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BY 4.0 license Open Access Published by De Gruyter November 9, 2022

Die „neue“ Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek als Dritter Ort: Konzeptionelle Überlegungen und Umbauplanungen

The “New” Schleswig-Holstein State Library as a Third Place: Conceptual Considerations and Reconstruction Plans
  • Martin Lätzel

    Direktor

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    and Sonja Grund

    Leiterin des Bibliotheksdezernates

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From the journal ABI Technik

Zusammenfassung

Die Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek ist in einem historischen Speicher am Hafen in Kiel zur Miete untergebracht. Das Bemühen der Eigentümer, dieses Haus stärker gegenüber der Stadt zu öffnen, traf auf einen Moment, da die Landesbibliothek sich ebenfalls stärker dem Thema Vermittlung und Bildung widmen will. Gemeinsam wird nun eine Neugestaltung geplant. Die Eigentümer kümmern sich um den Baubestand, die Landesbibliothek wird spezifische Einbauten beauftragen, um das Konzept eines Dritten Orts und die Vermittlung der Digitalität erfüllen zu können.

Abstract

The Schleswig-Holstein State Library is housed for rent in a historic warehouse on the harbor in Kiel. The owners’ efforts to open up this building more to the city currently coincide with the state library also wanting to devote more attention to outreach and education. A redesign is now being planned, where the owners will take care of the building stock and the state library will commission specific fixtures to fulfill the concept of a third place and the communication of digitality.

1 Einleitung

Die konkreten gemeinsamen Umbauplanungen der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek (SHLB) und des Eigentümers der Immobilie begannen im Mai 2019. Dabei trafen mehrere Interessen aufeinander. Der Eigentümer des Gebäudes, in dem die SHLB seit 2003 untergebracht ist, war daran interessiert, das Haus im Zuge einer notwendigen Modernisierung deutlicher zu öffnen und zugänglicher zu machen. Indiziert war vonseiten des Landes die inhaltliche Neuaufstellung der Landesbibliothek, die eine zu den Wünschen der Eigentümer passende Chance darstellte, die Räume der Landesbibliothek für die Erfüllung der Aufgaben einer modernen Bibliothek neu zu gestalten.

Die Planungen nahmen einen Impuls auf, der sich bereits vier Jahre zuvor im Digitalisierungsprogramm der Landesregierung Schleswig-Holstein findet und der im Kern die Empfehlungen des Deutschen Bibliotheksverbands für wissenschaftliche Bibliotheken als Akteure des Informations- und Wissenstransfers in der digitalen Welt von 2018[1] widerspiegelt. Die neue Landesbibliothek sollte zukünftig „ein zentraler Digitaler Knotenpunkt des Landes“ werden und so

die regionalen Digitalen Knotenpunkte sinnvoll ergänzen. […] Die Landesbibliothek soll strukturell den Erfordernissen der digitalen Gesellschaft Rechnung tragen und das digitale Angebot ausgebaut werden. Die neue Landesbibliothek legt einen Schwerpunkt auf Digitalität und wird als Zentrum für Digitalisierung und Kultur unterschiedliche Aufgaben im Sinne der kulturellen Vermittlung und der digitalen Entwicklung in der kulturellen Infrastruktur des Landes Schleswig-Holstein wahrnehmen. Sie wird ein Ort, in dem Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf die Kultur und die Zivilisation erfahrbar werden. […] Das Zentrum für Digitalisierung und Kultur trägt als kulturelle Einrichtung zu einer wechselseitigen Befruchtung der Bereiche Kultur, Wissenschaft und Bildung bei. Es ermöglicht eine umfassende Auseinandersetzung mit der Digitalisierung und den Künsten bzw. der kulturellen Infrastruktur. Die Ergebnisse des Digitalen Masterplan Kultur werden von dort aus umgesetzt. Die Landesbibliothek, das Zentrum für Digitalisierung und Kultur wird mitsamt dem digitalen Haus der Landesgeschichte zu einem Lernort der Zukunft, ein neuer und innovativer Ort für Schleswig-Holstein, der authentisch Tradition und digitale Zukunft im Kulturbereich publikumswirksam und fundiert vermittelt.[2]

Abb. 1: Die Lage der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek an der Kieler Förde (Grafik: includi by aatvos)
Abb. 1:

Die Lage der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek an der Kieler Förde (Grafik: includi by aatvos)

Der genaue Ort war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestimmt. Klar war jedoch, dass die Digitalität eine deutlich größere Rolle im Raum spielen sollte. Eine Nutzwertanalyse, die gemeinsam mit dem Finanzministerium entstand, ergab, dass diese Neugestaltung im Mietbestand die günstigste Lösung für das Land darstellt, um die Landesbibliothek zukunftsfähig weiterzuführen. Dem Wunsch der Eigentümer für eine Öffnung der Immobilie entsprach die allgemeine Entwicklung in der Bibliothekslandschaft, Dritte Orte zu schaffen. So konnte man den Weg gemeinsam angehen. Der im Mai 2022 abgeschlossene Koalitionsvertrag der Landesregierung in Schleswig-Holstein beschrieb deswegen eine Transformation der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek:

Der digitale Wandel ist ein gesellschaftlicher und kultureller Transformationsprozess, den das Land für die Kultureinrichtungen über das Zentrum für Digitalisierung und Kultur (ZDK) in der Landesbibliothek gestaltet und fördert. […] Die Weiterentwicklung der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek zu einem Dritten Ort, insbesondere als Zentrum für Digitalisierung und Kultur, hat für uns herausragende Bedeutung.[3]

Dies ist Grundlage sämtlicher Entwicklungen, konzeptioneller Überlegungen und baulicher Planungen, die seitdem die Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek beschäftigen und im Folgenden skizziert werden. Bei Erscheinen dieses Beitrags steht der Beginn der konkreten Baumaßnahmen noch bevor, so dass hier vor allem die konzeptionellen Vorüberlegungen und der Planungsprozess behandelt werden sollen.

2 Konzeptionelle Vorüberlegungen – Warum die Landesbibliothek als Dritter Ort?

Es gibt in der Gesellschaft Verunsicherungen und Zukunftsängste, die eng mit der Globalisierung und der Digitalisierung zusammenhängen. Erfahrungen mit Pandemie, Inflation, Krieg in Europa haben diese Verunsicherungen noch verstärkt. Hinzu kommen Polarisierungen, die insbesondere durch die Sozialen Netzwerke, durch sog. Clickbaiting und durch Framing verstärkt werden. Die sinnvolle Weiterentwicklung des digitalen Wandels und die Arbeit an sozialen Friktionen brauchen notwendigerweise Stabilität und Vertrauen; das gelingt durch die Einbettung in die Tradition und das kulturelle Erbe. Digitalisierung braucht Räume zum Ausprobieren, sie braucht Erfahrungen und Erlebnisse, um Vertrauen zu generieren. Darüber hinaus bedarf es öffentlicher Räume für den kritischen Diskurs und die Vermittlung von Wissen und Information. Bibliotheken spielen in diesem Prozess eine herausragende Rolle. Das erkennt auch der Bibliotheksentwicklungsplan des Landes Schleswig-Holstein an:

Neben der Nutzung digitaler Angebote wächst die Bedeutung der Bibliothek als physischer Ort. Sowohl Wissenschaftliche als auch Öffentliche Bibliotheken werden zunehmend als attraktive Arbeits-, Lern- und Aufenthaltsorte wahrgenommen. Bibliotheken sind niedrigschwellige Angebote, in denen kein Konsumzwang besteht. Somit können sie als sogenannte „Dritte Orte“ fungieren. […] Bibliotheken entwickeln sich zu Lernorten, die den unterschiedlichsten Interessen dienen. Sie werden zu Orten der Kommunikation und bieten den Bürgerinnen und Bürgern Raum, Medien, Techniken sowie die Freiheit, diese nach ihren persönlichen Wünschen und Bedürfnissen zu nutzen. Bibliotheken verschaffen eine hohe Aufenthaltsqualität als Lern- und Begegnungsort und sorgen für erforderliche Arbeitsmittel, Räume sowie Fachberatung.[4]

Bereits bei der Gründung der Landesbibliothek 1895 sahen die Grundsätze für die Verwaltung der Provinzial-Bibliothek[5] vor, dass Schrifttum rund um Schleswig-Holstein, zur Landeskunde, aber auch zur Belletristik, gesammelt wurde, ebenso Karten und Bilder, und dass darüber ein Katalog zu erstellen sei. Diese Idee wird im aktuellen Bibliotheksgesetz fortgeschrieben. Demnach hat die Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek

als wissenschaftliche Regionalbibliothek die Aufgabe, Medienwerke sowie weiteres Kulturgut mit Bezug zur Geschichte und Landeskunde des Landes Schleswig-Holstein und seiner Nachbargebiete, insbesondere Dänemarks, zu sammeln, zu archivieren, zu erschließen, nachhaltig zu erhalten, bibliographisch nachzuweisen, wissenschaftlich aufzuarbeiten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sie soll durch eigene Maßnahmen die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Landes Schleswig-Holstein fördern und zentral die digitale Transformation im Kulturbereich unterstützen. Dabei kann sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben eigene Forschungsvorhaben durchführen oder sich an anderen Forschungsvorhaben beteiligen.[6]

Gemeinsam mit anderen Gedächtniseinrichtungen wie z. B. den Landesmuseen Schloss Gottorf oder dem Landesarchiv ist die Landesbibliothek damit ein zentraler Archivort für das kulturelle Erbe in Schleswig-Holstein.

Hinter dem Raumkonzept eines Dritten Ortes steht grundsätzlich die Strategie der Öffnung und die Hinwendung zu einer breiten gesellschaftlichen Teilhabe, die bisher vor allem in Öffentlichen Bibliotheken umgesetzt wird.[7] Der konzeptionelle Unterschied des Dritten Ortes an einer Landesbibliothek besteht dabei sowohl im Hinblick auf Raum- oder Vermittlungskonzepte und – als Besonderheit – in Bezug auf die Inhalte, die vermittelt und für die Gesellschaft erfahrbar gemacht werden sollen. Diese Inhalte sind in der Landesbibliothek aufgrund ihrer ursprünglichen Rolle als wissenschaftlicher Spezialbibliothek und Pflichtexemplarbibliothek für Schleswig-Holstein naturgemäß und im Unterschied zu den Öffentlichen Bibliotheken fokussiert auf die Landeskunde und Regionalgeschichte Schleswig-Holsteins,[8] neuerdings aber auch auf die Kompetenzbildung im Verhältnis von Digitalisierung und kultureller Infrastruktur. Die Landesbibliothek wird sich deswegen als Teil der allgemeinen kulturellen Infrastruktur verstehen und, folgt man der Klassifikation Urs Birsigs, in eine Art „Orientierungszentrum“ für Wissen und Information verwandeln:

Ihr Schwerpunkt […] ist das traditionelle Buch. Sie sehen sich ähnlich wie Museen, Theater und Konzertsäle vor allem als Teil der kulturellen Infrastruktur, aber auch als Zentren für die Geistes- und Kulturwissenschaften sowie als Wohlfühloasen für die Wissensarbeitenden.[9]

Ist es denn Aufgabe einer Landeseinrichtung, einen Dritten Ort zu schaffen? In einer Art Relecture seiner These vom Strukturwandel der Öffentlichkeit und damit verbundenen Kommunikationsformen, schreibt Jürgen Habermas 2021 von der Notwendigkeit, die öffentlichen Meinungen zu kuratieren, die vorhandenen Informationen, Meinungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse zu managen sowie die Meinungsbildung nicht den digitalen Plattformen zu überlassen.

Ein demokratisches System nimmt im Ganzen Schaden, wenn die Infrastruktur der Öffentlichkeit die Aufmerksamkeit der Bürger nicht mehr auf die relevanten und entscheidungsbedürftigen Themen lenken und die Ausbildung konkurrierender öffentlicher und das heißt: qualitativ gefilterter Meinungen nicht mehr gewährleisten kann.[10]

Bibliotheken spielen in diesem Prozess eine herausragende Rolle.

Insbesondere anhand der umfangreichen historischen, zum großen Teil unikalen Bestände kann die Landesbibliothek die Landesgeschichte illustrieren und für die breite Öffentlichkeit zugänglich machen – somit identitätsstiftend und aufklärerisch wirken. Zusätzlich schafft die Verortung des Kompetenzzentrums für Digitalisierung und Kultur eine weitere Verbindung, nämlich die zur Diskussion und Erfahrbarkeit des technischen Fortschritts. Damit entsteht ein integrierter Raum des Informations- und Wissensmanagements von Gegenwart und Zukunft in der digitalen Transformation. Zu einer der grundlegenden Aufgaben des Zentrums für Digitalisierung und Kultur gehört es, aktuelle Entwicklungen in Kultur und Gesellschaft im Rahmen der digitalen Transformation zu erkennen, aufzugreifen und zu verfolgen. Das Zentrum für Digitalisierung ist Serviceeinrichtung für die kulturelle Infrastruktur des Landes und bietet Raum für digitale Innovationen und macht als zentraler digitaler Knotenpunkt des Landes nicht nur Digitalisierung als Prozess oder Methode, sondern Digitalität als Haltung erfahrbar. Mit diesem expliziten Auftrag, kulturelles Erbe und Digitalität als Haltung gleichberechtigt nebeneinander zu vermitteln, versucht die Landesbibliothek einen neuen Weg zu beschreiten. Methoden und Prozesse der Digitalisierung werden dabei produktiv für die Vermittlung des kulturellen Erbes durch ein eigenes virtuelles Angebot wie z. B. das Digitale Haus der Landesgeschichte genutzt, so dass sich, wie Thomas Stäcker es formuliert, ein stetiger Wissenstransfer zwischen dem kulturellen Erbe und dessen Rezipienten ergeben kann:

Die Bibliothek wird in diesem Prozess zur Plattform und zum Moderator eines gleichermaßen von Nutzern bestimmten Prozesses der Aneignung und Darstellung der Vergangenheit. Die Objekte der Vergangenheit werden erfahrbar und sozusagen anfassbar, sie verlassen den Schrein oder den Tresor von Fort Knox und werden in digitaler Form zu Signifikanten einer sich formierenden Gemeinschaft, die Dokumente transkribiert, neu ordnet, Zusammenhänge kenntlich macht oder das Vergangene mit eigenen Dokumenten und Daten anreichert und erklärt. (…) Die Landesbibliothek schafft so für ihre lokal verankerte Zielgruppe den virtuellen Raum, in dem sich das Wissen um die Vergangenheit gestaltet. Dabei geht es nicht um die Erzeugung von lediglich Nostalgie, sondern um einen Prozess des Lernens und Erfahrens. Ziel bleibt die Vermittlung von Wissen, das aus dem kulturellen Erbe geschöpft wird und das hier im digitalen Raum produktiv in das kulturelle Erbe zurückfließt.[11]

Zusätzlich schafft die Verortung des Zentrums für Digitalisierung und Kultur eine weitere Verbindung, nämlich die zur Diskussion und Erfahrbarkeit des technischen Fortschritts. Damit entsteht ein integrierter Raum des Informations- und Wissensmanagements von Gegenwart und Zukunft in der digitalen Transformation. Diese fundierte inhaltliche Grundlage bietet die Basis für einen Raum, der – weil er die zentralen Fragestellungen unserer Zeit repräsentiert – als ein demokratischer Begegnungsort für die notwendigen gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse gestaltet werden kann. „Es braucht“, so der Dramaturg und Publizist Bernd Stegemann, „den vorpolitischen, öffentlichen Raum, in dem Werte und Meinungen durch wechselseitige Begegnungen gebildet werden, um zu demokratischen Entscheidungen zu kommen. Vor allem wenn es um Entwicklungen geht, die den Horizont des aktuell Denkbaren überschreiten, ist eine breite und ergebnisoffene Verständigung notwendig. Denn erst wenn ausreichend viele Menschen ihre Meinung bilden konnten, sind Entscheidungen, die den bisher gültigen Rahmen in Frage stellen, überhaupt möglich.“[12]

Abb. 2: Ein Haus mit mehreren Ebenen inklusive digitalem Motherboard (Bild: includi by aatvos)
Abb. 2:

Ein Haus mit mehreren Ebenen inklusive digitalem Motherboard (Bild: includi by aatvos)

Sollte es überhaupt Aufgabe einer öffentlichen (bzw. behördlichen) Institution sein, den gesellschaftlichen Diskurs zu organisieren? Folgt man den Überlegungen, die Jürgen Habermas formuliert hat, so muss dieser Auftrag dezidiert im Interesse der Öffentlichkeit liegen, denn

ohne einen geeigneten Kontext finden die für eine demokratische Legitimation der Herrschaft wesentlichen Voraussetzungen deliberativer Politik keinen Halt [mehr, M.L.] in einer Bevölkerung, von der doch ‚alle Gewalt ausgehen‘ soll. Regierungshandeln, Grundsatzurteile der Obergerichte, parlamentarische Gesetzgebung, Parteienkonkurrenz und freie politische Wahlen müssen auf eine aktive Bürgergesellschaft treffen, weil die politische Öffentlichkeit in einer Zivilgesellschaft wurzelt, die – als der Resonanzboden für die reparaturbedürftigen Störungen wichtiger Funktionssysteme – die kommunikativen Verbindungen zwischen der Politik und deren gesellschaftlichen ‚Umwelten‘ herstellt. Die Zivilgesellschaft kann […] für die Politik nur dann die Rolle einer Art von Frühwarnsystem übernehmen, wenn sie die Akteure hervorbringt, die in der Öffentlichkeit für die relevanten Themen der Bürger Aufmerksamkeit organisieren.[13]

Ein Dritter Ort an einer Landesbibliothek (als Regierungsbehörde) kann solch eine Art von „Plattform“ im „vorpolitischen Raum“ zur Aktivierung der Bürgergesellschaft bieten, weil diese sich auf eine Substanz (im Falle der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek) von Geschichte, Kultur und Tradition stützt. Der Radius der möglichen Nutzerinnen und Nutzer muss in diesem Prozess notwendigerweise erweitert werden – über das Kernpublikum wissenschaftlicher Bibliotheken hinaus.

Die Landesbibliothek in ihrer traditionellen Funktion als Archiv des kulturellen Erbes um ein Zentrum für digitalen Wandel zu ergänzen und beides – Vergangenheit und Zukunft – räumlich in einen Dritten Ort einzubetten, um so einen niedrigschwelligen, gesamtgesellschaftlichen Zugang und Diskurs zu ermöglichen, bedient in diesem Sinne auf vortreffliche Weise den politischen Wunsch, die Tradition und die Kultur der Digitalität Seite an Seite an einem demokratischen Begegnungsort zu vermitteln. Sind auch alle genannten Elemente für sich weithin im öffentlichen Raum bekannt und erprobt, so ist deren Zusammenführung an einem Ort doch neu und spiegelt sich in der bereits umgesetzten strukturellen Neuordnung der Einrichtung wider. Das Konzept, eine wissenschaftliche Bibliothek zu einem Dritten Ort umzugestalten, schlägt gleichzeitig eine Brücke zwischen den wissenschaftlichen und den öffentlichen Bibliotheken und schafft so ein zusätzlich verbindendes Element für die Kultur- und Wissenschaftslandschaft in Schleswig-Holstein und damit den idealen Nährboden für Projekte und Initiativen im Bereich der Citizen Science.

3 Der geplante Umbau

3.1 Gebäude und Standort

Der Sartori & Berger-Speicher ist eines der wenigen erhaltenen denkmalgeschützten Häuser in der Kieler Innenstadt, ein Getreide- und Warenspeicher aus dem Jahr 1925, errichtet in einer stilistischen Mischung aus sog. Heimatschutz-Architektur und Bauhausstil. Das Gebäude ist auf der Ostseite vom nahen Hafenkai, auf der Westseite durch eine mehrspurige Straße begrenzt. Sein Eingang liegt gut einen Meter unter dem Niveau der dazu gehörenden Bürgersteige.

Zentrumsnah, aber doch jenseits der üblichen Laufwege in einem Gebiet zwischen Hafen, Rotlichtviertel und Förde gelegen, mit freiem Blick auf das Wasser und die ein- und auslaufenden Schiffe, ist am Standort der Landesbibliothek vieles, was das Land Schleswig-Holstein als maritimes, liberales Transitland zwischen den Meeren ausmacht, erfahrbar, und dieser ist somit prädestiniert, Tradition und Zukunft zu vermitteln.

Zu Beginn der 2000er umgebaut als Bürogebäude, beherbergt der alte Hafenspeicher nun die Büros der Eigentümerfirma, das Landesamt für Denkmalpflege und über die drei unteren Etagen die Landesbibliothek. Der öffentliche Bibliotheksbereich sowie das geschlossene Hauptmagazin befinden sich in der zweiten Etage, während die Büroräume der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ein klimatisiertes Handschriftenmagazin sowie je ein Volkskunde- und Rara-Magazin in der ersten Etage untergebracht sind. Im leicht zugänglichen Erdgeschoss befindet sich eine weitgehend vom Bibliotheksbereich abgeschottete Freifläche, deren Potential durch die Nutzung als Ausstellungs- und Veranstaltungsraum und Lagerort für große Teile der Landesgeschichtlichen Sammlung bislang nicht optimal ausgeschöpft werden konnte.

Abb. 3: Öffnung zur Stadt (Bild: includi by aatvos)
Abb. 3:

Öffnung zur Stadt (Bild: includi by aatvos)

3.2 Die Vorüberlegungen – Designworkshop mit Aat Vos

In einem beteiligungsorientierten Prozess mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Vertreterinnen und Vertretern von Stakeholdern haben die Eigentümer gemeinsam mit der Landesbibliothek im Juni 2019 einen Designworkshop durchgeführt, im Rahmen dessen in mehreren Phasen Ideen für die Neugestaltung gesammelt wurden. Durchgeführt wurde der Workshop durch das niederländische Büro Includi Aat Vos, das programmatisch bereits zahlreiche Bibliotheken insbesondere in Skandinavien und in den Niederlanden zu Dritten Orten umgestaltet hat. Erkenntnisleitend für den Beitrag der Landesbibliothek als Mieterin waren die notwendigen Funktionalitäten des Betriebes, die Zugänglichkeit und dabei insbesondere die Verbesserung der Barrierefreiheit, Möglichkeiten der Vermittlung historischer oder digitaler Themen sowie die optische Gestaltung, die ein hohes Maß an Aufenthaltsqualität auch für Fachfremde ermöglichen sollte. Insbesondere wurden auch die Lage und das Umfeld des Gebäudes dergestalt analysiert, ob eine „Öffnung“ zur Stadt überhaupt möglich erschien. Erste gemeinsame Überlegungen wurden mit Studierenden der Christian-Albrechts-Universität, der Fachhochschule Kiel, Schülerinnen und Schülern, der Landesverwaltung und möglichen weiteren Nutzerinnen und Nutzern diskutiert. Dabei stand neben den funktionalen Anforderungen und der beabsichtigten Öffnung im Vordergrund, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie bisherige und potentiell zukünftige Besucherinnen und Besucher nach ihren Erwartungen und Vorlieben an einen öffentlichen Raum mit „Wohlfühlatmosphäre“ zu befragen. Gleichzeitig wurde versucht, die schleswig-holsteinische „Identität“ bzw. „Mentalität“ mit Hilfe von Farbskalen, Materialarten und Designvorlagen zu charakterisieren, um so ein Raum- und Ausstattungskonzept zu erschaffen, das sowohl der „Zuhause“-Atmosphäre des Dritten Ortes entspricht und gleichzeitig die Themen übermittelt, für die das Haus steht.

Abb. 4: Projektionen (Bild: includi by aatvos)
Abb. 4:

Projektionen (Bild: includi by aatvos)

Besuchende der Landesbibliothek hatten schließlich die Möglichkeit, sich über die im Lesesaal ausgestellten Pläne zu informieren und diese auch zu kommentieren. Eine interne Arbeitsgruppe erarbeitete Ideen und Bedarfe für die Aufteilung und Gestaltung der Büroräume, eine weitere kümmerte sich um die zukünftige Aufstellung des Medienbestandes. Das Ergebnis der Rückkoppelungen und der gemeinsamen Überlegungen ist ein sogenanntes „Lookbook“, eine Übersicht sämtlicher Planungen, die eine neue Erschließung (Öffnung und Barrierefreiheit), Ideen für das Interieur, für die Beleuchtung, für die Gestaltung der Räume und vor allem für deren Zugänglichkeit umfassen.

3.3 Die Entwürfe

Im Grundsatz sieht der Umbau vor, die Landesbibliothek in drei funktionale Bereiche zu untergliedern, die aber transparent miteinander verbunden sein werden. Das Erdgeschoss soll einen neuen, der Stadt zugewandten Eingang erhalten, und die bisher verschlossenen Schotten sollen geöffnet werden, um mehr Tageslicht in den Speicher und die identitätsstiftende maritime Umgebung in das Gebäude zu integrieren. Die bisherige Freifläche soll zu einem multifunktionalem Begegnungs-, Bildungs-, Ausstellungs- und Lernort umgestaltet werden, dessen Zentrum das sogenannte „Face“ bilden soll. Fassadenartig werden hier hinter Glas Teile des wertvollen Altbestands sowie der Herrenhausbibliotheken der Öffentlichkeit präsentiert: Hier wird das kulturelle Erbe im physischen Raum sinnlich erlebbar.

Abb. 5: Arbeitsflächen (Bild: includi by aatvos)
Abb. 5:

Arbeitsflächen (Bild: includi by aatvos)

Dem gegenübergestellt wird die Erfahrung des kulturellen Erbes im virtuellen Raum. Eine mehr als zehn Meter lange Projektionsfläche, die gleichzeitig einen luziden, begehbaren Magazinbereich für die Landesgeschichtliche Sammlung abtrennt, bietet zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten für die digitale Geschichtsvermittlung. Sie kann für virtuelle Ausstellungen, Workshops und Live Events, für Forschung und Kommunikation sowie für die Erzeugung virtueller, vergangener Welten, in denen sich Besucherinnen und Besucher bewegen können, genutzt werden.

Die Besonderheit eines Dritten Ortes an einer wissenschaftlichen Bibliothek ist, dass es zur Benutzung von historischem und unikalem, wie z. B. handschriftlichem Bestand, auch einen geschützten Raum im Sinne eines klassischen Forschungslesesaals geben muss, der im Gegensatz zu dem offenen Raumkonzept eines Dritten Ortes abgeschlossen und überwachbar sein muss. Daher werden die Magazinflächen im ersten Obergeschoss weitgehend erhalten bzw. so verlegt, dass ein Forschungslesesaal für die (nicht nur) wissenschaftliche Beschäftigung mit wertvollen, insbesondere handschriftlichen Materialien entsteht. Auf der übrigen Fläche werden Arbeitsplätze für unterschiedliche Bedarfe wie Still- und Gruppenarbeit angesiedelt, die u. a. mit entsprechender digitaler Technik wie Whiteboards, Videokonferenzanlage etc. ausgestattet sein werden. Außerdem wird ein Info-Point eingerichtet, an dem bibliothekarische Services angeboten und Fragen zur Benutzung, Recherche und zum wissenschaftlichen Arbeiten beantwortet werden.

Die bisher auf verschiedene Geschosse verteilten Arbeitsplätze für die Beschäftigten sollen überwiegend in das zweite Obergeschoss verlegt werden, um eine bereichsübergreifende Verzahnung von Prozessen und Arbeitsabläufen zu ermöglichen. Dabei wird dem Anspruch auf eine moderne und möglichst flexible und individuellen Vorlieben genügende Arbeitsumgebung Rechnung getragen, und es werden neben „klassischen“ Büroflächen und Funktionsarbeitsplätzen auch mobile Arbeitsplätze z. B. für Projektmitarbeiterinnen und –mitarbeiter geschaffen.

Die Eigentümer werden einen Teil der bisherigen Fläche der Landesbibliothek übernehmen, da zu ihrem Öffnungskonzept auch eine Restauration gehört. Für den straßenseitigen Haupteingang zum Gebäude streben die Eigentümer einen vollumfänglichen barrierefreien Zugang zum Gebäude an, der aktuell aufgrund von Niveauunterschieden und Kopfsteinpflaster im Bereich der Zufahrtswege noch nicht gegeben und über dessen konkrete Ausführung zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht final entschieden ist. Im Inneren des Gebäudes sind alle öffentlichen Bereiche mit Hilfe verschiedener Aufzüge barrierefrei zu erreichen.

4 Status Quo

Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels haben die Vermieter die Federführung für die Umbauplanungen, das Land als Mieter für die bibliotheks- und sammlungsspezifischen Ein- und Umbauten samt dazugehörendem Ausschreibungsverfahren. Die Prozesse sollen synchron koordiniert werden. Die Eigentümer haben für den Umbauprozess ebenfalls Aat Vos beauftragt, sodass eine Kontinuität bei der Planung gegeben ist.

About the authors

Prof. Dr. Martin Lätzel

Direktor

Dr. Sonja Grund

Leiterin des Bibliotheksdezernates

Published Online: 2022-11-09
Published in Print: 2022-11-08

© 2022 den Autorinnen und dem Autor, publiziert von De Gruyter.

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 29.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/abitech-2022-0049/html
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