In Berufungsverhandlungen an Universitäten spielen immer wieder auch wissenschaftliche Zeitschriften eine Rolle. Von der Besoldung bis zur Personalausstattung kommen alle Wünsche der Kandidatinnen und Kandidaten auf den Tisch, darunter auch Forderungen nach der Lizenzierung von Zeitschriften und Datenbanken. Eine Auswertung der jeweils bevorzugten Titel im Vorfeld einer solchen Verhandlung zeigt immer wieder, wie bereitwillig sich Forschende in den Dienst der Wertschöpfungskette der Verlage stellen. Zwar sind immer öfter Open-Access-Zeitschriften unter den Titeln, in denen publiziert wurde, meist aber sind es klassische Subskriptionszeitschriften aus großen Verlagen. Die Anforderungen an die Wertschöpfungsketten dieser Verlage werden an vielen Stellen von den Forschenden bestimmt: Sie reichen Publikationen ein, sie sind zwischengeschaltet, wenn sie Texte editieren und reviewen, und sie nehmen am Ende der Wertkette auch Einfluss darauf, welche Titel von der Bibliothek abonniert werden. Damit ist die Wertschöpfungskette großer internationaler Verlage zugleich hoch effektiv und effizient, denn sie wird an allen Stellen von den Forschenden in Gang gehalten. Die Reputationsmaschine Wissenschaftsverlag läuft wie geölt.
So ist es kein Wunder, dass der Rating-Trend etwa der RELX-Group, Mutter der Reed Elsevier AG, auch in Krisenzeiten auf Kaufen steht. Seit 2019 gehört die RELX-Group dem europäischen Top-Index Stoxx Europe 50 an, einem der führenden Börsenbarometer Europas. Sie emittierte aber unlängst auch Unternehmensanleihen im Umfang von 2 Milliarden Euro. Sogar institutionelle Anleger wie die Bundesländer Niedersachsen und Hessen verlassen sich auf diese Anleihen, weil sie immer auf der Suche nach möglichst sicheren Unternehmensanleihen sind.
Wissenschaft hat also einen hohen Wert, noch dazu, wenn sie selbst dazu beiträgt, die Wertschöpfungskette mitzugestalten. Sie sichert einen wichtigen Teil des Erfolgs von Medien- und Analytics-Unternehmen. Die RELX-Group versetzte sie im vergangenen Jahr in die Lage, 375 Millionen Dollar für den Kauf von ID Analytics aufzubringen, weil RELX bessere Kreditbewertungen für seine am schnellsten wachsende Risikosparte erstellen möchte.
Vor diesem Hintergrund nehmen sich Subskriptionsverträge eher wie Peanuts aus. Es ist daher gut nachvollziehbar, dass etwa Elsevier den konfrontativen Ansatz der letzten Jahre aufgeben möchte. Auch Bibliotheken sollten sich überlegen, ob alte Konflikte noch von Bedeutung sind. Einerseits ist es ihnen gelungen, jahrelang ohne die teuren Zeitschriftenabonnements auszukommen, ohne dass die Wissenschaft einen spürbaren Schaden erlitten hätte. Andererseits sind sie es aber auch, die zur Analytics-Wertschöpfung von Medienunternehmen beitragen, indem sie die Hochschulangehörigen vermittels ihrer Lizenzabschlüsse auf die Verlagsserver leiten. Es scheint auch ohne zu gehen, und das dürfte die wichtigste Erkenntnis der letzten Jahre sein: Bibliotheken können nun ihren Fokus anders ausrichten. Der Rating-Trend von Analytics-Unternehmen wird auch weiterhin auf „Kaufen“ stehen, und sogar die Länder, die die Trägerschaft für die wissenschaftlichen Bibliotheken haben, kaufen gern die verlässlichen Unternehmensanleihen großer Medienkonzerne. Bibliotheken haben verstanden, dass der Forschungsbetrieb mittlerweile noch abhängiger von den Datendiensten als von den Publikationsangeboten geworden sein könnte. Das könnte auch dazu beitragen, dass Bibliotheken sich ihres eigenen Einflusses auf die Wertschöpfungskette bewusst werden und befreit von der konfliktbehafteten Stimmung der letzten Jahre ihren Gestaltungsspielraum konstruktiv nutzen. Denn Bibliotheken sind mehr als passive Durchleiter zu Verlagswebsites, durch ihre aktiven Entscheidungen halten sie Wertschöpfungsketten in Gang.

Konstanze Söllner
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