Zusammenfassung:
Seit Juni 2012 besitzt Schleswig-Holstein ein Konzept zur Erhaltung des kulturellen Erbes des Landes für die nächsten zehn bzw. 50 Jahre. Das kulturelle Erbe Schleswig-Holsteins ist mangels ausreichender finanzieller Ausstattung mit Personal- und Sachmitteln nach einer im Jahr 2011 durchgeführten Umfrage in Archiven und Bibliotheken des Landes schwerwiegend in seinem Erhalt bedroht. Auf der Grundlage der Schadensermittlungen wurde daher ein Mengen- und Maßnahmengerüst in den Handlungsfeldern Prävention, Originalerhaltung und Informationssicherung erstellt. Die Kostenkalkulation für die Jahre 2013–2022 ergibt einen jährlichen Mindestbedarf von rund 2,62 Mio. €, die Hochrechnung auf 50 Jahre einen Gesamtbedarf von rund 128,7 Mio. €. Der Beitrag berichtet über die Entstehung des Konzepts und die Tätigkeit der eigens hierfür zusammenberufenen Arbeitsgruppe. Anschließend werden kurz die wichtigsten Erkenntnisse und Ergebnisse vorgestellt und schließlich die ersten seitdem erfolgten Schritte bei der Umsetzung geschildert.
Abstract:
Since June 2012 the Federal Land of Schleswig-Holstein has had a concept for the preservation of its cultural heritage due to last for the next 10 to 50 years. A survey conducted in libraries and archives in 2011 showed that the preservation of the cultural heritage in Schleswig-Holstein was very much at risk because of insufficient financial and human resources. After a detailed assessment of the damage so far, a cultural heritage framework to plan measures in the fields of prevention, conservation and information security was developed. The cost calculation for the years 2013 to 2022 identified an annual minimum requirement of about € 2.62 m which, by extrapolation, lead to the sum of € 128.7 m for the next 50 years. The following article shows how the preservation concept was born and gives information on the activities of the working group specifically put together for the purpose. After that the most important findings and results will be presented briefly as well as the first steps taken in the implementation process.
1 Die Anfänge
Seit Juni 2012 besitzt Schleswig-Holstein ein Konzept zur Erhaltung des kulturellen Erbes des Landes für die nächsten zehn bzw. 50 Jahre. Die Initialzündung geht eindeutig auf die Denkschrift „Zukunft Bewahren“ vom 28. April 2009 der Allianz zur Erhaltung schriftlichen Kulturguts zurück. Das Elbehochwasser im Jahr 2002, der Brand in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar 2004, zuletzt der Einsturz des Stadtarchivs Köln rüttelten die Öffentlichkeit bereits auf, dennoch fehlte es im föderal verfassten Deutschland noch immer an einer Gesamtstrategie, um den Schutz der wissenschaftlichen und kulturellen Überlieferung systematisch und nachhaltig zu organisieren. Auf diese Initiative wurden erstmals im Herbst 2010 durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Bernd Neumann Mittel in Höhe von 500.000 € für Bestandserhaltungsmaßnahmen bereitgestellt. Diese Summe wurde durch die Kulturstiftung der Länder um 100.000 € aufgestockt. Daran war die Erwartung geknüpft, dass die Länder eigenständige Programme, die durch eine Koordinierungsstelle aufeinander abgestimmt werden sollten, auflegen würden.
Daraufhin fand ein informelles Gespräch im schleswig-holsteinischen Kultusministerium mit Vertretern von Archiven und Bibliotheken statt, bei dem zum ersten Mal das Problem der Originalerhaltung, die drohende Gefahr durch saures Papier und die demgegenüber dramatische finanzielle und personelle Lage der einzelnen Institutionen angesprochen werden konnten. Kurz danach ist das Land der Initiative des Bundes durch die Bereitstellung von jährlich 130.000 € für den Doppelhaushalt 2011/2012 nachgekommen, so dass erstmals für die Bestandserhaltung in Archiven und Bibliotheken Schleswig-Holsteins Mittel für zunächst immerhin zwei Jahre bereit standen.
Über die Vergabe der Zuschüsse beriet der „Beirat der wissenschaftlichen Bibliotheken des Landes Schleswig-Holstein“ in seiner Sitzung am 12. November 2010 und beschloss, eine Unterarbeitsgruppe zum Thema Bestandserhaltung in Archiven und Bibliotheken einzurichten. Diese sollte sich mit folgenden Fragen befassen: Zum einen sollte die Vergabe der für den Doppelhaushalt 2011/2012 vorhandenen Gelder koordiniert und fachlich begleitet werden, zum anderen sollte ein Konzept zur landesweiten Bestandserhaltung erstellt werden.
Im Februar 2011 fand die erste Sitzung der Unterarbeitsgruppe Bestandserhaltung statt. Zum ersten Mal arbeiteten hier die Archive und die Bibliotheken des Landes zusammen: Es wurden sowohl Vertreter von wissenschaftlichen Bibliotheken als auch von Landes-, Kommunal- und Kirchenarchiven berufen. Und nicht unwichtig: Auch Beauftragte der für Kultur zuständigen Landesbehörde waren eingeladen.
Die Arbeitsgruppe musste schnell handeln. Die Gelder wurden nur für zwei Jahre gewährt, auch weil im Mai 2012 Landtagswahlen stattfanden. Das Ziel war, das Landeskonzept sofort nach den Wahlen der neuen Landesregierung präsentieren zu können. Nach nur acht Sitzungen wurde im Juli 2012 das Arbeitspapier von den Autoren verabschiedet und in einer Auflage von 40 Stück gedruckt. Einen Monat später konnten zwei frischgedruckte Exemplare den beiden neuen Staatssekretären Dr. Eberhard Schmidt-Elsaeßer (Ministerium für Justiz, Kultur und Europa) und Rolf Fischer (Ministerium für Bildung und Wissenschaft) überreicht werden.

Das Landeskonzept für Bestandserhaltung in Schleswig-Holstein.
2 Die Tätigkeit der Arbeitsgruppe
Als dringendste Maßnahme für die Vergabe der bereitgestellten Mittel wurden die Richtlinien für die Ausschreibung von der Arbeitsgruppe definiert, denn hier standen zum ersten Mal Gelder für Bestandserhaltungsmaßnahmen zur Verfügung. Es wurde u.a. beschlossen, dass diesmal keine Baumaßnahmen oder Personalkosten gefördert werden. Von den 21 Projektanträgen konnten nach einigen Rückfragen und Korrekturen von Seiten der Teilnehmer der Arbeitsgruppe 19 bewilligt werden.
Um eine faktenbasierte Strategie mit realen Mengen und Zahlen erarbeiten zu können, musste die Gruppe eine landesweite Umfrage über den Ist-Zustand der Bestandserhaltung, über die Rahmenbedingungen, die Bedürfnisse der einzelnen Einrichtungen und über ihre besonders schützenswerten und wertvollen Sammlungen starten. Bei der Erarbeitung des Fragebogens war der Bericht von Annette Gerlach und Uwe Schaper über die Auswertung der Umfrage zur Bestandserhaltung in Archiven und Bibliotheken von Berlin-Brandenburg aus dem Jahr 2005[1] eine große Hilfe.
Von insgesamt 150 Archiven beteiligten sich das Landesarchiv Schleswig-Holstein, die beiden großen Stadtarchive Kiel und Lübeck, das Landeskirchliche Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, die beiden Kreisarchive Nordfriesland und Plön sowie zehn kleine Kommunalarchive. Von den 14 angeschriebenen Bibliotheken haben immerhin elf geantwortet: die Universitätsbibliothek und die Bibliothek der Fachhochschule Kiel, die Landesbibliotheken Schleswig-Holstein und Eutin, die Bibliothek der Hansestadt Lübeck und noch weitere sechs kleinere Einrichtungen mit Altbestand. Die Angaben wurden erstmalig ermittelt, und da vor allem die größten Institutionen[2] dabei waren, konnte man die Ergebnisse als aussagekräftig betrachten. Als Grund für die „Nichtbeteiligung“ wurde übrigens überall Personalmangel angegeben. Die Auswertung der Umfrage diente als Basis für das Strategiepapier.
Das Ziel für das Landeskonzept war es, den Bedarf der Bestandserhaltung in allen Handlungsfeldern zu bestimmen, um daraus die Prioritäten und den erforderlichen Finanzrahmen abzuleiten und eine langfristige Gesamtstrategie für die nächsten zehn bzw. 50 Jahre festzulegen. Bei der Erstellung des Konzeptes konnten sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe erfreulicherweise auf einige Vorarbeiten und Hilfestellungen stützen, so gehört der Dank u.a. Frau Dr. Irmhild Schäfer von der Bayerischen Staatsbibliothek, Herrn Dr. Michael Vogel von der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden und ebenfalls mehreren Kolleginnen und Kollegen von der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg.
3 Ergebnisse
3.1 Schadensanalyse
Im Landeskonzept wurde zunächst die aktuelle Lage der Bestandserhaltung in den schleswig-holsteinischen Archiven und Bibliotheken festgehalten. Als roter Faden durch alle beantworteten Fragebögen zog sich an erster Stelle die Klage über das fehlende Personal und damit verbunden über die fehlende Kompetenz. An zweiter Stelle wurden die unzureichenden Etats angeführt. Auch die Gebäudesituation, vor allem die Klimatisierung lässt zu wünschen übrig: nur 37 % der Archive und immerhin 64 % der Bibliotheken sind damit zufrieden. (Nur der Brandschutz ist 100 %!) Daher ist es auch nicht weiter erstaunlich, dass 70 % der Institutionen Havarien und zustandsbedingte Benutzungseinschränkungen hatten. Die geschätzten Bestandsschäden sind erheblich: 80 bis 90 % des Bestandes nach 1850 sind durch Papierzerfall gefährdet, hinzu kommen bei ca. 30 % des Gesamtbestandes Schimmelbefall und Tintenfraß, ebenfalls ungefähr 30 % beträgt die Höhe der mechanischen und Einbandschäden. Kleineren Einrichtungen mangelt es darüber hinaus an einer fachgerechten Erschließung ihrer Bestände. Eine planmäßige und koordinierte Bestandserhaltung ist aber erst nach umfassender Sichtung der Bestände möglich. Mangels ausreichender finanzieller Ausstattung mit Personal- und Sachmitteln ist keine Einrichtung derzeit in der Lage, dringend erforderliche Maßnahmen aus eigener Kraft in auch nur annähernd angemessenem Umfang durchzuführen. Nur in wenigen Fällen konnten bisher dank der Einwerbung von Sondermitteln Einzelmaßnahmen – meistens Restaurierung oder Mikroverfilmung – ergriffen werden.
Nach der Schadensanalyse wurden drei große Handlungsfelder für die Bestandserhaltungsstrategie formuliert. Zur Prävention als erstem Aufgabenkomplex gehören die baulichen und raumklimatischen Bedingungen sowie die Schutzverpackung als erste Hilfe für gefährdete Bestände und nicht zuletzt die Notfallplanung. Die Restaurierung, Massenentsäuerung und Einbanderneuerung gehören zu dem zweiten komplementären Handlungsfeld, dem Originalerhalt. Als drittes Feld dienen die Informationssicherung in Form von Digitalisierung, die digitale Langzeitarchivierung und die Mikroverfilmung auch der Bestandserhaltung.
3.2 Kriterien
Für die Definition der schutzwürdigen Bestände waren die Kriterien bei den Archiven sehr umfassend: die Vertreter der Archive haben alle ihre Bestände als Unikate für schutzwürdig erklärt.[3] Die notwendige Priorisierung hängt nicht vom Wert, sondern von der Gefährdungslage und von der Nutzungsfrequenz ab.
Bei den Bibliotheken wurden die Kriterien schon differenzierter, denn nicht jedes Bundesland kann alles im Original erhalten, eine Koordinierung ist absolut notwendig. Folgende Bestandsgruppen wurden als besonders schutzwürdig definiert: Bei Handschriften, Autographen, Nachlässen sowie bei allen Drucken vor 1850 soll jedes Exemplar erhalten werden. Mindestens ein Exemplar soll erhalten werden von den Beständen nach 1850, von der regionalen Literatur (den sogenannten Slesvico-Holsatica) und von den Pflichtexemplaren. Ebenso zu dieser zweiten Gruppe gehören die Bestände der Sondersammelgebiete, wertvolle Sammlungen, schleswig-holsteinische Dissertationen sowie die historischen Karten und Noten.
3.3 Handlungsbedarf
In Schleswig-Holstein gibt es in den rund 150 öffentlichen Archiven[4] insgesamt etwa 102 Regalkilometer Archivalien. Notwendige bestandserhaltende Maßnahmen mit hoher Priorität sind für die Archive in allen Bereichen nötig, also Verpackung und Massenentsäuerung zwecks Konservierung, Mikroverfilmung und Digitalisierung zu Sicherung und Schutz und natürlich auch Restaurierung. Es ist davon auszugehen, dass von dem gesamten Archivgut im Lande etwa ein Zehntel verpackt, etwa die Hälfte massenentsäuert und etwa 5 % schutzverfilmt werden müssen. Mindestens 1 % des gesamten Archivguts bedarf der Restaurierung.
Die an der Umfrage teilnehmenden Bibliotheken haben eine Kurzbeschreibung ihrer wertvollsten Bestände, Sammlungen und Einzelobjekte hohen Ranges geliefert, mit Angabe der jeweiligen Priorität für bestandserhaltende Maßnahmen. Diese Zahlen ergänzen die Erhebungen von Bernhard Fabian[5] und Tilo Brandis[6] . Im Vergleich mit anderen Bundesländern mögen die Zahlen von 510 Inkunabeln, 4.700 Handschriften, 6.900 Einzelautographen, 320 Nachlässen oder 261.400 Drucken von 1500 bis 1850 als sehr wenig erscheinen, umso wichtiger ist es aber für das Land, sein kulturelles Erbe zu bewahren. Notwendige bestandserhaltende Maßnahmen, die die Bibliotheken als Projekt mit hoher Priorität für die nächsten zehn Jahren ergreifen möchten, sind präventive Maßnahmen, Restaurierung und Digitalisierung, gefolgt von Massenentsäuerung, Verbesserung der Unterbringung und Mikroverfilmung. Allerdings blieben die Aspekte der baulichen und klimatechnischen Unterbringung der Bestände außer Betracht, sie konnten leider im Rahmen des Landeskonzeptes nicht untersucht werden. Ebenfalls konnten die Kosten für die Unterhaltung von Notfallverbünden und für Retrokonversion nicht berücksichtigt werden.
3.4 Sachmittelbedarf
Auf der Basis der aus den Archiven eingegangenen Rückmeldungen zur Fragebogenaktion wurde mittels Hochrechnung der Sachmittelbedarf für die nächsten zehn bzw. 50 Jahre ermittelt. Da die Umverpackung der Bestände als dringendste Erste-Hilfe-Maßnahme gilt, sollte sie in den ersten zehn Jahren realisiert werden. Der Finanzbedarf für die prioritären Projekte im Archivbereich, wie Verpackung, Massenentsäuerung, Schutzverfilmung und Restaurierung, beläuft sich damit auf 80.462.000 €. Rechnet man den Bedarf für Verpackung für die nächsten zehn Jahre hoch, alle übrigen Mittel aber über einen Zeitraum von 50 Jahren, ergibt sich für die nächsten zehn Jahre ein Gesamtbedarf von jährlich 1.637.240 €.
Auch bei den Bibliotheken wurde die Verpackung der gefährdeten Objekte als günstigste und schnellste Maßnahme für die ersten zehn Jahre vorgesehen. Auf der Basis der angegebenen Prozentanteile bereits geschädigten Bibliothekgutes und einer aus Erfahrungswerten gewonnenen Summe für durchschnittliche Kosten wurde der Bedarf für Restaurierungen und Massenentsäuerung ermittelt. Eine Kostenschätzung für Schutzdigitalisierungen war nach dem derzeitigen Stand für Schleswig-Holstein nicht möglich, da noch keine konkreten Planungen für aus Bestandserhaltungsgründen zu digitalisierende Dokumente bestehen. Um aber den Bibliotheken die Möglichkeit zur Digitalisierung überhaupt zu ermöglichen, wurde ein jährlicher Betrag von mindestens 50.000 € zusätzlich eingeplant. Der Finanzbedarf für die prioritären Projekte im Bibliotheksbereich, wie Verpackung, Restaurierung, Massenentsäuerung und Digitalisierung, beläuft sich damit auf 37.032.940 €. Rechnet man den Bedarf für Verpackung für die nächsten zehn Jahre hoch, alle übrigen Mittel aber über einen Zeitraum von 50 Jahren, so ergibt sich für die nächsten zehn Jahre ein Gesamtbedarf von jährlich 755.250 €.
3.5 Personalbedarf
Als eine der größten Schwierigkeiten bei der Planung und Umsetzung bestandserhaltender Maßnahmen hat sich bei der im Frühjahr 2011 durchgeführten Umfrage in den allermeisten Einrichtungen das Fehlen des nötigen Personals herausgestellt. Sowohl in den Archiven als auch in den Bibliotheken die über schützenswerte Dokumente verfügen, fehlt es an fachlich ausgebildeten und insbesondere an in allen Fragen des Bestandsschutzes geschulten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Lediglich in den größten Häusern Schleswig-Holsteins gibt es Fachkräfte mit dem notwendigen Spezialwissen: Bestandserhaltungsbeauftragte gibt es nur in der UB Kiel, im Stadtarchiv Kiel und im Schleswig-Holsteinischen Landesarchiv. Das Land beschäftigt eine einzige Restauratorin im Landesarchiv. Zurzeit arbeitet auch nur ein einziger freiberuflicher Buchrestaurator in Lübeck für das gesamte Bundesland. Für kleinere und mittelgroße Einrichtungen, die über derlei Personalkapazitäten nicht verfügen, ist es kaum möglich, Bestandserhaltung als eine eigene wichtige Aufgabe in ihren Häusern zu betreiben.
Daher sind im personellen Sektor mehrere Stufen der Verbesserung unabdingbar, in deren Mittelpunkt die Stärkung der Restaurierungswerkstatt im Landesarchiv Schleswig-Holstein steht. Diese sollte zu einer Landesfachberatungsstelle für die Archive und Bibliotheken des Landes ausgebaut werden. Zunächst muss dort die Leitungsposition der Restaurierungswerkstatt nach der Pensionierung der derzeitigen Stelleninhaberin umgehend und unbefristet wiederbesetzt werden. Für die Unterstützung dieser leitenden Restauratorenstelle ist der Personalbestand der Werkstatt von einer auf mindestens drei Vollzeitstellen anzuheben. Zusätzlich sollte für alle Archive und Bibliotheken, die über kein eigenes in Fragen der Bestandserhaltung ausgebildetes Personal verfügen, eine zentrale Restauratorenstelle, ebenfalls angeschlossen an das Landesarchiv, eingerichtet werden, die für Beratung, Koordinierung und Schulung zuständig wird. Mit hoher Priorität müsste diese Restaurierungsfachkraft für die weitere Planung von Erhaltungsmaßnahmen eine umfassende Bestandsaufnahme der Schäden und der zu ihrer Behebung notwendigen Maßnahmen vor Ort erstellen. Ohne diese Sichtung und Bewertung sind die kleineren Einrichtungen nicht in der Lage, die für einen Antrag erforderlichen Vorarbeiten und dessen Durchführung selbständig zu erbringen. Für die Verwirklichung dieses Konzepts werden jährlich 224.000 € benötigt.
Ungeachtet dieser zentralen Stelle sollte in allen Archiven und Bibliotheken projektbezogenes Personal eingesetzt werden können, das abhängig von den jeweiligen Sammlungen, ihrem Umfang und der nötigen Erhaltung die erforderlichen Maßnahmen vorbereitet, begleitet und die Durchführung überwacht. Es müssen also Mittel aus den jährlichen Landeszuwendungen für Bestandserhaltungsmaßnahmen auch für Personal eingesetzt werden können, sofern vor Ort diese Aufgaben nicht erfüllt werden können, was bisher nicht möglich war. Hier sind Werkverträge oder befristete Angestelltenverträge denkbar.
4 Strategische Überlegungen
Die langfristige Umsetzung eines Landeskonzepts erfordert neben einer ausreichenden personellen und finanziellen Ausstattung die Erfüllung strategisch notwendiger flankierender Maßnahmen.
Um die Auswahl der zu erhaltenden Dokumente nach prioritären Gesichtspunkten treffen und über deren sachgerechte Behandlung entscheiden zu können, ist die Erschließung der Bestände in archivarisch bzw. bibliothekarisch angemessener Form an erster Stelle strategischer Vorbereitungen zur Umsetzung eines Bestandserhaltungskonzepts zu nennen.
Sämtliche Digitalisate schützenswerter Bestände sollten selbstverständlich präsentiert und auf Dauer gespeichert werden. Es muss geprüft werden, ob dafür extra ein Landesportal geschaffen werden muss oder eher überregionale Portale, wie z.B. Europeana, die Deutsche Digitale Bibliothek oder Kalliope, für die Präsentation geeignet sind.
Nach dem Vorbild anderer Bundesländer, auch einzelner Städte, sollte für die Archive und Bibliotheken ein Notfallverbund entwickelt werden. Darin müssten Vereinbarungen zur gegenseitigen Unterstützung in Notfällen getroffen, aber auch das Zusammenwirken mit weiteren Landeseinrichtungen und Firmen geplant werden. Als präventive Maßnahme sollten die Notfallpläne einzelner Einrichtungen abgeglichen und gemeinsame Schulungen vereinbart werden. Gründung und Unterhaltung bedürfen der institutionellen Anbindung und finanziellen Ausstattung, damit nicht nur erst im Notfall Hilfe geleistet wird, sondern auch präventive Maßnahmen vorgenommen werden können.
Um die Bestandserhaltung landesweit zu koordinieren und über die Prioritäten bei den Maßnahmen für vordringlich zu behandelnde Bestände je nach ihrer schleswig-holsteinischen oder sogar nationalen Bedeutung zu entscheiden, sollte auf Dauer ein Beirat für Bestandserhaltung in den Archiven und Bibliotheken Schleswig-Holsteins mit ausgewiesenen Fachkräften aus den Einrichtungen des Landes eingerichtet werden. Der Beirat könnte direkt bei den für Kultur und Wissenschaft zuständigen Ministerien angesiedelt sein. Für die Realisierung eines auf mehrere Jahrzehnte angesetzten Landeskonzepts für Bestandserhaltung bedarf es einer kontinuierlichen Begleitung durch Expertinnen und Experten auf diesem Gebiet.
Für die Erhaltung des kulturellen Erbes in den Archiven und Bibliotheken Schleswig-Holsteins ist eine dauerhafte finanzielle und personelle Unterstützung unverzichtbar. Das vorgelegte Landeskonzept zur Bestandserhaltung kann nur der Anfang einer auf Jahrzehnte angelegten und auf sicherer finanzieller Grundlage aufgebauten Strategie des Landes sein. Wie die Erhebung in den Archiven und Bibliotheken gezeigt hat, sind diese Einrichtungen aus eigenen Mitteln nicht in der Lage, angesichts der umfangreichen Schadensfälle und des fortgeschrittenen Papierzerfalls sowie aufgrund mangelnder konservatorischer Möglichkeiten aus eigener Finanz- und Personalkraft den Auftrag zur Erhaltung ihrer Bestände zu erfüllen. Hier bedarf es einer kontinuierlichen und langfristigen Zusage durch die Unterhaltsträger. Die Arbeit an der Bestandserhaltung muss planbar sein, die Einrichtungen sollten in der Lage sein, statt Ad-hoc-Aktionen, weil kurzfristig gerade Mittel in Aussicht gestellt wurden, langfristige Maßnahmen entwickeln zu können.
Die Kostenkalkulation für die Jahre 2013–2022 ergibt einen jährlichen Mindestbedarf von rund 2,62 Mio. €, der sich wie folgt aufteilt: Personalkosten im Umfang von jährlich 224.000 €; Sachkosten in Höhe von 2.392.490 €. Die Hochrechnung auf 50 Jahre (2013–2062) ergibt einen Gesamtbedarf von rund 128,7 Mio. €. Natürlich erhält die Kalkulation des Landeskonzeptes die Zahlen eines Idealzustandes. Den Autorinnen und Autoren war durchaus bewusst, dass das Land Schleswig-Holstein, das ohnehin nicht gerade zu den reichsten Bundesländern gehört, diese Millionen in dieser Höhe nicht zur Verfügung stellen kann. Die Arbeitsgruppe wollte aber den Vertretern der Politik zeigen, wie ernst die Lage ist und wie groß ihre Verantwortung. Politik bedeutet immer, Kompromisse zu schließen, aber es muss dringend etwas getan werden und selbst Kompromisse sind besser als das Nichtstun der Vergangenheit.
5 Umsetzung des Landeskonzepts
Abschließend kann erfreulicherweise bereits über die ersten Ergebnisse berichtet werden, die das Landeskonzept bereits bewirkt hat.
Der im Konzept geforderte Beirat für Bestandserhaltung hatte seine konstituierende Sitzung bereits im Januar 2013. Eingeladen wurden wieder Vertreter der Archive und Bibliotheken, hoffentlich kommt bald der/die Restaurator/in der neu zu besetzenden Stelle im Landesarchiv hinzu.
Der Beirat hat beschlossen, das Landeskonzept in einer 500-er Auflage, die auch die neuen Richtlinien für Bestandserhaltung des Ministeriums enthalten wird, zu drucken. Es wird in allen Archiven und Bibliotheken verteilt.
Die Landesregierung hat für bestandserhaltende Maßnahmen 360.000 € für 2013 bereit gestellt und für 2014 sogar eine noch höhere Summe angekündigt. In diesem Jahr wurden 36 Anträge eingereicht, fast doppelt so viele wie 2011.
Der Beirat hat sich kurz- und mittelfristige Ziele gesetzt: Im November fand eine Schulung zu Themen der Bestandserhaltung für alle Einrichtungen in Schleswig-Holstein statt und es sollen weitere folgen. Die Verhandlungen über die Landesfachberatungsstelle wurden aufgenommen. Als nächster Punkt sollen im Winter 2014 das Problem eines Notfallverbundes angegangen und Überlegungen zum Für und Wider eines Landesportals für Digitalisate angestellt werden.
Diese ersten Schritte können uns optimistisch stimmen. Natürlich ist die Bestandserhaltung eine Daueraufgabe und Schleswig-Holstein steht damit erst am Anfang, aber der Anfang ist immerhin gemacht.
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Dr. Klára Erdei
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