Abstract
In der sprachwissenschaftlich fundierten Diskursforschung lassen sich konträre Perspektiven auf das Verhältnis von Diskurs(linguistik) und Kritik ausmachen. Sie werden im vorliegenden Artikel behandelt. Nach einer kurzen Einleitung wird in Abschnitt 2 die Etymologie des Kritikbegriffs rekonstruiert, um darauf aufbauend eine grundlegende Reflexion der Konturen des Kritikbegriffs vorzunehmen. Kritik wird als vieldeutige Bezeichnung für die Prüfung und Bewertung von Personen, Objekten, Handlungen und Gesellschaftssystemen auf Normen und Ziele hin bestimmt. Sie beinhaltet bis zu fünf Teilprozesse: Unterscheiden 1 (Feststellen von Unterschieden zwischen Elementen des Untersuchungsgegenstands), Unterscheiden 2 (Feststellen von Unterschieden zwischen Sein und Nicht-Sein, Sein und Wollen, Sein und Sollen sowie Sein und Können), Bewerten, Begrunden der Bewertung und Anleiten zum Handeln. Es wird aufgezeigt, dass Kritik bis zu fünf elementare Vertextungs- und Diskursivierungsmuster einbezieht. In Abschnitt 3 werden normative Grundlagen der linguistischen Diskursanalyse besprochen. Dabei wird der normative Hintergrund von Beschreibungen und Erklärungen skizziert. In Abschnitt 4 wird die Idee einer deskriptiven Diskurskritik diskutiert. Sie enthält sich des politischen Engagements und will keine Normen setzen, sondern sich primär auf Unterscheiden 1 beschränken, also das Aufzeigen wahrnehmbarer Unterschiede. In Abschnitt 5 werden die Kritikbegriffe der sieben prominentesten Zugänge zu einer Kritischen Diskursforschung thematisiert. Im Konkreten werden folgende Konzeptionen von Kritik angesprochen: positive versus negative Kritik, Machtkritik, Ideologiekritik, erklärende versus normative Kritik, Sprachkritik, Standpunktkritik, Kritik als Haltung, tolerante Kritik, Kritik als Spiel, text- und diskursimmanente, sozio-diagnostische, prospektive und retrospektive Kritik, feministische Kritik. Abgerundet wird der Beitrag in Abschnitt 5 mit einem Fazit und Ausblick. Dabei werden sieben Diskussionspunkte benannt. Sie wären wissenschaftstheoretisch und selbstkritisch zu bearbeiten, um einen konstruktiven Dialog zwischen deskriptiver und kritischer Diskurslinguistik zu fördern.