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BY-NC 4.0 license Open Access Published by De Gruyter 2020 (Print 2020)

Burmeister, Johannes

  • Michael Fontaine

I. Vita

Geboren wurde B. 1576 in Lüneburg als Kind von Albert und Elise oder Elisa, geb. Wolf (Wc3, Tl. 2, 259; die Genealogie bei Böckmann [Lex] ist nicht korrekt). Der Lüneburger Musiktheoretiker Joachim → Burmeister (1564−1629) war vermutlich sein Cousin. 1594 immatrikulierte B. sich in Rostock (Matr. Rostock II, 216) und studierte Theologie (auf dem Titelblatt von Wc1 ist er SS. Theologiae Studiosus). Im Juli 1600 wurde er zum Poeta laureatus gekrönt (Flood [Lex] 1, 265 f.) und 1601 zum Diakon in Lauenburg/Elbe geweiht.

1603−1627 war er Pastor in Gülzow und verfasste während dieser Zeit die meisten seiner Werke, manche unter Förderung der Adelsfamilie Estorff. Als vom 27.−30. 7. 1627 kath. Kräfte die prot. Kirchen der benachbarten Orte Mustin (Nölting 1926, 3 f.), Lütau und Gülzow (A, 26−28) plünderten, floh B. nach Hamburg und verbrachte dort ein Jahr, in dessen Verlauf seine Aulularia entstand (Wc10, Vorwort; A, 97−101). Im Folgejahr kehrte er, nun als Generalsuperintendent und Pastor, nach Lauenburg zurück, doch behinderte die militärische Besatzung seine Arbeit (Nölting, 34).

1635 wurde er Propst von Uelzen und starb dort am 23. 8. 1638 (Schilling 1735, 42). Er wurde am 27. 8. begraben (Strasser 1958, 203). Todesursache war vermutlich die in diesem Monat in Mustin wütende Pest (Nölting, 32). Sein Grab ist nicht auffindbar, dürfte sich aber in Uelzen oder Ratzeburg befinden. Über eine Ehe oder Kinder ist nichts bekannt.

II. Werk

B.s Hauptwerke stehen im Zeichen der Christianisierung klassisch-röm. Formen und Themen. Er schrieb eine Parodia Sacra der Epigramme Martials (Wc3; 1612), christliche Saturnalia (Wc6; 1619) und − seine Meisterwerke − christliche inversiones plautinischer Komödien (Wc8−10; 1621−1629). Zudem verfasste er eine Reihe von Gelegenheitsgedichten (We), die vielfach auf einem Anagramm oder Alliterationen aufbauen. Seine in den christlichen Parodien unter Beweis gestellte Fähigkeit, raffinierte und über weite Strecken durchgehaltene motivische und thematische Analogien zwischen paganer Antike und bibl. Stoffen zu entwickeln, ist beachtlich. Seine Latinität ist gekennzeichnet durch Vorliebe für Wortspiele, gewandten Gebrauch der Metrik und Sicherheit in der Wortwahl. Seine Prosa ist sowohl im Deutschen als auch im Lateinischen stets gereimt, was mit manchen Idiosynkrasien einhergeht. B. legte in all seinen Werken großen Wert auf einen eigenen Stil, den er im Lauf der Zeit kontinuierlich entwickelte und perfektionierte.

In der noch während seiner Studienzeit in Rostock konzipierten Martial-Bearb. schloss er sich dem Strom der damals modischen (Niehl 2006) nlat.parodia sacra an. Die Originalität dieser Gedichte sollte nicht überbewertet werden (Reinhardstöttner 1887 urteilt diesbezüglich besser als Sullivan 1991, 281 f.).

Die durchgehend in gereimter Prosa verfassten Saturnalia Christiana, ein imaginärer Dialog zwischen luth. Theologen über verschiedene Themen, scheinen keine merkliche Wirkung gehabt zu haben. Erst mit den in den 1620er-Jahren entstandenen Plautus-Bearb.en erreichte B. die Höhe seines Könnens. Seine ersten drei Adaptationen, Mater-Virgo (Wc8; 1621), Susanna (vielleicht unveröffentlicht) und Asinaria (Wc9; 1625), sind heute verloren. Dennoch ist es möglich, den Einfallsreichtum dieser Stücke anhand der kürzlich wiederentdeckten Aulularia (Wc10; 1629; A; Fontaine 2015) zu erahnen (A; ders. 2016 u. 2017; ders. 2013 ist überholt). In diesen Dramen wendet B. die Idee der parodia sacra, die zuvor auf kürzere Gedichte beschränkt war, auf die bedeutend längeren Texte der röm. Komödie an. Auf diese Weise schuf B. ein neues Genre, das er ‚Inversion‘ (inversio) taufte. Die paganen Komödien werden für bibl. Stoffe adaptiert, wobei sich B. bis ins Detail und geradezu obsessiv an das plautinische Vorbild hält. Der Text des Plautus bleibt überwiegend in derselben Anordnung der Wörter und in demselben Metrum erhalten. Meist genügen B. minimale Änderungen in der Wortwahl für seine Inversion. Wo immer sich eine Änderung als notwendig erweist, spielt er zumindest erkennbar auf das ersetzte Wort des Quellentextes an (z. B. wird non zu nos, ego zu ergo, ligna zu signa). Die Mater-Virgo erzählt die Geschichte der Geburt Jesu nach dem Vorbild von Plautus’Amphitryon, die verlorene Susanna orientiert sich an der plautinischen Casina, die Asinaria adaptiert Plautus’ gleichnamige Komödie für die kuriose bibl. Erzählung von David, der die Vorhäute von 100 Philistern als Brautpreis erbeuten muss, und die Aulularia legt über Plautus’ Stück dieses Namens die Geschichte von Achan und Rahab aus dem bibl. Buch Josua. Die Übernahme von plautinischem Material als Grundlage für B.s eigene Stücke wird durch Parallelen in Figuren und Figurenkonstellationen, Sprache und Handlungsstruktur ermöglicht. So wird z. B. Jupiter in Mater-Virgo zum Hl. Geist, Alkmene zu Maria, Amphitryon zu Joseph, Herkules zu Jesus und der Prologsprecher Merkur zum Erzengel Gabriel umgeformt. Durch das Verfahren der Inversion unterscheidet sich B.s christlicher Plautus radikal von den nlat. Schuldramen von Autoren wie Georgius Macropedius (VL16 4, 238−252), Cornelius Schonaeus (1540−1611, dem ‚christlichen Terenz‘) oder Jakob Bidermann (VL16 1, 244−262), die ihre Stücke zwar im Stil eines Plautus, Terenz oder Seneca, aber gänzlich eigenständig verfassten. Offenbar waren aber auch B.s Inversionen für eine Aufführung im schulischen Kontext gedacht (Vorwort zur Aulularia; A, 98: relinquo […] comoediam […] eo iuventuti Hamburgensi profuturam, ut habeat imitationem Plautinae Latinitatis in exercitio Christianae pietatis).

Zu Lebzeiten erfreute sich B. lediglich lokaler Bekanntheit. In der Gegenwart ist er nahezu vergessen. Sein Martial erregte die Aufmerksamkeit von Friedrich Taubmann (VL16 6, 259−276) und seine Mater-Virgo war Johann Philipp Pareus (VL16 5, 21−32), dem bedeutendsten Plautus-Experten seiner Zeit, bekannt. B.s übrige Werke wurden jedoch nicht wahrgenommen. Nach Pareus wurde Mater-Virgo von keinem anderen Autor mehr erwähnt, ehe Günther (1886, 55−63) und Reinhardstöttner (1886, 208−214) sie im selben Jahr wiederentdeckten (von ihren Darstellungen ist Lindberger 1956, 43−45 abhängig). Böckmann [Lex] war 2011 der erste, der die für unsere heutige Einschätzung von B. zentrale Aulularia in einer Veröffentlichung erwähnte.

III. Werk- und Literaturverzeichnis

[Wc] Zu einer möglicherweise v. B. vor 1621 veröffentlichten u. Johann Arndt (VL16 1, 146−157) gewidmeten Gedichtslg. Lusus et Usus Umbraes. A, 34 f. − 1. Carmen Heroicum De Ioanne Baptista. Exercitii gratia contextum, et in alma Rosarum Academia ipso die Ioannis Baptistae publice in Collegio maiori recitatum. Rst.: Reusner 1599. − 2. Eine Christliche Predigt / Bey dem Leichbegencknus der Edlen vielehrentugentsamen Frawen / Annen / gebornen Beyschwangk […]. Uelzen: [Kröner] 1608. − 3. Martialis Renati. Parodiarum Sacrarum pars prima, sex priores habens libros. Quibus apposita [Tl. 2 u. 3: obposita] M. Val. Martialis Epigrammata [Tl. 2: Pars media sex posteriores habens libros; Tl. 3: Pars ultima, Duos postremos habens libros, Xenia et Apophoreta]. 3 Tle. Goslar: Stern, Vogt 1612. − 4. In Canticum canticorum regis Salomonis, Paraphrasis Poetica. Goslar: Stern 1613 u. 1614 (kein Ex. erhalten). − 5. [Leichenpredigt f. die Adelige Dorothea Schack (geb. v. der Kettenburg, 1579−1614), gehalten am 24. 11. 1614]. Hbg.: Lange [1614?] (kein Ex. erhalten; Zusammenfassung der Predigt b. Neumann 1954). − 6. Saturnaliorum Christianorum Libri septem. Qui de scripturae typis. Goslar: Stern, Vogt 1619. − 7. Votum Latino-Germanicum, Iuxta nominum litteras conflatum, in Domi-Ducam Ducalem Pompam, Qua Heroina Et Domina […] Elisabetha-Sophia, Ex Prosapia Ducum Slesvic. Holsat. Oriunda, Saxoniae, Angriae, Et Westphaliae Inaugurabitur Ducissa […]. Hbg.: Lange 1620. − 8. M. A. Plauti Renati sive Sacri Mater-Virgo, comoedia prima ex Amphitruone ad Admirandum Conceptionis et Incarnationis Filii Dei Misterium Inversa. Lüneburg: Michaelis 1621 (kein Ex. erhalten; Fragmente in A). − 9. [M. A. Plauti Renati sive Sacri] Asinaria. [Comoedia Altera Ex Fabula Ethnica] ad […] Regum Israël Historiam Inversa. Lüneburg: o. Dr. 1625 (kein Ex. erhalten; Rekonstruktionsversuch in A). − 10. M. A. Plauti Renati sive Sacri Aulularia. Comoedia Tertia Ex Fabula Ethnica Ad Biblicam de Achanis Furto Historiam Inversa. Hbg.: Mose 1629.

[We] Gelegenheitsgedichte, wenn nicht anders angegeben auf die Autoren der jeweiligen Schriften, im unpaginierten Vorspann. − 1. Joachim Burmeister: Musica αὐτοσχεδιαστική. Rst.: Reusner 1601. − 2. Paulus Blocius: Catechesis Metrica. Uelzen: o. Dr. 1602. − 3. Sebastian Schwan: Christliche Leichpredigt. Hbg.: Ohr 1605 (Epicedium auf den Verstorbenen Johannes Rupertus; nach: Die Leichenpredigten des Stadtarchivs Braunschweig. Hg. v.Gustav Früh [u. a.], Bd. 6. Hann. 1982, Nr. 5529). − 4. Daniel Mönchmeier: Tods Memorial / Aus dem XC. Psalm v. 13. Lehre uns bedencken / daß wir sterben müssen / Auff daß wir klug werden. Hbg.: Lange 1615, 36 (Epicedium f. Catharina Seiz). − 5. Johann Arndt: Außlegung deß gantzen Psalters Davids. Jena 1617. − 6. Christian Theodor Schosser: Imperatorum Austriacorum Enarratio Synoptica. Mdbg.: Boel 1618. − 7. J. Arndt: Postilla. Das ist Außlegung und Erklärung der Evangelischen Texte. Jena: Steinmann 1616 [recte 1620]. − 8. Caspar Cunrad (VL16 2, 75−85): Theatrum Symbolicum. Oels: Bössemesser 1625, 228 f. u. 336 (Gedichte vom 1. 3. 1617). − 9. Paulus Blocius: Historia Evangelica Triglossometrica. Mdbg.: Francke 1618, Bd. 1. − 10. Matthias Hövisch: Adelicher Ehrenpreiß. Rst.: Fueß 1621, 68. − 11. Matthias Borstel: Strena Graeco-Latina. Hbg.: Lange 1623. − 12. Epithalamia In honorem nuptiarum […] Dn. Heinrici Leonis […] et […] Ursulae Vilhelmsiae. o. O. 1636, A 2r−A 3r (dt. u. lat. Gedicht f. das Brautpaar). − 13. Adrian Mynsicht: Thesaurus Et Armamentarium Medico-Chymicum. Hbg.: Froben 1631; neu bearb. im Druck Lübeck: Schernwebel 1638.

[Wf] Genealogia Familiae Estorfiorum, Collecta Ex antiquis litteris et monumentis, ab incendio et hostili incursione conservatis, Per Ottonem ab Estorf, Ludolphi Filium, Ottonis Nepotem. Hbg.: Lange 1616.

[A] J. B. Aulularia and Other Inversions of Plautus. Hg. u. übers. v. Michael Fontaine. Löwen 2015.

[Qa] Alle bisher verfügbaren Quellen zu B. sind in A, 17−32 zusammengestellt u. besprochen.

[Qr] Falls nicht anders angegeben, handelt es sich bei den hier gemachten Angaben um B. gewidmete Gedichte (nicht aufgenommen sind solche, die ausschließlich in seinen eigenen Werken abgedruckt sind). − 1. Willich Westhov: Epigrammaton libellus. Ffm.: Hartmann 1603, 32. − 2. Bartholomaeus Bilov: Anagrammatismorum Pleiades VII. Erfurt: Schmuck 1614, 47v. − 3. Caspar Cunrad: Prosopographiae Melicae Millennarius I. Ffm.: Humm 1615, 23. − 4. Frid. Taubmani Postuma Schediasmata Vorsa, et Prorsa. Wttbg.: Schürer 1616, 122 f. − 5. Philipp Fabricius: Epigrammata XL. Hbg.: Carstens 1617, D 6v−D 8r. − 6. Hilmar Dralle: Disputatio Theologica, De Scriptura Sacra. Rst.: Fueß 1634, Ar (einfache Widmung, kein Gedicht). − 7. Paul Blocius. In: M. Acci Plauti Sarsinatis Umbri Comoediae XX Superstites et deperditarum Fragmenta. Hg. v. Johann Philipp Pareus. Ffm.: Fischer 1641, h 8v (wahrscheinlich zuerst in Wc8, s. [A], 32 u. 208−210).

[Bib]Goedeke 2 (1886), 117 u. 146. − Ralf Böckmann: Theater an der Weser. Ein Werkverz. zum Schauspiel im Weserraum v. 1500 bis 1650. Nordhausen 2011, 134 f.A, 32−35.

[Lex]Flood 1 (2006), 265−266. − Ralf Böckmann. In: BBKL 32 (2011), 197−199.

[For] Johann Martin Schilling: Hist. Grund-Riß der Stadt Ülsen. Lüneburg 1735. − Otto Günther: Plautuserneuerungen in der dt. Lit. des 15.−17. Jh.s u. ihre Verfasser. Diss. Lpz. 1886. − Karl v. Reinhardstöttner: Plautus. Spätere Bearb.en plautinischer Lustspiele. Lpz. 1886. − Ders.: J. B.s christlicher Martial. In: Vierteljahrsschrift f. Kultur u. Litteratur der Renaissance 2 (1887), 283−289. − Johannes Nölting: Aus einem alten Kirchenbuch. In: Lauenburgische Heimat 2 (1926), 30−35. − Otto Neumann: Ein edles Frauenleben. Geschichtliches aus einer alten Leichenpredigt / In Wilster aufbewahrt. In: Lauenburgische Landeszeitung 97 (1954); wieder in: Gülzower Gemeindebriefbücher. Hg. v. der Kirchengemeinde Gülzow, Bd. 2. Gülzow 2002, 450. − Örjan Lindberger: The Transformations of Amphitryon. Stockholm 1956. − Ernst Strasser: Die St. Marien-Kirche zu Uelzen. Uelzen 1958. − John P. Sullivan: Martial, the Unexpected Classic. Cambridge 1991. − Rüdiger Niehl: Parodia Horatiana. Parodiebegriff u. Parodiedichtung im Deutschland des 17. Jh.s. In: ‚Parodia‘ u. Parodie. Aspekte intertextuellen Schreibens in der lat. Lit. der FNz. Hg. v.Reinhold F. Glei, Robert Seidel. Tüb. 2006, 11−46. − Michael Fontaine: The Aulularia Inversa of J. B. In: The Muse at Play. Riddles and Wordplay in Greek and Latin Poetry. Hg. v.Jan Kwapisz [u. a.]. Bln. 2013, 355−378. − Ders.: The Intercalary Scenes in the Aulularia of J. B. (1629). In: ACNL Monasteriensis. Hg. v.Karl A. E. Enenkel, Astrid Steiner-Weber. Boston, Leiden 2015, 202−213. − Ders.: Is the Story of Susanna and the Elders Based on a Greek New Comedy? The Evidence of Plautus’ Casina and B.’s Susanna. In: Roman Drama and its Contexts. Hg. v.Gesine Manuwald [u. a.]. Bln. 2016, 471−488. − Ders.: O Maravilhoso Mistério de Mater-Virgo de J. B. In: A comédia e seus duplos. O Anfitrião de Plauto. Hg. v.Rodrigo T. Gonçalves. São Paulo 2017, 105−136.

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