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Publicly Available Published by De Gruyter April 4, 2018

Herausforderungen einer Modernisierung im laufenden Betrieb: Die Campusbibliothek der Universität Kassel

Modernizing a library while continuing user services: The Campus Library of the University of Kassel
  • Axel Halle

    Dr. Axel Halle

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From the journal ABI Technik

Zusammenfassung

Die Campusbibliothek der Universität Kassel wurde 1981–1988 errichtet. 2006 wurden im Rahmen einer Flächenbedarfsanalyse erhebliche Brandschutzmängel festgestellt. Die Sanierung erfolgt bei laufendem Betrieb in drei Bauabschnitten, deren erster im April 2017 fertiggestellt wurde. Im Planungs- und Sanierungszeitraum wurde ein umfassender organisatorischer und konzeptioneller Transformationsprozess vollzogen. Neben der vollständigen Nutzerselbstbedienung werden qualitativ hochwertige, differenzierte Lernmöglichkeiten geboten.

Abstract

The campus library of the University of Kassel was built between 1981 and 1988. In 2006, after a detailed study about the library’s space requirements, it was detected, that there is a potential for a fire hazard. The renovation takes place in three steps, while the library is still in operation. The first step was finished in April 2017. Meanwhile the library has undergone some extensive transformation processes to meet the new requirements for working libraries and learning spaces. Besides a complete user self-service, different learning opportunities on a high quality level are offered.

1 Das Bestandsgebäude

Die Campusbibliothek der Universität Kassel mit ihrer 14 400 m2 umfassenden Hauptnutzfläche wurde von den Stuttgarter Architekten Höfler und Kandel zwischen 1981 und 1988 errichtet. Der Bau beruht auf einem Raumprogramm aus den späten 1970er Jahren für die Versorgung einer Universität (damals Gesamthochschule) mit 10 000 Studierenden. 2017 versorgt die Bibliothek am Standort inzwischen gut 20 000 Studierende. Das seinerzeit einzige einschichtige Bibliothekssystem in Hessen war bis dahin auf dem Campus Holländischer Platz, einer innerstädtischen Konversionsfläche der ehemaligen Lokomotiven- und Rüstungsfabrik Henschel, disloziert untergebracht. Die Bibliothek wurde als zentrales Gebäude auf dem neuen Campus errichtet. Kurz vor Beginn der Bauarbeiten wurde die für die Bibliothek verfügbare Hauptnutzfläche um rund 3 100 m2 gekürzt, um bis etwa zum Jahr 2000 auch Institute und Seminarräume im Gebäude unterbringen zu können.

In ihrer Form entspricht die Campusbibliothek einem um einen Innenring strukturierten dreiblättrigen Kleeblatt mit tiefen Einschnitten zwischen den drei Gebäudeteilen. In jedem dieser drei Bauteile gibt es nach Süden und Osten ausgerichtete Klimahöfe, zwischen denen auf vier Geschossen eine größere Anzahl von Flächen mit jeweils ca. 50–70 m² ausgebildet ist. Die drei Gebäudeteile verfügen jeweils über einen Innenhof, um den die Buchstellflächen angeordnet sind. Die Übergänge zwischen den Bauteilen A, B und C sind schmal, denn geplant war ein Konzept der „dezentralen Zentralbibliothek“ (Höfler/Kandel). Abgesehen von der Lage des Gebäudes auf dem Campus bedeutete „zentral“, dass ausgehend vom kleinen Foyer im Erdgeschoss die zentrale Funktion der Ausleihe über zwei seitlich angelegte Treppenhäuser im Hochparterre und die Informationstheke im ersten Obergeschoss über das Haupttreppenhaus zu erreichen war. Als „dezentral“ waren hingegen die in den Gebäudeteilen konzipierten Teilbereichsbibliotheken für die Fächercluster Geisteswissenschaften, MINT, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften zu verstehen. Diese sollten explizit Institutsbibliothekscharakter aufweisen. Das Raumprogramm sah den Verzicht auf Lesesäle, aber verstreute Einzel- und Gruppenarbeitsräume vor, so dass Kleinräumlichkeit vorherrschte. Es wurde auf geschlossene Magazine verzichtet und alle Bestände wurden in Freihand aufgestellt. Tiefe Fassadeneinschnitte sollten eine weitgehend natürliche Belüftung ermöglichen. Die Stellplatzkapazität wurde auf 1 Million Bände kalkuliert, 797 Nutzerarbeitsplätze sollten Platz finden.[1] In der Festschrift aus Anlass des 25. Gründungsjubiläums der Universität Gesamthochschule Kassel im Jahr 1996 erhält die 1988 eingeweihte Bibliothek „mit ihren Einkerbungen, zwecklosen Innenhöfen, Aufspaltung in drei schlecht verknüpfte Bauteile, die Auflösung ruhiger Fassaden zu ‚dekorativen Schuppen‘, die verzettelte Gesamtfläche der Freiräume, das Labyrinthische“[2] baulich und funktional ein vernichtendes Urteil.

Abb. 1:  Außenansicht Campusbibliothek (Foto: UB Kassel)
Abb. 1:

Außenansicht Campusbibliothek (Foto: UB Kassel)

2 Planungsprozess öffentliches Bauen

Angesichts baulicher Unzulänglichkeiten, langer Geschäftsgangszeiten und des Versuches, die Hochschule durch dezentrale Steuerungsmodelle effektiver zu führen, erzwang die Hochschulleitung 1998/1999 die Reorganisation der Bibliothek.[3] Für die Campusbibliothek bedeutete dies die Auflösung der zentralen Ausleihe, der zentralen Information sowie der erst kurz zuvor eröffneten Multimediathek auf fünf Bereichsbibliotheken, was allerdings die Unübersichtlichkeit im Gebäude nochmals deutlich verstärkte. Wertvolle Flächenressourcen wurden zu Lasten von Nutzerplätzen und Stellflächen und zu Gunsten von Servicetheken und zugeordneten Mitarbeiterräumen blockiert. Dies geschah in einer Situation, in der ab der Jahrtausendwende die vorhandenen Stellflächen immer knapper wurden und ein Auszugstermin der „Fremdnutzer“ unbestimmt war. Schlimmer noch, der von der Bibliotheksleitung reklamierte zusätzliche Stell- und Nutzerplatzbedarf wurde von den Entscheidungsträgern der Hochschule nicht unterstützt.

Vor diesem Hintergrund und im Zusammenhang mit der baulichen Entwicklungsplanung der Universität Kassel wurde der Flächenbedarf der Campusbibliothek von der HIS GmbH einer Feinplanung unterzogen. Das 2006 vorgelegte Untersuchungsergebnis[4], das auf Basis restriktiver Parameterauslegungen der HIS-spezifischen Empfehlungen[5] den Flächenbedarf ermittelte, belegte, dass mit Ausnahme nur geringer Flächen im dritten Obergeschoss des Bauteils B die Bibliothek das gesamte Gebäude benötigt. Damit war klar, dass nach der für Ende des ersten Jahrzehnts geplanten Fertigstellung eines Neubaus für den Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften der Rückbau der von den Fachbereichen belegten Räumlichkeiten im Bibliotheksgebäude erfolgen musste. Einen besonderen Handlungsdruck für die Sanierung ergab aber der beiläufige Befund, dass dringender Sanierungsbedarf wegen mangelhafter Brandschutzmaßnahmen bestand.

Eine Begehung des Gebäudes durch einen Brandschutzsachverständigen und gemeinsame Gespräche mit dem Liegenschaftsmanagement der Universität Kassel und der HIS GmbH ergaben einen Anpassungsbedarf des Brandschutzkonzeptes an die aktuellen Bestimmungen und eine Wiederherstellung des ursprünglichen Brandschutzkonzeptes gemäß der Baugenehmigung.[6]

Angesichts dieser Zusammenhänge wurde von der Hochschule und dem für das Land Hessen als Eigentümer zuständigen Hochschulbaumanagement Nord (HBM Nord, heute Landesbetrieb Bau und Immobilien in Hessen, LBIH) der Baubedarf am 27. November 2006 angemeldet und am 21. Dezember 2006 durch das Hessische Ministerium der Finanzen genehmigt. Die Vorlage einer Entscheidungsunterlage Bau (ES-Bau) erfolgte bereits im Mai 2007. Die kalkulierten Kosten beliefen sich auf ca. 13 Millionen Euro.

Die ES-Bau wurde von einem Architekturbüro ohne Bibliotheksbauerfahrung und ohne Konsultation der Bibliotheksleitung erarbeitet, was sich als nachhaltiges Problem erweisen sollte. Denn nach der Genehmigung der ES-Bau am 30. Mai 2007 stellten die nach einem beschränkten öffentlichen Ausschreibungsverfahren im August 2009 ausgewählten Architekten, KSP Engel und Zimmermann (heute: KSP Jürgen Engel), und die ab diesem Zeitpunkt informell in die weitere Planung laufend einbezogene Bibliothek einige offensichtliche und gravierende zusätzliche Bedarfe fest. Daher musste eine N-ES-Bau (= Nachtrag-ES-Bau) erarbeitet werden. Diese N-ES-Bau wurde am 18. März 2010 vorgelegt, aber leider nur mit Einschränkungen erst am 9. Mai 2012 in einem Volumen von 3,2 Millionen Euro haushaltsrechtlich anerkannt.

Genehmigt wurden u. a. der Ausbau des Haupttreppenhauses bis ins zweite Obergeschoss zur besseren Erschließung, der Einbau zweier Drehtrommeltüren und die Schaffung eines Windfangs zur Bewältigung der hohen Besucherzahlen (pro Jahr seinerzeit ca. 650 000 Besucher), die Schaffung eines Orientierungs- und Leitsystems sowie die Erneuerung und Erweiterung der seit 1988 nicht sanierten WC-Anlagen im Gebäudeteil B. Abgelehnt wurden u. a. der Einbau eines neuen Aufzuges im Bauteil B zur besseren barrierefreien Erschließung des rückwärtigen Bauteils B, Erweiterungsflächen im Luftraum zwischen der ersten und zweiten Etage zur Aufnahme dringend benötigter zusätzlicher Nutzerarbeitsplätze und der Einbau einer Cafeteria zur Verbesserung der Lernortqualität.

Die anschließende Erarbeitung und Genehmigung der EW-Bau sowie Ausführungsplanung, Ausschreibungen und Vergaben etc. verursachten weitere Zeitverzögerungen. So erforderte es fast neun Jahre intensiver Vorarbeiten und bibliothekarischer Begleitung, bis endlich im Juni 2015 mit der Sanierung begonnen werden konnte.

Aus Bibliothekssicht waren diese Verzögerungen Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil trotz erheblichem Planungsaufwand eine zu lange Stagnationsphase herrschte und bis heute die größten Kostenanteile sowie die maßgeblichen Qualitäten der Sanierung auf dem Niveau alter Kostenschätzungen der ES-Bau fixiert und nicht den sich wandelnden Bibliotheksanforderungen angepasst werden können; Segen, weil damit Zeit für flankierende bibliothekarische Maßnahmen gewonnen wird.

3 Bauen bei laufendem Betrieb

Von Beginn an war klar, dass die Bibliothek bei laufendem Betrieb umzubauen sei. Kosten für die Anmietung von Ausweichflächen, Umbaumaßnahmen zur Schaffung neuer Magazinbereiche in der Tiefgarage oder im Garderobenbereich waren ebenso wenig im genehmigten Kostenrahmen enthalten wie die Planung und Durchführung der notwendigen Umzüge. Implizit war von den Planern davon ausgegangen worden, dass die von den Fachbereichen genutzten Flächen etwa ein Drittel der Nutzfläche des Gebäudes umfassen, also theoretisch ausreichend genügend Flächen vorhanden sind, wenn jeweils ein Drittel des Gebäudes saniert werden würde. Diese implizite Annahme musste bei fortgeschrittenem Stand der Ausführungsplanung revidiert werden, so dass u. a. der Garderobenbereich im Untergeschoss sowie ein Teil der Tiefgarage als Magazinflächen umgebaut werden mussten. Denn neben Makulierungen (s. u.) musste die Magazinierung von Beständen (Zeitschriften vor Erscheinungsjahr 2010) durchgeführt werden. Anfangs unberücksichtigt waren auch Flächenverluste während der Baumaßnahmen, weil Staub- und Akustiktrennwände aufgestellt wurden, die den jeweils nicht von Bauarbeiten betroffenen Bauteilen zusätzliche Freihandflächen raubten. Angesichts der Komplexität der anstehenden Umzüge musste deshalb ein erfahrener Dienstleister für Planung und Durchführung der erforderlichen Umzüge beauftragt werden.

Ebenso stellt sich als gravierendes Problem heraus, dass die in drei Bauabschnitten geplante Sanierung im Bauteil B und im zentralen Eingangsbereich die Schließung des Haupteingangs erzwang. Für diesen ersten Bauabschnitt mussten also zwei provisorische Nutzereingänge eingerichtet werden. Dies führte zwangsläufig zu erheblichem Personalmehraufwand, der bei den Planungen nicht berücksichtigt und kostenmäßig entsprechend nicht gedeckt war. Außerdem mussten der Dienstbetrieb in zwei Gebäudeteilen und die Medientransporte durch die Tiefgarage organisiert werden. Es wurden der Bibliothek weder die zusätzlichen Kosten für die Bewachung eines zweiten Eingangs noch zusätzliche Stellen für die bibliothekarische Mehrbelastung oder die Begleitung des Planungsprozesses zur Verfügung gestellt. Ganz im Gegenteil: Die Bibliothek musste im gleichen Zeitraum Stellen abbauen.

Der Bibliotheksleitung war in einem relativ frühen Planungszeitraum klar, dass sich bei der Sanierung ein massives Problem dadurch stellen würde, dass im gesamten Bibliothekssystem keine Reserveflächen für Auslagerungen vorhanden sind, zumal nahezu zeitgleich der zweitgrößte und historisch bedeutende Standort Landesbibliothek und Murhard‘sche Bibliothek ebenfalls im laufenden Betrieb saniert werden sollte. Problematisch war dies auch deshalb, weil dieser Standort bereits seit Jahren gezwungen war, Bestände an die Campusbibliothek in geschlossene Magazine auszulagern.

Unter Berücksichtigung dieser Notlage wurde 2008 ein Konzept zur partiellen Abkehr von der reinen Freihandaufstellung der Campusbibliothek sowie zur Makulierung überflüssiger Materialien erarbeitet und umgesetzt. Ziel war, die durch die Planungsverzögerungen verursachte Zeit zu nutzen, um die Bestände einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen. Abgesehen von den Beständen der Landesbibliothek und der dort vorhandenen, bedeutenden Sondersammlungen hieß das, dass explizit das Bibliothekssystem als „Arbeitsbibliothek“ (HIS) definiert werden musste. Die Literaturversorgung der Universität sollte künftig deutlicher als zuvor nicht mehr auf vorsorgenden, sondern auf explizit bedarfsorientiertem Bestandsaufbau beruhen. Beginnend bei den gedruckten Zeitschriftenbeständen, die über Lizenzen (v. a. Nationallizenzen) dauerhaft digital vorhanden sind, wurden weitere Bestandsgruppen daraufhin geprüft, ob sie für die aktuelle lokale Literaturversorgung noch von Bedeutung sind. Zwischen 2009 und 2017 wurden rund 370 000 gedruckte Bände makuliert, was im genannten Zeitraum unter Berücksichtigung des Zugangs eine Nettoreduktion gedruckter Bestände um ca. 90 000 Bände erbracht hat. Um den Zugang gedruckter Ressourcen zu begrenzen, wurde parallel dazu eine E-only-Politik konsequent umgesetzt.

Flankierende Maßnahmen mussten auch bezüglich der Bibliotheksorganisation und der Benutzungsdienste ergriffen werden. Fokussiert auf die Themenbereiche Lernortbibliothek und Nutzerservices wurde im Herbst 2013 zwei Gruppen mit jeweils acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit gegeben, jeweils drei Tage in den Niederlanden je drei vorbildliche Universitätsbibliotheken zu besichtigen (UB Amsterdam, UB Rotterdam, UB Delft, UB Tilburg, UB Ultrecht, UB Leiden). Die gründlich mit den niederländischen Kollegen vorbereitete Reise, deren Ergebnisse später in der UB Kassel für alle im Wiki dokumentiert und diskutiert wurden, brachte wertvolle Einsichten und vor allem baute sie Vorbehalte gegen Veränderungen ab. So konnte unter anderem vermittelt werden, dass die Leihvorgänge vollständig auf Selbstbedienung umgestellt werden können, weil die Buchsicherung des Bibliotheksbestands auf RFID umgearbeitet worden ist. Dies war mit Sondermitteln erfolgt, um später eine vollständige Selbstverbuchung zu ermöglichen. Außerdem konnten Kolleginnen und Kollegen in den Niederlanden erleben, was moderne Bibliotheken auszeichnet, z. B., dass Zahlvorgänge über Geldautomaten und ohne Bargeldkassen sinnvoll organisierbar sind, weniger Personal an Servicetheken gebunden und stattdessen Backofficedienste organisiert werden können, räumlich deutlich zwischen Einzel- und Gruppenarbeitsräumen unterschieden werden muss, dass die Nutzungsfrequenz der Lernräumlichkeiten durch Systeme wie Seatfinder besser ausgenutzt werden kann und eine gemeinsame Servicetheke von Bibliothek und Rechenzentrum ausreicht und Synergieeffekte schafft.

Vor diesem Erfahrungshintergrund trugen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch die Entscheidung mit, sukzessive die Zahl der im Gebäude befindlichen fünf Bereichsbibliotheken zu reduzieren, so dass mit Beginn der Bauarbeiten eine deutliche Zentralisierung der Organisation erreicht und eine Organisationsreform durchgeführt werden konnte, die die Abkehr von der aus drei Hierarchieebenen sowie auf horizontaler Ebene einer Reihe von Fachkoordinatoren bestehenden Matrix-Organisation und die Rückkehr zur klassischen Stab-Linienorganisation mit vier Hierarchieebenen beinhaltete. So konnte bei den Umzügen zur Vorbereitung des ersten Bauabschnittes Personal in räumlichen Zusammenhängen untergebracht werden, wie es nach Fertigstellung der Sanierung auch fachlich sinnvoll zusammensitzen muss, um effektive Workflows zu gewährleisten.

Um weitere vorbildliche Lösungen in die Überlegungen für die Gestaltung und Organisation der Campusbibliothek der UB Kassel einbeziehen zu können, wurden außerdem Exkursionen organisiert, teilweise unter Beteiligung der Baubeauftragten der Universität für die Campusbibliothek. So wurden beispielsweise die Bibliotheken des KIT, der Universität Mannheim, des Fachbereichs Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Universität Frankfurt, der Hochschule Mittelhessen, der Universität Freiburg und der Universität Konstanz unternommen und die Ergebnisse jeweils im Wiki dokumentiert.

Das ausführende Büro KSP Jürgen Engel hatte nicht den Auftrag, die Inneneinrichtung zu planen. Für derartige Planungs- und Designaufgaben waren im Projekt keine Gelder vorgesehen. Angesichts der Komplexität der Aufgabe und des Willens, eine dem Gebäude angemessene einheitliche Designsprache zu finden, um diesem eine hochwertige Anmutung zu verleihen, wurde ein aus ES-Geräte-Mitteln finanzierter externer Innenarchitekt gesucht. Der Auftrag wurde im Dezember 2015 an das Stuttgarter Büro Blocher Blocher Partners (BBP) vergeben. Ausgehend von den bereits von KSP Jürgen Engel geplanten deutlichen Verbesserungen der baulichen Transparenz und Erschließung sowie des Rückbaus des üppig vorhandenen braunen Klinkers ergaben sich für BBP neue innenarchitektonische Möglichkeiten. Es sollte ein Ort der Inspiration, der anregenden und entspannten Atmosphäre für studentische Lernprozesse geschaffen werden. Da die Innenarchitekten, trotz zunehmender Digitalisierung, Papier als das vorherrschende Medium für Aneignung und Verarbeitung von Wissen ansehen, sollten Akzente durch die graphische Ableitung von Papier in glatter, zerknüllter und gefalteter Form gesetzt werden. Die Farben der Inneneinrichtung sollten dabei auf das bereits für das Leitsystem festgelegte Farbspektrum abgestimmt werden.

Diverse Gründe verlängerten die geplante Sanierungszeit nochmals um mehrere Monate. Nachdem ein kleinerer Anteil des Personals im Januar 2017 das dritte Obergeschoss im Bauteil B beziehen konnte, wurde am 25. April 2017 der erste Bauabschnitt der Öffentlichkeit übergeben.

4 Die modernisierte Campusbibliothek

Bereits das neue Entree soll den Nutzerinnen und Nutzern der Bibliothek eine weltoffene Geste bieten. Der neue Glasvorbau, um den die Bibliotheksleitung wegen der höheren Kosten im Vergleich zu einem zwischenzeitlich geplanten Betonkorpus kämpfen musste, empfängt die internationalen Gäste in ihren Nationalsprachen. In einer Vielzahl von Sprachen und Schriftzeichensystemen ist das Wort Bibliothek als graphisches Element auf den Glasflächen aufgedruckt.

Abb. 2:  Neu gestalteter Haupteingang Campusbibliothek (Foto: UB Kassel)
Abb. 2:

Neu gestalteter Haupteingang Campusbibliothek (Foto: UB Kassel)

Im neu gestalteten Foyer wurde der braune Klinker zurückgebaut und durch weißen Putz ersetzt, außerdem der Raum neu beleuchtet, die Fensterzargen weiß gestrichen, so dass sich der freundliche und helle Eindruck im Inneren des Gebäudes fortsetzt. Die ursprünglich seitlich verlaufenden Treppen zum Hochparterre wurden geschlossen und zu Podesten ausgebildet, an deren Foyerseite Schließfächer integriert sind, die mit der Campuscard elektronisch bedient werden können. Die sich an den Außenfronten befindenden Heizkörper wurden mit gekanteten und perforierten modularen Heizkörperverkleidungen als Sitzmöglichkeiten nutzbar gemacht. Im Foyer ist für Blinde und stark Sehbehinderte ein taktiles Pult installiert, an dem sich zugleich der zentrale Sammelpunkt für Bibliotheksführungen befindet. Mit guter Sichtposition zum Ausgang sowie der Buchsicherungsanlage ist eine kleine Aufsichtstheke für eine Person des privaten Wachdienstes installiert.

Dreh- und Angelpunkt der Benutzungsservices ist das Hochparterre. Zentral angesiedelt ist die neue Servicetheke, die gemeinsam von Bibliothek und Rechenzentrum (IT-Service) besetzt ist. In der Praxis zeigt sich, dass es ausreicht, in Stoßzeiten zwei Bibliothekarinnen oder Bibliothekare dort für Auskünfte einzusetzen; für den First Level Support des IT-S reicht eine Person. Es gibt dort je zwei Doppelbildschirme, sodass die Auskunftssuchenden die Möglichkeit haben, während der Beratung selbst Passwörter eintragen oder Recherchen durchzuführen. Im Hintergrund gibt es je eine Besprechungsnische für ausführlichere Beratungsgespräche. Rechts und links neben der Servicetheke befinden sich auf Stehpulthöhe die Nutzerrechner, um raschen Zugriff auf das Katalogportal sowie die digitalen Dienste der Bibliothek zu ermöglichen.

Abb. 3:  gemeinsame Servicetheke von UB und IT-S (Foto: UB Kassel)
Abb. 3:

gemeinsame Servicetheke von UB und IT-S (Foto: UB Kassel)

Auf den zu zwei Podesten ausgebildeten ehemaligen Treppen wurden die Selbstabholfächer für Vormerkungen und Fernleihen aufgestellt. Umlaufend sind Anleseplätze sowie Selbstverbuchungsgeräte installiert. Zwei Selbstverbuchungsgeräte und ein Katalog-PC sind entsprechend DIN 18040 rollstuhlfahrergerecht unterfahrbar ausgestaltet. Die zentrale Lage der Servicetheke ermöglicht dem Personal, jederzeit Hilfestellungen zu geben.

Aus Kostengründen wurde der ursprünglich eingeplante Buchrückgabeautomat nicht realisiert, sondern ein Buchrückgaberegal. Auf RFID-Technologie beruhend, erfolgt die Rückbuchung automatisch beim Einstellen eines Mediums und die Quittung wird automatisch an die im Ausleihsystem hinterlegte E-Mailadresse verschickt, sobald der Vorgang mittels Drücken des Beendenbuttons von der Nutzerin oder dem Nutzer abgeschlossen ist.

Abb. 4:  Rückgaberegal (Foto: UB Kassel)
Abb. 4:

Rückgaberegal (Foto: UB Kassel)

Sehr viel Wert wurde bei der Sanierung auf Verbesserungen des Schallschutzes gelegt. So wurden schallabsorbierende Akustikdecken ebenso installiert wie dicht schließende Türen zu den Gruppenarbeitsräumen. Die Laufzonen wurden im Eingangsbereich und im mittigen Hochparterrebereich sowie der zentralen Treppe mit Stein belegt, ansonsten mit robustem Kunststoff. Zur Orientierung wurde für Sehbehinderte auf den Böden ein Blindenleitsystem verklebt. Die Buchbereiche sind mit hochwertigem Teppichboden ausgestattet.

Im ersten Bauabschnitt stehen nun elf Gruppenarbeitsräume zur Verfügung. BPP hat speziell für die UB Kassel zwei verschiedene Ausstattungsvarianten entwickelt. In der einen Variante sind an einer mit Netzanschlüssen ausgestatteten Mittelleiste auf jeder Seite drei Tische installiert, die an der Mittelachse verschoben werden können, so dass Einzel- ebenso wie Gruppenarbeit möglich ist.

Abb. 5:  Gruppenarbeitstisch mit beweglichen Elementen (Foto: Paavo Blafield)
Abb. 5:

Gruppenarbeitstisch mit beweglichen Elementen (Foto: Paavo Blafield)

Als Alternative wurde ein Tisch in Amöbenform entwickelt. Auch hier gibt es Netzanschlüsse. Selbstverständlich ist die gesamte Bibliothek mit WiFi ausgestattet, das auch über EDUROAM genutzt werden kann.

Abb. 6:  Gruppenarbeitstisch Amöbe (Foto: Paavo Blafield)
Abb. 6:

Gruppenarbeitstisch Amöbe (Foto: Paavo Blafield)

Akustisch abgeschirmt und weit genug von den abgeschotteten Gruppenarbeitsräumen entfernt befinden sich um den Innenhof 121 Einzelarbeitsplätze. Im Erdgeschoss sind die Einzelarbeitsplätze parallel zu den Fenstern eingerichtet. Die Tische verfügen über Netzanschlüsse und Kensingtonschlösser. Zur Schaffung individueller Arbeitsatmosphäre wurden die Arbeitstische mit Tischleuchten ausgestattet. Außerdem verfügen sie über seitlich angebrachte Akustik- bzw. Sichtschutzpaneele, um sich besser fokussieren und vom Nachbarn abschotten zu können. Im ersten Obergeschoss wurden jeweils Zweiertische im rechten Winkel zur Fensterfront des Innenhofes angeordnet.

Abb. 7:  Einzelarbeitsplätze Erdgeschoss (Foto: Paavo Blafield)
Abb. 7:

Einzelarbeitsplätze Erdgeschoss (Foto: Paavo Blafield)

Im Kernbereich des ersten und zweiten Obergeschosses wurden Loungebereiche eingerichtet. Der Loungebereich ist für etwa 100 Personen ausgestattet. Nach einer offenen Ausschreibung konnten hochwertige Vitra Design-Möbel, u. a. aus den Serien Repos, Alcove und Amoebe, beschafft werden.

Abb. 8:  Loungebereich (Foto: Paavo Blafield)
Abb. 8:

Loungebereich (Foto: Paavo Blafield)

Im zweiten Obergeschoss mit Zugang zur Dach-Leseterrasse wurde ein Zeitungslesebereich eingerichtet, ebenfalls ausgestattet mit Vitra Design-Möbeln.

Abb. 9:  Zeitungslesebereich (Foto: UB Kassel)
Abb. 9:

Zeitungslesebereich (Foto: UB Kassel)

Zur Unterstützung der (digitalen) Gruppenarbeit wurden im ersten Obergeschoss vier so genannte Lerncubes für die Arbeit von vier bis maximal sechs Studierenden eingerichtet. Akustisch abgeschirmt können die Studierenden an einem stirnseitig montierten Monitor ihre Präsentationen oder sonstigen digitalen Arbeiten gemeinsam besprechen und entwickeln.

Abb. 10:  Lerncube (Foto: Paavo Blafield)
Abb. 10:

Lerncube (Foto: Paavo Blafield)

Im ersten Obergeschoss befindet sich die Multimediathek mit 40 PC-Plätzen. Dieser stark genutzte Bereich umfasst ein sehr breites Spektrum technischer Möglichkeiten zur studentischen Arbeit. Links und rechts daneben befinden sich Kopier- und Scanstationen. Durch die Glasfronten, die vom Treppenhaus und von vom ersten Obergeschoss gut einsehbar sind, sind freie Plätze, Kopierer und Scanner leicht zu finden.

Neben einem erstmals eingerichteten Eltern-Kind-Raum verfügt die Bibliothek nun auch über einen neu eingerichteten Raum für die Versorgung von Blinden und Sehgeschädigten sowie ein Behindertencarrel für assistenzbedürftige Personen bzw. Rollstuhlfahrer.

Eine der Grundideen der neuen Bibliothek ist, dass sie von Ebene zu Ebene leiser wird. Von daher war es logisch, die neuen 24 Einzelarbeitsräume (Carrels) im zweiten Obergeschoss anzusiedeln. Die Carrels werden für Master- und Doktorarbeiten befristet und kostenfrei vergeben. Berechtigte erhalten den Zugang über ihre CampusCard freigeschaltet, so dass die Bibliothek auch die Möglichkeit hat, im Bedarfsfall die Nutzungsfrequenz festzustellen.

Abb. 11:  Carrel (Foto: Paavo Blafield)
Abb. 11:

Carrel (Foto: Paavo Blafield)

5 Erste Bewertung

Bereits seit dem ersten Eröffnungstag wird die Bibliothek außerordentlich gut angenommen. Offenbar werden die verschiedenen Arbeitsmöglichkeiten sehr geschätzt. Auch das im November 2016 eröffnete Selbstlernzentrum der Universität (LEO), wenige hundert Meter entfernt, das von Studentenwerk und Servicecenter Lehre der Universität betrieben und ebenfalls gut angenommen wird, stellt keine Konkurrenz dar.

Die neue, robuste Bestuhlung mit Vitra Tip Ton, ein Stuhl der teppichschonend auf Kufen steht, und der verschiedene gute bequeme, ergonomische Sitzpositionen unterstützt, erfreut sich großer Beliebtheit.

Die Orientierung im Gebäude fällt den meisten Nutzerinnen und Nutzern wesentlich leichter als zuvor. Das farbig gestaltete Leitsystem, dem je Ebene eine bestimmte Farbe zugeordnet ist, und die Schriftbänder, die die einzelnen Bereiche nochmals mit Piktogrammen und textlicher Kennzeichnung verdeutlichen, haben sich bewährt. Die hohe Qualität der Inneneinrichtung mit ihrer positiven Ausstrahlung führen zu sensiblem, rücksichtsvollem Umgang mit allen Gegenständen und der Nutzerinnen und Nutzer miteinander. Es ist deutlich zu spüren, dass die Studierenden ihren Lernort schätzen und auf dem hohen Niveau erhalten wollen.

6 Ausblick

Auch die weiteren Bauabschnitte verzögern sich, weil bereits im zweiten Bauabschnitt ein mehrmonatiger Baustillstand eingetreten ist. Hintergrund ist, dass während des ersten Bauabschnitts diverse weitere Mängel am Gebäude festgestellt wurden. Hier musste über einen langwierigen Klärungsprozess zwischen Universität und Finanzministerium abgestimmt werden, was aus Mitteln des Bauunterhaltes oder zwingend aus Landesmitteln zu finanzieren ist. Es ist damit zu rechnen, dass der zweite Bauabschnitt im Frühjahr 2019 bezogen werden kann. Dann werden auch fast alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter endgültig untergebracht sein. Erstmals in der Geschichte der Universitätsbibliothek Kassel werden die Mitarbeiterräume von den Nutzungsbereichen getrennt sein. Der dritte Bauabschnitt wird aller Voraussicht nach im Sommer 2020 der Öffentlichkeit übergeben werden können.

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Axel Halle

Dr. Axel Halle

Published Online: 2018-4-4
Published in Print: 2018-4-25

© 2018 by De Gruyter

Downloaded on 6.12.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/abitech-2018-0007/html
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