Daß zwischen Antisemitismus und völkischem Denken eine Verbindung besteht, gehört zu den eingebürgerten Selbstverständlichkeiten der Forschung. Sachlich wird diese Verbindung meist so verstanden, daß es sich um den negativen und positiven Ausdruck ein und derselben Einstellung handelt; zeitlich wird allerdings gern ein Sukzessionsverhältnis angenommen, das die völkische Bewegung in deutlichem Abstand auf die antisemitische folgen läßt. Beiden Annahmen soll im folgenden widersprochen werden. In sachlicher Hinsicht müssen Antisemitismus und völkisches Denken auseinandergehalten, in zeitlicher Hinsicht dagegen zusammengedacht werden. Die zentralen Elemente des völkischen Diskurses haben sich in der antisemitischen Bewegung des frühen Kaiserreichs gebildet, als Produkt des Bemühens, eine mittlere Linie zwischen den Extrempolen zu finden, die für diese Bewegung charakteristisch waren.
© Max Niemeyer Verlag, 2006