Zusammenfassung:
Spätestens seit 2012 ist ein massiver Veränderungsdruck in der Deutschen Zentralbibliothek für Medizin (ZB MED) vorhanden. Aus einer eher klassischen Spezialbibliothek soll eine stärker an der Forschung ausgerichtete, rechtlich selbstständige Einrichtung werden. Ziele sind es, das Dienstleistungsangebot an neuen Informationsbedarfen auszurichten und sich durch Hochschulkooperationen und Forschung und Entwicklung auszuzeichnen, um ein konkurrenzfähiger Fachinformationsdienstleister zu bleiben. Das daraus abgeleitete Projekt „Strategie- und Neuorganisationsprozess ZB MED“ wird beschrieben, Erfahrungen werden diskutiert und allgemein nutzbare Lessons learned für Veränderungsprozesse in Bibliotheken abgeleitet.
Abstract:
From 2012 at the latest, the Deutsche Zentralbibliothek für Medizin (ZB MED, German central library for medicine) has been under massive pressure to change from a rather classic specialist library to a legally independent institution engaged much more in research. The goals are to fit its service offers to the new information needs and to distinguish itself by university co-operations and research and development in order to remain a competitive supplier of specialist information. In this paper, the project “Strategic and re-organizational process ZB MED” ensuing from the above is described, experiences are discussed and commonly useful “lessons learned” regarding change processes in libraries are obtained.
„Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode.“
William Shakespeare (1564–1616)
1 „Der Sturm“ – Der Auslöser
William Shakespeare hat in seinen zahlreichen Stücken menschliche Gefühle und Dramen quasi jeglicher Couleur höchst anschaulich thematisiert. Ob es sich um durch Fantasie ausgelöste Verwirrungen wie im „Sommernachtstraum“, Dramen wie „Macbeth“, um Gerechtigkeit und das Messen mit zweierlei Maßstäben wie in „Maß für Maß“ handelt, gibt es – sehr stark vereinfacht gesagt – bei Shakespeare zwei klassische Enden: entweder sind die Protagonisten tot oder verheiratet. Die Themen sind auch im 21. Jahrhundert nicht grundlegend andere. Das primäre menschliche Ziel besteht darin, möglichst gesund und zufrieden zu überleben. Was hat das mit der Deutschen Zentralbibliothek für Medizin (ZB MED) und ihrer strategischen Neuausrichtung zu tun? Viel, denn aus ihrer Sicht geht es darum, die ZB MED so aufzustellen, dass sie den gesamtstaatlichen, wissenschaftspolitischen Auftrag für die Kundinnen und Kunden in ihrem Fächerspektrum dauerhaft erfüllt.
„Geheiratet“ hat die ZB MED schon 2001, als die vom Wissenschaftsrat negativ evaluierte Deutsche Zentralbibliothek für Landbauwissenschaften (ZBL) der in Köln ansässigen ZB MED zugeführt wurde. In den Folgejahren galt es, inhaltlich und menschlich zusammenzuwachsen und sich neu aufzustellen. Die Evaluierung im Jahre 2005 zeigte die ZB MED mit den Fächern Medizin, Gesundheits-, Ernährungs-, Umwelt- und Agrarwissenschaften mit einem bravourösen Ergebnis auf einem guten Weg.
Was war der Auslöser für die stürmischen Gefühle? 2011 wurde die ZB MED turnusgemäß als Einrichtung der Leibniz-Gemeinschaft erneut evaluiert. Bei diesen Evaluierungen sollen die Einrichtungen zeigen, dass sie einen wichtigen Auftrag erfüllen: „Theoria cum praxi: Wissenschaft zum Wohl und Nutzen des Menschen“[1] . Externe, unabhängige Gutachterinnen und Gutachter sollen zu einer Einschätzung kommen, „ob die Voraussetzungen der gemeinsamen Förderung eines Leibniz-Instituts (überregionale Bedeutung und gesamtstaatliches wissenschaftspolitisches Interesse) weiterhin gegeben sind.“[2] Entscheidend für die Förderempfehlung ist dann die Senatsstellungnahme.
Der Bewertungsbericht der Leibniz-Gemeinschaft kam im März 2012 und war für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erst ein Schreck, dann eine große Herausforderung. Zwar wurde die herausragende Bedeutung der ZB MED bestätigt: Die ZB MED kommt ihrem satzungsgemäßen Auftrag kompetent nach, ist im Sammelauftrag international eine der größten Fachbibliotheken und im Kerngeschäft sehr erfolgreich und übt so eine unverzichtbare Dienstleistungsfunktion aus.[3]
In dem Bericht hieß es aber auch: „Um diesen neuen Anforderungen gerecht zu werden, ist es notwendig, dass die ZB MED einen systematischen und übergeordneten Strategieprozess konzipiert und in Gang setzt. Dieser muss sowohl ein überzeugendes Konzept zur fokussierten Steigerung der angewandten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten als auch klar formulierte, realistische Ziele in Bezug auf die Weiterentwicklung des Dienstleistungsprofils und des entsprechenden Zielgruppenspektrums beinhalten. Nur so kann sich die ZB MED zu einem modernen und konkurrenzfähigen Fachinformationsdienstleister entwickeln, der sich durch innovative Alleinstellungsmerkmale im Bereich der Wissenserschließung und des Informationsmanagements auszeichnet.“[4]
In den Empfehlungen wurde der ZB MED weiterhin auch eine Neuausrichtung und Reorganisation nahe gelegt. Die zentralen Empfehlungen sind:
Erstellung und Umsetzung eines Forschungskonzeptes,
die Entwicklung einer übergeordneten Gesamtstrategie,
die Integration des Bonner Fächerspektrums (d. h. die weitere Zusammenführung der Fächer Ernährungs-, Umwelt- und Agrarwissenschaften in den am Kölner Standort gesammelten Fächerkanon Medizin und Gesundheit),
systematische, belastbare und überregionale Bedarfs-, Nutzungs- und Zielgruppenanalysen,
Kooperationen mit Hochschulen,
die Überführung der Einrichtung in eine rechtlich selbstständige Institution.
Besonders betont wird die übergeordnete Gesamtstrategie einschließlich des Forschungskonzepts.[5]
Auch personelle Änderungen werden empfohlen. So sollte etwa „die Position des Leiters bzw. der Leiterin der ZB MED zukünftig im Rahmen einer gemeinsamen Berufung mit einer Hochschule besetzt werden.“[6]
Um zu überprüfen, ob die Empfehlungen umgesetzt werden, wird die ZB MED erneut 2015 evaluiert. Bei Erhalten des Berichts waren es noch knapp drei Jahre Zeit, um die ZB MED neu zu gestalten.
2 „Wie es Euch gefällt“ – Projektplanung
Manche aus den Empfehlungen ableitbare Ziele für die ZB MED waren klar und gehörten ohnehin zu den Planungen der Leitung und der Führungskräfte. Doch das Thema Forschung gab der Einrichtung und ihren darin Arbeitenden zunächst Fragen auf. Was ist angewandte Forschung für eine Bibliothek? Was kann sie darin wirklich leisten? Warum reicht es nicht mehr, überregional und als Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft in der Sektion Lebenswissenschaften als Infrastruktureinrichtung eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, nämlich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und andere, die wissenschaftliche Informationen aus dem Fachbereich der ZB MED benötigen, auf zeitgemäße Art mit passender Literatur zu versorgen? Die sukzessive Umstellung auf eine digitale Bibliothek hatte die ZB MED bereits vor zehn Jahren begonnen, angewandte Forschung hatte sie etwa im Bereich der Semantik betrieben, verschiedene Projekte mit Partnern aus dem Hochschulsektor und der Privatwirtschaft realisiert, kundenorientierte Produkte aufgebaut. Dennoch: Aus interner Sicht gab es noch Verbesserungspotential im Veränderungsmanagement und beim Produktportfolio. Die Evaluierungsempfehlungen dienten auf diese Weise der Fokussierung auf die wichtigsten Punkte.
Der Leitungsrunde war klar, dass eine übergeordnete Gesamtstrategie erst dann entwickelt werden kann, wenn die geforderten systematischen, belastbaren und überregionalen Bedarfs-, Nutzungs- und Zielgruppenanalysen durchgeführt und Ergebnisse geliefert wurden. Daher wurde die Marketingleitung gemeinsam mit einem externen Experten im Juli 2012 gebeten, eine passende, umfangreiche Markt- und Zielgruppenanalyse zu konzipieren und auszuschreiben. Ungeahnt war dies bereits der Auftakt für das große zweijährige Projekt „Strategie- und Neuorganisationsprozess ZB MED“, denn beim ersten Arbeitstreffen war es uns ein Anliegen, die notwendigen Querverbindungen zwischen den einzelnen anstehenden Prozessen aufzuzeigen, den kritischen Pfad zu entwickeln und im Projektaufbau zu berücksichtigen. Innerhalb weniger Stunden haben wir gemeinsam mit einem erfahrenen Berater, Prof. Dr. Rudolf Mumenthaler von der HTW Chur, die grundsätzliche Projektplanung entwickelt, die Aufträge zu einem Gesamtprojekt zusammengefasst, die Aufträge in Arbeitspakete eingeteilt und einen Vorschlag für eine Rollenklärung im Projekt entwickelt: Projektleitung, externe Berater, externe Dienstleister, Projektsteuerung, Projektassistenz und Projektteam.
Bei der Projektplanung war ein entscheidender Faktor sofort klar: Die ZB MED übernimmt die Führungsrolle im Projekt und ist an der Ausarbeitung der Projektergebnisse aktiv beteiligt. Der Gedanke, die übergeordnete Gesamtstrategie vollständig durch externe Experten entwickeln zu lassen, wurde sehr schnell verworfen. Ein Erfolgsfaktor für das Gelingen des in diesem Ausmaße für die ZB MED völlig neuen und stark herausfordernden Projekts bestand von Beginn an darin, die Mitarbeitenden angemessen in den Strategieentwicklungsprozess einzubinden und die Vorgehensweise und Ergebnisse im laufenden Prozess transparent zu kommunizieren.
Bereits beim turnusmäßigen Erstellen des Planungs- und Finanzierungskonzepts wurde immer wieder deutlich, dass die 2012 noch gültige Aufteilung in Dezernate und damit ein klassisches Einliniensystem nicht mehr angemessen waren. Der durch die Evaluierung von 2011 verstärkte Veränderungsdruck führte zu einem klaren Bedarf einer vollständigen Neuorganisation. So wurden die besonders herausstechenden Arbeitspakete „Strategieentwicklung“ und „Neuorganisation“ zu den namensgebenden Faktoren des Gesamtprojekts, das insgesamt aus 20 Arbeitspaketen bestand. Schwerpunkte waren die Markt- und Zielgruppenstudie, die Strategieentwicklung, die Neuorganisation („Change 1“)[7] , Prüfung des Markenkonzepts und Entwicklung einer neuen Marketingstrategie, Leitbildentwicklung, Produktportfolioanalyse, Aufbau eines Produkt- und Innovationsmanagements, die Überführung in eine rechtlich selbständige Organisation (Stiftung) und eine weitere Neuorganisationsphase bei Bedarf („Change 2“).
Folgende Teilziele des Projekts wurden definiert:
Der potentielle Kundenkreis der ZB MED ist bekannt.
Die Marktteilnehmer/innen und Potentiale sind bekannt.
Die Bedürfnisse und Arbeitsweisen der Kundinnen und Kunden sind bekannt.
Die Produkte und ihre Relevanz sind bekannt.
Die zukunftsfähigen Geschäfts- und Forschungsfelder sind definiert.
Das Dienstleistungsprofil ist an die Zielgruppen angepasst.
Es liegen ein Forschungskonzept und die Gesamtstrategie vor. Diese sind inhaltlich vom Beirat und Kuratorium bzw. Stiftungsrat abgenommen.
Das Gesamtprojekt wurde in vier Phasen aufgeteilt, wobei aufgrund des Zeitdrucks und des kritischen Pfads folgender Kunstgriff angewandt wurde: Da die Ergebnisse der Markt- und Zielgruppenanalyse mit Desk Research, empirischen Erhebungen, Online-Befragung, GAP-Analyse und Fokusgruppenbefragungen erst in der zweiten Jahreshälfte 2013 zu erwarten waren, die Arbeit an der Strategie aber so früh wie möglich begonnen werden sollte, wurde zunächst auf Basis vorhandener Quellen und Überlegungen eine Grobstrategie entwickelt, um sie dann später in eine sogenannte Feinstrategie zu überführen. Eingeteilt in die vier Phasen „Analysephase“, „Grobkonzept“, „Feinkonzept“, „Umsetzung“ wurde folgender Zeitplan entwickelt, der im Kern die Aspekte Marktstudie, Strategie und Veränderungsmanagement beinhaltet.

Zeitplan Strategie- und Neuorganisationsprozess ZB MED.[8]
Die beschriebene Projektorganisation sowie die Rollenverteilung wurden mit den verantwortlichen Aufsichtsgremien abgestimmt:
Rolle | Aufgabe | Wer (Gremien) |
Auftraggeber | Erteilt Projektauftrag, stimmt Projektplan zu, nimmt Grob- und Feinstrategie ab | Kuratorium, Beirat |
Projektsteuerung | Review und Input bei Umfragen, Strategie und GAP-Analyse, Projektsteuerung; nimmt Meilensteine ab (Umfrage, GAP-Analyse, Strategieentwurf, Strategie) | Strategiegremium, U. Korwitz (Leitender Bibliotheksdirektor) |
Projektleitung | Leitet Gesamtprojekt | E. Roesner (Leitung Marketing, Organisations- und Personalentwicklung) |
Projektassistenz | Koordination und Controlling, Administration von Terminen, Sitzungen, Erstellung von Dokumenten | F. Gail (60 %), wissenschaftlicher Mitarbeiter |
Beratung | Begleitet Prozess, methodisches Vorgehen, begleitet Ausschreibungen | Prof. Dr. R. Mumenthaler (HTW Chur), Delegierter des externen Strategiegremiums |
Externe Dienstleister | Ausführung von Marktanalyse, Zielgruppenbefragung und GAP-Analyse; Sitzungsmoderation bei Bedarf, Begleitung Veränderungsprozess | Heinold, Spiller & Partner (Marktstudie); Dr. Klaus-Stephan Otto (Evoco GmbH) (Moderation) |
Projektteam | Mitarbeit Strategieentwicklung, Input | Interne Strategiegruppe; Dr. Otto |
Abb. 2: Übersicht: Die Gremien, ihre Rollen und Aufgaben.[9]
Um die notwendige „Flughöhe“ zu behalten, wurde neben der operativen Projektleitung in Person der Autorin der in solchen Veränderungsprozessen erfahrene Prof. Dr. Mumenthaler mit einer sukzessiven Projektbegleitung beauftragt. Eine weitere wichtige Aufgabe und Rolle war die einer eigens engagierten Projektassistenz, da der administrative Aufwand für die operative Projektleitung erwartungsgemäß sehr hoch ist.[10]
Bisher waren Erhebungen immer mit Bordmitteln und ohne nennenswerten finanziellen Aufwand realisiert worden. Aufgrund der Bedeutung der Studie war es für uns sehr hilfreich, die Studie über einen Sondertatbestand der zuständigen Ministerien von Bund und Land finanzieren und auf diese Weise tatsächlich unbeeinflusste Arbeitsergebnisse erzielen zu können.[11]
Die Gesamtprojektplanung vermittelte den besonders in das Projekt involvierten Personen in der ZB MED – der internen Strategiegruppe – das Gefühl, dass der große Veränderungsprozess generell realisierbar ist.
Zum Ablauf: Wie kann man formell ein solches Mammutprojekt intern und extern weiter strukturieren? Eine ganz entscheidende Rolle hatten die interne sowie die externe Strategiegruppe, die kontinuierlich den ganzen Prozess begleitet und sich zu zahlreichen Arbeitstreffen zusammengefunden haben. Die interne Strategiegruppe besteht aus dem gesamten wissenschaftlichen Dienst der ZB MED. Anders als in anderen Bibliotheken sind dies nicht nur die Fachreferentinnen und -referenten, sondern alle im höheren Dienst Tätigen. Ein wesentlicher Teil im Ringen um die Neuaufstellung der ZB MED fand und findet in diesem zentralen Gremium statt. Die formale Verantwortung liegt bei der Direktion und nachgeordnet bei der sogenannten Managementrunde, die sich inzwischen aus den Leitungen der Programm- und Querschnittsbereiche konstituiert.[12]
3 „(Kein) Sommernachtstraum“ – Die Projektdurchführung
Ein klarer Auftrag, ein klarer Zeitplan, verteilte Rollen, Unterstützung von Aufsichtsgremien, Begleitung durch externe Experten, die Möglichkeit, die Markt- und Zielgruppenstudie extern durchführen zu lassen, das klare Ziel, die Belegschaft so viel wie möglich einzubinden – was kann da noch problematisch werden?
Menschen führen Projekte durch, Menschen sind Menschen, Menschen haben menschliche Empfindungen, Menschen haben Hoffnungen, Zweifel, Widerstände, Ängste, sind intrinsisch motiviert oder demotiviert … die Liste ist lang. Diese Faktoren gelten für alle intern und extern am Projekt Beteiligten. Ein wichtiger Faktor war es, neben der Arbeit an den einzelnen Arbeitspaketen auch mit den neuen Herausforderungen, die auch als Stress wahrgenommen wurden, klar zu kommen. Der Auftrag, die ZB MED neu aufzustellen, bedeutet ein echtes Veränderungsmanagement. Veränderungen lösen ganz klassisch Empfindungen aus, die im Umgang mit Trauer bekannt sind: Schock, „Tal der Tränen“, Ausprobieren und Erkennen. Die Mitarbeitenden einer Institution erleben daher klassisch die Phasen „Verneinung, Widerstand, Anpassung, Commitment“.[13]

Veränderungskurve.[14]
Aus diesem Wissen ergeben sich klare Aufgaben für Führungskräfte: Sie müssen ein Bewusstsein für die Phasen entwickeln und angemessen mit dem eigenen Widerstand und dem der Mitarbeitenden umgehen. Führung erfüllt hier eine zentrale Rolle, denn Veränderungsmanagement und die Kommunikation darüber sind ganz zentrale Führungsaufgaben, um ein Vertrauen in die Notwendigkeit der Veränderung und in den Prozess an sich entwickeln zu können. Daher fanden seit 2012 gezielt mehrere Führungskräfteworkshops statt, um diesen neuen Anforderungen konstruktiv zu begegnen. Wir begannen mit „Kommunikation im Wandel“, Workshops für die Leitungsrunde, gezielten Workshops für besondere Arbeitsbereiche und einer sukzessiven Einbeziehung weiterer Verantwortlicher auf der Ebene von Produktverantwortlichen. Es wurden dann weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Produktverantwortliche in den Veränderungsprozess und in die Strategieentwicklung aktiv einbezogen. In dieser Phase wurden die Mitarbeiterversammlungen von Informationsveranstaltungen zu interaktiven Treffen weiterentwickelt. Dort konnten die Beschäftigten in Kleingruppen gezielt Feedback geben und aktiv die Veränderung mitgestalten. Dies wurde sehr positiv aufgenommen und hat die Identifikation mit den Veränderungen verstärkt. Das Schlagwort der „Schwarmintelligenz“, abgeleitet aus der evolutionären Entwicklung des Lebens, war hier für die ZB MED hilfreich.
Der Auftakt mit der Marktstudie erwies sich als angemessen. Selbstredend war auch hier eine gewisse Geduld erforderlich, denn während die Abstimmung, Ausschreibung, Agenturauswahl und -beauftragung der umfangreichen, in vier Phasen (Desk Research, empirische Befragung, Gap-Analyse und Fokusgruppenbefragung) eingeteilten Studie lief, konnte in der internen Projektgruppe bereits an einer zentralen Fragestellung gearbeitet werden:[15] „Was kann angewandte Forschung für die ZB MED bedeuten?“ Systematisch wurden die in der Bibliothekswelt aktuell diskutierten Forschungsthemen wie Altmetrics, Semantic Web und Virtuelle Forschungsumgebungen aufbereitet und auf Anwendbarkeit für die ZB MED überprüft. Gleichzeitig diente die Auseinandersetzung mit dem Thema Forschung einer internen Neu-Erfindung der ZB MED. So konnten wir uns innerhalb der Einrichtung an den Gedanken gewöhnen, dass die ZB MED mehr ist als eine klassische Bibliothek.
Im Evaluierungsbericht wurde empfohlen, dass es zur Erweiterung des Forschungsanteils in der Bibliothek notwendig ist, weiteres wissenschaftliches Personal einzustellen. Mit dem Ziel, gleichzeitig die Kooperationen mit Hochschulen zu fördern, wurden zeitnah Kontakte und Verhandlungen über die Einstellung von W2- bzw. W3-Professoren und Doktoranden mit den Universitäten Köln und Bonn aufgenommen. Das forschende Personal soll sowohl angewandte Forschung an der ZB MED im Bereich der Medieninformatik/Informationswissenschaften als auch Lehre an der Universität Köln bzw. Bonn betreiben. Ab Ende 2016 soll nach Zurruhesetzung des jetzigen Direktors auch die Leitung der ZB MED in Verbindung mit einer Professur ausgeführt werden, um die Forschungsexzellenz der ZB MED weiter auf- und auszubauen.
Die Lösung war und ist naheliegend und dennoch dauert aufgrund der zum Teil langwierigen Planungs- und Berufungsverfahren die Umsetzung länger als gedacht. So muss das Forschungskonzept zunächst ohne die künftigen neuen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geschrieben und künftig durch die neuen Forschungsimpulse weiter angepasst werden.
Bei den Arbeitstreffen der internen Strategiegruppe wurde jeweils der aktuelle Projektstand dargestellt. Die Arbeit an den einzelnen Arbeitspaketen wurde auf Mitglieder der internen Strategiegruppe gemäß ihrer jeweils vorhandenen Kompetenzen und Positionen in der ZB MED verteilt. Der Begriff des „Paten“ wurde hierfür zunächst gebraucht, um zu verdeutlichen, dass die benannten Personen die einzelnen Arbeitspakete nicht allein zu bearbeiten haben. Nach einer Weile stellten wir von der Projektleitung fest, dass der dahinterstehende Arbeitsauftrag zum Teil sehr unterschiedlich verstanden wurde. Manche fühlten sich sehr verantwortlich für das jeweilige Arbeitspaket und engagierten sich in der Umsetzung sehr, manche fühlten sich nur teilweise beteiligt, sahen sich eher als Teil eines gesamten Teams, das jeweils die Arbeitsergebniserstellung beobachtet, aber selbst nicht aktiv bearbeiten muss. Um der hohen Bedeutung von Worten im Kopf gerecht zu werden, formulierten wir den Begriff der „Paten“ um in „Verantwortliche“ und diskutierten die dahinter stehenden Aufträge im Projekt mehrfach.
Ein weiterer Punkt, der die Projektleitung und -koordination sowie das ganze Projektteam immer wieder beschäftigte, war das angemessene Informieren und Beteiligen der gesamten Belegschaft. Daher wurde ein Bündel an Maßnahmen ergriffen: Im Intranet wurde recht früh eine spezielle Projektseite eingerichtet, in Informationsveranstaltungen regelmäßig über den Projektverlauf und erste Projektergebnisse berichtet. Darüber hinaus wurden Zwischeninformationen in E-Mails an das ganze Haus verbreitet und die vorhandenen Informationsflüsse (Programmbereichs- und Querschnittsbereichssitzungen, Teambesprechungen etc.) sollten wichtige Ergebnisse weiter transportieren und die Bedeutungen für die jeweiligen Kolleginnen und Kollegen erörtern. In dem Führungskräfteworkshop zur Kommunikation in Veränderungsprozessen wurde gemeinsam ein Kommunikationskonzept entwickelt. Ob die Maßnahmen gegriffen haben, ergab in Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen stets ein heterogenes Bild: Manche fühlten sich gut, manche schlecht informiert, für manche gab es zu viele Informationen und gefühlt zu wenig Zeit, sich damit zu beschäftigen, für manche war dies immer nur ein abgehobener Prozess mit zu wenig Bezug zum eigenen Arbeitsplatz. Als wir in einem interaktiven Prozess gemeinsam mit der gesamten Belegschaft ein Leitbild entwickelten,[16] Grundsätze für den internen Umgang und den Umgang mit Anspruchsgruppen erarbeiteten, war die Resonanz durchweg positiv. Aus dem Einbeziehen wurden glaubwürdig Wertschätzung und Respekt geschlussfolgert, das erhöhte die ohnehin sehr hohe Motivation der Belegschaft weiter. Schlussendlich zeigte sich, dass das Informieren und Einbeziehen auf operativer Ebene durch die direkten Vorgesetzten für die meisten Mitarbeitenden der beste Weg zur Beteiligung ist.
Auch in der internen Strategiegruppe wurde durch den dynamischen Austausch der vorhandenen verschiedenen Arbeitstypen wie Macher, Planer, Zauderer, Perfektionist, Kreativer um das Vorankommen und den Prozess geradezu gerungen. Es war und ist Teamentwicklung, ohne dass es explizit auf der Agenda stehen musste.
4 „Der Widerspenstigen Zähmung” – Gelernte Lektionen
Bei Shakespeare wechseln die Rollen, Launen und Haltungen gerne und viel. So auch bei dem Lustspiel „Der Widerspenstigen Zähmung“, in dem sich Katharina zunächst standhaft weigert, ihre Haltungen zu ändern. Auch bei der ZB MED hat es eines inneren Prozesses gebraucht, sich neu zu erfinden und Bedenken und Widerstände über Bord zu werfen.
Zum 1.1.2014 ist die ZB MED eine rechtlich selbstständige Stiftung geworden. Der Name bleibt formell gleich, erhält aber den Zusatz „Leibniz-Informationszentrum Lebenswissenschaften“. In der Kommunikation gegenüber den Kundinnen und Kunden aus Wissenschaft, Forschung und Praxis wird aber nur noch der Name „ZB MED – Leibniz-Informationszentrum Lebenswissenschaften“ genutzt.[17] ZB MED ist nun das Informationszentrum für Lebenswissenschaften, das eine Bibliothek hat. Das Informationszentrum wird im Profil immer weiter geschärft. Somit ist ZB MED im Sommer 2014 bei der Neuentwicklung der Markenarchitektur und der konkreten Ausarbeitung der Dachmarkenstrategie sprachlich ein Neutrum geworden, bei dem in der Regel auf die Nennung des Artikels komplett verzichtet wird: ZB MED ist das Informationszentrum und das Zentrum ist „sächlich“. ZB MED hat eine „Strategie 2020“ entwickelt und darin anspruchsvolle Ziele für die Zukunft formuliert, die es nun stetig umzusetzen gilt. ZB MED hat sich in einem großen und langwierigen Change-Prozess intern neu strukturiert, um die Fächer auch organisatorisch besser zusammenzubringen, entwickelt derzeit ein neues Suchportal für den Bereich Lebenswissenschaften, baut das strategisch relevante Produkt eines Open-Access-Publikationsportals auf, hat ein vollständig neues Corporate Design entworfen, baut ein Produkt- und Innovationsmanagement auf, um künftig die Produktplanung und -entwicklung nur noch systematisch und strategisch vorzunehmen. Die internen Veränderungen gehen dabei im Hintergrund stetig weiter: Durch eine Prozessanalyse werden die internen Prozesse reflektiert und bei Bedarf verbessert. So entwickelt sich ZB MED in einem fortlaufenden Prozess zu einer lernenden Organisation. Es ist völlig klar, dass solch tiefgreifende Veränderungen Zeit brauchen und ZB MED 2014 noch weite Wegstrecken vor sich hat. So war es nur konsequent, bei Abschluss des Projekts „Strategie- und Neuorganisation“ das neue Projekt „Strategieumsetzung“ anzukündigen. Wichtig war ein Moment des Innehaltens: Der Projektabschluss wurde mit der gesamten Belegschaft zelebriert. Dann wurde der Startschuss für das neue Projekt „Strategieumsetzung“ gegeben, das die neuen strategisch relevanten Arbeitspakete enthält. In abteilungsübergreifenden Arbeitsgruppen wurde die Umsetzung besprochen.
Folgende „gelernte Lektionen“ lassen sich aus dem gerade abgeschlossenen Projekt ableiten:
So frühzeitig wie möglich auf ein gemeinsames – möglichst konkretes – Ziel einigen, das von allen getragen werden kann.
Klare Erwartungen an die Verantwortlichen formulieren.
Ein Projektplan ist ein wichtiger Erfolgsfaktor, gleichzeitig muss Flexibilität für unerwartete Ereignisse da sein.
Regeln der Zusammenarbeit sind wichtig.
Das Gefühl, dass das Projekt realisierbar ist, hat großen Einfluss auf die Motivation der Beteiligten.
Eine angemessene, größtmögliche Beteiligung der Beschäftigten erhöht den Projekterfolg und die Akzeptanz der Ergebnisse.
Gerade bei anspruchsvollen Zielen ist auch Zeit für Reflexion und Würdigung des bereits Geschafften wichtig.
Gezielter Input von außen ist hilfreich für Impulse und Reflexion.
Selbstvertrauen in die eigene Arbeit ist wichtig, die Verantwortung muss selbst getragen werden.
Die Leitung muss – wenn sie nicht selbst die Reorganisation bzw. das Veränderungsprojekt steuert – der operativen Projektleitung ein klares Mandat erteilen.
Bei Umgang mit Widerständen ist es hilfreich, einen Blick für versteckte Agenden zu haben und zu versuchen, diese außerhalb des Projekts angemessen zu klären.[18]
Eine intensive, transparente und verständliche Kommunikation in das Haus ist essentiell: Welche Informationen müssen wann und wie an wen weiter gegeben werden, damit Mitarbeitende für Veränderung motiviert, mobilisiert und aktiviert werden; die jeweiligen Führungskräfte sind hier gefordert.
Formale interne Gremien (Personalrat, Gleichstellungsbeauftragte, Schwerbehindertenvertretung) sollten frühzeitig eingebunden werden, da sie zum einen formal bei Veränderungsprozessen beteiligt werden müssen und zum anderen im Idealfall als Vertrauenspersonen der Belegschaft Einfluss auf die Stimmung im Haus haben.
Gestaltungsspielräume und Wertschätzung erhöhen die Bereitschaft zur Umsetzung.
5 Ende gut, alles gut?
ZB MED – Leibniz-Informationszentrum ist dabei, sich neu zu erfinden. Dieser Wandel ist weiterhin tiefgreifend und anspruchsvoll. Doch der große Einsatz im Projekt „Strategie- und Neuorganisationsprozess“ hat sich gelohnt. Noch nie haben die Beteiligten und Verantwortlichen von ZB MED in so kurzer Zeit so viel gelernt. Doch damit ist ZB MED noch längst nicht am Ende. ZB MED hat sich die kontinuierliche Verbesserung einer lernenden Organisation auf die Fahnen geschrieben. Auf diese Weise kann nie alles gut genug sein.
Wenn es bei Shakespeare meist die Enden Heirat oder Tod gibt, ist auch hier wieder die Frage, was das für ZB MED bedeutet? Die Frage nach Tod oder Heirat beantwortet ZB MED ab 2014 mit „Leben“. Daher ist der neue Name „ZB MED – Leibniz-Informationszentrum für Lebenswissenschaften“, ob mit oder ohne Shakespeare im Kopf, so passend wie zeitgemäß. Wie sich gezeigt hat, wurde die „Zweck-Ehe“ von ZB MED und ZBL vor gut zehn Jahren immer mehr zu einer Liebeshochzeit, denn die Fächer passen im Bereich Lebenswissenschaften ganz hervorragend zusammen; im Bereich von Forschung und Wissenschaft spielen die Lebenswissenschaften, wie einige Studien und Forschungsförderungen zeigen, eine immer größere gesamtgesellschaftliche Rolle. Die Belegschaft von ZB MED ist ebenfalls in einem kontinuierlichem Prozess des weiteren Zusammenwachsens. Die Zusammenarbeit zwischen beiden Standorten, zwischen den Programm- und Querschnittsbereichen sowie in einzelnen Arbeitsgruppen war noch nie so gut wie jetzt. Das hohe Potential von ZB MED steckt in dem sinngebenden Auftrag der Stiftung und der überdurchschnittlich motivierten Belegschaft. ZB MED ist an zwei Standorten ein Haus mit einem Ziel: Das Informationszentrum Lebenswissenschaften in seiner Einmaligkeit auszubauen und erfolgreich in die Zukunft zu führen.
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Elke Roesner
Elke Roesner: roesner@zbmed.de
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