Abstract
By 1918, the very existence of the Warburg Library was endangered due to Aby Warburg’s serious illness. His family recruited the Viennese Fritz Saxl to come to Hamburg as acting director of the library. Starting in April 1920, Saxl, who had already worked with Warburg before the outbreak of the First World War, developed a comprehensive reform program to transform what was originally a private scholar’s library into a public research institute. One initiative was the pursuit of his habilitation in the spring and summer of 1922 with the goal of academic teaching and thereby creating a close link between the library and the newly founded Kunsthistorisches Seminar of the University of Hamburg. The reconstruction of the hitherto neglected habilitation procedure – and the difficulties that Saxl encountered – is based on newly discovered documents and sheds new light on the process of institutionalization of the Warburg Library between 1920 and 1922.
Im Jahre 1918 schien das Fortbestehen der Bibliothek Warburg (B. W.) in Hamburg nach jahrelanger Existenz als Privatbibliothek aufgrund der schweren Erkrankung Aby Warburgs (1866 – 1929) ernsthaft gefährdet. Warburg war zunächst in Hamburg, anschließend in Jena und zwischen April 1921 und August 1924 im Sanatorium Bellevue in Kreuzlingen am Bodensee in psychiatrischer Behandlung (Abb. 1). In dieser Situation beriefen die Brüder Max und Fritz Warburg Fritz Saxl (1890 – 1948) aus Wien als kommissarischen Leiter der Bibliothek. Saxl, der bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit Warburg zusammengearbeitet hatte, entwickelte ab 1920 ein umfangreiches Reformprogramm, mit dem er die Umwandlung der ursprünglich privaten Gelehrtenbibliothek in ein öffentliches Forschungsinstitut verfolgte. In diesem Kontext gehört seine Habilitation im Frühjahr und Sommer 1922 zu den Initiativen, die dem Ziel dienten, eine enge Verzahnung zwischen der B. W. und der Universität Hamburg auf wissenschaftlicher Ebene zu schaffen. Schwierigkeiten, die bei Saxls Habilitation – die zweite im Fach Kunstgeschichte an der Universität Hamburg nach der von Erwin Panofsky 1920 – auftraten, zeugen davon, dass der Weg zur Öffnung der B. W. für ein breiteres wissenschaftliches Publikum nicht problemlos vonstattenging. Eine Rekonstruktion des bislang wenig beachteten Habilitationsverfahren wirft neues Licht auf den Prozess der Institutionalisierung der B. W. zwischen 1920 und 1922. Saxl sollte innerhalb von nur zwei Jahren als kommissarischer Leiter die enge Anbindung der B. W. an das Kunsthistorische Seminar der Universität erreichen.

Aby Warburg, 1923
I Saxl an der B. W. in den Jahren 1920 und 1921
Die B. W., eine von Aby Warburg im Laufe von Jahrzehnten zusammengetragene beeindruckende Sammlung von Büchern und Fotografien, war seit 1909 im Wohnhaus der Familie in der Heilwigstraße 114 in Hamburg untergebracht (Abb. 2 und 3).[1] Dank der günstigen finanziellen Verhältnisse der Bankiersfamilie Warburg war Aby Warburg in der Lage gewesen, alle Bücher

Gerhard Langmaack, Plan Heilwigstraße 114‒118, Auschnitt (Nr. 114 rechts das Wohnhaus Warburgs)

Bibliothek Warburg, Hamburg, Italienisches Zimmer, 1923
anzukaufen, die ihm für seine Forschungen wichtig erschienen. Mit dem Problem des »Nachlebens der Antike« in der Kunst der frühen Neuzeit, das er mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten und der dafür erworbenen Sekundärliteratur verfolgte, hatte er die Bibliothek in den Dienst eines speziellen Forschungsprogramms gestellt. Den Beweis für die Plausibilität seiner Thesen erbrachte Warburg 1912 auf dem Internationalen Kunsthistorikertag in Rom mit einem Vortrag, in dem er eine Deutung des Bildprogramms des Palazzo Schifanoia in Ferrara lieferte.[2] Im Herbst 1918, als es ungewiss schien, ob der damals psychisch schwer Erkrankte jemals wieder arbeitsfähig sein würde, gab es Überlegungen zur Zukunft der Bibliothek.[3] Mit der Verwaltung betraute Warburg für die Dauer seiner Abwesenheit eine Kommission, die befugt war, Entscheidungen über die Zukunft der B. W. zu treffen. Im Gespräch waren damals drei Möglichkeiten, die alle darauf zielten, die weitere Existenz der Bibliothek zu sichern: die provisorische Unterbringung im Sockelgeschoss des Völkerkundemuseums, der Verkauf an die Hamburger Stadtbibliothek oder der Verbleib in der Familie. Nachdem die Kommission sich für die letztgenannte Alternative entschieden hatte, wurde im Winter 1919/1920 Fritz Saxl an die B. W. berufen, sodass deren Weiterbestehen fürs Erste garantiert war.
Saxls Berufung im Winter 1919/1920
Die Überlegung, Saxl an die B. W. zu berufen, kam nicht von ungefähr. Den gebürtigen Wiener hatte das für Kunsthistoriker ungewöhnliche Interesse an der Astrologie und an Planetendarstellungen bereits 1909 zum ersten Mal zu Warburg geführt.[4] Nach Abschluss des Studiums im Sommer 1912, mit einer Dissertation über Rembrandt bei Max Dvořák, arbeitete er an der Erstellung eines Katalogs der illustrierten astrologischen Manuskripte in europäischen Bibliotheken. Finanziert wurde das Projekt mit einem durch Warburg vermittelten Forschungsstipendium der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Zwischen Herbst 1913 und Winter 1914/1915 wurde Saxl als »wissenschaftlicher Hilfsarbeiter« an der B. W. angestellt.[5] Zu seinen Aufgaben gehörte es, Warburg zwei Vormittage wöchentlich für die Katalogisierung von dessen Fotografien zur Verfügung zu stehen. Diese Tätigkeit ließ ihm genügend Freiraum für eigene Forschungen und die dafür notwendigen Auslandsaufenthalte. Warburg behielt sich allerdings vor, ein Auge auf die wissenschaftliche Tätigkeit des damals Dreiundzwanzigjährigen zu haben. Mit dem Vertrag verpflichtete sich Saxl nämlich dazu, »vor jeder öffentlichen oder persönlichen wissenschaftlichen Betätigung« mit Warburg in Verbindung zu treten.[6]
Die B. W. funktionierte in diesen Jahren weitgehend als Privatbibliothek, war jedoch auch Wissenschaftlern und interessierten Laien zugänglich. 1914 belief sich der Buchbestand, für dessen Bearbeitung Warburg wissenschaftliche Hilfskräfte beschäftigte, auf 18.000 Bände, bei einem jährlichen Zuwachs von rund 1.000 Bänden.[7] Um eine breitere Öffentlichkeit mit dem von Warburg vertretenen, damals neuen kulturwissenschaftlichen Ansatz vertraut zu machen und damit auch ein größeres Interesse für die B. W. zu wecken, hatten Warburg und Saxl bereits im Frühjahr 1914 die Vergabe von Stipendien an junge Wissenschaftler erwogen.[8] Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs machte diese Pläne zunichte. Saxls Tätigkeit an der B. W. endete mit seiner Einberufung im Winter 1914/1915. Zwischen Juni 1915 und November 1918 war er im Einsatz an der Front, die meiste Zeit in Norditalien. Wie die überlieferte Korrespondenz zwischen Warburg und Saxl aus den Kriegsjahren bezeugt, standen die beiden Gelehrten weiterhin in Verbindung.[9] Nach Kriegsende blieb Saxl im Heeresdienst und war zunächst im Heeresmuseum in Wien beschäftigt. Anschließend wurde ihm in dem neugebildeten Reichsbildungsamt des Staatsamtes für Heereswesen die »Gründung und Führung einer Abteilung zur Pflege der bildenden Kunst und des Volksbildungs-Ausstellungswesen« übertragen.[10]
Als Mary Warburg im Dezember 1918 Saxl von der Erkrankung ihres Mannes berichtete, reagierte dieser stark mitfühlend und äußerte die Bereitschaft, jederzeit nach Hamburg zu reisen, wenn seine Anwesenheit förderlich sein könnte.[11] Ein knappes Jahr später, am 3. November 1919, fragte Max M. Warburg im Namen seines Bruders Aby Warburg bei Saxl an, ob er wegen dessen Ausfall aufgrund der inzwischen fortgeschrittenen Erkrankung bereit sei, als Mitarbeiter in der Bibliothek tätig zu sein.[12] Für Saxl war das Angebot eine Chance. Als Familienvater von zwei Kindern hatte er sich bereits während der Zeit an der Front in Briefen an Warburg immer wieder besorgt über seine berufliche Zukunft gezeigt. In einem Brief vom 28. Juni 1917 an Warburg bemerkt er, dass er von einer verantwortlichen Stelle wie der Direktion eines Museums oder einer Bibliothek träume.[13] Gleichzeitig war Saxl bewusst, dass er in Wien als Jude kaum mit einer Verwirklichung dieser ›Träume‹ rechnen konnte. Seine Tätigkeit als Angestellter beim Reichsbildungsamt des Staatsamts für Heereswesen, was im Wesentlichen bedeutete, Wanderausstellungen zu organisieren, erfüllte ihn nicht. Sie ließ ihm weder Freiraum für Forschungen, noch reichte das Gehalt aus, die Familie zu ernähren, sodass er gezwungen war, durch Kunsthandel seine Einkünfte zu verbessern.[14] Dementsprechend scheint Saxl mit der Antwort auf die Anfrage von Max M. Warburg nicht lange gezögert zu haben.[15] Gute vier Wochen später, am 6. Dezember 1919, teilte ein erleichterter Aby Warburg seinem Freund, dem Heidelberger Altphilologen und Astrologiehistoriker Franz Boll, mit, dass Saxl zugesagt habe, nach Hamburg zu übersiedeln, um seine Tätigkeit an der B. W. aufzunehmen.[16]
Mit der Berufung Saxls wurden die Prämissen für eine Institutionalisierung der B. W. geschaffen, wenngleich damals nicht absehbar war, was für außerordentliche Fähigkeiten als Bibliothekar und ›Wissenschaftsmanager‹ der damals gerade Neunundzwanzigjährige entwickeln sollte. Dabei ist vorauszuschicken, dass die Rolle Warburgs in diesem ab 1920 einsetzenden Institutionalisierungsprozess der B. W. nicht zu unterschätzen ist. Alle wesentlichen Maßnahmen und Veränderungen, die Saxl zwischen 1920 und 1924, dem Zeitpunkt der Rückkehr Warburgs aus Kreuzlingen, initiieren sollte, geschahen in enger Absprache mit Warburg und mit dessen Einverständnis. Warburg sollte die Bemühungen Saxls durchgängig unterstützen, denn nicht zuletzt war die Umwandlung seiner Bibliothek in ein öffentliches Forschungsinstitut auch ein Garant für ihr Weiterbestehen. Sie verpflichtete die Familie Warburg auch im Falle des Todes von deren Gründer Aby Warburg als Stifter (Abb. 4).

Fritz Saxl, 1923
Saxls Anstellung ab April 1920 erfolgte unter Umständen, die eine Öffnung der Bibliothek nach außen begünstigten. Im Vergleich zu 1914, als Warburg und er erstmals eine Institutionalisierung der B. W. in Erwägung gezogen hatten, waren die Voraussetzungen bedeutend besser: Die 1919 gegründete Universität Hamburg eröffnete ganz neue Perspektiven für eine wissenschaftliche Anbindung der B. W. vor Ort. Als vorteilhaft erwies sich zudem der Umstand, dass es der Universität an Geldmitteln fehlte.[17] Gleichzeitig bot die durch den Ausfall Warburgs entstandene Krise, die das Bestehen der B. W. zunächst gefährdete, die Chance, über deren Zukunft nachzudenken und neue Ziele zu verfolgen. Als Privatbibliothek Warburgs, dem Saxl ein »großartiges Desinteresse am Technischen des Bibliothekswesens« bescheinigt, erwies sich die Benutzung der Bibliothek für Besucher mit ihren »persönlichen Arabesken« aufgrund der nicht konsequent verfolgten systematischen Aufstellung als schwierig und erforderte eine Überarbeitung der Systematik und deren durchgehende Anwendung.[18] Zudem waren die Bestände ausschließlich auf die Bedürfnisse Warburgs zugeschnitten, weshalb Standardwerke und Zeitschriften fehlten, die Forscher in einer öffentlichen wissenschaftlichen kunsthistorischen Bibliothek durchaus erwarten konnten.
Der an Saxl nach Wien am 31. Januar 1920 gesandte Arbeitsvertrag lag am 11. Februar unterschrieben zurück in Hamburg vor.[19] Umgehend teilte Max M. Warburg seinem Bruder mit, dass Saxl die Stellung angenommen habe.[20] Mit dem Vertrag zwischen der Firma M. M. Warburg & Co. in Hamburg, Prof. Dr. Aby Warburg in Hamburg und Fritz Saxl verpflichtete sich letzterer ab 1. April 1920 für fünf Jahre, bis zum 31. März 1925, die Stellung als »wissenschaftlicher Bibliothekar« zur »ordnungsgemäßen Leitung und Fortführung« der Bibliothek anzutreten. Dass im Arbeitsvertrag darauf verzichtet wird, die Stellung als die eines Leiters oder auch eines kommissarischen Leiters zu bezeichnen, wird darauf zurückzuführen sein, dass die Familie bei dem kranken Warburg nicht das Gefühl erzeugen mochte, er werde durch Saxl ersetzt. Im Vertrag werden Tätigkeiten wie die Vorbereitung, Herstellung und wissenschaftliche Auswertung der Kataloge der Bestände an Büchern, Handschriften und Fotografien genannt. Dazu kamen verlegerische Aufgaben, wie die Herausgabe von Schriften Warburgs. Vorgaben für Saxls Forschungstätigkeit, eine anzustrebende Habilitation oder andere Vorgänge, die mit der Umwandlung der B. W. in ein universitär angebundenes Forschungsinstitut zusammenhängen, kommen im Arbeitsvertrag nicht zur Sprache.
Saxl nahm seine Tätigkeit an der B. W. am 1. April 1920 auf. In den ersten Monaten stand er in persönlichem Kontakt mit Warburg, der damals noch in verschiedenen Einrichtungen in Hamburg und Umgebung untergebracht war.[21] Erst nachdem Warburg im September 1920 in die Klinik von Professor Hans Berger nach Jena verlegt worden war, setzt ein regelmäßiger Briefwechsel zwischen den beiden ein. In Jena fand am 21. September 1920 ein Treffen zwischen Warburg und dem Direktor der Hamburger Kunsthalle Gustav Pauli (1866 – 1938) im Beisein von Mary Warburg und Saxl statt, bei dem es um die Zukunft der Bibliothek ging.[22]
Ein knappes Protokoll mit dem Titel Besprechung zwischen Professor Dr. Warburg und Professor Dr. Gustav Pauli vom 21. September 1920 im Beisein von Frau Professor Warburg und Dr. Fritz Saxl dokumentiert die beim Treffen zur Sprache gekommenen Fragen. Zunächst wurden zwei Formulierungsvorschläge Warburgs hinsichtlich der Übernahme des Vorsitzes im wissenschaftlichen Beirat zur Verwaltung der B. W. durch Pauli im Falle des Ablebens Warburgs diskutiert.[23] Anschließend ging es um Warburgs Wünsche für die Zukunft seiner Bibliothek in ihrem Verhältnis zu dem damals noch zu gründenden Kunsthistorischen Seminar der Universität Hamburg. Anlass war die zu diesem Zeitpunkt erfolgte Stiftung der Neo-Renaissance-Villa in der Neuen Rabenstraße 31 durch den Unternehmer und Kunstsammler Siegfried Wedells an die Stadt Hamburg und die damit zusammenhängenden Überlegungen, das zu gründende Kunsthistorische Seminar der Universität in diesem Haus unterzubringen. Gleichzeitig hatte auch die B. W. aufgrund des ständig anwachsenden Buchbestandes eine räumliche Erweiterung dringend nötig. Das auch privat genutzte Wohnhaus in der Heilwigstraße 114 bot dafür keine Möglichkeiten und erwies sich vor allem angesichts der Pläne einer engen Anbindung der Bibliothek an die Universität als wenig geeignet. In dieser Situation gab es Überlegungen über eine räumliche Zusammenlegung des Kunsthistorischen Seminars mit der B. W. im Haus Wedells. Warburg sprach sich dagegen aus, da er wünschte, dass die Bibliothek als selbständige Institution erhalten bleibe.[24] Er argumentiert, dass sich die Universität »in äußerst schlechte[r] Verfassung« befinde und die Gefahr bestünde, dass die B. W. damit den Charakter eines Forschungsinstituts verliere.
Saxl als kommissarischer Leiter ab Oktober 1920 – Habilitationsabsichten
Ab Oktober 1920 übernahm Saxl die kommissarische Leitung der B. W. Über alle Maßnahmen und Ereignisse hielt er Warburg anhand von Briefen regelmäßig auf dem Laufenden.[25] Saxls im Herbst in Angriff genommene Aktivitäten waren auf eine breite Öffentlichkeitswirkung ausgerichtet. Zudem war er um die Anbindung der B. W. an die Universität bemüht. Nachdem Warburg beim Treffen in Jena die räumliche Zusammenlegung der B. W. mit dem Kunsthistorischen Seminar abgelehnt und auf ihrer Eigenständigkeit als Forschungsinstitut bestanden hatte, gab es zumindest keine im Protokoll festgehaltenen Absprachen, in welcher Form diese Anbindung stattfinden sollte.
Als ersten Schritt auf dem Weg zur Institutionalisierung versuchte Saxl mit den Mitgliedern der Universität eine größere wissenschaftliche Gemeinschaft für die B. W. zu interessieren. Um dies zu erreichen, verfasste er im Herbst 1920 einen Aufsatz über die B. W. und ihr Forschungsprogramm für die Universitätszeitung, der noch im Laufe des Wintersemesters erscheinen sollte.[26] In dem Aufsatz erläutert er zunächst die Bedeutung des zentralen Forschungsproblems der Bibliothek vom »Nachleben und dem Einfluss der Antike auf die nachfolgenden Epochen« und schließt mit einem Aufruf an Forschende und Studierende, die B. W. als Forschungsinstrument zu nutzen.[27] Berichte über prominente Benutzer und steigende Besucherzahlen der B. W. spielen im Herbst 1920 auch in Saxls Briefen an Warburg eine wichtige Rolle.[28] Mehrfach erwähnt er, dass Erwin Panofsky (1892– 1968), der sich im ersten Halbjahr 1920 an der Universität Hamburg habilitiert hatte, eifriger Besucher sei.[29] Begeistert schildert Saxl auch, wie ein Besuch von Ernst Cassirer in der B. W. gezeigt habe, dass deren Bestände zur Religionsgeschichte hervorragend seien.[30] In der Tat besaß die Ende 1920 rund 20.000 Titel zählende Bibliothek Quellenschriften und Sekundärliteratur nicht nur zur Kunstgeschichte, sondern auch zur Kultur- und Religionsgeschichte; sie sollte damit zu einem wichtigen Arbeitsinstrument auch für andere Geisteswissenschaftler der Hamburger Universität werden.[31] Die im Vergleich mit anderen Bibliotheken hervorragenden Bestände der B. W. waren nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, dass in den Erwerbungsetat auch Dollars vom amerikanischen Zweig der Familie Warburg einflossen. Aus diesem Grund war es Warburg und, ab 1920, Saxl auch in der Zeit der deutschen Inflation möglich, ausländische Literatur anzukaufen.
Als eine der Maßnahmen zur engeren Anbindung der B. W. an die Universität kommt im Oktober 1920 zum ersten Mal Saxls Habilitation zur Sprache. Davor ist von einer Habilitation weder im Arbeitsvertrag vom Januar 1920 noch im Protokoll der Sitzung in Jena vom 21. September 1920 die Rede. Allerdings deutet alles darauf hin, dass diese entweder bereits zum Zeitpunkt seiner Anstellung an der B. W. oder während der ersten Monate seiner Tätigkeit in Hamburg zwischen April und September, spätestens jedoch bei dem Treffen in Jena am 21. September 1920 thematisiert worden sein muss. Saxl erwähnt nämlich das Habilitationsprojekt bereits am 18. Oktober 1920 im ersten überlieferten Brief an Warburg nach der Übernahme der kommissarischen Leitung der Bibliothek: »Ich wollte meine Habilitationsschrift beginnen, das Bilderbuch von den antiken Göttern im Mittelalter.«[32] Um die Habilitationsschrift geht es auch im nächsten überlieferten Brief an Warburg vom 27. Oktober 1920, in dem Saxl berichtet, dass er zwar viel arbeite, allerdings nicht wisse, ob bei der Arbeit »das herauskommen wird, was ich mir im Interesse der Bibliothek so sehr wünschen würde, die Habilitationsschrift.«[33] Da die Briefe aus Hamburg an Warburg immer auch als Berichte über den Stand der anstehenden Arbeiten und Projekte zu lesen sind, ist aufgrund dieser Erwähnungen davon auszugehen, dass es sich bei der Habilitation um eines dieser Projekte handelt.
Von einer Habilitation und der sich daran anschließenden Lehre Saxls versprachen sich sowohl die B. W. als auch die Universität eine Reihe von Vorteilen. Für die B. W. würde eine dadurch erreichte enge Anbindung an das zu gründende Kunsthistorische Seminar zur Folge haben, eine breitere öffentliche Wirkung erzielen zu können. Es war zu erwarten, dass Saxl bei seiner Lehrtätigkeit die Studierenden mit dem Forschungsprogramm der Bibliothek und Warburgs Themen und Methoden vertraut machen würde, sodass diese einem größeren Kreis bekannt würden. Die an Mitteln arme Universität wiederum würde mit einem habilitierten Saxl eine zusätzliche Lehrkraft gewinnen, die, weil sie anderweitig ein Gehalt bezog, keine Kosten verursachte.
Saxls Bericht vom Dezember 1920
Nach knapp drei Monaten als kommissarischer Leiter der B. W. verfasste Saxl Ende Dezember 1920 eine Schrift mit dem Titel Bericht über die Bibliothek Warburg und ihre Entwicklung zu einem öffentlichen Forschungsinstitut.[34] Dieser Bericht besitzt als einziges überliefertes schriftliches Dokument, in dem Saxl sein Reformprogramm für die Institutionalisierung der B. W. entwickelt, besondere Bedeutung. Saxl scheint den Text auf Anraten und im Gespräch mit Carl Georg Heise, seit 1920 Direktor des Museums für Kunst und Kulturgeschichte in Lübeck, verfasst zu haben.[35] In dem Bericht resümiert er in einem ersten Teil die aktuelle Lage und unterbreitet in einem zweiten Vorschläge für Maßnahmen zur Umwandlung der B. W. in eine öffentliche Forschungsinstitution.[36]
Als ein wichtiger Aspekt werden im zweiten Teil Pläne zum »Ausbau der Bibliothek Warburg zu einem öffentlichen wissenschaftlichen Institut« entwickelt, bei denen die Verbindung mit der Universität eine zentrale Rolle spielt.[37] Diese Verbindung sollte – so Saxl – zunächst auf methodischer Grundlage geschaffen werden, indem nur solche Dozenten für Kunstgeschichte nach Hamburg berufen würden, die der B. W. nahe stünden.[38] Damit die Beziehung zu dem geplanten Kunsthistorischen Seminar organisch wachse, sollte die B. W. wiederum in einer Weise umstrukturiert werden, dass sie in Organisation und Aufbau den Anforderungen gerecht werde, die an ein Forschungsinstitut gestellt würden. Eine weitere Möglichkeit, die B. W. stärker in den Blick der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zu bringen, sieht Saxl in der Verbreitung von Warburgs Ideen und seiner Methode durch die Publikation des Katalogs der Bibliothek sowie durch die Herausgabe der gesammelten Schriften Warburgs.[39] Zudem schlägt er die Herausgabe einer Schriftenreihe unter dem Titel Studien der Bibliothek Warburg und Studienunterstützungen für junge Wissenschaftler vor. Zum Abschluss resümiert Saxl unter dem Aspekt »Tätigkeit des Bibliothekars« die eigenen Verpflichtungen beim Ausbau der Bibliothek zu einem Forschungsinstitut: Publikation von Aufsätzen in wissenschaftlichen Zeitschriften, persönliche Fühlungnahme mit den Hamburger Professoren, Führung durchreisender Gelehrter und Vorträge für Studenten, um dadurch die Zahl der Benutzer der Bibliothek zu steigern.[40] Saxls Habilitationspläne kommen im Bericht 1920 nicht zur Sprache.
Initiativen zur Institutionalisierung der B. W. im Laufe des Jahres 1921
Die endgültige Entscheidung der Brüder Warburg, die Bibliothek nach dem Ausfall Aby Warburgs weiter zu finanzieren, scheint allerdings erst Anfang März 1921 gefallen zu sein. Darauf weist ein Schreiben von Max M. Warburg vom 2. März 1921 an seinen Bruder Aby hin, in dem er diesem mitteilt, dass die Brüder sich nach »genauer Prüfung« entschlossen hätten, die Bibliothek genauso weiterzuführen, wie er sie geführt hatte.[41] Zu diesem Zeitpunkt war Saxl seit einem halben Jahr als kommissarischer Leiter an der B. W. tätig. Zwar wird weder im Arbeitsvertrag noch in anderen Unterlagen eine Probezeit erwähnt, das Schreiben ist jedoch allein vor dem Hintergrund zu erklären, dass die Monate zwischen Oktober 1920 und März 1921 stillschweigend als Bewährungszeit Saxls verstanden wurden. Erst nach Prüfung der Situation an der B. W. nach Ablauf der ersten sechs Monate unter der Leitung Saxls stand der Beschluss der Brüder Warburg, die Bibliothek weiter zu finanzieren, endgültig fest.
Im Laufe des Jahres 1921 sollte Saxl durch zahlreiche Aktivitäten die Außenwirkung der B. W. weiter vorantreiben. Im Januar fand zum ersten Mal eine Lehrveranstaltung Erwin Panofskys an der B. W. statt, was zu einer deutlichen Erhöhung der Zahl der Studenten als Benutzer der Bibliothek führte.[42] Im März erschien Warburgs Luther-Studie, die, wie es die zahlreichen Rezensionen bezeugen, von der Fachwelt mit großem Interesse rezipiert wurde.[43] Zudem arbeitete Saxl an einem Aufsatz über die Arbeiten Warburgs, um diese einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen.[44] Mitte April 1921 wurde Warburg aus Jena an den Bodensee ins Sanatorium Bellevue verlegt, wo er von dem Psychiater Ludwig Binswanger behandelt wurde, sodass Saxls Berichte ab diesem Zeitpunkt nach Kreuzlingen gingen.
Ein weiterer entscheidender Schritt, um den Namen der Bibliothek in die wissenschaftliche Öffentlichkeit zu tragen, war die auf Panofsky zurückgehende Initiative, wissenschaftliche Vorträge einzuführen.[45] Im Mai 1921 wandte sich Saxl an Max M. Warburg mit dem Vorschlag, monatlich Vorträge an der B. W. stattfinden zu lassen und diese anschließend in einer eigenen Schriftenreihe zu publizieren.[46] Nachdem der Bruder Aby Warburgs seine Zustimmung gegeben hatte, nahm Saxl in den nächsten Monaten Kontakte mit möglichen Vortragenden auf.[47] Angesichts dieser Perspektiven äußerte er im August 1921 voller Zuversicht in einem Brief an Aby Warburg: »Die Bibliothek ist vollkommen ein wissenschaftliches Institut geworden mit produktiven Ergebnissen.«[48] Im September stand das Vortragsprogramm für den Herbst 1921 und weitgehend auch für das Jahr 1922 fest.[49] Den ersten dieser im Abstand von durchschnittlich vier Wochen stattfindenden Vorträge mit dem Titel Die Bibliothek Warburg und ihr Ziel hielt Saxl selbst am 29. Oktober 1921.[50] Begeistert berichtet er anschließend an Warburg, dass der Vortrag bei den rund 100 Besuchern sehr gut angekommen sei.[51] Zu den Vortragenden im Laufe der nächsten Monate gehörten die Kunsthistoriker Erwin Panofsky, Adolph Goldschmidt und Gustav Pauli, der Philosoph Ernst Cassirer, der Orientalist Hellmut Ritter, der Anglist Emil Wolff u. a.[52] Die Regelmäßigkeit der Vorträge, die mit einem großzügigen Honorar vergütet wurden, sollte der B. W. eine feste Stellung im wissenschaftlichen Leben Hamburgs einräumen.[53] 1923 wurden die Vorträge aus den Jahren 1921 und 1922 im ersten Band der Reihe Vorträge der Bibliothek Warburg bei dem Leipziger Verleger G. B. Teubner veröffentlicht.
Im Spätherbst 1921 kam die Philosophin Gertrud Bing (1892– 1964) auf Empfehlung von Ernst Cassirer zur Unterstützung Saxls bei bibliothekarischen Arbeiten an die B. W. Bing war im selben Jahr von Cassirer mit der Arbeit Der Begriff des Notwendigen bei Lessing: Ein Beitrag zum geistesgeschichtlichen Problem Leibniz – Lessing promoviert worden. Saxl hatte sie daraufhin aus eigener Entscheidung und ohne Absprache mit Warburg eingestellt.
Zum Jahresende 1921 kam die räumliche Zusammenlegung der B. W. und des Kunsthistorischen Seminars erneut ins Gespräch. Anlass waren Überlegungen der Brüder Warburg, das zum Verkauf stehende sogenannte Nordheim-Haus in der Neuen Rabenstraße zu erwerben.[54] Das Haus hätte genügend Platz für das inzwischen gegründete Kunsthistorische Seminar, für die B. W., für einen Vorlesungsraum und zudem für Wohnräume für die Familie Warburg geboten. Trotz befürwortender Stellungnahmen von Panofsky und Pauli sollte es nicht zur Realisierung des Projektes kommen.
Saxls Habilitationspläne scheinen im ersten Halbjahr 1921 in den Hintergrund gerückt zu sein. Das Fach Kunstgeschichte war nach der Gründung der Universität Hamburg zunächst nicht durch ein Ordinariat vertreten. Gustav Pauli und andere Mitarbeiter der Hamburger Museen hatten jedoch wegen großer Nachfrage bereits ab dem Sommersemester 1919 begonnen, Lehrveranstaltungen in Kunstgeschichte anzubieten.[55] Auch Panofsky, der sich im Frühjahr/Sommer 1920 an der Universität Hamburg habilitiert hatte, bot ab dem Wintersemester 1920/1921 Vorlesungen und Seminare an. Seine Seminare hielt Panofsky an der B. W. ab, und zahlreiche Studenten benutzten daraufhin die Bibliothek, sodass sich die Verbindung mit der Universität erst einmal auch ohne Saxls Habilitation zu festigen schien. Aktuell wurde das Thema dann im Sommer 1921, nachdem die Gründung des Kunsthistorischen Seminars mit Sitz im Souterrain der Kunsthalle Hamburg erfolgt war und Panofskys Übungen nicht mehr in der B. W. stattfanden. Kurz vor dem Sommerurlaub, am 14. August 1921, äußerte ein nach eigenen Worten müder und abgearbeiteter Saxl in einem Brief an Warburg seine Besorgnis darüber, dass mit einer Habilitation im Wintersemester 1921/1922 eine Reihe von zusätzlichen Aufgaben auf ihn zukämen, wie die Antrittsvorlesung und die Vorbereitung der Lehrveranstalten für das anschließende Sommersemester.[56] Die Aussicht auf eine Habilitation in nächster Zukunft scheint ihn zu diesem Zeitpunkt eher abgeschreckt zu haben. Ungeachtet dessen sollte er nach dem Urlaub die Sache angehen und sich sowohl um die Habilitationsarbeit als auch um die Erweiterung seiner Publikationsliste kümmern.
Ende September 1921 entschied sich Saxl dazu, seinen Vortrag Bilddokumente zur Auseinandersetzung zwischen Orient und Okzident (Mithrasreliefs – Thron des Khosro – Dürers Melancholie), den er am 11. März des gleichen Jahres auf Einladung der Kunstgeschichtlichen Gesellschaft in Berlin gehalten hatte, als Habilitationsschrift einzureichen.[57] Diesen ca. 30 Manuskriptseiten umfassenden Vortrag hatte er zunächst in der zweiten Junihälfte Franz Boll nach Heidelberg mit der Bitte zugesandt, kritisch dazu Stellung zu nehmen.[58] Boll hatte Saxl auf einer Karte vom 12. September 1921 eine knappe Kritik geliefert und mitgeteilt, dass er die Arbeit dem Romanisten Ernst Robert Curtius zuschicken werde, der sich dafür interessiere.[59] Am 21. September wandte sich Saxl erneut an Boll mit der Bitte, die Rücksendung der Arbeit durch Curtius zu veranlassen, da er beabsichtige, diese in den nächsten Wochen als Habilitationsschrift einzureichen.[60] Durch die Festlegung auf ein Thema und einen ins Auge gefassten Abgabetermin erhält Saxls Habilitation zum ersten Mal konkrete Züge und verliert den Charakter eines fernen, nie wirklich in Angriff genommenen Projektes.[61] Warum er von dem anfangs vorgesehenen Discorso des Jacopo Zucchi als Habilitationsthema abließ, ist nicht überliefert. In der gleichen Zeit bemühte sich Saxl, seine Publikationsliste zu erweitern. In dieser Sache wandte er sich an den Herausgeber des Repertorium für Kunstwissenschaft, Karl Koetschau, mit dem Anliegen, den ihm im Juli 1921 zugesandten Aufsatz über die Arbeiten Warburgs möglichst bald zu publizieren.[62]
II »Schwierigkeiten bei der Erreichung der Dozentur für den Bibliothekar« – Saxls Habilitationspläne vor dem Hintergrund von Panofskys Habilitation
Den im Schreiben an Boll im September 1921 angekündigten Zeitplan, die Habilitationsarbeit im Laufe von einigen Wochen einzureichen, sollte Saxl nicht einhalten. Zwischen Ende Oktober und Jahresende kommt die Habilitation in der Korrespondenz zunächst nicht mehr zur Sprache und wird erst im Jahresbericht 1921 erneut thematisiert. Wie bereits 1920 spielt auch im Bericht aus dem Dezember 1921 der Aspekt der »Verbindung mit der Universität« eine zentrale Rolle.[63] Anhand der Beschreibung einer Reihe von Aktivitäten erläutert Saxl, auf welche Weise die Verbindung der B. W. mit der Universität während des abgelaufenen Jahres enger gestaltet worden war: Panofsky habe die Übungen im Wintersemester 1920/1921, seinem ersten Lehrsemester an der Universität Hamburg, in den Räumen der Bibliothek abgehalten; achtzig Prozent der Besucher seien Professoren – namentlich nennt er Ernst Cassirer, Karl Reinhardt, Hellmut Ritter, Emil Wolff, Heinrich Junker und Erwin Panofsky – und Studenten der Universität, damit habe sich eine Art »wissenschaftliche Gemeinschaft« um die Bibliothek gruppiert; die seit Anfang November laufende Vortragsreihe werde vom Hamburger Publikum mit großem Interesse wahrgenommenen.[64] 1921 sei, so resümiert Saxl über sein erstes Jahr als kommissarischer Leiter der Bibliothek, sowohl für die Beziehung der B. W. zur Universität als auch für deren Außenwirkung ein gutes Jahr gewesen.
Probleme kommen im Jahresbericht 1921 lediglich bei der Realisierung eines Projektes aus dem Bereich »Verbindung mit der Universität« zur Sprache, nämlich bei Saxls Habilitationsabsichten. Nach den Erfolgsmeldungen heißt es zum Abschluss: »Die Schwierigkeiten, die der Erreichung einer Dozentur für den Bibliothekar noch entgegenstehen, werden vielleicht in den kommenden Monaten überwunden werden können. In diesem Fall würde vom nächsten Jahr ab die dauernde Beziehung der Bibliothek zur Universität – wenn auch in bescheidener Weise – gesichert sein.«[65] In dem vor dem 17. Dezember 1921 verfassten Entwurf zum Jahresbericht hatte Saxl diesen Aspekt in etwas abgemilderter Form wie folgt formuliert: »Im nächsten Semester hoffe ich an der Universität lesen zu dürfen und werde wahrscheinlich Übungen über das Problem des Nachlebens der Antike in der bildenden Kunst halten, Übungen, die selbstverständlich in der Bibliothek stattfinden werden. Die Habilitationsarbeit, die der Fakultät vorgelegt wird, hoffe ich in den Schriften der Bibliothek Warburg publizieren zu können.«[66]
Saxl stellt zunächst im Entwurf und anschließend im Jahresbericht das Ausmaß der Probleme, die seiner Habilitation entgegenstanden, unterschiedlich dar. Seine Zeilen im Entwurf lesen sich trotz des relativierenden »hoffe ich« gleichsam als Ankündigung, die Habilitation noch vor Mai 1922, dem Termin, zu dem das Sommersemester an der Universität Hamburg anfing, abzuschließen. Die Zeilen im Bericht stellen die Sache dagegen in einem wesentlich ernsteren Licht dar. In diesem weist Saxl auf eine äußere Instanz hin, die ihm bei der Erreichung der Habilitation Schwierigkeiten machte, von denen er wiederum hoffte, dass sie in den kommenden Monaten überwunden würden. Diese im Jahresbericht 1921 erstmal erwähnten »Schwierigkeiten«, die Saxls Habilitation entgegenstanden, sind aufgrund der überlieferten Quellen nicht konkret auszumachen. Ende 1921 waren seit Saxls Übernahme der kommissarischen Leitung der B. W. im Oktober 1920 ein Jahr und drei Monate vergangen. Ausgelastet durch eine Vielzahl von Aufgaben hatte er weder neuere Forschungsergebnisse vorzuweisen noch besaß er den Freiraum, eine substanzielle Habilitationsschrift zu verfassen. Andererseits scheinen Aby Warburg und seine Brüder Saxls baldige Habilitation erwartet zu haben. Saxls Entschluss, den im März 1921 in Berlin gehaltenen Vortrag Bilddokumente zur Auseinandersetzung zwischen Orient und Okzident als Habilitationsarbeit abzugeben, muss auf jeden Fall als Kompromiss verstanden werden, den er unter Druck einging.
Zwei Habilitationsverfahren im Fach Kunstgeschichte in den Jahren 1919 und 1920 an der jungen Universität Hamburg zeugen von den Erwartungen, die man damals gegenüber einem Kandidaten hegte. Zunächst hatten außer Pauli auch andere Kuratoren der Hamburger Museen, wie Max Sauerlandt, Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe, sowie Richard Stettiner und Walter Heinrich Dammann, beide Mitarbeiter am gleichen Museum, kunsthistorische Vorlesungen und Seminare angeboten. Da der alleinige Einsatz der Externen kein Ersatz für einen ordentlichen Lehrbetrieb war, beantragte der studentische Fakultätsausschuss im August 1919 die Anstellung einer kunstgeschichtlichen Lehrkraft.[67] Ab Herbst 1919 waren Pauli und die anderen Lehrenden deshalb auf der Suche nach einem geeigneten Dozenten für Kunstgeschichte. Im November 1919 stellte dann Walter Heinrich Dammann einen Antrag auf Zulassung zur Habilitation an die Philosophische Fakultät.[68] Dammann, der sich 1910 an der Technischen Hochschule in Darmstadt habilitiert hatte, war seit 1914 als Mitarbeiter am Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe beschäftigt. Die Aussicht, einen Architekturhistoriker als hauptberuflichen Dozenten für Kunstgeschichte an dem noch zu gründenden Kunsthistorischen Seminar der Universität Hamburg zu beschäftigen, stieß sowohl bei den Kollegen als auch bei Aby Warburg, dessen Meinung zu der Sache eingeholt wurde und der sich gegen die Kombination von Museums- und Universitätsamt geäußert hatte, auf Zurückhaltung, sodass Dammanns Antrag im Januar 1920 abgelehnt wurde.[69]
Noch vor der Ablehnung des Habilitationsantrags von Dammann startete Pauli die Initiative, Panofsky als Dozenten nach Hamburg zu holen. Panofsky, der sich damals in Berlin aufhielt und den sowohl Pauli als auch Warburg persönlich kannten und schätzten, sagte Ende Februar 1920 zu.[70] Vor dem Einreichen des Antrags auf Habilitation bei der Fakultät sprach er sowohl bei Pauli als auch bei dem damaligen Dekan, Professor Lenz, vor.[71] Möglicherweise war er über das Scheitern Dammanns informiert und beabsichtigte deshalb, sich im Vorfeld der positiven Aufnahme seines Habilitationswunsches in Hamburg zu versichern. Als Habilitationsschrift reichte Panofsky am 11. März 1920 mit dem Antrag auf Habilitierung durch die Philosophische Fakultät eine 330 Seiten umfassende Arbeit über den Stil Michelangelos ein.[72] Der Kommission, die für das Verfahren eingesetzt wurde, gehörten der Dekan Max Lenz als Vorsitzender, der Volkskundler Otto Lauffer und der Philosoph Ernst Cassirer, alle von der Philosophischen Fakultät, sowie Pauli als Gutachter der Arbeit an. Warburg wurde insofern in das Verfahren einbezogen, als der Dekan Lenz die Ermächtigung erhielt, auch von Warburg ein Gutachten einzuholen.[73] Das Verfahren ging zügig voran, sodass Panofskys Probevorlesung mit anschließendem Kolloquium zum Thema Die Entwicklung der Proportionslehre als Abbild der allgemeinen Stilentwicklung und die daran anschließende Erteilung der Venia Legendi für Kunstgeschichte am 3. Juli 1920 erfolgte.[74] Die Antrittsvorlesung mit dem Titel Michel Angelo und Lionardo. Ein Gegensatz der künstlerischen Weltanschauung hielt er zu Beginn des Wintersemesters am 10. November 1920. Anschließend bot Panofsky als Privatdozent und wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in Personalunion Vorlesungen und Seminare an der Universität Hamburg an.[75]
Die Ablehnung von Dammanns Habilitationsantrag und der Verlauf von Panofskys Habilitationsverfahren machen deutlich, dass damals in Hamburg, abgesehen von der Universität selbst, mit der Person Aby Warburgs eine weitere Autorität existierte, die die Macht hatte, ein Verfahren positiv oder negativ zu beeinflussen. Nachdem Saxl die volle Unterstützung Warburgs hatte, bleibt lediglich die Universität bzw. die Philosophische Fakultät, die als Instanz für »Schwierigkeiten bei der Erreichung der Dozentur« in Frage kommt. Zwei Jahre zuvor hatte Panofsky mit seinem Curriculum und der eingereichten Habilitationsarbeit einen hohen Maßstab dafür gesetzt, welche Voraussetzungen ein Wissenschaftler zu erfüllen hatte, der beabsichtigte, sich an der Universität Hamburg im Fach Kunstgeschichte zu habilitieren. Diese Ansprüche erfüllte Saxl weder mit seinem Curriculum noch mit dem umgearbeiteten Vortrag, den er als Habilitationsschrift einzureichen beabsichtigte, was sich im Kollegium der Fakultät herumgesprochen haben dürfte. Vor diesem Hintergrund könnten die im Jahresbericht 1921 erwähnten »Schwierigkeiten« im Zusammenhang damit stehen, dass das Kollegium im Vorfeld Zweifel an Saxls Habilitationswürdigkeit hatte. Sein Joker war seine Stellung als kommissarischer Leiter der B. W. – und diesen sollte er, wie sich noch zeigen wird, dringend benötigen.
Inwiefern die Hindernisse, die Saxls Habilitation entgegenstanden, auch mit antisemitischen Ressentiments zusammenhingen, muss offen bleiben. Die Auseinandersetzung, zu der es 1923– 1924 anlässlich der Promotion von Ludwig Münz kommen sollte, dessen Dissertation über Rembrandt abgelehnt und zur Überarbeitung zurückgegeben worden war, zeugt davon, dass es innerhalb des Kollegiums gelegentlich zu solchen Disputen kam. Laut Ernst Cassirers Bericht war die erneute Ablehnung von Münz’ Dissertation im Februar 1924, nachdem er diese überarbeitet hatte, eine »reine Parteiangelegenheit«, bei der die Frage »Jude oder Nichtjude« eine Rolle gespielt habe und die Kollegen Hellmut Ritter und Heinrich Junker »Lärm gemacht« hätten.[76]
III Saxls Habilitationsverfahren
In Anbetracht der im Jahresbericht 1921 erwähnten »Schwierigkeiten« mit der Habilitation war es keineswegs vorhersehbar, dass Saxl bereits im Januar 1922 erste Schritte in dieser Richtung unternehmen würde.[77] Am 16. Januar 1922 berichtete er Warburg, dass er dem Dekan Emil Wolff »endlich« seine für das Habilitationsverfahren erforderlichen Unterlagen überbracht habe.[78] Die Habilitationsschrift, die heute nicht mehr erhalten ist, scheint sich allerdings nicht unter den Unterlagen befunden zu haben, da Saxl diese Anfang Februar noch in Arbeit hatte.[79] Seinen Antrag an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Hamburgischen Universität auf Zulassung zur Habilitation als Dozent für neuere Kunstgeschichte reichte er am 16. Februar 1922 ein (Abb. 5).[80]

Fritz Saxls Antrag zur Habilitation vom 16. Februar 1922
In der letzten Februarwoche 1922 stand die Kommission mit dem damaligen Dekan der Philosophischen Fakultät, dem Anglisten Emil Wolff (1879 – 1952), Gustav Pauli sowie dem Volkskundler Otto Lauffer (1874– 1949), dem Indogermanisten Heinrich Junker (1889 – 1970) und dem Orientalisten Hellmut Ritter (1892– 1971), alle drei amtierende Professoren an der Hamburger Universität, zur Begutachtung über den Habilitationsantrag Saxls fest.[81] Als einziger Kunsthistoriker in der Kommission übernahm Pauli die Begutachtung der Arbeit. Nähere Beziehung zu dem Thema hatte er freilich keine, was Saxl Warburg gegenüber zu einer spöttischen Bemerkung veranlasste.[82]
In dem zusammen mit den Habilitationsunterlagen eingereichten Lebenslauf, ein als Beilage unter Nr. 5 geführtes dreiseitiges Typoskript, zeigt sich Saxl bemüht, seine wissenschaftlichen Leistungen in einem möglichst vorteilhaften Licht zu präsentieren.[83] Er betont seine auf vielen Reisen erworbene breite Denkmälerkenntnis und seine Fähigkeiten als Kunsterzieher, die er durch jahrelange Vorträge an der Wiener Volkshochschule gesammelt habe. Seine Forschungen präsentiert Saxl anhand von zwei Problemfeldern, die ihn, wie er betont, bereits seit der Schülerzeit beschäftigten.[84] Beim ersten handelt es sich um die entwicklungsgeschichtliche Stellung der Kunst Rembrandts, ein Thema, zu dem während seiner Schüler- und Universitätszeit vier publizierte Aufsätze aus seiner Feder erschienen waren; beim zweiten um das Wesen des Einflusses der Antike auf Mittelalter und Neuzeit, dokumentiert durch einen 1912 veröffentlichten Aufsatz über Planetenbilder in der Zeitschrift Der Islam.[85] Des weiteren führt Saxl an, dass er nach der Doktorarbeit über Rembrandt-Probleme im Auftrag der Heidelberger Akademie begonnen habe, das Corpus illuminierter astrologischer Handschriften des Mittelalters und der Neuzeit zu erstellen: Band eins, mit dem Corpus zu den römischen Bibliotheken, liege gedruckt vor und Band zwei, mit dem Corpus für die Österreichische Nationalbibliothek Wien, sei abgeschlossen, nahezu druckfertig. Die durch den Ersten Weltkrieg unterbrochene Beschäftigung sowohl mit dem Problem Rembrandt als auch mit dem Problem des Nachlebens der Antike belegt Saxl wiederum mit Arbeiten, zu denen auch die Habilitationsschrift zählt. Zu seinen neueren Forschungen – so Saxl weiter – gehörten zwei Aufsätze (Probleme der Planetenkinderbilder und Aus der Werkstatt Rembrandts) sowie eine umfassendere Studie zu den Arbeiten Warburgs und eine weitere zum Discorso des Jacopo Zucchi, die noch nicht gedruckt vorlagen.[86]
Zwei Jahre zuvor hatte Erwin Panofsky anlässlich seiner Habilitation zusätzlich zu zwei Büchern, von denen eines den Preis der Grimm-Stiftung erhalten hatte, mehrere gedruckte umfangreiche Aufsätze vorgelegt.[87] Saxl hatte zwar bereits als Siebzehnjähriger mit Veröffentlichungen begonnen, es handelte sich allerdings vor allem um Aufsätze kleineren Umfangs.[88] Seine Dissertation Rembrandt-Studien war unpubliziert geblieben. Seit der Anstellung an der B. W. im April 1920 hatte sich Saxl vor allem den in der Bibliothek anstehenden Aufgaben sowie der Bekanntmachung und Herausgabe der Forschungen Warburgs gewidmet und die eigenen Forschungen weitgehend zurückgestellt. Unter diesen Umständen ist der etwas aufgebauscht wirkende Lebenslauf nachvollziehbar, mit dem er regelrecht bemüht erscheint, seine – wenn auch bedingt durch äußere Umstände – vergleichsweise recht bescheidenen Forschungsergebnisse darzustellen. Während Panofsky in seinem Curriculum davon ausgegangen war, dass die Kommission sich aufgrund der beigelegten Schriften eine Meinung über seine wissenschaftliche Leistungen zu bilden vermochte, entsteht bei der Lektüre von Saxls Lebenslauf der Eindruck, dass er es für nötig befand, seinen meist nur wenige Seiten umfassenden Beiträgen mehr Gewicht zu verschaffen, indem er diese unter Problemgesichtspunkten zusammenfasste.
Schließlich spielt die Verbindung zu Aby Warburg und seiner Bibliothek in Saxls Lebenslauf eine zentrale Rolle. Warburg, dem er außer seinem Lehrer Max Dvořák »dasjenige, das ich überhaupt kann«, verdanke, – so Saxl – habe ihn bereits 1913 als Assistenten an seine Bibliothek genommen. Selbstbewusst weist er auf seine Ziele als Leiter der B. W. hin: »Meine Wiederanstellung an der Bibliothek Warburg erfolgte April 1920 und ich leite sie seit Erkrankung von Prof. Warburg – Herbst 1920 – selbständig und bemühe mich, sie im Sinne von Prof. Warburg zu einem Forschungsinstitut für die Probleme des Nachlebens der Antike weiter auszubauen.«[89]
Saxls Habilitationsschrift und Paulis Gutachten
Als Habilitationsschrift reichte Saxl, wie Ende September 1921 im Brief an Boll angekündigt, die Arbeit Bilddokumente zum Problem der Auseinandersetzung zwischen Orient und Okzident in der Spätantike ein.[90] Eine Arbeit unter diesem Titel findet sich weder unter Saxls Publikationen noch als Typoskript in dessen Nachlass im Archiv des Warburg Institute.[91] Da weder die Habilitationsschrift noch der Vortrag oder andere Arbeitsmaterialien vorhanden sind, ist nicht im Detail belegt, welche Überarbeitungen er an dem im März 1921 in Berlin gehaltenen Vortrag vorgenommen hat. Anhand der knappen inhaltlichen Beschreibung Paulis in seinem Gutachten sowie schriftlicher Äußerungen Saxls in Briefen an Warburg, Boll und Goldschmidt während der Arbeit an dem Vortrag im Laufe des Winters 1920/1921 wird ersichtlich, dass er Teile des Habilitationsvortrags und der Habilitationsarbeit in den 1923 publizierten Aufsatz Frühes Christentum und spätes Heidentum in ihren künstlerischen Ausdrucksformen einfließen ließ.[92] Mithilfe dieser Materialien lässt sich Saxls Habilitationsschrift in groben Zügen rekonstruieren (Abb. 6.1 – 6.5).
Zunächst wird aufgrund von Paulis Ausführungen im Gutachten deutlich, dass die Habilitationsschrift aus zwei Teilen bestand. Den Abschnitt über Dürers Melencolia I des insgesamt aus drei Teilen bestehenden Berliner Vortrags hat Saxl demnach nicht in die Habilitationsarbeit aufgenommen. Folgen wir den Angaben Paulis, geht es im ersten Teil der Habilitationsschrift um Wanderbewegungen von Bildmotiven von Osten Richtung Westen. Ausgehend von dem spätrömischen Mithrasrelief von Heddernheim weist Saxl auf dessen Wurzeln in babylonischen Bildtypen hin, die anschließend durch spätantike griechische und orientalische Formen beeinflusst wurden.[93] An diesen Mithrasreliefs – so die Erläuterungen Saxls in einem Brief an Boll – »sei zum ersten Mal Gelegenheit gegeben, die Umwandlungsform orientalischen Denkens in okzidentales in effigie zu demonstrieren, also jene Art weltgeschichtlicher Betrachtung zu üben, wie es Warburg immer anstrebe.«[94] Wanderbewegungen von Bildtypen in die umgekehrte Richtung, nämlich den Einfluss okzidentaler, griechischer Formen auf die orientalischen, zeigt Saxl im zweiten Teil der Arbeit anhand eines sasanidischen Silbertellers aus Klimowa.[95] Dabei widerlegt er die von dem

Gustav Pauli, Gutachten Saxl, 1922, Seite 1

Gustav Pauli, Gutachten Saxl, 1922, Seite 2

Gustav Pauli, Gutachten Saxl, 1922, Seite 3

Gustav Pauli, Gutachten Saxl, 1922, Seite 4

Gustav Pauli, Gutachten Saxl, 1922, Seite 5
angesehenen Altorientalisten Ernst Herzfeld vertretene These, es handle sich bei der Darstellung auf dem Silberteller um eine Abbildung der Kunstuhr vom Thron des Sasanidenkönigs Khosro II. Parviz (591 – 628), und argumentiert dafür, dass hier die Präsentation des Mondgottes als Weltenherrscher erfolge.[96]
Paulis Gutachten über Saxl Habilitationsschrift trägt das Datum 16. Juni 1922 (Abb. 6).[97] Er hat – das darf man vorwegnehmen – Probleme mit der Arbeit, die er auf einer knappen Typoskriptseite inhaltlich zusammenfasst. Bereits die Erwähnung der Habilitationsschrift als »eingereichten Aufsatz« lässt Kritik an deren geringem Umfang durchblicken. Nach einer kurzen Beschreibung der beiden Teile geht Pauli zur ebenfalls eine Typoskriptseite umfassenden knappen Beurteilung über. Mit seinen vernichtenden Kommentaren lässt er kein gutes Haar an der Arbeit: Inhaltlich sei diese nicht abgeschlossen, und das für eine Habilitationsschrift »etwas mager[e]« Ergebnis rechtfertige in keiner Form den abwertenden Umgang mit den Befunden anerkannter Forscher. Probleme hat Pauli ferner nicht nur mit dem Thema, das abseits der klassischen Kunstgeschichte liege, sondern auch mit der Sprache und der Form der Arbeit: Diese erinnere ihn mit ihrem umgangssprachlichen Stil (»gewissen Ausdruckswendungen«) und den fehlenden Angaben zu Entstehungszeit und Aufbewahrungsort der Denkmäler im ersten Teil an die überarbeitete Niederschrift eines Vortrags. Als einzigen lobenswerten Aspekt, bei dem aufgrund des relativierenden »immerhin« allerdings auch ein Unterton zu spüren ist, erwähnt er Saxls Arbeit als anerkennenswerten Beitrag zur Kenntnis des Stilwandels in der Spätantike. Nach dieser weitgehend negativen Beurteilung kommt Paulis Fazit, die Arbeit sei in der vorliegenden Form als Habilitationsschrift »nicht als durchaus geeignet anzusehen«, keineswegs unerwartet.
Im Anschluss daran verwirft Pauli den naheliegenden Vorschlag, Saxl die Schrift zur Überarbeitung zurückzugeben, und empfiehlt unter Berücksichtigung der übrigen Arbeiten und Fähigkeiten des Verfassers, eine andere der eingereichten Schriften als Habilitationsarbeit anzuerkennen. Es handelt sich um Saxls 1912 publizierten Aufsatz Beiträge zu einer Geschichte der Planetendarstellungen im Orient und Okzident.[98] Dass der Vorschlag ein Kompromiss war und Pauli auch diese Arbeit als wissenschaftliche Leistung wenig schätzte, lässt sich dem einzigen Satz entnehmen, mit dem er diesen anschließend kommentiert: »Auch diese Arbeit ist schon ihrem Umfange nach für eine Habilitationsschrift als höchstens gerade noch hinreichend anzusehen; immerhin ist sie sorgfältiger durchgearbeitet und abgeschlossener als das eingereichte Manuskript.« Allerdings zeigt ein Blick auf Saxls Publikationsliste, dass Pauli für einen Alternativvorschlag kaum Auswahl blieb. Mit insgesamt 26 Druckseiten war der Planetendarstellungen-Aufsatz die einzige umfangreichere gedruckte Arbeit mit eigenen Forschungsergebnissen, die Saxl zusammen mit dem Habilitationsantrag eingereicht hatte.[99]
Abschließend ist Pauli eine Typoskriptseite lang bemüht, Argumente für Saxls Habilitationswürdigkeit zusammenzutragen. Die dem Antrag beigefügten Schriften bewertet er (negativ) als »durchgehend Spezialuntersuchungen«, erkennt jedoch (positiv) an, dass »in diesen Arbeiten verschiedene weit auseinander liegende Gebiete« bearbeitet seien, und attestiert damit Saxl eine gewisse fachliche Breite. Dessen Arbeiten zu den astrologischen und mythologischen Handschriften des lateinischen Mittelalters in europäischen Bibliotheken sowie zu Rembrandt findet er verdienstvoll.
Schwierigkeiten hat Pauli auch mit der Beurteilung von Saxls Fähigkeiten als Lehrer. Zwar setzt er mit der positiven Formulierung ein, dass dieser »in einer akademischen Lehrtätigkeit vielfache Anregungen zu geben in der Lage sein würde«, er nimmt dieses Urteil jedoch noch im gleichen Satz zurück, indem er zu bedenken gibt, dass es fraglich sei, ob von Saxl die »für eine Lehrtätigkeit höheren Stils […] erwünschte Weite des Überblicks« zu erwarten sei. Anschließend äußert Pauli wieder wohlwollend, dass ihm berichtet worden sei, Saxl habe in der Interpretation von Kunstwerken »ein bemerkenswertes kunstpädagogisches Geschick« bewiesen. Zum Abschluss bringt er Saxls Tätigkeit an der B. W. zur Sprache, die diesen dazu befähige, als Ergänzung zu der übrigen Lehre, den Studierenden die besonderen Schätze der B. W. näherzubringen. Pauli reduziert damit die bevorstehende Tätigkeit Saxls als Hochschullehrer auf eine »Ergänzung« der Lehre, die die anderen Professoren mit ihren Veranstaltungen leisteten. Ungeachtet dieses durchgängig kritischen Gutachtens befürwortet er schließlich die Habilitierung Saxls mit dem Fazit: »Somit fasse ich mein Votum dahin zusammen, dass Herrn Dr. Saxl auf Grund der als Habilitationsschrift angenommenen Beiträge zu einer Geschichte der Planetendarstellungen im Orient und Okzident in Verbindung mit den übrigen eingereichten Spezialarbeiten die venia docendi erteilt werden möge.«
Das Ausmaß von Paulis weitgehend negativem Gutachten zu Saxls Arbeit und dessen akademischen Fähigkeiten wird bei einem Vergleich mit seinem zwei Jahre zuvor verfassten Gutachten von Panofskys Habilitationsschrift noch einmal deutlicher.[100] Panofskys Typoskript mit dem Titel Die Gestaltungsprincipien Michelangelos, besonders in ihrem Verhältnis zu denen Raffaels hatte Pauli als wertvolle selbständige wissenschaftliche Leistung gewürdigt, den Grundgedanken der Arbeit als richtig und fruchtbar bewertet, den Stoff als wohl gegliedert und die Methode als gründlich und genau charakterisiert. An Saxls eingereichter Arbeit vermisst Pauli indes praktisch alle Aspekte, die er an Panofskys Habilitationsschrift gelobt hatte. Das Thema der Arbeit Panofskys ist nach dem Urteil Paulis für die akademische Lehre besonders geeignet, da er »größte Gegenstände und Persönlichkeiten der Kunstgeschichte« untersuche, so wie es sich auch bei Panofskys übrigen gedruckten Arbeiten um »Themen von hervorragender Bedeutung« handele.[101] Negativ nimmt sich daneben Paulis Beurteilung von Saxls Schriften als »Spezialuntersuchung« aus. Pauli lobt Panofskys breite Interessen und kritischen Scharfblick und weist auf dessen Kenntnisse der Mathematik und Philosophie als »nicht alltägliche Ergänzung seiner Fachgelehrsamkeit« hin. Anders heißt es bei Saxl lediglich, dass er »allgemeine Fähigkeiten« besitze.
Dass Pauli sich trotz der weitgehend negativen Beurteilung sowohl der eingereichten Arbeit als auch der übrigen wissenschaftlichen Leistungen Saxls für die Erteilung der Venia Legendi ausspricht, ist allein aufgrund des mit dem Verfahren angestrebten Ziels erklärbar: Es ging darum, möglichst kurzfristig eine enge Verbindung des Kunsthistorischen Seminars mit der B. W. zu schaffen. Eine Verzögerung des Verfahrens, die sich durch den naheliegenden Vorschlag ergeben hätte, Saxl die Habilitationsschrift zur Überarbeitung zurückzugeben, kam deshalb nicht in Frage.
Disharmonien innerhalb der Habilitationskommission: die Stellungnahmen von Lauffer und Junker
Ungeachtet von Paulis Vorschlag im Gutachten scheint die weitgehend negative Beurteilung von Saxls Leistungen beim Kollegium der Philosophischen Fakultät Bedenken geweckt zu haben. Die Fakultät war offenbar nicht geneigt, Saxl lediglich aufgrund des Gutachtens zu habilitieren, und forderte von den übrigen Kommissionsmitgliedern, ihr Einverständnis mit dem Vorschlag Paulis, Saxl die Venia Legendi zu erteilen, in einem eigenen Schreiben zu äußern und zusätzlich weitere Argumente für dessen Habilitierung zu liefern. Im Habilitationsverfahren von Panofsky hatten sowohl die Kommissionsmitglieder als auch der vorsitzende Dekan ihre Akzeptanz von Paulis Gutachten lediglich anhand der Bemerkung »einverstanden« mit Unterschrift und

Otto Lauffer, Brief an Emil Wolff vom 16. Mai 1922

Heinrich Junker, Brief an Emil Wolff vom 26. Mai 1922
Datum unter dem Text des Gutachtens besiegelt.[102] In Saxls Verfahren dagegen verfassten die Kommissionsmitglieder Lauffer und Junker aufforderungsgemäß an den Dekan Wolff gerichtete Schreiben, in denen sie ihr Einvernehmen mit Paulis Gutachten bekräftigten und damit die Erteilung der Venia Legendi befürworteten (Abb. 7 und 8).
Die beiden knappen Stellungnahmen zeugen davon, dass weder der Volkskundler Lauffer noch der Orientalist Junker von der Habilitierung Saxls begeistert waren. Lauffer stellt in den beiden Sätzen seiner knappen Stellungnahme vom 16. Mai 1922 an Wolff lediglich klar, dass er sich kein Urteil über die kunstgeschichtlichen Arbeiten Saxls erlauben könne, da diese seinem eigenen Arbeitsgebiet zu fern lägen.[103] Des Weiteren merkt er an, dass er gegen die Ausführungen von Pauli »keine Bedenken zu äußern« habe, eine Aussage, die er mit den Worten relativiert, er könne sich diesen nur »unter dem Vorbehalt meiner Unzuständigkeit anschließen«. Die Formulierung »Eine erneute Durchsicht«, mit der Lauffer seinen Schreiben beginnt, lässt darauf schließen, dass er sich möglicherweise zunächst gegen eine Habilitierung Saxls ausgesprochen hatte, seine Meinung jedoch änderte.
Junker bestätigt mit dem Schreiben vom 23. Mai 1922 an Wolff, dass er sich dem Urteil von Pauli anschließe, Saxl die Venia Legendi zu erteilen.[104] Wie vor ihm Lauffer betont auch er, sich eine Beurteilung der kunstgeschichtlichen Arbeiten Saxls nicht anzumaßen. Allerdings macht sich Junker zusätzlich die Mühe, Saxls Fähigkeiten als Wissenschaftler in vier Punkten zu resümieren. Als Argumente führt er an: »starke wissenschaftliche Interessen«, »Blick für Zusammenhänge & Ideen für deren Deutung«, »nicht geringes Wissen« und »Eifer, ihm fehlende Kenntnisse & Fertigkeiten zu ergänzen«. In der verhaltenden Art und Weise, in der Junker die Begabungen Saxls formuliert, werden seine Bedenken deutlich. Die Schlussbemerkung, in der es heißt, »Sich zu bewähren, ist dann Sache des Zugelassenen«, zeugt ebenfalls von Junkers äußerst zögerlicher Befürwortung der Angelegenheit.
Von Ritter liegt kein derartiges Schreiben vor, was auf seine ablehnende Haltung gegenüber Saxls Habilitation hindeutet. Tatsächlich kommt einige Wochen nach Abschluss des Habilitationsverfahrens in der Korrespondenz zwischen Mary und Aby Warburg zur Sprache, dass es »ekelhaft« von Ritter gewesen sei, bei der Habilitation »Stimmung« gegen Saxl zu machen; Ritter hätte sich damit »als schlechter Charakter« erwiesen, heißt es weiter, ohne dass allerdings näher darauf eingegangen wird, in welcher Weise dieses geschehen war.[105] Wie bereits in Paulis Gutachten klingen in den kurzen Stellungnahmen von Lauffer und Junker starke Vorbehalte an, und das Fehlen eines Schreibens von Ritter lässt den Schluss zu, dass es innerhalb der Kommission keine Übereinstimmung gegeben hat. Es fiel allen schwer, Ritter und Lauffer offenbar am schwersten, sich ohne Bedenken für die Habilitierung Saxls auszusprechen.
Abschluss des Habilitationsverfahrens
Nachdem der Großteil der Kommissionsmitglieder sich schließlich für die Habilitation Saxls ausgesprochen hatte, verlief das Verfahren ohne weitere Zwischenfälle oder »Schwierigkeiten«. Anfang Juni hatte Saxl als österreichischer Staatsbürger noch eine Genehmigung für seine Zulassung zur Habilitation durch die Hochschulbehörde vorzulegen. Im Antragsschreiben des Dekans Wolff für die Erteilung dieser Genehmigung betont dieser, dass Saxls Habilitation nicht allein aufgrund seiner wissenschaftlichen Persönlichkeit »sehr wünschenswert« sei, sondern von Vorteil für die Universität, die damit noch enger mit der B. W. verbunden werde.[106] Damit wird das Interesse von Seiten der Universität an Saxls Habilitation und der damit einhergehenden Verbindung mit der B. W. noch einmal deutlich.
In der Fakultätssitzung am 24. Juni 1922, bei der aus der Kommission von Saxls Habilitationsverfahren nur Wolff und Junker anwesend waren, während Lauffer und Ritter fehlten, wurde Saxl mit zwölf Stimmen gegen eine Stimme zur Habilitation zugelassen.[107] Damit würdigte die Kommission letztlich Saxls Qualifikation als hervorragender Organisator und Leiter, dem es gelungen war, die B. W. in kürzester Zeit zu einem anerkannten Forschungsinstitut auszubauen. Als Termin für die Probevorlesung mit anschließendem Kolloquium wurde der 1. Juli 1922 festgesetzt.[108] Von den drei von Saxl vorgeschlagenen Themen Rembrandt und Italien, Planetendarstellungen im Orient und Okzident und Zucci [sic!], ein Kunsthistoriker der Spätrenaissance wurde das erstere gewählt.[109] Mit der Entscheidung für Rembrandt und Italien hatte die Kommission genau jenes Thema für den Probevortrag festgelegt, das Saxl Monate zuvor, nämlich im März 1922, als Wunschthema erwähnt hatte.[110] Es könnte sich freilich um einen Zufall handeln; ungeachtet dessen stellt sich die Frage, inwieweit das Thema der Probevorlesung im Vorfeld abgesprochen gewesen ist. Probevorlesung und Kolloquium fanden planmäßig statt, sodass der Dekan Wolff Saxl mit einer am 1. Juli 1922 ausgestellten Urkunde die Venia Legendi für Kunstgeschichte erteilte (Abb. 9).[111] Am Tag nach der Probevorlesung berichtet Mary Warburg an Aby Warburg nach Kreuzlingen, dass die Habilitation »gut und glatt« gelaufen sei und Pauli alles getan habe, »um nur keine Schwierigkeiten« aufkommen zu lassen.[112] Auch hier ist zum wiederholten Mal von »Schwierigkeiten« im Zusammenhang mit der Habilitation Saxls die Rede.

Venia Legendi Fritz Saxls vom 1. Juli 1922
Zum Abschluss des Habilitationsverfahrens fehlte noch die Antrittsvorlesung. Vier Tage nach der Probevorlesung, am 5. Juli 1922, dankte Saxl Wolff mit einem Schreiben für die ihm bei dem Verfahren entgegengebrachte Unterstützung und schlug ihm drei Themen für die Antrittsvorlesung vor: Der Dialog als Thema der christlichen Kunst, Mithräische und Christliche Kultbilder sowie Altpersische und hellenistische Kunst.[113] Saxls Bemerkung im Schreiben, dass er von diesen »selbstverständlich gern nur das dritte Thema behandeln möchte«, liest sich wie ein Versuch, auf die Wahl des Themas Einfluss zu nehmen. Von Erfolg gekrönt scheint der Versuch allerdings nicht gewesen zu sein. Eine Woche später teilte Wolff Saxl mit, dass die Fakultät das erste der von ihm vorgeschlagenen Themen für die Antrittsvorlesung ausgewählt habe.[114] Berücksichtigt man, dass Saxl bereits im Februar 1922 in einem Brief an Warburg angemerkt hatte, dass er beabsichtige bei der Antrittsvorlesung über das Thema Das Problem der Darstellung des Dialogs in der bildenden Kunst zu sprechen, so ist das Verwirrspiel vollständig.[115] Handelt es sich um einen Zufall oder war das Spiel – wie vermutlich auch bei der Probevorlesung – abgekartet? Äußerte Saxl pro forma den Wunsch, über das dritte Thema zu sprechen, und die Wahl fiel wie zufällig auf das bereits im Vorfeld abgesprochene Dialog-Sujet?
Saxls Antrittsvorlesung fand am 26. Juli 1922 statt, eine gedruckte Einladung ging an Warburg nach Kreuzlingen (Abb. 10).[116] Wie dem begeisterten Bericht Mary Warburgs an ihren Mann vom gleichen Tag zu entnehmen ist, stieß Saxl auf breite Zustimmung: »Es war meiner unmaßgeblichen Meinung nach ein sehr guter, klarer Vortrag u. ganz nach Deinem Sinn, alter Mann […]. Er sprach frei und fließend u. machte anscheinend einen sehr guten Eindruck. Es war mäßig besetzt, aber viele Professoren u. Museumsleute etc. darunter. Leider wurde am Schluß weder geklatscht noch getrampelt, was ich sehr schäbig fand; aber es ist hier wohl nicht Usus.«[117] Bereits wenige Tage nach Abschluss des Habilitationsverfahrens bemühte sich Saxl um die Publikation der anlässlich der Habilitation verfassten Beiträge. Die beiden Teile der Habilitationsarbeit flossen zusammen mit der Antrittsvorlesung in den umfangreichen Aufsatz mit dem Titel Frühes Christentum und spätes Heidentum in ihren künstlerischen Ausdrucksformen ein, der 1923 im Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte erschien.[118] Die Probevorlesung publizierte er 1924 unter dem Titel Rembrandt und Italien in der Zeitschrift Oud Holland.[119]

Einladung zur Antrittsvorlesung Fritz Saxls am 26. Juli 1922
Eine Reihe von spöttischen Äußerungen Saxls über die Habilitation zeugen von seiner zwiespältigen Haltung zu einem Verfahren, dem er sich nicht freiwillig unterworfen hatte. Den Standard einzuhalten, den Panofsky zwei Jahre zuvor mit seiner Habilitation gesetzt hatte, war ihm schon aufgrund seiner zahlreichen Aufgaben als Leiter der B. W. nicht möglich. Mit dem schmalen Curriculum und einem zur Habilitationsschrift umgearbeiteten Vortrag stand Saxls Verfahren von Anfang an unter keinem günstigen Stern. Wie Pauli nach Abschluss des Verfahrens in einem Brief an Warburg formuliert, hatte Saxl es der Kommission mit der Habilitationsarbeit »nicht ganz leicht«, es »sich selber freilich umgekehrt nicht schwer« gemacht.[120] Allerdings war es die Überlastung als Leiter der B. W., die Saxl daran gehindert hatten, eine adäquate Habilitationsschrift abzufassen. Während des Verfahrens war er gezwungen gewesen, einige für ihn als Wissenschaftler eher erniedrigende Prozeduren über sich ergehen zu lassen. Dazu gehörten das negative Gutachten Paulis und die beleidigend formulierten Stellungnahmen von Junker und Lauffer, von denen er sehr wahrscheinlich Kenntnis hatte. Schließlich dürften auch die sehr wahrscheinlich erfolgten Vorwegabsprachen der Themen der Probevorlesung und der Antrittsvorlesung an seiner Ehre als Wissenschaftler genagt haben. Nach dem erfolgreichen Ablauf des Verfahrens war sich Saxl der Tatsache sehr wohl bewusst, dass er die Venia Legendi nicht seinen Leistungen als Wissenschaftler, sondern seinen organisatorischen Fähigkeiten als Leiter der B. W. und nicht zuletzt den guten Beziehungen Warburgs zu den Hamburger Universitätskreisen und dessen Freundschaft mit Pauli zu verdanken hatte. Diesen Umstand bringt er auch in einem Dankesbrief an Warburg nach der Habilitation zur Sprache.[121]
Allein vor diesem Hintergrund sind Saxls zynische Äußerungen zum Habilitationsverfahren in Briefen an ihm vertraute Personen begreiflich. In mehreren Schreiben an Warburg erwähnt er die Habilitation als »Theater« und als »eine richtige von allen Seiten mit Anstand gespielte Farce«.[122] Auch dem mit ihm befreundeten Wilhelm Printz berichtet er einen Tag nach der Probevorlesung, dass er sich »in schrecklicher Weise […] diesem blöden Kolloquium« unterzogen habe, das eine »reine Farce« gewesen sei.[123] »Farce« und »Theater« scheinen in der Tat nicht unbedingt falsche Begriffe zu sein, um Saxls Habilitationsverfahren zu beschreiben, wenn man davon ausgeht, dass sowohl die Themen für die Probevorlesung als auch für die Antrittsvorlesung bereits im Vorfeld abgesprochen waren.
Schließlich hat auch der 1912 in der Zeitschrift Der Islam publizierte Aufsatz über Planetendarstellungen in illustrierten astrologischen Handschriften, mit dem Saxl habilitiert worden war, eine Vorgeschichte. Den Aufsatz hatte er noch als Student – bereits im Gespräch mit Warburg, dem er in einer Anmerkung für »Rat und Tat« dankt, – verfasst.[124] Warburg wiederum übersandte am 14. April 1912 einen Sonderdruck von Saxls Aufsatz an den mit ihm befreundeten Freiburger Historiker Heinrich Finke mit dem Kommentar, es handle sich bei diesem um »eine kleine Erstlingsarbeit von einem jungen Österreicher, den ich bei der Ausgestaltung etwas beriet.«[125] Saxl wurde demnach 1922 von der Universität Hamburg mit einer »kleine[n] Erstlingsarbeit« habilitiert, die er noch vor seiner Promotion verfasst hatte.
Saxl als Hochschullehrer
Die mit dem Erwerb der Venia Legendi einhergehende Lehrverpflichtung sollte Saxl kurz nach Abschluss des Verfahrens in Angriff nehmen. Bereits zwei Tage nach der Probevorlesung übersandte er Richard Salomon den Vorschlag, im Wintersemester 1922/1923 eine einstündige Vorlesung zum Thema Schriftquellen zur Kunstgeschichte des Mittelalters in den Räumen der Universität und eine einstündige Übung mit dem Titel Lektüre ausgewählter Schriftquellen zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der Renaissance in den Räumen der B. W. anzubieten.[126] Die Sujets von Saxls zahlreichen in den folgenden Jahren am Kunsthistorischen Seminar angebotenen Vorlesungen und Übungen zeugen von einer außergewöhnlichen thematischen Breite. Mit Veranstaltungen zu klassischen Themen wie Die italienische Kunst des Mittelalters, Geschichte der venezianischen Malerei, Schriftquellen zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der Renaissance und Rembrandt und seine Vorläufer oder solchen zu seinerzeit abgelegenen Gebieten wie Die geistigen und weltlichen Bilderzyklen des Mittelalters, Sternglaube und Sterndeutung in der bildenden Kunst und Spanische Maler des 16. und 17. Jahrhunderts deckte er ein weites Feld der Kunst- und Kulturgeschichte ab.[127] Allein oder gemeinsam mit Panofsky betreute er die Arbeiten zahlreicher Doktoranden.[128] Saxl verband in seinen Veranstaltungen Formanalyse und inhaltliche Deutung und entwickelte seine Thesen und Interpretationen eng am Objekt.[129] Er war ein Augenmensch, der die Kunstwerke und deren ästhetischen Qualitäten viel stärker in den Mittelpunkt stellte als Warburg oder Panofsky.
Paulis Prognose vom September 1922, dass aus der »Personalunion in Saxl« ganz von selbst eine »Realunion« zwischen der B. W. und der Universität erwachsen werde, sollte sich in den darauffolgenden Jahren bewahrheiten.[130] 1927 betont Panofsky in einem Beitrag über das Hamburger Kunsthistorische Seminar das positive »Verhältnis wechselseitiger Ergänzung« zwischen diesem und der Bibliothek Warburg.[131] Nach mehreren Jahren der Lehrtätigkeit als Privatdozent wurde Saxl von der Hochschulbehörde mit einem Schreiben vom 25. November 1926 die Amtsbezeichnung »Professor« verliehen.[132] Fünf Jahre später, am 15. Juli 1931, wurde er zum Honorarprofessor ernannt.[133] Saxls Tätigkeit an der Universität Hamburg endete mit dem 31. Juli 1933, als er und die anderen »nicht-arischen« Kollegen von der Hochschulbehörde Lehrverbot erhielten.[134]
Saxls Habilitation und seine sich daran anschließende Lehrtätigkeit an der Universität Hamburg waren ausschlaggebende Schritte im Institutionalisierungsprozess der B. W. Mit einem breiten Reformprogramm während der ersten beiden Jahre seiner Tätigkeit als Leiter der B. W., zu dem neben anderen Initiativen und Projekten seine Habilitation und Lehre an der Universität, die ab Herbst 1921 stattfindenden Vorträge, die in der Reihe Vorträge der Bibliothek Warburg publiziert wurden, sowie die Publikation der Studien der Bibliothek Warburg ab 1922 gehörten, bewirkte Saxl in kürzester Zeit die Umwandlung der B. W. in ein universitäres Forschungsinstitut von überregionaler Bedeutung.[135]
Als Warburg im August 1924 aus Kreuzlingen nach Hamburg zurückkehrte, fand er die B. W. als Institution mit einem regen wissenschaftlichen Leben vor. Ein weiterer bedeutungsvoller Schritt in der Geschichte der im Laufe des Jahres 1925 in Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg umbenannten Institution war der Umzug – und damit die räumliche Erweiterung – in den von Gerhard Langmaack errichteten, im Sommer 1926 eingeweihten Bau auf dem benachbarten Grundstück Heilwigstraße 116.[136] Einen Einschnitt bedeutete dann der Tod Warburgs am 26. Oktober 1929, nach dem Saxl erneut die Leitung der Bibliothek übernahm.[137] Schließlich fand im Dezember 1933 aufgrund der wachsenden Bedrohung durch die Nationalsozialisten die Übersiedlung der K. B. W. nach London statt, wo Saxl sich um die Etablierung der inzwischen als Warburg Institute fungierenden Institution in der britischen Wissenschaftslandschaft bemühte.[138] In England sollte Saxl nach langjährigen Bemühungen mit dem Anschluss des Warburg Institute an die University of London im Jahre 1944 noch einmal die Anbindung einer von ihm geleiteten Institution an eine Universität gelingen.[139]
Das Projekt wurde mit einem Forschungsstipendium von der Gerda Henkel Stiftung gefördert. Mein Dank für wertvolle Hinweise und viele anregende Gespräche geht an Claudia Wedepohl. Für nützliche Hinweise und die kritische Lektüre des Textes danke ich Thomas Lersch und Volker Schümmer. Verwendete Abkürzungen: B. W. für Bibliothek Warburg, K.B. W. für Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg, WIA für Warburg Institute Archive, GC für General Correspondence, FC für Family Correspondence.
Abbildungsnachweis: 1, 3, 4, 9 London, Warburg Institute Archive. — 2 Hamburg, Warburg-Archiv. — 5‒8, 10 Hamburg, Staatsarchiv.
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