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Publicly Available Published by K. G. Saur 2021

Lehmbruck, Wilhelm

  • Berger, Ursel

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Artikel

Vita

Lehmbruck, Wilhelm (Heinrich), dt. Bildhauer, Maler, Grafiker, *4.1.1881 Meiderich (Duisburg), †25.3.1919 (Suizid) Berlin.

Biogramm

Sohn eines Bergbau-Tagelöhners. Förderung des Zeichentalents schon auf der Volksschule (Schulheft mit Zchngn von 1894, Duisburg, W.L. Mus.; wenn nicht anders erw., alle Werke ebd.). Stud.: ab 1895 KGS Düsseldorf, zuerst mit Stip. seines Heimatortes, 1897 mit Staatsstipendium. 1901 - 1906 Akad. Düsseldorf, Meisterschüler von Karl Janssen. Während der Studienzeit zeichnerische und bildhauerische Hilfsarbeiten zum Broterwerb sowie Herstellung von Modellen für dekorative Editionen: 1898 als erste eine Büste der Königin Luise (Gips) nach dem populären Gem. von Gustav Richter; 1905 im Auftrag der Hofkunsthandlung Binsmeyer und Kraus die Kopie des Düsseldorfer Standbilds Jan Wellem von Grupello (Bronze). Stark beeindruckt von den Werken Auguste Rodins auf der Internat. Kunst-Ausst. Düsseldorf 1904 (Gedicht: "Vor Rodins Kuss"). Studienreisen nach Holland, Belgien und England. 1905 Ankauf der Badenden für die Slg der AK Düsseldorf (Bronze, 1902, KM Düsseldorf). Der Kaufpreis ermöglicht L. eine Studienreise nach Italien. Seit 1906 als selbstständiger Bildhauer tätig mit Atelier in der Florastr. 2, Düsseldorf. Teiln. an einer ersten Gruppenausstellung außerhalb Düsseldorfs (Dt. Kunst-Ausst. Köln), Mitgl. im Ver. der Düsseldorfer Künstler. Reise nach Paris. Im Folgejahr 1907 erstmals in der Ausst. der Soc. nat. des BA, Paris, vertreten (assoziiertes Mitgl.). Anlässlich einer Paris-Reise 1908 Besuch im Atelier Aristide Maillols. Heirat mit Anita (eigtl. Anna Maria Katharina) Kaufmann. Sie wird sein wichtigstes Modell. Als ehemalige Mitarbeiterin der Gal. Binsmeyer kennt sie den Kunstbetrieb und setzt sich nun für L.s Werk ein. Ergebnislose Teiln. an Düsseldorfer Wettbewerben: 1908 für den plastischen Schmuck des Kaufhauses Tietz von Joseph Maria Olbrich (erh. nur das Modell einer weiblichen Nischenfigur, Bronze), 1910 für einen Industriebrunnen (Fragmente des Wettbewerbsmodells, Gips). Schwerpunkt der damaligen Tätigkeit sind Porträts (z. B. Büste Freiherr v. Stein, Marmor, 1909) und Grabmäler. Auf der Ausst. für christliche Kunst in Düsseldorf 1909 ist L. mit acht verkäuflichen Grabmalsplastiken innerhalb einer Friedhofsanlage des Architekten Wilhelm Kreis vertreten. Geburt des ersten Sohnes Gustav-Wilhelm. Obwohl L. in Düsseldorf allmählich Resonanz findet, verlässt er im Frühjahr 1910 die Stadt und zieht mit seiner Familie nach Paris. Ermöglicht wird dieser Schritt durch den Düsseldorfer Kaufmann Carl Nolden, der jedoch weder großzügiger Mäzen noch passionierter Sammler ist, sondern Finanzier. Da L. die investierte Summe nie zurückzahlen kann, erhält Nolden als Kompensation den Atelierbestand mit den beim Künstler verbliebenen Frühwerken, darüber hinaus auch Plastiken der Pariser Jahre. Außerdem lässt Nolden eigenmächtig Bronzen gießen. Die Werke der Slg Nolden gelangen in den 1920er Jahren größtenteils in das StM Duisburg (heute W.L.-Mus.), einige weitere in das Mus. Folkwang, Essen. In Paris wohnt L. zuerst in einem Hotel in der Rue de Vaugirard 105. Aus finanziellen Gründen übersiedelt er mit Fam. bald in das Atelier in der Ave. du Maine 127; man wohnt hinter einem Vorhang. Im Salon nat. des BA im Grand Palais wird im Frühjahr die pathetische Monumentalfigur Der Mensch (1909, Gips, nicht erh.) gezeigt. Zus. mit seiner Frau besucht L. Rodin in Meudon. Überraschenderweise wendet er sich danach von seinem großen Vorbild ab. Ausst. der Großen Stehenden (Gips) im Salon d’automne 1910. Im Folgejahr wird dort Die Kniende (Gips) präsentiert. L.s neue plastische Entwicklung findet bei Pariser Kritikern und Sammlern wenig Resonanz, wird aber in Deutschland aufmerksam verfolgt. Bed. Sammler, wie Karl Ernst Osthaus, August von der Heydt und Helene Kröller-Müller sowie einige Museen erwerben Werke von L. Er arbeitet wie die meisten Pariser Künstler am Montparnasse, gilt jedoch als Eigenbrödler; in den Künstlercafés sieht man ihn selten. Befreundet ist er mit dem russ. Bildhauer Alexander Archipenko. Vermittelt durch Julius Meier-Graefe erhält L. 1912 den Auftrag, die Große Stehende für die Stadt Duisburg in Marmor auszuführen. Er fährt daraufhin nach Italien, am Anfang und am Ende der Reise ist er in Carrara wegen des Marmorblocks für die große Skulptur. Diese bildet den Grundstein der L.-Slg des Duisburger Mus. (heute im Stadttheater Duisburg aufgestellt). In Paris stellt L. seit 1912 nicht mehr in der trad. ausgerichteten Soc. nat. des BA aus, sondern neben dem fortschrittlicheren Salon d'automne auch im juryfreien Salon des Artistes indépendants, wo die ansonsten abgewiesenen Kubisten vertreten sind. Gleichzeitig wird die Ausstellungstätigkeit in Deutschland intensiviert: 1912 ist L. bei der Kölner Sonderbund-Ausst. beteiligt und erstmals bei der Berliner Secession, 1913 beim Dt. Künstlerbund in Mannheim. Bei der legendären Armory Show in New York ist er als einziger dt. Bildhauer – als Pariser Künstler – vertreten. 1914 stellt L. in der Freien Secession in Berlin aus (Mitgl. des Vorstandes) und der Ausst. des Dt. Werkbundes in Köln (mit zwei großen Steingussfiguren neben dem Teehaus von Wilhelm Kreis, nicht erh.). In Paris findet in der neu eröffneten Gal. Levesque 1914 eine Einzel-Ausst. des Künstlers statt. Gezeigt werden sechs Bronzen und sieben Steingüsse, neben den großen Statuen der Pariser Zeit auch davon abgeleitete Torsi und Büsten. 1913 Geburt des zweiten Sohnes Manfred, der später Architekt wird und das L. Mus. in Duisburg erbaut. Wenige Tage vor dem Ausbruch des Ersten WK verlässt Lehmbruck mit seiner Fam. fluchtartig Paris. Im Atelier zurückgelassene Werke gehen verloren, ebenso Bronzen, die sich auf dem Transport nach Deutschland befinden. L. wird in seinem Heimatort Duisburg-Meiderich als Mitgl. des Landsturms für die Militärreserve registriert. Nach einigen Monaten in Köln zieht er E. des Jahres 1914 nach Berlin; zuvor stand er schon in Verbindung zur Berliner Secession und zum Kunsthändler Paul Cassirer. Er mietet in der Fehlerstr. 1 in Berlin-Friedenau ein Erdgeschoss-Atelier. L., der die letzten Jahre im Land des "Erbfeindes" gelebt hat, ist vom Kriegsausbruch so betroffen, dass er nach eigenen Angaben ein halbes Jahr lang nicht arbeiten kann. Für mehrere Monate ist er als Sanitäter in einem Friedenauer Hilfslazarett eingesetzt, hat daneben aber Zeit für seine künstlerische Arbeit. Der für Frühjahr 1915 vorgesehene Einsatz als Kriegsmaler wird abgesagt. L. wird wegen seiner Schwerhörigkeit vom Kriegsdienst freigestellt. Die Werke, die in Berlin entstehen, nehmen auf den WK Bezug. Am Anfang steht die Statuette Stürmender (1914, Gips), in der L.s späterer Arzt, der Psychoanalytiker Iwan Bloch, eine Selbstdarstellung sieht; "qualvoll und sehnsüchtig" reckt sich der Jüngling zum Himmel. Durch die spätere Umbenennung in Getroffener wird die Statuette eindimensional als Stellungnahme gegen den Krieg missverstanden. Doch L.s Position ist höchst kompliziert; er schwankt zwischen Patriotismus und Abscheu vor dem Töten. Noch kurz vor Kriegsende fragt er sich, ob er nicht doch an die Front hätte ziehen müssen. Gleichzeitig beklagt er den Tod von Künstlerfreunden (auch in dem Gedicht "Wer ist noch da?", 1918). Als Entwurf für ein Kriegerdenkmal in Duisburg entsteht 1915/16 die überlebensgroße Figur Der Gestürzte (Gips) nach dem Modell des befreundeten Malers Artur Degner. Bei der Ausst. in der Freien Secession Berlin 1916 ruft sie kontroverse Reaktionen hervor. L. lernt den Mannheimer Textilfabrikanten Sally Falk kennen, der Uniformstoffe für das dt. Heer produziert. Dieser erwirbt etliche Werke L.s und gibt Porträts in Auftrag. Im Nov. 1916 eröffnet in Mannheim die größte Einzelausstellung. Gezeigt werden auch die Werke der Slg Falk, von denen einige als Schenkung in die KH gelangen. Von Mannheim aus reist L. in die Schweiz. Dank der Fürsprache Max Liebermanns wird ihm erlaubt, seine Wirkungsstätte dorthin zu verlegen, um das Verständnis für dt. Künstler zu fördern. L. lässt sich in Zürich nieder, wo er im Febr. 1917 an einer Ausst. im KH teilnimmt. Eine größere Werkschau findet im Herbst in der KH Basel statt. Die Fam. zieht gleich A. des Jahres 1917 nach. Der dritte Sohn Guido wird geboren. L. steht in Kontakt mit dt. Emigranten, die pazifistisch gesinnt sind, z.B. Ludwig Rubiner. In Zürich vollendet er die in Berlin begonnene überlebensgroße Figur Sitzender Jüngling 1916/17 (Steinguss, Frankfurt am Main, Städel). Im Herbst 1917 lernt L. die österr. Schauspielerin Elisabeth Bergner kennen, die am Züricher Stadttheater auftritt. L. verliebt sich in die junge Frau, was sich in mehreren Werken widerspiegelt: Porträt Elisabeth Bergner 1917 (zwei Fassungen, Gips), Betende und Liebende Köpfe (beide 1918, Steinguss). Seine Liebe wird jedoch nicht erwidert. Im Jan. 1919 wählt die Preußische Akad. der Künste L. zum Mitglied. Die Nachricht über diese Ausz., die nach Zürich gesandt wird, hat L. vermutlich nicht erhalten. Anf. 1919 reist er nämlich nach Berlin, einerseits weil E.Bergner inzwischen dort auftritt, andererseits um ein Bildnis von Annemarie von Friedländer-Fuld zu modellieren. Die Dargestellte, Erbin des Multimillionärs Fritz von Friedländer-Fuld, lehnt das Porträt als nicht ähnlich ab (Gips, nicht erh.). Zu diesem beruflichen Rückschlag kommen gesundheitliche Probleme: Zwar soll L.s Syphilis-Krankheit geheilt gewesen sein, doch kein Mittel hilft gegen seine Depressionen. Am stärksten belastet ihn seine aussichtslose Liebe zu E.Bergner. Als diese aus Berlin zu einem Gastspiel nach Wien abreist, nimmt sich L. am 25.3.1919 in seinem Berliner Atelier das Leben. Erst am 31.3. melden die Ztgn seinen Tod. L. wird auf dem Zwölf-Apostel-Friedhof in Berlin-Schöneberg beigesetzt und 1961 auf den Waldfriedhof Duisburg umgebettet. - L.s Werk gliedert sich in zwei Abschnitte, die nur wenig gemeinsam haben. Die erste Werkphase, die seine Studienzeit und die Tätigkeit als freischaffender Künstler in Düsseldorf umfasst, ist zahlenmäßig sehr viel umfangreicher als das reife Schaffen, das 1910 nach seiner Übersiedlung nach Paris einsetzt. Die Gipsplastiken des Frühwerks, die durch die Slg Nolden ungewöhnlich umfangreich erhalten blieben, geben ein Bild davon, womit sich ein Auftragsbildhauer um die Jahrhundertwende beschäftigte. Es entstanden inhaltlich und stilistisch höchst unterschiedliche Werke – von kitschigen Dekorationsstücken bis zu sozialkritischen Darstellungen, von Kleinplastiken fürs Vertiko bis zu Entwürfen für ambitionierte Monumente. Es fällt schwer, einen eigenen Ton im frühen Schaffen L.s auszumachen; lediglich die große Zahl naturalistischer Arbeiter- und Bettler-Darstellungen erscheint ungewöhnlich. In diesem Genre folgt L. den Vorbildern von Constantin Meunier, Jules Dalou oder Bernhard Hoetger. Dem Bergarbeitersohn L. mag diese Thematik besonders nahe gestanden haben. Warum L. so lange unkritisch den tradierten Themen und Darstellungsweisen verhaftet blieb, hat versch. Gründe. Sehr jung begann er sein Studium. Sowohl auf der KGS als auch der AK in Düsseldorf, die beide als rückständig galten, erhielt er keinen Ansporn, sich eigene Ziele zu setzen. Die Notwendigkeit, während des Studiums seinen Unterhalt zu verdienen, legte es nahe, das Gängige anzubieten. Ausgerechnet im Genre der Grabplastik gelangen ihm nach einigen süßlichen Kompositionen (Junge Liebe, 1905, Gips; Seele, 1908, Marmor) auch Reliefs, die auf die Beseeltheit seiner späteren Werke vorausweisen (Schlaf, 1907, Gips; Trauernde, 1909, Bronze). Dabei mag das Modell, L.s Ehefrau Anita, den Charakter der Werke mitgeprägt haben. So überzeugt auch das ruhig-ernste Bildnis seiner jungen Ehefrau Porträt Frau L. (1908, Gips), das jedoch, wie ein Atelierfoto belegt, gleichzeitig mit krass naturalistischen Büsten eines alten blinden Paares entsteht (Zum Ziel, 1908, Gips). L.s Schaffen blieb bis zur Übersiedlung nach Paris extrem uneinheitlich. Dass der Künstler mit seiner Situation letztendlich unzufrieden war, verdeutlicht sein Entschluss, nach Paris zu gehen. Dorthin lockt ihn das Vorbild des großen Bildhauers Auguste Rodin, dessen Schüler er werden will. Ein Besuch bei ihm verlief jedoch enttäuschend. Die entscheidende Änderung in seinem künstlerischen Schaffen bestand darin, dass L. nun erstmals nach einer eigenen Ausdrucksform suchte und diese in der Großen Stehenden 1910 auch gleich in überlebensgroßem Format realisierte. In der Kunstkritik hat man häufig – sowohl damals als auch heute – in der großen Statue allerdings eine Auseinandersetzung mit dem Stil von Aristide Maillol erkennen wollen. Dabei wurde übersehen, dass es vor 1910 noch keine der typischen großen Frauenstatuen Maillols gab, an denen sich L. hätte orientieren können. Auffallend ist im Übrigen, dass L.s Besuch im Atelier Maillols 1908 keine Auswirkungen auf sein Schaffen hatte. Maillol und L. präsentierten 1910 im Salon d’automne jeweils ihr erstes Meisterwerk auf dem Gebiet der lebensgroßen weiblichen Statue: Maillol die "Pomona" und L. die Große Stehende. Bei durchaus vergleichbarer Konzentration und rundplastischer Überzeugungskraft, unterscheiden sich beide Statuen deutlich: hier die vor Sinnlichkeit strotzende, symmetrisch aufgebaute Pomona, geprägt durch ein kurzbeiniges Modell, dort die zart bewegte, versonnene Große Stehende, deren überproportional langen Beine auf die Überlängung der folgenden Statuen voraus weisen. Nach eigenen Aussagen war für L. die Kunst des Malers Hans von Marées Vorbild für die Konzentration seines Stils. Das zeigt sich bes. auch in Reliefs sowie Gem. und Radierungen. Gerade in seinen Pariser Jahren schuf L. auch ein bed. malerisches und graf. Werk. Überraschend ist, dass er mit der Knienden 1911 ein Werk vorstellte, das sich von der Großen Stehenden erheblich unterscheidet. Auf plastische Fülle wird gänzlich verzichtet; die Frauenfigur ist in allen Teilen extrem überlängt proportioniert. Julius Meier-Graefe nannte dies gotisierend. Statt rundplastische Wirkung anzustreben, ist die Komp. auf die Seitenansichten konzentriert, wodurch die Reliefwirkung betont wird. Theodor Däubler bezeichnete die Kniende als "Vorwort zum Expressionismus". Zwar nutzt sie durch die Deformation des menschlichen Körpers ein Mittel des Expressionismus, gleichzeitig setzt sie sich aber durch die beseelte, sanfte Bewegung – den geneigten Kopf, die preziöse Haltung der rechten Hand – davon ab. Die Kniende gilt als das Hw. L.s; sie steht jedoch in seinem Œuvre isoliert da. In den folgenden Statuen der Pariser Jahre – Sinnende und Emporsteigender (beide 1913) – kehrte L. zum Thema der stehenden Menschenfigur zurück, behielt aber die Überlängung der Körper und die Überlebensgröße bei. Davon nahm er jedoch bei den nachfolgenden Figuren – Badende 1913, Mädchen sich umwendend 1913/14 und Rückblickende 1914 Abstand. Gemessen an dem in der Kunstgesch. lange akzeptierten Axiom, dass sich die moderne Kunst zielstrebig zur Abstraktion hin entwickelt habe, muss man bei L. nach der Knienden eine Abwendung von diesem Weg erkennen. Doch das ist eine Einschätzung, die L. nicht angemessen ist. Die Kniende war ein Versuch, die menschliche Figur auf neue Weise zu interpretieren, dem weitere, andersartige Versuche folgten. Z.B. erprobte L. bei dem Mädchen sich umwendend und der Badenden ein Konzept der Rundansichtigkeit. Außerdem beschäftigte ihn der Torso. Dieses Thema war schon bei Rodin von Bedeutung, während sich Maillol hier weitgehend zurückhielt. Meier-Graefe hatte schon die unterschiedliche Vorgehensweise von L. und Maillol deutlich herausgestellt. Nach der Rückkehr aus Frankreich dominierte im Werk L.s das Weltkriegsthema; damit nahm der Künstler Abstand von der autonomen Plastik, die sein Werk in der Pariser Phase geprägt hatte. Auch formale Besonderheiten, wie die Gerüsthaftigkeit und die Überlängung der Körper standen nicht mehr im Vordergrund. Die Erfahrungen der letzten Jahre in der Menschendarstellung werden nun souverän genutzt, um seelische Befindlichkeiten auszudrücken. Gemessen am Entwicklungsgang der Moderne erscheint dies als ein erneuter Rückschritt. In L.s Werdegang jedoch können die beiden überlebensgroßen Jünglingsfiguren Der Gestürzte und der Sitzende Jüngling als seine souveränsten Meisterwerke gelten. Die letzten Plastiken vor seinem Tod sind dagegen fast alle unvollendet geblieben. Sie wirken experimentell und ziemlich uneinheitlich. Unklar ist, wie L. sie vollendet hätte. Das Werk des Bildhauers ist durch seinen frühen Tod ein Torso geblieben. Selbst während seiner Wirkungszeit war er durch finanzielle und persönliche Probleme sowie den Ersten WK nicht in der Lage, sein Schaffen in der ersehnten Form und Intensität auszuführen. So war es ihm nur in sehr geringem Maße möglich, Bronzen gießen zu lassen. Deshalb musste er sich auf den eigentlich ungeliebten Steinguss einlassen. Gemessen an den Schwierigkeiten, mit denen der Künstler zeitlebens zu kämpfen hatte, erscheint die Reihe seiner überlebensgroßen Statuen umso erstaunlicher. Sie ist eine der bedeutendsten künstlerischen Leistungen in Deutschland im frühen 20. Jh. L.s Nachruhm ist groß; in den ersten Jahren nach seinem Tod wurde durch Ausstellungen und Museumsankäufe sein Werk endlich in weiten Kreisen bekannt. Anita L. kam der großen Nachfrage mit posthumen Neugüssen nach. Von den Hauptwerken ließ sie mehrmals Bronzen gießen. In recht großer Zahl wurden die kleinen Figuren und die Büsten sowohl in Bronzw als auch in Steinguss hergestellt. Nach den Diffamierungen in der NS-Zeit setzte sich die Hochschätzung von L.s Werk fort. Ausgangspunkt war dabei das L.-Mus., das dank beachtlicher Teile des Nachlasses und anderer Erwerbungen einen vollst. Überblick über das erhaltene Werk des Künstlers gibt.

Werke

Basel, KM. Berlin, Neue NG. Bonn, KM. Boston, MFA. Bremen, KH. Buffalo, Albright Knox Art Gall. Chemnitz, KS. Darmstadt, Hessisches LM. Davos, Kirchner-Mus. Dortmund, Mus. für Kunst und Kultur-Gesch. Dresden, Albertinum, Skulpt.-Slg. Düren, Leopold-Hoesch-Mus. Düsseldorf, Mus. Kunst-Pal. Duisburg, W.L. Mus. (Gesamtwerk). Erfurt, Anger-Mus. Essen, Mus. Folkwang. Frankfurt am Main, Städel. Hagen, Osthaus-Mus. Halle/Saale, SM, Christian Wolff-Haus. Hamburg, KH. Hannover, Sprengel Mus. Karlsruhe SKH. Köln, Mus. Ludwig. Krefeld, Kaiser-Wilhelm-Mus. Leipzig MBK. Magdeburg, KM Kloster Unser Lieben Frauen. Mannheim, KH. München, NP. New York, Metrop. Mus. - MMA. Otterlo Kröller-Müller-Mus. Prag NG. Stuttgart, SG. Wiesbaden, Mus. Wuppertal, Von der Heydt-Mus. Zürich, Kunsthaus.

Ausstellungen

E: 1912 Hagen, Mus. Folkwang (mit Egon Schiele) / 1914 Paris, Gal. Levesque / 1916 Mannheim, KH / 1917 Basel, KH / 1919 Düsseldorf, Gal. Flechtheim (mit Paul Klee) / 1920 Berlin, Gal. Cassirer (K) / Duisburg: 1925, '29 Duisburger Mus.-Ver.; 1955 Städt. Kunst-Mus.; 1981 (K), 2009, 2011-12 W.L. Mus. (K) / 1930 New York, MoMA (mit A.Maillol) / 1949 Düsseldorf, Kunst-Slgn der Stadt Düsseldorf / 1972 Washington, NG (K) / 1973 Berlin, Neue NG (K) / 1979 Edinburgh, Scottish NG of Mod. Art (K, Wander-Ausst.) / 1986 Stuttgart, SG / 1987 Gotha, Museen der Stadt Gotha (K, Wander-Ausst.) / 2000 Bremen, Gerhard Marcks-Haus (K, Wander-Ausst.) / 2013 Schleswig, Schloss Gottorf (K, Retr.) / 2016 Wien, Leopold-Mus. (Retr., K) / 2018-19 Stuttgart, SG (K) / 2019 Duisburg, W.L. Mus. (mit Auguste Rodin, K). - G: Köln: 1906 Dt. Kunst-Ausst.; 1912 Sonderbund; 1914 Werkbund / Paris: 1907-11 Soc. nat. des BA; 1910-13 Salon d’automne; 1912-13 Salon des Artistes Indépendants; 2009 Musée d’Orsay: Oublier Rodin (K, Wander-Ausst.) / 1909 Düsseldorf: Ausst. für christliche Kunst / Berlin: 1912 Secession; 1914 Freie Secession / Mannheim: 1913 Dt. Künstlerbund; 1994 KH: Stiftung und Slg Sally Falk (K) / 1913 New York: Armory Show / 1955 Kassel: documenta / 1965 Duisburg, W.L. Mus.: Pariser Begegnungen / 2017-18 Bielefeld, KH: Der böse Expressionismus. Trauma und Tabu (K) / 2018-19 Berlin, Georg Kolbe Mus.: Zarte Männer in der Skulptur der Moderne (Wander-Ausst., K).

Bibliographie

ThB22, 1928. – NDB XIV, 1985; The Enc. of Sculpt. 2, N.Y. 2004. – WV: G.Händler, W. L. Die Zchngn der Reifezeit, St. 1985; M.C.Lahusen, W.L.: Gem. und großformatige Zchngn, M. 1997; E.Petermann, Die Druckgraphik von W.L., St. 1964; D.Schubert, W.L.: Cat. raisonné der Skulpt., Worms 2001. - Lit.: J.Meier-Graefe, Pariser Begegnungen, in: Kunst und Künstler, 10, 1912, 444-448; P.Westheim, L.s Lehr- und Wanderjahre, in: Feuer I, 1919, 7-15; id., W.L., B. 1919 (2. Aufl. Potsdam 1922); K.Badt, Die Plastik W. L.s, in: ZBK, N.F. 31. 1920, 169-182; W.Bethge, W.L. zum Gedächtnis, B. 1920; H.Franck, W. L., in: Die Rheinlande 1920, S. 65-72; J.Meier-Graefe, Entwicklungsgeschichte der Kunst, Bd. 3, 2. Aufl. M. 1924; A.Hoff, W. L., B. 1933; id., W. L., B. 1936; id., W. L., B. 1961; G.Händler, W.L. Mus. Duisburg. Bd. I W.-L.-Slg Plastik, Malerei, Recklinghausen 1964; id., Pariser Begegnungen (K) Duisburg 1965; id., E.Pannebecker, W.L., Bd. III, Frühwerk: Plastik, Zchngn, Duisburg 1969; G.v.Roden/S.Salzmann (Ed.), WLM, W. L., Sieben Beitr., Duisburg 1969 (Duisburger F., 13); W.Grzimek, Dt. Bildhauer des 20. Jh., M. 1969; E.Güse, L. und Italien, Duisburg 1978; F.v.Unruh, Sämtl. Werke, Bd 17, B. 1979, 423-435, 451-455 (zu W.L.); S.Salzmann, W.L., Kat. der Slg des W.L. Mus., Recklinghausen 1981; D.Schubert, Die Kunst L.s, Worms 1981 (2. Aufl. Worms 1990); J.Dresch, Karl Janssen und die Düsseldorfer Bildhauerschule, Dd. 1989; K.Völker, Elisabeth Bergner, B. 1990; R.Dorn u.a., Stiftung und Slg Falk, Mh. 1994; G.Holländer, L. in Duisburg, Bonn 1995; S.Kähler, Dt. Bildhauer in Paris, Ffm/Bern/B. 1996; K.B.Lepper/C.Brockhaus (Ed.), W. L. Das plastische und malerische Werk. Gedichte und Gedanken, Köln 2005; U.Berger, Rez. D. Schubert: W.L. Cat. raisonné der Skulpt., in: ZKg, 1:2003, 122–139; ead., Posthume Güsse bei W.L. Anita L. als Nachlassmanagerin, in: ead. u.a. (Ed.), Posthume Güsse. Bilanz und Perspektiven, B. 2009, 92-99; M.Bornscheuer/R.Stecker (Ed.), 100 Jahre Kniende, Köln 2011.

Artikel aus Thieme-Becker

Biogramm

Lehmbruck, Wilhelm, Bildhauer, Maler u. Graphiker, * Duisburg-Meiderich 4. 1. 1881, † Berlin 25. 3. 1919 (Selbstmord). Sohn eines Bergmanns. 1895/9 Kunstgewerbeschule Düsseldorf, 1901/06 Akademie ebda (Meisterschüler K. Janssens). 1905 erste Italienreise. 1907 erste Ausstell. in Paris (Salon der Soc. Nat.). 1910/14 in Paris. Dazwischen 1912 zweite Italienreise. 1914117 Berlin; 1917/18 Zürich; 1919 Berlin. Geht vom soliden handwerkl. Studium aus; seine frühen Arbeiten ("Kugelwerfer" 1902, "Bettlerpaar", "Badende" 1905) überragen den Durchschnitt wenig. Erst in Paris erfolgt der Durchbruch. Erste Leistung: "Weibliche Figur" 1910. Die tektonische Gesetzmäßigkeit Maillols beeindruckt ihn u. verhilft ihm zur Erkenntnis seiner eigenen Stilmöglichkeiten. Diese scheinen anfangs in der Richtung eines neuen Klassizismus zu liegen, doch verläßt L. den Weg eindeutiger Einfachheit sehr bald u. kommt in der "Knienden" (1911), seinem Hauptwerk, zu einer Problematik des Psychischen u. Formalen, die bis zu seinem Tode der Inhalt seines Schaffens bleibt. Seit 1911 Mehrdeutigkeit der Achsen, Raumkontraste. Sein Werk von großem Einflug auf die folgende Bildhauergeneration. - L.s Zeichnungen (etwa 600) mehr Werkzeichnungen, seine Radier. Festhalten intensiver Einfälle, seine Gemälde Ergänzungen des plastischen Werks nach der Seite vielgestaltiger Kompositionen. Hauptwerke. I. Skulpturen: 1905 Badende, Stein (Akad. Düsseldorf). 1910 Stehende weibl. Figur, Marmor (Stadt. Mus. Duisburg); Kleiner weibl. Torso, Bronze (Folkwang Mus. Essen); Büste Frau Lehmbruck, Bronze (Kunstmus. Essen). 1911 Kniende, Steinguß, auch in Bronze (Nat.- Gal. Berlin, Kunsthalle Mannheim usw.); Kleine Sinnende, Bronze (Stadt. Mus. Halle). 1913 Rückblickende, Steinguß; Große Sinnende, Bronze (Mus. Duisburg); Emporsteigender Jüngling, Steinguß (Nat.-Gal. Berlin). 1914 Weibl. Torso, Steinguß. 1916 Porträt Frau Oeltjen, Steinguß; Portrat Frau F., Steinguß (Albertinum Dresden); Sterbender Krieger, Steinguß; Statuette Frau F. (Stadt. Gal. Frankfurt a. M.); Sitzender Jüngling, Bronze (ebda u. Ehrenfriedhof Duisburg). 1917 Betende, Bronze; Mutter u. Kind, Bronze (Kunsthalle Mannheim). 1918 Porträt Fritz von Unruh, Steinguß (Stadt. Gal. Frankfurt a. M.). Weibl. Torso, Marmor (unvollendet). Die Hauptmasse der Skulpturen L.s bewahrt das Stadt. Mus. Duisburg, andere (außer an den gen. O.) in der Akad. d. Künste Berlin u. in den Museen zu Bremen, Breslau, Buffalo (U. S. A.), Chemnitz, Danzig, Elberfeld, Erfurt, Hamburg, Köln, Leipzig, München, Ulm, Wiesbaden. - II. Gemälde: 1912 Martha. 1914 Frauenkopf; Komposition; Susanna. 1916 Bathseba; Akte in Landschaft (Nat.-Gal. Berlin). - III. Radier.: 1911 Kniende; Potiphars Weib. 1912 Schüchternes Mädchen; Paolo u. Francesca; Kleopatra. 1913 Der verlorene Sohn; Kreuzigung; Große Auferstehung. Ausstell.: Kollektiv 1914 bei Levesque, Paris (Kat. mit Einleit. von A. Salmon); 1917 im Kunsthaus Zürich. Gedächtnis-A. Februar 1920 bei P. Cassirer, Berlin; Marz 1920 bei A. Flechtheim, Düsseldorf; Juni 1921 in der Münchner N. Sezession (chronol. Werkkat.); Juli 1925 im Stadt. Mus. Duisburg (umfassend). Das graph. Werk (73 Rad.) u. 20 Zeichn. ausgest. bei H. Goltz, München (Katal. in Der Ararat, 1920 p. 92). Monogr. u. Handbücher: P. Westheim, Das Werk L.s in 86 Abb., Potsdam 1919, 2 1922. - H. Bethge, L., Berlin 1921; cf. Das Kunstblatt, 1921 p. 253, u. Hellweg, I (1922) 5. - M. Sauerlandt, Dtsche Bildhauer um 1900 ("Die blauen Bücher"), 1925. - W. Hausenstein, Die bild. Kst d. Gegenw., 1914. - J. Meier-Graefe, Entwicklungsgesch. d. mod. Kst, III (1915) 551 ff., in. Abb. - W. Wolfradt, Die neue Plastik, 1919 p. 82. - G. Hartlaub, Die neue dtsche Graphik, 1920 p. 84 f. - C. Glaser, Die Graphik d. Neuzeit, 1922. - H. v. Wedderkop, Dtsche Graphik des Westens, 1922, p. 10, 37f., m. Abb., 138ff. (Abb.). - A. Kuhn, Die neuere Plastik usw., 1922. - E. Szittya, Selbstmörder, 1925 p. 144f., m. Bildnis nach p. 158. - C. Einstein, Die Est d. 20. Jahrh. (Propyläen-Kstgesch. XVI), 1926, m. Abb. - K. Scheffler, Gesch. d. europ. Kst i. 19. Jahrh., II (1927) 332f., m. Abb. - P. F. Schmidt, Die Kst d. Gegenw., o. J., p. 116, m. Abb. Zeitschriften; Kst u. Künstler, X (1911/12) 447f. (J. Meier-Graefe); XII 649, m.Abb.; XVII 329/32 (H. Bethge), m. Taf. vor p. 295 u. Abb., 484 (Abb.), 493 (Abb.); XXVI 39, 66 (Abb.). - Der Cicerone, VI (1914) 539f.; XI 191f.; XII 127f., 265; XVI 978f.; XVIII 67, 717; XIX 443 (Abb.), 450 (Abb.), 553 (Abb.). - Die Plastik, IV (1914) 58160, Taf. 72/75; XI (1921) 41f., Taf. 50/53. - Dtsche Monatshefte, 1915 p. 293/300 (W. Schafer); Die Rheinlande, 1920 p. 65172 (H. Franck). - Das Kunstblatt, I (1917) 3 (Abb.), 107 (Abb.), 207f., m. Abb. p. 201, 203/05, 207, 218f. (Das Werk L.s); 11/18 (Gedicht von H. Bethge), m. 3 Abb.; III 129, 1931200 (P. Westheim), mit Aufzeichn. L.s p. 200/04 u. Abb.; VI 221 f. (ders.); VIII 63, m. Abb., 352 (Abb.), 355f. (Abb.); X 391; XI 33, In. Abb. p. 28, 306f. (P. Westheim). - Die Kst, XXXIX (Kst f. A. XXXIV), 1918/19, p. 300, 427 (Abb.); XLI (K. f. A. XXXV), p. 145/48 (W. Kurth). - Zeitschr. f. bild. Kst, N. F. XXXI (1919/20) 169/82 (K. Badt). - Dtsche Kst u. Dekor., XLV (1919/20) 43/49 (K. Schwarz). - Ganymed, I (1919) 91. - Das junge Dtschland, II (1919) Heft 9 (W. Wolfradt). - Wieland, V (1919/20) Heft 11, p. 16 (P. Westheim), m. Abb. p. 1/15. - Feuer, I (1919/20) 7/15 (P. Westheim); II 724; III 89 (Abb.). - Die Schaffenden, II (1919/20), Mappe (Rad.) - Münchner N. Nachr. 1919 Nr 149 (W. Hausenstein). - Frankf. Zeitg 4. 1919 (P. Westheim). - Sozialist. Monatsh., LIV (1920) 204f. (L. Hilbersheimer). - Velh. & Klas. Monatsh., Nov. 1920, p. 312/20 (O. Beyer). - Kstchronik, N. F. XXXII (1920/21) 827f. - Wallraf-Richartz-Jahrb., II (1925) 177f., m. Abb.

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