgebiete zu exportieren, durch die laxere Vorgabe ersetzt, dass Waffenlieferungen an Staaten außerhalb der NATO „nicht zu einer Erhöhung bestehender Spannungen beitragen“ dürften (Ziffer 13). Zum anderen enthielten die neuen Richtlinien eine Art Gummiformel, der zufolge Kriegswaffen-Exporte an Nicht-NATO-Staaten erlaubt werden konnten, wenn „im Einzelfall vitale Interessen der Bundesrepublik Deutschland für eine ausnahmsweise Genehmigung sprechen“ (Ziffer 9). Und als „vitales Interesse“ hätte man eben auch eine sichere Ölversorgung durch Saudi-Arabien betrachten können.

Als im Februar 1982 die Kernelemente der überarbeiteten Grundsätze öffentlich bekannt wurden (nicht aber die Israel-Klausel), hieß es in der deutschen Presse tatsächlich, damit ließe sich nunmehr das Panzergeschäft mit Riad legitimieren.[152] So wurde dies offenbar auch von der saudischen Führung verstanden, die Anfang März ihren Wunsch, den Leopard 2 zu erwerben, beim deutschen Botschafter offiziell erneuerte.[153] Mitte März jedoch, also zwei Wochen nach Annahme der Israel-Klausel im BSR, bereitete sich das Kanzleramt darauf vor, der Anfrage aus Riad eine endgültige Absage zu erteilen.[154] Übermittelt wurde die negative Botschaft den Saudis gleich zwei Mal – zunächst Anfang Juni in Bonn durch Hans-Jürgen Wischnewski, der dem saudischen Geschäftsträger ein entsprechendes Non-Paper des AA übergab, und vier Wochen später durch den deutschen Botschafter vor Ort, der sich in der Sache mit dem saudischen Vize-Außenminister Scheich Mansouri traf.[155]

Bereits am 26. Mai 1982 hatte Helmut Schmidt mit einer öffentlichen Bemerkung für Aufsehen gesorgt. Bei einem Auftritt vor dem Verein der Auslandspresse in Bonn fragte ihn der israelische TV-Korrespondent Zvi Lidar, ob nach den neuen Rüstungsexport-Richtlinien die Lieferung von Panzern an Riad möglich sei. Schmidt antwortete, er wolle endgültig einer „Legende“ den Garaus machen. Zu keinem Zeitpunkt, so der Kanzler, habe irgendein Staat im Nahen oder Mittleren Osten annehmen dürfen, dass die Bundesrepublik ihm „Kampfpanzer würde verkaufen wollen oder verkaufen lassen, weder nach den alten Grundsätzen noch nach den neuen“.[156]

X. Historische Verantwortung für Israel – ein neues Leitbild

Die geheime Protokollnote von 1982 hatte eine Tragweite, die über den tagespolitischen Kontext des möglichen Waffengeschäfts mit Saudi-Arabien weit hinausging. Tatsächlich markierte die vergangenheitspolitische Norm, die damals vom BSR festgeschrieben wurde, eine Zäsur in der Geschichte der bundesdeutschen Israel-Politik überhaupt. Diese These mag zunächst überraschen. In der politischen Klasse Deutschlands wird heute vielfach die Sichtweise vertreten, seit den Anfängen der Bundesrepublik sei es eine erklärte Grundkonstante (west-)deutscher Außenpolitik, dem jüdischen Staat im Bewusstsein der NS‑Vergangenheit eine besondere Rücksicht zuteilwerden zu lassen. Ein solches Bild vermittelte etwa Kanzlerin Angela Merkel, als sie 2008 in ihrer vielzitierten Rede vor der Knesset die Sicherheit Israels zum Teil der deutschen Staatsräson erklärte. Ihr Bekenntnis stellte sie dabei in eine angeblich seit Jahrzehnten währende Kontinuität: „Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir waren der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet.“[157] In journalistischen oder akademischen Beiträgen stößt man vielfach auf ähnliche Einschätzungen.[158]

Blickt man auf die beiden Vorgänger Schmidts im Kanzleramt, die außenpolitisch wegweisend waren, scheint die Annahme einer bruchlosen Israel-Politik der Bundesrepublik zunächst plausibel. Sowohl Konrad Adenauer als auch Willy Brandt gelten zu Recht als geschichtsbewusste Staatsmänner, die nach Aussöhnung im Schatten der NS-Zeit strebten und dabei gerade die Verbrechen an den Juden vor Augen hatten. Dennoch bewegte sich die Protokollnote der Regierung Schmidt/Genscher nicht auf einer Linie mit der Israel-Politik der beiden früheren Kanzler.

Dies zeigt sich, wenn man näher betrachtet, welche Charakteristika die BSR-Klausel von 1982 aufwies. Erstens wurde damit das Verantwortungspostulat gegenüber Israel formal fixiert und zur allgemeinen Norm für ein ganzes Feld deutscher Außenpolitik erklärt. Zweitens implizierte die Israel-Klausel für die Bonner Außenpolitik offenkundig eine anhaltende Bindung, die keiner zeitlichen Befristung unterlag, wie sie etwa der Generationswechsel auf deutscher und israelischer Seite hätte bewirken können. Drittens zeigte sich die Bundesregierung mit der Protokollnote bereit, zugunsten Israels politische oder wirtschaftliche Kosten in Kauf zu nehmen – nämlich durch den Verzicht auf bestimmte deutsch-arabische Rüstungsgeschäfte, für die ansonsten strategische beziehungsweise ökonomische Gründe sprechen mochten. Und viertens wurde mit der Klausel die Verantwortung für Israels Sicherheit als Teil der deutschen Eigeninteressen definiert.

Was den ersten Punkt betrifft, so ist nicht bekannt, dass die von Adenauer[159] oder Brandt[160] geführten Bundesregierungen jemals eine formale Richtlinie verabschiedet hätten, mit der Deutschlands Verantwortung gegenüber Israel zur normativen Richtschnur der eigenen Politik gemacht worden wäre. Der Christdemokrat Konrad Adenauer verwendete dem jüdischen Staat gegenüber ohnehin nicht den Ausdruck Verantwortung. Kernbegriff seiner Israel-Politik war moralische Verpflichtung.[161] Dabei vermittelte er in den ersten Jahren seiner Kanzlerschaft noch den Eindruck, diese durch den Holocaust begründete Verpflichtung ließe sich gewissermaßen einlösen und somit überwinden – nämlich durch das Luxemburger Abkommen zur sogenannten Wiedergutmachung, mit dem 1952 der Grundstein für künftige Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel gelegt wurde. Adenauer gewährte der israelischen Seite auch jenseits dieses Abkommens substanzielle Vergünstigungen, vor allem in Form geheimer Waffenlieferungen und milliardenschwerer Kredite.[162] Doch stand die Bundesregierung dabei unter dem Druck, eine Kompensation dafür zu leisten, dass sie Israel – aus Angst vor arabischen Sanktionen – die Aufnahme diplomatischer Beziehungen verweigerte.[163]

In späteren Jahren bekundete Adenauer indes, Bonn bleibe Israel verpflichtet, auch wenn die materielle Wiedergutmachung abgeschlossen sei.[164] Allerdings war seine Haltung dazu ambivalent. So bekräftigte er als Altkanzler in seinen Memoiren die Hoffnung, dass sich durch die Wiedergutmachung und „die heilende Kraft der Zeit“ zwischen Israel und der Bundesrepublik eine „Normalisierung der Beziehungen“ einstellen werde.[165] Einen anderen Akzent setzte Adenauer in einem Zeitschriftenbeitrag, den er nach seiner (formal privaten) Israel-Reise von 1966 veröffentlichte. Er sprach hier von der „Sonderstellung Israels in unseren auswärtigen Beziehungen“ und warb dafür, dem jüdischen Staat auch künftig „Sonderleistungen“ zukommen zu lassen.[166]

Auch wenn die Bundesregierung unter seiner Kanzlerschaft eine solche Norm nicht formal kodifiziert hatte, ließ zumindest der aus dem Regierungsamt geschiedene Adenauer das Postulat einer dauerhaften Verpflichtung der Bundesrepublik gegenüber Israel anklingen. Nicht ersichtlich ist dagegen, dass Willy Brandt, der 1969 als Chef der sozialliberalen Koalition die Kanzlerschaft übernahm, einen solchen Ansatz vertrat. Im Umgang mit der NS‑Vergangenheit schwankte Kanzler Brandt zwischen zukunftsorientierter Rhetorik und dem Appell, dass die Bundesrepublik sich der Verantwortung für die Verbrechen des NS-Regimes nicht entziehen dürfe[167] – eine Verantwortung, die er auch selbst, obwohl unbelastet, zu tragen bereit war. Eindrücklich bezeugte er dies 1970 mit seinem Kniefall vor dem Warschauer Ghetto-Ehrenmal.[168]

Historische Verantwortung war jedoch kein Faktor, den Brandts Regierung – mit Walter Scheel von der FDP als Außenminister – zur Richtschnur für ihr bilaterales Verhältnis zu Israel gemacht hätte. Vielmehr folgte sie gegenüber Jerusalem dem erklärten Paradigma der „Normalisierung“ und im Verhältnis zum Nahostkonflikt dem Leitbild der „Ausgewogenheit“.[169] Der Kanzler signalisierte zwar wiederholt, dem jüdischen Staat emotional verbunden zu sein, suchte dieses Bekenntnis aber mit dem Anspruch einer operativen Israel-Politik zu vereinbaren, die nicht dem Prinzip geschichtlich bedingter Rücksichtnahme unterworfen sein sollte.[170] Ausdruck dieser doppelten Perspektive war Brandts widersprüchliche Formel, wonach zwischen beiden Ländern „normale Beziehungen mit besonderem Charakter“ herrschten.[171]

In der innenpolitischen Auseinandersetzung mit der NS‑Vergangenheit betonte Brandt, dass der bloße Generationswechsel keinen unbefangenen Umgang mit der deutschen Schuld bewirke.[172] Bonns politische Verpflichtungen gegenüber Israel und den Juden aber sah er offenbar einer Art Verjährungsprozess unterworfen. Im Vorfeld seines Israel-Besuchs vom Juni 1973 machte Brandt in einem Interview mit dem israelischen Fernsehen geltend, fast drei Jahrzehnte nach dem Holocaust fühle sich eine wachsende Zahl seiner Landsleute mit der NS‑Vergangenheit nicht mehr verbunden.[173] Während der Reise selbst kamen von Brandt ähnliche Signale. So fragten ihn seine Gastgeber nach finanzieller Entschädigung für eine bestimmte Gruppe osteuropäischer Holocaust-Überlebender, die bislang leer ausgegangen waren. Brandts Reaktion fiel reserviert aus. Zur Begründung meinte er unter anderem, es sei „ein historisches Faktum, daß jetzt schon über 50 Prozent der deutschen Bevölkerung nach dem Hitlerkrieg geboren worden seien. Zumindest dieser Teil des Volkes erwarte eine auf die Zukunft gerichtete Politik.“[174] Dass die allmähliche Verjährung der NS‑Zeit sich gleichsam aus demografischen Entwicklungen ergebe, war dabei in den 1970er Jahren parteiübergreifend ein charakteristisches Argumentationsmuster der Bonner Israel-Politik.[175]

Zwar sprach Brandt im nahostpolitischen Kontext durchaus von einer „besonderen Verantwortung“ der Deutschen. Doch deutete er diesen Anspruch ausschließlich dahingehend, dass Bonn gehalten sei, den friedlichen Ausgleich zwischen den regionalen Konfliktparteien zu fördern.[176] Das aber hieß im Grunde, dass die israelische Seite von der Bundesrepublik nicht mehr zu erwarten hatte als die arabische. Ein solcher Umgang mit historischer Verantwortung war für Bonn kaum mit Kosten verbunden, sondern legitimierte jene „ausgewogene“ Nahostpolitik, an der die Regierung Brandt/Scheel schlicht aus gegenwartsbezogenen Gründen interessiert war. Sie wollte ihre Entspannungspolitik mit dem (pro-arabischen) Ostblock nicht gefährden, war Mitinitiator der gemeinsamen Außenpolitik der EG‑Staaten, die sich zunehmend für die Rechte der Palästinenser einsetzten, und suchte die deutsch-arabischen Beziehungen zu erneuern, die 1965 wegen der diplomatischen Anerkennung Israels durch Bonn kollabiert waren. Spätestens seit der ersten Ölkrise von 1973 spielte dabei auch die Sorge um die Ölzufuhr aus dem arabischen Raum eine Rolle.[177]

Dies schließt nicht aus, dass die Regierung Brandt/Scheel punktuell im Sinne Israels handelte. So duldete sie etwa nach Ausbruch des Yom-Kippur-Kriegs im Herbst 1973 zunächst den Transport von US-Nachschub über westdeutsches Territorium, bevor sie ihn dann öffentlichkeitswirksam untersagte.[178] Auch die Regierung Schmidt/Genscher unterstützte in bestimmten Fragen durchaus israelische Interessen. So setzte sie sich innerhalb der EG maßgeblich für das europäisch-israelische Freihandelsabkommen von 1975 ein.[179] Zudem ließ sie die jährliche Bonner Entwicklungshilfe für Israel über 140 Millionen DM unangetastet.[180] Gleichzeitig machten sich Schmidt und Genscher – gegen israelischen Protest – in besonderem Maße für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser stark, wobei sie wiederholt über die gemeinsamen Positionen der EG-Staaten hinausgingen.[181]

Dass historisch begründete Verantwortung für Israel in den 1970er Jahren kein Leitbild der Bonner Außenpolitik war, lässt sich gerade auch am Umgang des AA mit Rüstungsexporten ablesen. Die zuständigen Diplomaten wandten sich damals zwar stets dagegen, den Wunsch arabischer Länder nach deutschen Kriegswaffen zu erfüllen, sie rechtfertigten diese Haltung aber nicht mit der Sorge um die Sicherheit des jüdischen Staats, sondern mit dem Postulat westdeutscher Neutralität im Nahostkonflikt. Man befürchtete, bei Waffenlieferungen an arabische Abnehmer im Gegenzug auch Rüstungsexporte nach Israel bewilligen zu müssen. Dies wiederum würde die deutsch-arabischen Beziehungen letztlich stärker belasten, als sie durch die Erfüllung arabischer Waffenwünsche gefördert werden könnten.[182] Als Außenminister Genscher im Januar 1981 den Anspruch formulierte, bei der Waffenausfuhr sei die historische Verantwortung der Deutschen gegenüber dem jüdischen Volk zu beachten, führte er tatsächlich ein neues Element in die sozialliberale Rüstungsexportpolitik ein.

Noch deutlicher zeigt sich der israelpolitische Wandel, den die BSR-Klausel von 1982 markierte, bei Helmut Schmidt. Die längste Zeit seiner Kanzlerschaft war er nicht geneigt, aus der NS-Vergangenheit ein besonderes Verhältnis zum Staat Israel abzuleiten. Am 9. November 1978 etwa hielt Schmidt in der Kölner Synagoge eine vielbeachtete Rede zum 40. Jahrestag der „Kristallnacht“. Die Ansprache enthielt eine Nahost-Passage, in der Schmidt das Existenzrecht Israels unerwähnt ließ. Zugleich betonte er freilich, es sei eine Lehre aus der deutschen Geschichte, sich für das Selbstbestimmungsrecht der Völker einzusetzen – eine deutliche Anspielung auf die Interessen der Palästinenser.[183]

Vor allem aber reklamierte Schmidt einen tendenziellen Gegensatz zwischen den Interessen der Bundesrepublik und einer deutschen Regierungspraxis mit historisch begründeter Rücksichtnahme auf Israel als Norm. Wie Schmidt im April 1981 auf dem Rückflug vom Golf den mitreisenden Journalisten erklärte: „Politik im Interesse unseres Volkes zu machen“ bedeute, die Bonner Außenpolitik von überkommenen Hemmnissen zu befreien, die im konkreten Fall ein Panzergeschäft mit Saudi-Arabien verhinderten.[184] Am Bedeutungswandel des Begriffs Interesse wird die mit der Israel-Klausel von 1982 verbundene Zäsur besonders gut greifbar. Denn laut der Protokollnote lief „die geschichtliche Verantwortung der Deutschen gegenüber dem jüdischen Volk“ den „Gesamtinteressen“ der Bundesrepublik nicht etwa zuwider – sie war vielmehr ein Teil davon.

XI. Epilog: Ein anhaltender Wandel

Zu fragen bleibt, inwiefern der israelpolitische Wandel, der sich 1981/82 in Bonn vollzog, nachhaltig war. Schließlich wurde die SPD/FDP-Regierung bereits im Oktober 1982 von der christlich-liberalen Koalition unter Führung Helmut Kohls abgelöst. Ein Stück Kontinuität verbürgte der Umstand, dass Genscher als Außenminister im Amt blieb. Richtig ist zugleich, dass die Israel-Klausel weitere Konflikte zwischen Bonn und Jerusalem über mögliche deutsche Rüstungsexporte nicht automatisch ausschloss. 1983/84 sorgten Pläne der neuen Bundesregierung, ein Panzergeschäft mit den Saudis zu genehmigen, abermals für erhebliche Spannungen im deutsch-israelischen Verhältnis, bevor auch dieses Rüstungsprojekt scheiterte.[185] Festzuhalten ist, dass die Entscheidung vom Frühjahr 1982, historische Verantwortung für Israel zu einem Kriterium für Rüstungsexporte zu machen, von der Regierung Kohl nicht revidiert, sondern gleichsam wiederholt und so bekräftigt wurde. Der CDU-Chef bediente sich zwar nicht der gleichen Normalisierungsrhetorik wie Schmidt,[186] doch sind gewisse Parallelen unverkennbar: Dem ursprünglichen Anspruch, in Rüstungsexportfragen ungebunden zu sein, folgten teils heftige Auseinandersetzungen – und schließlich das Bekenntnis zur historischen Verantwortung für Israel.

Der christdemokratische Kanzler ging in diesem Bekenntnis letztlich noch über die sozialliberale Regierung hinaus. Abgesehen davon, dass die zuständigen Beamten des AA und des BMWi die bestehende Israel-Klausel intern als ein Argument gegen Panzerlieferungen an Saudi-Arabien anführten,[187] vollzog Kohl eine Wende in der Kommunikationspolitik. 1982 wie 1984 war geschichtlich begründete Rücksicht auf Israel entscheidend dafür, dass Bonn den Panzerdeal mit Riad verweigerte. Kohl und seine Regierung gaben dies gegenüber den Saudis offen zu erkennen.[188] Schmidt dagegen hatte zwar vor jüdischen Gesprächspartnern signalisiert, die NS-Vergangenheit hindere Bonn daran, Kriegswaffen-Exporte an arabische Abnehmer zu bewilligen. Sprach er jedoch mit den Saudis, beteuerte er bis zuletzt, es habe nichts mit einer etwaigen Verpflichtung gegenüber Israel zu tun, wenn seine Regierung das Panzergeschäft nicht genehmigen könne.[189] Schmidt empfand eine vergangenheitsbedingte Rücksichtnahme auf Israel offenbar als Ausdruck von Schwäche, die negative Folgen für das internationale Prestige der Bundesrepublik haben könnte.

Spätere Bundesregierungen indes nutzten den Anspruch der Verantwortung für den jüdischen Staat zu­nehmend offensiv als Ressource positiver Außendarstellung. Auch wenn die (west‑)deutsche Politik seit 1982 gegenüber Israel unterschiedliche Akzente setzte, blieb dabei das Bekenntnis zu historischer Verantwortung als überwölbendes Paradigma nicht nur erhalten, sondern gewann sogar noch an Gewicht. Zu den zentralen Erfahrungen der deutschen Nahostpolitik dürfte zugleich gehören, dass eine geschichtsbewusste Haltung zu Israel keine Entfremdung von der arabischen Seite bedeuten muss. So avancierte die Bundesrepublik nach Beginn des Oslo-Friedensprozesses in den 1990er Jahren zu einem führenden Geldgeber für die Palästinenser; dies lässt sich in weitem Maße als komplementäres Element der deutsch-israelischen Sonderbeziehungen verstehen. Bei alldem ist das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und Israel bis heute stets konfliktanfällig geblieben. Doch Kontroversen in der Berliner Politik um die deutsch-israelischen Beziehungen drehen sich in der Regel um die Frage, wie die historische Verantwortung für den jüdischen Staat zu interpretieren, praktisch umzusetzen und mit anderen Interessen zu vereinbaren ist – kaum aber darum, ob eine solche Verantwortung überhaupt besteht.

Published Online: 2020-07-01
Published in Print: 2020-06-25

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 29.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/vfzg-2020-0024/html
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