Neogeographie[1] , wie sie Andrew J. Turner beschreibt, „consists of a set of techniques and tools that fall outside the realm of traditional GIS, Geographic Information Systems. […] Essentially, Neogeography is about people using and creating their own maps, on their own terms and by combining elements of an existing toolset. Neogeography is about sharing location information with friends and visitors, helping shape context, and conveying understanding through knowledge of place.”[2]
Der Begriff der Neogeographie wird heute auf die Technologien des Web 2.0 bezogen, die es dem Internetnutzer ermöglichen, geographische Inhalte zu erstellen, zu verbreiten und zu nutzen. Die Bandbreite der Möglichkeiten reicht von der Georeferenzierung digitaler Inhalte über das Anreichern bis hin zum Erstellen von Karten. Mit dem Geoweb 2.0 eröffnen sich auch neue Möglichkeiten und Techniken der Recherche.
Internetnutzer können heute digitale Inhalte unterschiedlicher Art, z. B. Fotos, Blogbeiträge oder Nutzerprofile, auf einfache Weise mit Ortsangaben versehen. Digitale Fotoapparate und Smartphones statten Bilddateien oft automatisch mit einer Positionsangabe aus. Die Foto-Sharing-Plattform Flickr sowie das Medienarchiv Wikimedia commons enthalten jeweils bereits mehrere Millionen georeferenzierte Dateien. Flickr bietet die Möglichkeit, diese auf einer interaktiven Karte zu ermitteln. Auf Wikimedia commons können Bilddateien, auch Scans historischer Aufnahmen, nachträglich mit Positionsangaben versehen werden. Mithilfe von Tagging, Kategorisierungen und Geotagging entstehen so nach räumlichen und inhaltlichen Kriterien erschlossene und durchsuchbare visuelle Archive.
Eine besondere Kombination aus Fotografie- und Geographie-Plattform stellen die Geograph-Projekte dar. Auf den aktuell existierenden drei Projekten Geograph Britain and Ireland, Geograph Germany und Geograph Channel Islands werden für die jeweilige Region geographisch repräsentative Aufnahmen gesammelt. Die Projekte sind als Wettbewerb organisiert: Einen Punkt erhält beispielsweise derjenige, welcher für ein ausgewiesenes Planquadrat von je einem Quadratkilometer das erste Geofoto einreicht. Zu jedem Foto können der Standort des Fotografen und die Position des Motivs eingetragen werden. Diese werden auf einer eingebetteten Karte oder einem Luftbild angezeigt. Für die Navigation zwischen den Planquadraten stehen spezielle Karten und Tools zur Verfügung. Als Bildquellen dokumentieren die Geofotos z. B. den Zustand eines Hauses, die Lage eines Denkmals oder die Nutzung einer Fläche.
Mapillary ist eine kartenbasierte Plattform, auf der geokodierte Fotos von Orts- und Straßenansichten eingestellt werden können. Aus den Aufnahmen werden Bildsequenzen gebildet, durch die virtuelle Spaziergänge unternommen werden können. Die fotografisch dokumentierten Wegstrecken werden auf einer Basiskarte angezeigt. Die Fotos aus den Geograph-Projekten und den Mapillary-Sequenzen werden von Mappern als Bildquellen für das Foto-Mapping benutzt, um Verkehrsschilder, Eisenbahninfrastruktur oder Vegetationsformen und andere erkennbare Sachverhalte zu erfassen.
Für ehrenamtlich erhobene Geoinformationen, z. B. im Rahmen einer Vogelzählung, prägte Michael Goodchild den Begriff der Volunteered Geographic Information (VGI).[3] Davon abgegrenzt werden heute die Non-Volunteered Geographic Information, die unabsichtlich und teilweise auch ungewollt erzeugt werden.

Wikipedia-Artikel „Donau“ mit Karteneinblendung.[4]
Wikipedia ist ein Beispiel dafür, wie gemeinschaftlich erstellte Inhalte durch Geoinformationen um räumliche Bezüge erweitert werden können. Über eine spezielle Koordinatenvorlage lassen sich eine OpenStreetMap-Karte oder der WikiMiniAtlas direkt in einen Artikel einblenden. Im aktuellen Kartenausschnitt können die Position eines Objekts, der Verlauf eines Flusses oder die Grenzen eines Gebiets hervorgehoben werden. Weitere georeferenzierte Wikipedia-Inhalte lassen sich direkt anhand von verlinkten Kartenmarkierungen im Kartenausschnitt suchen. Der WikiMiniAtlas ermöglicht auch die Suche nach Inhalten aus anderen Sprachversionen der Wikipedia und nach geokodierten Medien aus Wikimedia commons. Koordinatenangaben lassen sich u. a. auch in Informationsboxen mit Angaben über die Quelle und Mündung eines Flusses oder direkt in den Fließtext eines Artikels einarbeiten.

Templin im KLEKs-Editor.[5]
Zur heutigen Internetnutzung gehört auch der Gebrauch von interaktiven Karten zur Recherche nach raumbezogenen Informationen. Sie ermöglichen dem Internetnutzer die explorative Suche nach Standorten, Nachrichten, Fotos und anderen Inhalten.[6] Das Geoweb 2.0 verwischt die Grenzen zwischen den Produzenten von Karteninhalten und den Kartennutzern. Dies reflektiert die Commission on Neocartography der International Cartographic Association (ICA) im Begriff der Neokartographie:
„The term neocartographers is being used to describe map makers who may not have come from traditional mapping backgrounds, and are frequently using open data and open source mapping tools. Another difference is in the blurring of boundaries between map producers and map consumers. The availability of data and tools allows neocartographers to make their own maps, show what they want, and often be the intended audience as well – that is to say they may make the maps for themselves, just because they can.”[7]
Die Kartierung der Heimat- oder einer Urlaubsregion ist ein beliebtes Freizeitvergnügen vieler Neogeographen auf der ganzen Welt. OpenStreetMap dient längst nicht mehr der Erstellung einer freien Straßenkarte, sondern dem Aufbau einer vielschichtigen Geodatenbank, aus der eine Vielzahl möglicher Karten generiert werden kann. Die vielfältigen Interessen der ehrenamtlichen Kartographen spiegeln sich nicht nur in der breiten Datenbasis der Geodatenbank wider, sondern auch in der Möglichkeit, besondere Bedürfnisse der Kartennutzer bei der Erstellung von Karten zu berücksichtigen: Die Wheelmap dient dem Erfassen und der Suche nach barrierefrei zugänglichen Orten. Sie kann auch unterwegs mit einem mobilen Endgerät genutzt und bearbeitet werden.
Für Neogeographen existiert eine breite Palette digitaler Tools zur Anreicherung von Karten, zum Auslesen und Darstellen von Geodaten bis hin zum Programmieren eigener Anwendungen. Bei vielen kartenbasierten Anwendungen werden neue Inhalte in eine selbst nicht veränderbare Basiskarte eingetragen. Das KLEKs-KulturLandschaftsElementeKataster verfügt als Wiki über eine eigene Datenbank zur Erfassung von Elementen der Kulturlandschaft. Über die eingetragenen Kartenmarkierungen können die verknüpften Datensätze aufgerufen und editiert werden.
Das Geoweb 2.0 hat sich zu einem allgegenwärtigen Bestandteil des Internets entwickelt. Mit der zunehmenden Nutzung mobiler Endgeräte wird seine Bedeutung in den kommenden Jahrzehnten weiterhin zunehmen. Mobile Geomedien werden unseren Alltag, unsere Orientierung und unsere Wahrnehmung des Raums stärker prägen.[8] Daher sollte eine öffentliche Diskussion über die positiven und negativen Aspekte der kommenden Entwicklung schon jetzt geführt werden.
Der Autor ist Fachangestellter für Medien- und Informationsdienste an der Stadtbücherei Bad Fallingbostel. In seiner Freizeit engagiert er sich im Web 2.0 (Wikipedia, Geograph Deutschland, KLEKs – KulturLandschaftsElementeKataster) und wirkt als Autor am Blog der Zukunftswerkstatt mit.
Kontakt: c.kahle@web.de
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