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BY-NC-ND 4.0 license Open Access Published by De Gruyter Saur October 23, 2017

Bibliotheken ohne Bibliothekar/innen? Qualifikationen für die wissenschaftliche Bibliothek

Libraries without librarians? Qualifications for the scientific library
  • Konstanze Söllner

    Konstanze Söllner

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From the journal Bibliotheksdienst

Zusammenfassung

Die bibliothekarische Ausbildung befindet sich im Umbruch – oder sie sollte sich zumindest im Umbruch befinden, denn die Anforderungen verändern sich. An wissenschaftlichen Bibliotheken bilden sich neue Aufgabenprofile für wissenschaftlich vorqualifizierte Bibliothekar/innen heraus, FaMIs jedoch werden oft weit unter ihrer Qualifikation eingesetzt. Gleichzeitig finden nur wenige IT-affine Bachelor-Studierende aus den bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Studiengängen den Weg in die Bibliotheken. Grundständige Vermittlung der neuen Inhalte statt Häppchenkultur erfordert Mut, ist aber unausweichlich, wenn die Ausbildungswege robust bleiben sollen.

Abstract

The library science training is in flux – or at least it should be in flux, as the demands are changing. In scientific libraries, new tasks for scientifically qualified librarians develop, while FaMIs (Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste; specialist for media and information services), are often employed for jobs far below their qualifications. At the same time, only a few bachelor students with affinity for IT matters coming from library and information science courses of study find their ways into the libraries. Fundamental teaching of the new contents instead of imparting morsels of knowledge requires courage but is inevitable if the training shall remain robust.

1 Die Situation der bibliothekarischen Ausbildung

„Brüchig“ sei die Situation der bibliothekswissenschaftlichen Fachbereiche an den Hochschulen insbesondere in den USA geworden, so äußerte sich Michael Seadle unlängst in einem Festschriftbeitrag für Elmar Mittler.[1] Der Grund dafür sei das Verschwinden der Bibliotheken aus der öffentlichen Wahrnehmung. Dies zeige sich insbesondere im Verschwinden solcher über Jahrhunderte stabiler Größen wie des Bibliotheksbestands oder des Bibliothekskatalogs. Das Berliner Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft habe sich deshalb vor Jahren entschieden, andere Inhalte in den Fokus von Forschung und Lehre zu rücken: Information Behavior, Information Retrieval und IT-Kenntnisse als festen Bestandteil der bibliothekarischen Ausbildung.

Seadle vergleicht die aktuelle Situation der Bibliotheksausbildung mit der Sprödigkeit einer Software, die zwar zuverlässig erscheint, aber nicht mehr funktioniert, wenn sie mit ungewöhnlichen Daten konfrontiert oder minimal verändert wird. Wie brüchig oder wie robust ist die Situation der bibliothekarischen Berufe nun tatsächlich? Haben die Veränderungen, die Bibliotheken derzeit durchlaufen, ein passendes Äquivalent in der bibliothekarischen Ausbildung, oder sind die über lange Jahre robusten Berufe und Ausbildungswege inzwischen zu spröde geworden, um die neuen Anforderungen flexibel mitzuvollziehen? Welche Veränderungen sind nötig, damit der Beruf der Bibliothekarin/des Bibliothekars nicht zusammen mit dem Bibliotheksbestand und dem Bibliothekskatalog verschwindet?

Es ist in Bibliotheken üblich, Veränderungen im Aufgabenportfolio mit Weiterbildungsmaßnahmen und einer guten Portion „hands-on“ anzugehen. Und tatsächlich gibt es viel individuelle Flexibilität und die Bereitschaft, sich ganz neue Arbeitsbereiche anzueignen, sei es die Administration von Bibliothekssoftware, das Forschungsdatenmanagement oder die Schreibberatung. Nur selten werden hingegen von vornherein Spezialisten aus anderen Branchen eingestellt. Dass etwa die ZLB beabsichtigt, einen Projektmitarbeiter für Interior Design/Industrial Design in Vollzeit zu beschäftigen, der für die Gestaltung und Ausstattung der Publikumsbereiche und die Mitarbeit im Neubauprojekt verantwortlich sein soll, stellt durchaus ein Novum dar, auch wenn in den IT-Abteilungen der Bibliotheken schon seit langer Zeit Softwareentwickler und andere IT-Spezialisten arbeiten. Meist schreckt die durchschnittliche Bibliothek davor zurück, Fachpersonal für den Universitätsverlag oder für Bibliotheksmarketing zu beschäftigen, sei es, weil der Stellenpool zu klein ist oder weil man befürchtet, unflexibel zu werden, weil diese Mitarbeiter nicht für klassische Bibliotheksaufgaben verwendbar sind.

Diese Vernachlässigung externer professioneller Expertise für Bibliotheksaufgaben geht leider einher mit einer weithin zurückhaltenden Personalentwicklung und einer nur in Ansätzen stattfindenden Diskussion über die bibliothekarische Ausbildung. Auf dem Bibliothekartag 2017 konnten im Themenkreis „Teams, Talente, Leadership“ immerhin zehn Sessions und Workshops angeboten werden, wobei der thematische Rahmen bewusst nicht zu eng gezogen wurde, weil beim Bibliothekartag 2015 (der Bibliothekskongress 2016 hatte vor allem auf das Thema „Bibliotheksräume“ fokussiert) nur eine einzige Podiumsdiskussion zustande gekommen war.

Die Weiterentwicklung bestehender Ausbildungswege zu vernachlässigen und gleichzeitig davor zurückzuschrecken, externes Know-how zu gewinnen, ist keine glückliche Kombination. Charakteristisch für eine gewisse Ratlosigkeit des Berufsstands, was die strategische Entwicklung der Ausbildungswege angeht, sind auch die Berufsbilder der letzten Zeit, etwa die Beschreibung von konkreten Aufgabenbereichen in Verbindung mit Testimonials, wie sie die schweizerische IG WBS 2013 für die wissenschaftliche/n Bibliothekar/innen erstellt hat.[2] Dazu hatte die IG WBS die ganze Vielfalt der Einsatzgebiete aufgenommen und in Aufgabenschwerpunkten gebündelt. Ähnlich pragmatisch war 2014 auch der VDB – Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare vorgegangen.[3] Diese Aneinanderreihung neuer und alter Aufgaben lässt die Frage offen, wo der Weg eigentlich hin gehen soll, und wohin sich Ausbildung strategisch ausrichten sollte. Umgekehrt blieben auch thesenartige Vorschläge in der jüngeren Vergangenheit relativ unscharf. Etwa der Ausblick von Klaus Tochtermann, der 2013 feststellte: „Während das Kompetenzprofil der Beschäftigten einer Bibliothek heutzutage primär durch bibliothekarische und fachlich-inhaltliche Kompetenzen geprägt ist, wird dieses Kompetenzprofil zukünftig um Medienkompetenz und/oder Kompetenzen aus der Informatik oder den Informationswissenschaften maßgeblich erweitert.“[4] Konkrete Vorschläge, wohin die Reise gehen soll, kommen derzeit weniger aus der bibliothekarischen Community als von außen. Dazu gehören insbesondere die Empfehlungen des Rates für Informationsinfrastrukturen (RFII), der schon wiederholt auf den Bedarf an qualifiziertem Personal für datenintensive Forschung verwiesen hat. Personal-, Kompetenz und Serviceentwicklung hielten derzeit weder mit den wachsenden Datenmengen noch mit der wachsenden Komplexität und Heterogenität der mit datenintensiver Forschung verbundenen Aufgaben Schritt. Eine besondere Rolle bei der gesellschaftsweiten Vermittlung von Digitalkompetenz liege explizit bei den Bibliotheken.[5] Bibliotheken und digitale Bibliotheksexpertise bildeten – zusammen mit anderen Trägern – einen institutionellen Rahmen für das Forschungsdatenmanagement, so der RFII.[6] Dem Mangel an kompetentem Personal mit Schnittstellenkompetenz in den Fachwissenschaften kann jedoch von den Bibliotheken schwerlich dadurch abgeholfen werden, dass die existierende Fächervielfalt künftig allein von der Gruppe der wissenschaftlichen Bibliothekarinnen und Bibliothekare versorgt wird, die schon bei traditionellen Bibliotheksaufgaben das universitäre Fächerprofil noch zu keiner Zeit abdecken konnten. Zumal die Vielzahl an Projekten zu äußerst heterogenen Datenbeständen führt. Es überwiegt in Bibliotheken – was das Forschungsdatenmanagement angeht – oft noch die Projektfinanzierung. Wenn diese Aufgaben nachhaltig übernommen werden sollen, wird mehr und vor allem besser qualifiziertes Personal gebraucht.

2 Die Neuausrichtung des Fachreferats

In den letzten Jahren wurde viel über die Neuausrichtung des Fachreferats diskutiert. Redete man sich um die Jahrtausendwende die Köpfe heiß über das Verhältnis von fachspezifischen, als wissenschaftlich verstandenen „Kernaufgaben“ und betriebswirtschaftlich orientierten, teils auch projektförmig wahrgenommenen „Zusatzaufgaben“, so stand zuletzt die Tatsache im Mittelpunkt, dass gegenwärtig in der Breite neue Aufgabenfelder entstehen und dass immer mehr Personal ohne postgraduale bibliothekarische Ausbildung, das die erforderlichen Spezialkenntnisse für die neuen Aufgabenbereiche aus anderen Ausbildungen oder Tätigkeiten mitbringt, per Direkteinstieg in Bibliotheken beschäftigt wird. Eine Differenzierung nach den neuen Aufgabenbereichen wissenschaftlicher Bibliothekarinnen und Bibliothekare hat unlängst Achim Bonte vorgenommen. Er nennt:

  1. Wissensmanager mit einem relativ breiten Fächerkanon (Schwerpunkt Benutzung und Information),

  2. Forschungsbibliothekare in streng ausgewählten, fortschreitend spezialisierten Bereichen (Schwerpunkt Markenbildung und Drittmittelfähigkeit),

  3. IT-Spezialisten in definierten Bereichen (Schwerpunkt innovative Forschungsunterstützung und Drittmittelakquise),

  4. Sonstige Experten für bestimmte Führungsaufgaben und betriebliche Schwerpunkte (bspw. Personalentwicklung, kaufmännische Steuerung, Webdesign und Social Media, Gebäude- und Veranstaltungsmanagement)[7].

Dieses Raster lässt sich anhand der konkreten Stellenausschreibungen auch durchaus noch feiner ausdifferenzieren. Dafür können bspw. die in der Jobbörse OpenBiblioJobs publizierten Stellenangaben genutzt werden.[8] So sind 684 von 4.151 Ausschreibungen (16,6%) in OpenBiblioJobs im Zeitraum 25.6.2015 bis 31.7.2017 Stellenausschreibungen für wissenschaftliche Bibliothekarinnen und Bibliothekare gewesen. Dieser Anteil hat sich gegenüber einer Auswertung für den Zeitraum 17.7.2012 bis 24.6.2015 merklich erhöht, damals waren es 13,7% aller Stellenausschreibungen.[9] Quantitativ gesehen ist der Bedarf an wissenschaftlichen Bibliothekar/innen also innerhalb der letzten zwei Jahre gestiegen. Vergleicht man die Arbeitsinhalte, so ergeben sich bei den typischen Aufgabenfeldern zusätzliche Veränderungen (siehe Tab. 1).

Tab. 1:

Veränderung in den Aufgabenprofilen wissenschaftlicher/Bibliothekar/innen 2012–2017.

17.7.2012–24.6.2015 25.6.2015–31.7.2017
Leitungspositionen (ohne Fachreferat) 36,1 % 29,5%
Fachreferats-Positionen (ohne Open Access, Forschungsdatenmanagement usw.) 10,4 % 8,8%
Positionen im Bereich Forschungsdienstleistungen/Wissenschaftsmanagement/FID 3,8 % 2,9%
Positionen Open Access und wissenschaftliches Publizieren 1,8 % 3,5%
Positionen im Bereich Forschungsinformationssysteme 1,6% 1,5%
Positionen im Forschungsdatenmanagement 1,1% 3,3%
Positionen im Bereich Digital Humanities 1,2% 1,2%
Positionen im Bereich E-Learning, Mediendidaktik, Learning Services, OER 0,7% 0,7%
Fehlende Angaben 44,4 % 48,6%
n=511 n=684

Das „reine“ Fachreferat befindet sich, was Stellenausschreibungen angeht, auf dem Rückzug. Aufgaben im Bereich Open Access/Wissenschaftliches Publizieren sowie im Forschungsdatenmanagement nehmen hingegen deutlich zu.[10] Jeweils zweimal fanden sich neuerdings auch Stellenausschreibungen mit dem Schwerpunkt Bibliometriedienstleistungen, Linked (Open) Data oder Langzeitarchivierung (jeweils 0,3%). Gestiegen von 9% auf 11% ist quer über alle Aufgabengebiete aber auch die Anzahl der Projektstellen, wobei der inhaltliche Schwerpunkt auf dem wissenschaftlichen Publizieren und dem Forschungsdatenmanagement liegt, sechs Stellen aber auch für Fachinformationsdienste ausgeschrieben wurden. Bestimmte Aufgabenfelder wissenschaftlicher Bibliothekar/innen haben sich in funktionaler Hinsicht in den letzten zwei Jahren noch stärker ausgeprägt, d. h. auch die Anforderungen an die Ausbildungsgänge werden spezifischer.

Neue Aufgabenfelder sind bislang vor allem in den Wahlpflichtbereich der Ausbildungsgänge eingegangen. In den Wahlpflichtmodulen des MALIS-Studiums an der TH Köln sind bspw. die Schwerpunkte „Wissenschaftliche Dienstleistungen für Lehre und Forschung/Fachreferat“ oder „E-Science und Forschungsdatenmanagement“ mit jeweils 120 Stunden Workload/4 ECTS zu finden. Ähnlich ist die Situation im Präsenzstudium am IBI Berlin, wo sich die neuen Aufgabenschwerpunkte ebenfalls im Wahlpflichtbereich niedergeschlagen haben, hier im Modul 22 „Ausgewählte Aspekte digitaler Informationsversorgung“ mit 180 Stunden Workload/6 LP. Etwas anders sieht es im Berliner Fernstudium aus, hier kommen die Aufgabenfelder auch in den Pflichtmodulen bereits vor, wobei letztere sehr breit angelegt sind, so dass durchschnittlich ein Workload von 30 Stunden/1 LP auf ein Thema wie Forschungsdatenmanagement entfallen dürfte. Im Wahlbereich werden zusätzlich nur „Semantic Web & Linked Open Data“ sowie „Digitale Langzeitarchivierung“ im Umfang von jeweils 5 LP angeboten. Auch im Theorieteil des klassischen Referendariats an der Bayerischen Staatsbibliothek in München werden Themen wie Open Access oder Forschungsdatenmanagement nur im Umfang von zehn bzw. sechs Stunden vermittelt, in die Vertiefungskurse (12 bis 16 Stunden Umfang) haben sie noch keinen Eingang gefunden. Das neue „Spezialistentum“ wird durch die bestehenden Ausbildungsgänge derzeit also durchaus aufgenommen, aber noch nicht grundständig vermittelt, wenn man einmal vom hochspezialisierten Angebot „Digital Curation“ in Berlin absieht. Von der Forderung des RFII, dass „aufgrund des absehbar hohen Bedarfs … neue Studiengänge an einer großen Zahl von Hochschulen von den bestehenden bibliotheks-, archiv- bzw. informationswissenschaftlichen Zentren in enger Kooperation mit der Informatik und den jeweiligen Fachdisziplinen vor Ort entwickelt und angeboten“[11] werden sollten, sind wir also noch weit entfernt. Nur beim Referendariat und beim Training on the Job liegt es in der Hand der Bibliotheken, anstelle oder neben dem Fachabschluss neue Qualifikationen wie bspw. Kenntnisse im Forschungsdatenmanagement zur Zugangsvoraussetzung zu machen, wobei der Pool an geeigneten Personen aber sehr klein ist.

Auch im Bereich der Weiterbildung herrschen punktuelle Angebote vor, meist Seminare im Umfang von ein oder zwei Tagen. Der sich mit acht Modulen über ein ganzes Jahr ersteckende Kölner Zertifikatskurs „Teaching Librarian“ hat somit eine Alleinstellung, was den Ausbildungsumfang betrifft. Die Nachfrageveränderungen bei den neuen Aufgabenbereichen werden sich aber auch nicht mehr mit maßgeschneidertem Training on the Job in den Bibliotheken auffangen lassen. Die Größenordnungen beim Open Access oder Forschungsdatenmanagement liegen inzwischen bereits bei 10 bis 12 Stellenausschreibungen im Jahr und erfordern eine nachhaltige Anpassung der Studienordnungen und Ausbildungspläne der Ausbildungseinrichtungen. Der Übergang von einer breit angelegten postgradualen Bibliotheksausbildung hin zur Vermittlung von spezifischem Wissen verbunden mit einer deutlichen Profilierung braucht Mut bei den Ausbildungseinrichtungen und Unterstützung von der Leitungsebene der Bibliotheken.

3 FaMIs als Allrounder

FaMIs gehören in wissenschaftlichen Bibliotheken seit mehr als zehn Jahren zum operativen Kern. Sie sind meist im direkten Kundenkontakt tätig und werden in der Regel im traditionellen Kerngeschäft von Bibliotheken eingesetzt. Dies deckt sich auch mit dem beruflichen Selbstverständnis mancher FaMIs, die sich gern von den „Bibliothekaren“ darin abgrenzen, dass sie nicht in Verwaltungs- oder Backoffice-Bereiche streben, sondern bevorzugt im öffentlichen Bereich von Bibliotheken tätig sind. 547 von 981 Stellenangeboten für FaMIs aus der Datenbank OpenBiblioJobs aus dem Zeitraum vom 8.6.2013 bis zum 31.7.2017 stammen aus wissenschaftlichen Bibliotheken oder Spezialbibliotheken, also 55,7%. Der Anteil der Ausbildungsstellen für FaMIs in wissenschaftlichen Bibliotheken betrug im gleichen Zeitraum 56,8% (103 von 183 Ausbildungsstellen). Relativ gesehen entspricht die betriebliche Ausbildungsbeteiligung an wissenschaftlichen Bibliotheken also dem Anteil der FaMIs unter den Beschäftigten aller Sparten. Das Verhältnis Ausbildungsplätze zu Stellenangeboten liegt aber nur bei ca. 9/100, d. h. auf zehn Stellenangebote aus wissenschaftlichen Bibliotheken entfällt ein an einer wissenschaftlichen Bibliothek ausgebildeter FaMI. An großen Häusern liegt die Ausbildungsquote, d. h. der Anteil der Auszubildenden an der Gesamtzahl aller Beschäftigten, in der Regel nur bei 1 bis 2%. Dieses Missverhältnis ist für die Ausbildungssituation von FaMIs charakteristisch. Zwar bilden viele große und auch kleinere wissenschaftliche Bibliotheken seit etlichen Jahren FaMIs aus, der Bedarf übersteigt das Angebot an Absolventen jedoch bei weitem. So suchen viele Häuser händeringend nach gut ausgebildetem Personal der unteren bis mittleren Qualifikationsebene. Hinzu kommt, dass die Zahl der Ausbildungsverhältnisse in den letzten Jahren stark schwankt, weil sich kleinere Träger aus der Ausbildung zurückziehen.[12]

Für die FaMI-Ausbildung ist ein mittlerer Bildungsabschluss eigentlich ausreichend. Häufig werden die Ausbildungsstellen jedoch mit (Fach-)Abiturienten oder sogar Studienabbrechern und Hochschulabsolventen besetzt, die in den Auswahlverfahren bessere Ergebnisse bei bibliotheksrelevanten Kompetenzen (Sprachenkenntnisse, IT-Kenntnisse, Kenntnisse des Hochschulumfelds) nachweisen können, als Real- oder Haupt-/Mittelschulabsolventen. Die Auswahlverfahren für FaMI-Ausbildungsplätze sind häufig mehrstufig und beinhalten meist auch Probearbeiten – eine Anforderung, die an zukünftige Bachelor-Studierende nicht gestellt wird, auch nicht bei der späteren Einstellung. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die motivierten und gut qualifizierten FaMIs immer stärker in mittlere Qualifikationsbereiche vordringen, die früher Bachelor-Absolventinnen und -Absolventen vorbehalten waren. FaMIs verursachen für den Arbeitgeber außerdem deutlich weniger Personalausgaben, was ebenfalls zu einer Ausweitung des Einsatzes von FaMIs führt.

Die Kehrseite dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass immer mehr FaMIs sich in ihrem beruflichen Einsatz unterfordert fühlen, wenn sich dieser auf Tätigkeiten in Ausleihe und Benutzung in Verbindung mit Einstellarbeiten beschränkt, was in den großen wissenschaftlichen Bibliotheken, die stark arbeitsteilig organisiert sind, immer wieder der Standard ist. Hier haben FaMIs die Absolventen des ehemaligen stark praxisorientierten mittleren Dienstes, Bibliotheksassistent/innen und angelernte Arbeitskräfte ersetzt. An vielen wissenschaftlichen Bibliotheken wird folglich die Qualifikation der FaMIs aus tariflichen oder arbeitsorganisatorischen Gründen nicht sinnvoll genutzt. Hinzu kommt die ungünstige Tarifsituation in den meisten wissenschaftlichen Bibliotheken. FaMIs können oft nur bis zur Entgeltstufe 6 des Tarifvertrags der Länder eingruppiert werden und haben nur schlechte Aufstiegsmöglichkeiten. Dass FaMIs im Rahmen ihrer Ausbildung die Laufbahnbefähigung für das Beamtenverhältnis erwerben können, stellt die Ausnahme dar. Zusätzlich kann der Ausbildungsaufwand mehr oder weniger umsonst gewesen sein, wenn ein FaMI nach der Ausbildung ein Studium aufnimmt. Denn immer häufiger kommt es dazu, dass FaMIs, die bereits über eine Hochschulzugangsberechtigung verfügen, nach ihrer Ausbildung noch ein Fachstudium aufnehmen und so dem Berufsfeld verlorengehen, wenn sie nicht nach dem (geisteswissenschaftlichen) Studium die Bibliothek als Brotberuf wiederentdecken.

FaMIs, die sich zu einem konsekutiven Bachelor-Studium, einer Fernweiterbildung oder der Fachwirtausbildung entschließen, erwartet eine lange Studienzeit. Anders als bei Master-Studierenden, die eine zweijährige postgraduale Ausbildung auf das grundständige Fachstudium aufsatteln, müssen FaMIs i. d. R. ganze vier Jahre einsetzen, um den Bachelor-Abschluss zu erwerben. Meist geschieht dies berufsbegleitend, weil das Studium finanziert werden muss und man die unbefristete Stelle nicht aufgeben möchte. Zu begrüßen ist daher, dass die Berufsschule in Calw und die Hochschule der Medien in Stuttgart einen „Short-Track“ für FaMIs planen, der FaMIs den Zugang zu einem Präsenzstudium mit Anrechnung von Ausbildungszeiten an der Berufsschule ermöglichen soll. Es handelt sich um ein Modellprojekt zur vorstrukturierten Individualisierung von Studienverläufen über sogenannte Studien-Tracks. Dies könnte auch für andere Hochschulen und Länder ein praktikabler Weg sein, um gut qualifizierten FaMIs einen erleichterten beruflichen Aufstieg zu ermöglichen, der ihren vorhandenen Kompetenzen besser entspricht. Eine große Rolle spielt dabei aber die fachliche Qualität der dualen Ausbildung, denn diese muss das Studium zum Teil ersetzen.

Die Tarifentwicklung im Öffentlichen Dienst ist ebenso wie die Weiterbildungssituation für Bibliotheken eine wichtige Möglichkeit, sich auf dem Ausbildungsmarkt zu differenzieren und weiterhin gut qualifiziertes Personal für ihr traditionelles Kerngeschäft anzuziehen. Die Mitarbeiterbindung setzt aber schon deutlich eher ein. In Bibliotheken herrscht ein hohes Niveau der praktischen Ausbildung. Wenn Bibliotheken die Qualifikation ihrer häufig mit hohem Aufwand ausgewählten und ausgebildeten FaMIs nicht ernstnehmen, vergeuden sie wichtige Personalressourcen. Das Potential dieser Mitarbeiter kann mittels konsequenter Automatisierung für die Entwicklung künftiger Kernarbeitsbereiche wie bspw. das Lernraum- oder Veranstaltungsmanagement sehr viel besser genutzt werden, soweit nicht FaMIs ohnehin bereits das traditionelle Print-Kerngeschäft von Bachelor-Absolventinnen und -Absolventen übernommen haben. Eine Aktualisierung der Ausbildungsinhalte ist dafür dringend nötig und seit Jahren überfällig[13], denn Ausbildungsrahmenplan und Rahmenlehrplan des Bundes stammen aus den Anfangszeiten des Berufs (1998).

4 Bachelor-Absolventen in der Sandwich-Position

Nach den anfänglichen Kontroversen um den Bologna-Prozess ist es um das Bachelor-Studium merkwürdig still geworden. Die Praxisnähe und -relevanz der bibliothekarischen Bachelor-Studiengänge wurde besonders in der ersten Zeit nach der Bologna-Umstellung intensiv diskutiert.[14] Umstellung auf die neuen Studiengänge und Erwartung vieler Bibliotheken, dass Absolventen ohne große Einarbeitungszeit direkt im traditionellen Kerngeschäft (Erwerbung, Erschließung) einsetzbar sein sollten, kollidierten damals. Auch wurde von Bibliotheken kritisiert, dass die Erwartungen der Berufsanfänger häufig in die Richtung gingen, im Bereich Management von Bibliotheken, also in mittleren Leitungspositionen tätig zu sein, während die Bibliotheken Sachbearbeiter suchten.

Zwischen den gut ausgebildeten FaMIs und der zunehmenden Zahl von wissenschaftlichen Bibliothekar/innen bzw. Quereinsteigern mit Spezialkenntnissen befinden sich die Bachelor-Absolvent/innen der bibliothekarischen und informationswissenschaftlichen Studiengänge in einer Sandwich-Position. Aufgaben des klassischen Kerngeschäfts können auch von FaMIs übernommen werden, während bei den ganz neuen Aufgabengebieten oft IT-affine Fachwissenschaftler zum Zuge kommen. Oder Bibliotheken müssen freiwerdende Stellen nutzen, um Informatiker und Softwareentwickler für die Verstetigung von Projekten einzusetzen. Soweit Bachelor-Absolvent/innen nicht konsequent in den Schulungsbereich einsteigen oder sich auf Aufgaben rund um Lizenzen und die Optimierung von OpenURL-Prozessen, in der Systembetreuung oder im Bereich der Digitalisierung und Vermittlung des Altbestands spezialisiert haben, werden sie in die klassischen Kerntätigkeiten des Printgeschäfts abgedrängt, das sich an allen Bibliotheken im Rückzug befindet.

Wie ist aber die Situation an den Hochschulen und wohin streben die Absolvent/innen nach Abschluss des Studiums? An der HdM Stuttgart vollzieht sich in der nächsten Zeit eine Entwicklung, die für andere Hochschulen bereits Realität ist. Das Prinzip der „transformativen Fakultät“ hat zur Folge, dass im Grundstudium und in den letzten Semestern studiengangsübergreifende Projekte stattfinden. Künftig kann also der Studiengang Bibliothekswesen mit Informationsdesign, Online-Medien und Wirtschaftsinformatik in einem gewissen Ausmaß in übergreifender Form studiert werden. Dies stellt durchaus Fragen an das Profil der bibliothekarischen Ausbildung, zumal die Anzahl der Bewerber in Stuttgart rückläufig ist.[15] An anderen Hochschulen ist es Standard, dass der Bereich (wissenschaftliche) Bibliotheken eine Wahlmöglichkeit neben anderen im informationswissenschaftlichen Studium darstellt. Die Option Bibliothek wird – wenn man die Wahl hat – in diesem Umfeld meist nur von den weniger technikaffinen Studierenden ergriffen. Eine Absolventenbefragung der Hochschule Hannover (Jahrgänge 2008–2015) förderte zutage, dass die Absolventen mit Schwerpunkt „Wissenschaftliche Bibliothek“ zwar ohne Probleme in Bibliotheken unterkommen, dass darüber hinaus aber auch nur eine einzige Person, die einen technischen Studienschwerpunkt (interaktive und audiovisuelle Medien) des Studiums Informationsmanagement gewählt hatte, dann ebenfalls in einer wissenschaftlichen Bibliothek tätig wurde. Im Normalfall bewerben sich die Absolventen mit Technikschwerpunkt vor allem um Tätigkeiten im Bereich PR, Marketing und Webentwicklung, nicht jedoch in Bibliotheken, obwohl der Bedarf dort zweifellos gegeben ist.[16] Das Fazit der Befragung dürfte auch für andere Hochschulen gelten: „So halten sich die auf Wissenschaftliche Bibliotheken orientierten Personen nur allzu oft von den eher technisch ausgerichteten Fächern fern und erkennen die IT-affinen Studierenden das Potential klassischer Informationseinrichtungen als potentielle und attraktive Arbeitsfelder nicht.“[17] Dieselbe Situation könnte in Stuttgart eintreten, wenn die IT-affinen Absolvent/innen von vornherein nach Stellen außerhalb des Bibliothekskontexts suchen. Gelingt es dem neuen Studiengang in Leipzig, der explizit „Bibliotheksinformatik“ vermittelt, besser als den informationswissenschaftlichen und informationstechnischen Studiengängen oder Profilbildungen wie etwa in Hannover oder Darmstadt, auch IT-affine Absolvent/innen in das Arbeitsfeld Bibliothek einmünden zu lassen? Ist ein Studiengang, der wie in Potsdam „Bibliothekswissenschaft“ heißt und grundständig Webtechnologien und Elektronisches Publizieren vermittelt, geeignet, um die überfällige Profilschärfung im Bachelor-Bereich zu vollziehen? Beide Studiengänge stellen einen wichtigen Vorstoß dar, sich einem Verschwinden der bibliothekarischen Ausbildung in den Weg zu stellen und ein Angebot zu machen, das robust genug für die Anforderungen der digitalen Bibliothek ist. Dass zunehmend in Bibliotheken auch andere Berufe gebraucht werden, ist auf jeden Fall kein Grund, die Weiterentwicklung der bibliothekarischen Ausbildung zu vernachlässigen. Die neuen Aufgabenfelder müssen konsequenter als bisher Eingang in die Ausbildungen aller Qualifikationsebenen finden und werden zwangsläufig andere Ausbildungsinhalte verdrängen.

About the author

Konstanze Söllner

Konstanze Söllner

Published Online: 2017-10-23
Published in Print: 2017-10-28

© 2017 by De Gruyter

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Downloaded on 4.12.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/bd-2017-0098/html
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