Seit mehreren Jahren ist die Bibliographie alsacienne wieder regelmäßig bei den Tagungen der Arbeitsgruppe Regionalbibliographie vertreten. Mit der Wahl des diesjährigen Tagungsortes sollte diese Verbundenheit unterstrichen werden. Der dazu gewählte Zeitpunkt war freilich kein zufälliger, denn die Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg (BNU) hat nach einer mehrjährigen Umbauphase erst seit November 2014 wieder ihre Türen für das Publikum geöffnet.
Die BNU Straßburg, dank ihrer 3,5 Millionen Medien und ihrer bedeutenden Sondersammlungen gleich nach der Bibliothèque nationale de France (BnF) eine der wichtigsten und größten Bibliotheken Frankreichs, wurde 1871 als Kaiserliche Universitäts- und Landesbibliothek gegründet und erhielt 1926 den heutigen Namen. Nach einer ersten großen Renovierung in der Nachkriegszeit, die viel Platz schuf, aber auch die architektonischen Stilelemente des 1895 eingeweihten wilhelminischen Gebäudes eliminierte, benötigte das Gebäude aus verschiedenen Gründen eine vollständige Erneuerung, die sich der Staat rund 65 Millionen Euro kosten ließ. Da der Innenbereich des Gebäudes nicht unter Denkmalschutz stand, hatte der Architekt freie Hand, das Haus nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Es wurde nahezu komplett entkernt und in vierjähriger Bauzeit, während der der Benutzungsbetrieb in Ausweichquartieren aufrecht erhalten wurde, völlig neu gestaltet, wobei das monumentale Treppenhaus unter der (früher nicht sichtbaren) Kuppel zum zentralen Orientierungspunkt und zugleich zum Blickfang des Gebäudeinneren wurde. Aus Anlass der Neueröffnung zeigt die Bibliothek in ihrem modernen Ausstellungsraum einen umfangreichen Querschnitt an Exponaten aus ihren Sammlungen und dokumentiert damit zugleich ihre 150-jährige Geschichte.[1] Die Redaktionsräume der Bibliographie alsacienne verblieben allerdings in der benachbarten Rue du Maréchal Joffre, und dort fand am 4. und 5. Mai 2015 auch die Sitzung der Arbeitsgruppe Regionalbibliographie statt.
Die Vollständigkeit der Arbeitsgruppe litt ein wenig unter dem Streik der Lokomotivführer, doch konnten sich immerhin 16 Teilnehmer mit aktuellen Themen bibliographischer Alltagsarbeit befassen. Dazu zählte u. a. die Frage, nach welchen Gesichtspunkten die Konversion gedruckter Bibliographiebände erfolgen solle. Auf der einen Seite bestimmt der hohe Qualitätsstandard hinsichtlich der Formal- und Sacherschließung das Selbstverständnis regionalbibliographischer Arbeit, auf der anderen Seite können Literaturzitate, die teilweise aus dem 19. Jahrhundert stammen, nicht ohne großen zusätzlichen Aufwand auf das heutige Datenbankniveau angehoben werden. Die meisten Teilnehmer sprachen sich daher dafür aus, zugunsten der Vollständigkeit des Titelmaterials auf Erschließungsperfektion zu verzichten. Ein anderes Thema stellte die regelmäßige Auswertung der diversen Reihen der Deutschen Nationalbibliographie nach dem Ende des Titelkartendrucks seitens der Deutschen Nationalbibliothek dar. Verschiedene technische Lösungen sind in den Bibliotheken im Einsatz, aber eine regionalbibliographischen Zwecken optimal entsprechende ist bislang nicht in Sicht.
Nach längerer Pause ist wieder einmal eine aktuelle Übersicht über alle deutschen Landesbibliographien erschienen. Gritt Brosowski hat für ihren Aufsatz „Die deutschen Landesbibliographien. Ein Überblick über ihre Arbeit und Angebote“ ermittelt, dass alle Landesbibliographien zusammengenommen 3.689.000 Titel mit Regionalbezug nachweisen; darunter befinden sich nicht wenige Titel aus Konversionsprojekten. Der Aufsatz wurde 2014 in den Blättern für deutsche Landesgeschichte veröffentlicht (Band 149, S. 429–462).
Im Mittelpunkt der Straßburger Sitzung standen naturgemäß die BNU als Gastgeber und das Elsass als die von dieser Bibliothek betreute Region. Unter den regionalen Aktivitäten ist an erster Stelle natürlich die Bibliographie alsacienne zu nennen, die weit in das 19. Jahrhundert zurückreichende Wurzeln aufweisen kann und anfangs von verschiedenen Organisationen getragen wurde, bevor sie in die Zuständigkeit der BNU überging.[2] Als Gründungsjahr gilt 1922, weil damals das Themenspektrum von Literatur und Geschichte um die anderen Fachgebiete erweitert wurde. Die seit 1965 als Publikationen der BNU herausgegebenen Mehrjahresbände, zugleich Zugangsverzeichnisse der Elsass-Sammlung der BNU, erscheinen längst nicht mehr in gedruckter Form; mit dem Berichtsjahr 2005 wurde der Druck eingestellt. Die seit 1983 (Berichtsjahr) angebotene Datenbank mit derzeit rund 89.000 Nachweisen wächst pro Jahr um 2.000 Titel; dazu trägt auch der Kooperationspartner im südlichen Elsass, die Bibliothèque municipale de Mulhouse bei, die eine regionale Bibliographie für ihren Sprengel erstellt. Neben dem Elsass existieren nur für ganz wenige Landesteile Frankreichs vergleichbare Regionalbibliographien; dieser Bibliographietyp ist in diesem Land kaum vertreten; gleiches gilt natürlich auch für den Typ der Landesbibliothek.
Mit einem Konversionsprojekt hat die BNU noch nicht begonnen, jedoch sind einige ältere Bibliographiebände eingescannt worden und stehen nun über Numistral zur Verfügung. Numistral ist das Digitalisierungsportal der BNU, das im Oktober 2013 offiziell eröffnet wurde und in enger Kooperation mit Gallica, dem Digitalisierungsportal der Bibliothèque nationale de France, entwickelt wurde und betrieben wird. Aus anfangs 40.000 Dokumenten sind inzwischen fast 90.000 geworden, darunter viele Alsatica, die neben weiteren Sammelschwerpunkten mit hoher Priorität digitalisiert werden.[3] Jährlich werden rund 200.000 neue Images erzeugt, die meisten davon durch externe Dienstleister, denn die Digitalisierungswerkstatt der BNU verfügt über keinen großen Gerätepark.
Numistral ist sozusagen die erste (aber auf längere Sicht aus finanziellen Gründen wohl auch einzige) Gallica Marque blanche; das System basiert auf der technischen Struktur von Gallica, bietet aber eine auf die BNU angepasste eigene Benutzeroberfläche. Die von der BNU extern und inhouse produzierten Images werden gemeinsam mit allen Metadaten in den Gallica-Workflow eingespeist und liegen anschließend auf den entsprechenden Fileservern der BnF, von wo sie durch den Benutzer abgerufen werden können, entweder über Gallica oder über Numistral. Für die BNU hat diese Zusammenarbeit mit der Nationalbibliothek den Vorteil, dass sie ohne eigene Entwicklungskosten – und bislang auch ohne Kosten für die durch die BnF gesicherte Langzeitarchivierung – ein Digitalisierungsportal erhalten hat, aber auch den Nachteil, dass sie nicht mehr Herr ihrer Daten ist. Diese Abhängigkeit zeigt sich bei Änderungswünschen: Nur in Paris können Daten geändert werden.
Ein weiteres gemeinsames Unternehmen von BNU und BnF ist das Internetarchiv, ein Projekt im Kontext des elektronischen Pflichtexemplars.[4] Die Abgabe eines Pflichtexemplars wurde in Frankreich erstmals durch einen Erlass von König Franz I. im Jahre 1537 festgelegt und wird heute durch ein Gesetz von 1992 und einen Erlass von 2006 geregelt. Die Besonderheit der französischen Pflichtexemplarregelung besteht darin, dass sowohl die Drucker als auch die Verleger ablieferungspflichtig sind: Während die Drucker ihre Erzeugnisse an 22 verschiedene Bibliotheken, darunter viele größere Stadtbibliotheken, aber auch die BNU, abgeben müssen, erhält die BnF ihre Pflichtexemplare von den Verlagen. Da das Gesetz elektronische Veröffentlichungen einschließt, werden auch Webseiten gesammelt, deren Auswahl in die Hand eines Expertenkreises gelegt wurde. Die BnF sammelt diese Dokumente seit 2002, seit 2010 in Kooperation mit den Pflichtexemplarbibliotheken.[5] Auch diese Dokumente werden zentral in Paris gespeichert. Seit 2014/15 existiert für Benutzer der Fernzugriff auf die Sammlung; er gilt aber ohne remote access, weshalb die BNU zwei spezielle Arbeitsplätze für dieses Angebot eingerichtet hat. Wer davon Gebrauch machen möchte, muss die Archives de l´Internet aufrufen; im lokalen OPAC findet er die Titel der Webseiten bislang noch nicht.
Abschließend wurde den Sitzungsteilnehmern das Archivum Rhenanum vorgestellt, das den deutschen Zusatztitel Digitale Archive am Oberrhein trägt.[6] Ausgehend von der verstreuten Überlieferung archivischer Quellen entstand auf Initiative des Stadtarchivs Speyer ein Portal, das digitalisierte Quellen zusammenführt und sich vor allem an die interessierte Öffentlichkeit wendet. Neben Speyer sind an diesem grenzüberschreitenden Projekt Archive in Straßburg, Colmar, Freiburg und Karlsruhe beteiligt, wobei weitere Partner willkommen sind. Das dem Anspruch nach bilinguale Portal bereitet durch Digitalisierung und Kommentierung das historische Gedächtnis der Region auf, will zugleich aber auch eine Kommunikationsplattform sein, auf der Vorträge und Präsentationen veröffentlicht werden können. Nachdem anfangs mittelalterliche Urkunden im Fokus standen, wendet sich das Projekt nun der deutschen Epoche des Elsass zu, da diese zunehmend auf Interesse stößt. Im Kern handelt es sich beim Archivum Rhenanum um ein typisches Regionalportal.
Im Anschluss an die Tagung, die ganz im Zeichen der Region Oberrhein gestanden hatte, konnten die Teilnehmer nicht nur die neue BNU besichtigen, sondern auch deren nähere Umgebung kennenlernen, die durch die Architektur im wilhelminischen Stil geprägt ist. Dazu zählt auch die Universität Straßburg, zu deren Literaturversorgung die BNU besonders auf den Gebieten der Geistes- und Sozialwissenschaften beiträgt. Dass auch die elsässische Ess- und Weinkultur nicht zu kurz kam, bedarf kaum der Erwähnung. Wenn da nur nicht der Lokführerstreik gewesen wäre …
Ludger Syré
Badische Landesbibliothek, Karlsruhe
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