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Publicly Available Published by De Gruyter Saur September 7, 2019

Das Große Abendländische Schisma im Open Access: Warum Bücher und Zeitschriften angeblich so unterschiedlich sind - und das dem Modell schadet

Open Access and the Big Schism in the West - On the alleged difference between books and periodicals and why it damages the whole model
  • Sven Fund

    Dr. Sven Fund

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From the journal Bibliotheksdienst

Zusammenfassung

Open Access-Publizieren ringt noch immer mit erheblichen strukturellen Herausforderungen. Aktuelle Entwicklungen in den unterschiedlichen Mediengattungen Buch und Zeitschrift führen dabei zu einem Auseinanderdriften der Entwicklungen. Der Beitrag untersucht Ursachen und mögliche Lösungsansätze zur Durchsetzung von Open Access in Verlagen und Bibliotheken.

Abstract

Open Access Publishing still faces substantial structural challenges. Current developments in different types of media such as books and magazines are widening the gap between categories. The following contribution analyses underlying causes and possible solutions for the implementation of Open Access in the context of publishing houses and public libraries.

Seit zwei Dekaden ist Open Access (OA) im wissenschaftlichen Publizieren von stark wachsender Bedeutung. Und obwohl die Phase des Experimentierens mit freiem Zugang zu Inhalten längst einem professionellen Umgang mit dem Modell gewichen ist, werden die Unterschiede zwischen Zeitschriftenartikeln und Buchinhalten einerseits und verschiedenen Disziplinen andererseits weiterhin mantrenhaft wiederholt. Problematisch sind daran nicht etwa die unterschiedlichen Geschwindigkeiten, mit denen das Modell in den akademischen Disziplinen aufgenommen wird. Es ist vielmehr die Zementierung von konstruierten Unterschiedlichkeiten, die in der Vergangenheit vielleicht sinnhaft gewesen sein mögen, in der Digitalität allerdings zunehmend ihre Substanz verlieren. Interessierte Stakeholder in Bibliotheken, Verlagen und der Wissenschaftsförderung müssen dafür Sorge tragen, offen zu Tage liegende Transformationspotenziale nicht ungenutzt zu lassen.

Befunde

Das wissenschaftliche Publizieren und sein bibliothekarisches Äquivalent driften schon seit Dekaden auseinander.[1] Das Schisma ereignet sich entlang der Disziplinengrenze Science, Technology, Medicine (STM) einerseits und den Humanities and Social Sciences (HSS) andererseits. Das Argument für die unterschiedlichen Sichten auf einen vergleichbaren Vorgang aus Sicht der Wissenschaft ist schnell gemacht: Während Vertreterinnen und Vertreter der „harten“ Wissenschaften eine Vielzahl von Artikeln zumeist in Zeitschriftenformat publizieren, konzentrieren sich ihre Kolleginnen und Kollegen im geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Bereich auf das Verfassen von Büchern. Zudem wird die Forschung in der STM besser finanziert, häufig durch Drittmittel der interessierten Industrie, als wissenschaftliches Arbeiten in HSS-Disziplinen.[2]

Die Folgen sind hinlänglich bekannt: Zeitschriften in den Naturwissenschaften sind sehr profitable wirtschaftliche Objekte, die Konsolidierung des Bereichs unter einigen wenigen Verlagen weit vorangeschritten. Bibliotheken geraten durch seit Jahrzehnten steigende Abo-Preise immer stärker unter Selektionsdruck, die sogenannte Zeitschriftenkrise nimmt ihren Lauf, meist zulasten von Monografien. Als Reaktion auf sinkende Stückverkäufe pro Titel steigen wiederum seit Jahren die Preise für Bücher, natürlich auch in diesem Fall effizienter durchgesetzt von Konzernverlagen mit massiven Novitätenmengen pro Jahr. In beiden Märkten bleiben die kleinen Verlage vor allem dann ökonomisch auf der Strecke, wenn sie nicht konsequent spezialisieren. Die Konzentration nimmt weiter ihren Lauf, indem die Großen die Kleinen ins Portfolio aufnehmen und so fort.

Open Access wollte ursprünglich mit diesem Ordoliberalismus im Publikationsmarkt aufräumen und das Oligopol der Großen brechen. Das ist nicht gelungen. Zwar haben mit der Public Library of Science (PLoS), Hindawi, Frontiers und ein paar weiteren Unternehmen Newcomer den Eintritt in den Zeitschriftenmarkt durch konsequente Umsetzung des Open Access-Gedankens geschafft und damit traditionelle Großkonzerne wie Elsevier, Wiley und SpringerNature zu Adaptionen ihrer Geschäftsmodelle gezwungen. Wären sie als Alternative nicht am Markt gewesen, hätten die politischen Mandate von Europäischer Union, verschiedenen Nationalstaaten und großen Forschungsförderern niemals die explosive Energie entwickelt, die den Wissenschaftsmarkt derzeit umkrempelt.

Finanzinvestoren sind zunehmend nervös, ob Wissenschaftsverlage noch ein gutes Anlageziel sind. Waren diese bisher als defensive Investments vor allem in Krisenzeiten gefragt, erhöht die Entwicklung von Open Access eine Finanzbeteiligung zunehmend zu einem spekulativen Element - nicht gerade das, was auf Sicherheit bedachte Anleger suchen.

Gleichzeitig fallen Bücher zunehmend aus dem Fokus vieler, die über Open Access reden.[3] Kaum eine Konferenz, bei der nicht bedauert wird, dass die Entwicklungen spürbar auseinanderlaufen - nur um sich rasch wieder auf das Herzensthema Zeitschriften zu konzentrieren. Dabei ist das Problem für die betroffenen Buch-Disziplinen nicht geringer als für jene Fächer, deren Forschende primär Zeitschriften zur Wissensvermittlung und -aneignung nutzen. Während Marktforscher DeltaThink den Markt von Zeitschriften im Gold Open Access auf ca. 600 Mio. US-Dollar im Jahr 2018 schätzte[4], gehen die Wettbewerber von SIMBA von einem OA-Buchmarkt von 37 Mio. US-Dollar im gleichen Jahr aus[5] - unter 6 % am Gesamtmarkt und damit deutlich weniger, als wohl jede Bibliothek aus ihrem Budget für Bücher ausgibt.

Ursachen

Die Ursachen dieser Entwicklung sind nicht nur faktisch. Natürlich ist der Anbietermarkt beim Buch deutlich fragmentierter als bei Zeitschriften. In der Folge sind die Anbieter häufig weniger potent, wenn es um die Skalierung und damit die Durchsetzung eines Modells geht. Zweitens sind Zeitschriften dankbare wirtschaftliche Einheiten, hochgradig standardisiert und aufgrund ihrer Struktur einfach zu verhandeln.[6] Die Förder- und Finanzierungslandschaft von Forschung, die zu Artikeln in Zeitschriften führt, ist häufig finanzstark, wohlorganisiert und wissenschaftspolitisch interessiert. Das Buch als Medium steht meist nicht auf der Agenda dieser Förderer.

Die unterschiedliche Behandlung eines Modells in den beiden großen Bereichen der Forschung ist meiner Einschätzung und Beobachtung nach jedoch in erster Linie eine Folge unterschiedlicher Perzeptionen. Publikationstraditionen in den Wissenschaften und von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern spielen dabei eine größere Rolle als finanzielle oder technische Einschränkungen. Wissenschaftspolitik ist eben mit einem Bündel Geld in der Hand besser durchsetzbar als mit einem gut gemeinten Appell allein.

Förderer in den Geistes- und Sozialwissenschaften haben erst in letzter Zeit ihr Verhalten verstärkt ihrer schon länger grundsätzlich OA-freundlichen Rhetorik angepasst.[7] Und auch Bibliotheken gehen verstärkt zur Finanzierung von Open Access im monografischen Bereich über, über sogenannte Book Processing Charges (BPC) oder auf dem Weg der institutionellen Förderung, etwa durch Knowledge Unlatched und Language Science Press international oder Initiativen wie OpenEdition in der französischsprachigen Welt.

Neben dieser behavioralistischen Komponente sind derzeit in einem Umfeld, in dem OA-Monografien zumindest quantitativ an Bedeutung gewinnen, drei wesentliche Problemkomplexe beobachtbar, die sich als Hemmnis bei der rascheren Durchsetzung des Modells erweisen: Finanzierung, Qualitätswahrnehmung und Infrastruktur.

(Gemeinsame) Probleme

Finanzierungsfragen einerseits und (Un)Kenntnis und Einstellungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu Open Access andererseits begleiten das Modell bei seiner Entwicklung seit der ersten Stunde. Während es bei Zeitschriftenartikeln gelungen ist, anfängliche Bedenken hinsichtlich der Qualitätswahrnehmung durch eine massive Steigerung der Downloads und Zitierungen - und in der Konsequenz sehr häufig auch der Impact Factors von OA-Zeitschriften - zu zerstreuen, fällt es bei Monografien deutlich schwerer, diesen empirischen Nachweis zu führen. Eigene Untersuchungen haben gezeigt, dass Forscherinnen und Forscher Open Access für Monografien in vielen Fällen weiterhin für qualitativ unterlegen halten, nicht zuletzt, da sie - meist fälschlicherweise - davon ausgehen, dass die Print-Version eines Buches entfalle. Ich führe dies insbesondere darauf zurück, dass die Befragten meist keine konkreten Nutzungsstatistiken ihrer Titel erhalten. Verlage sind hier deutlich in der Bringschuld: Im digitalen Umfeld ist das regelmäßige Reporting von Kennzahlen und die Aufklärung über ihre Bedeutung Pflichtprogramm. Nur durch kompetente Information lassen sich Wahrnehmungen von Qualität über Zeit objektivieren.

Die Qualitätswahrnehmung von Open Access wird nach meinen Beobachtungen ganz maßgeblich durch die Einbindung von OA-Publikationen in bestehende Programme beeinflusst, und zwar in inhaltlicher Hinsicht wie bezogen auf Formate.

Der inhaltliche Aspekt ist von wissenschaftlichen Zeitschriften bekannt und hat über ein Jahrzehnt die Diskussion über hybrides Publizieren geprägt: Forscherinnen und Forscher interessiert das Geschäftsmodell des Verlages wenig (vor allem, wenn Finanzierung vorhanden ist), vielmehr ist die Reputation des Umfelds von entscheidender Bedeutung - bei Büchern also Verlagsmarken, deren Programme, Reihenprofile, Herausgebergremien etc. Reine OA-Verlage haben in dieser Hinsicht durchaus reputative Nachteile aufzuholen, die sie allerdings häufig durch bessere Autorenservices wettmachen können.

Der Aspekt des Formats bezieht sich auf die Verfügbarkeit gedruckter Ausgaben der Bücher. Mir ist kein wesentlicher Verlag bekannt, der darauf verzichten würde - die Wahrnehmung ist jedoch gerade bei marktführenden Unternehmen offensichtlich eine andere.

Wissenschaftsverlage betonen stets ihre koordinative Rolle in der Wissenschaftskommunikation - neben dem Aspekt des Peer Review. Ohne Frage ist es ihnen zu verdanken, einer globalen Kommunikation auch dort Struktur zu geben, wo es der Wissenschaft an entsprechenden Strukturen fehlt. Trotz vielfacher Initiativen bleiben die Strukturen im Open Access fragil, und zwar sowohl im Bereich der reinen OA-Hosting-Lösungen wie auch bei vitalen Nachweissystemen.

Vor allem im Hosting scheint die Fragmentierung der Anbietermodelle problematisch, beeinflusst sie doch die Sucherfahrung und den Komfort bei der Arbeit von Forscherinnen und Forschern massiv.[8] Die nach einhelliger Schätzung rund 15.000 - 25.000 verfügbaren Open Access-E-Books, die wissenschaftlichen Standards entsprechen, sind weder vollständig indexiert, noch sind sie unter einer einheitlichen Such- und Arbeitsoberfläche nutzbar. Dem versucht die Open Research Library, Anfang Mai diesen Jahres von einem internationalen Konsortium initiiert, zu begegnen. Das Modell will sämtliche OA-Bücher der Welt für Verlage und Nutzer kostenlos auf einer Plattform versammeln. Es ist offen für alle Verlage, vor allem aber auch für Weiterverwertungen in Bibliothekskatalogen, Discovery Systemen und akademischen Netzwerken. Den teilnehmenden Verlagen und Bibliotheken stellt es Nutzungsstatistiken zur Verfügung.

Fazit

Open Access, längst ein erfolgreiches Modell in einigen Disziplinen und für einige Produkttypen, entwickelt sich zunehmend ungleichmäßig. Dieser Pfad ist jedoch für die verschiedenen Disziplinen weder positiv noch unumkehrbar. Im Gegenteil würden gerade die bisher eher benachteiligten Geistes- und Sozialwissenschaften von einem breiteren Einsatz des Zugangsmodells profitieren. Forschung könnte sich beschleunigen und weiter internationalisieren, wenn der Zugriff auf aktuelle Literatur verbessert würde. Neben der konsequenten Mittelverwendung für öffentlich finanzierte Forschung ist die Bereitstellung gemeinsamer, zentraler Infrastrukturen eine notwendige Voraussetzung für die stärkere Bündelung der vorhandenen Kräfte. Vor allem Bibliotheken kommt in beiden Fällen ein hohes Maß an Verantwortung zu. Sie haben in den vergangenen Jahren durch eine massiv verbesserte Koordination ihrer Verhandlungs- und Erwerbungsstrategien Freiräume zurückerlangt, von denen sie wohl selber nicht mehr gedacht hatten, dass sie sie beanspruchen könnten. Nun sind sie am Zug, häufig formulierten Wünschen budgetäre Taten folgen zu lassen. Das ist keine einfache Aufgabe, setzt sie doch voraus, die eigene Rolle neu zu definieren. So lässt sich nicht nur die zögerliche Zuweisung von Mitteln zum Open Access kritisch hinterfragen. Auch praktische Themen wie die Katalogisierungs-, Hosting- und Repository-Strategie bedürfen einer verstärkten Diskussion - und vor allem beherztem Handeln durch die Verantwortlichen.

Das größte Risiko des Open Access ist der Verlust einer ganzheitlichen Sicht auf Ziele und Voraussetzungen des Modells in Bibliotheken und für Verlage zugunsten kurzfristiger Optimierung von Gruppeninteressen. Mit einer solchen Sicht wird zwar für einige ein attraktives neues Modell geschaffen, ein grundsätzlicher Wechsel gelingt jedoch nicht. Nur wenn systemetablierende und -stabilisierende Kooperation und gesunder Wettbewerb innerhalb definierter Grenzen austariert werden können, kann das wissenschaftspolitisch Gewollte gelingen. Dazu bedarf es einer Infrastruktur, die Robustheit von Verlagssystemen klassischer Form aufweist und von neuen Möglichkeiten der Nutzungsmessung Gebrauch macht.

About the author

Dr. Sven Fund

Dr. Sven Fund

Literatur

Editage: Geographic Trends in Attitudes to Open Access. Findings from the Editage Global Author Survey 2018. O. O. 2019.Search in Google Scholar

Fund, Sven: Will Open Access Change the Game? Hypotheses on the Future Cooperation of Libraries, Researchers, and Publishers. In: Bibliothek Forschung und Praxis, DOI: https://doi.org/10.1515/bfp-2015-0025 [Zugriff: 08.08.2019].10.1515/bfp-2015-0025Search in Google Scholar

Fund, Sven: From Supermarkets to Marketplaces. In: Scholarly Kitchen, https://scholarlykitchen.sspnet.org/2018/05/14/guest-post-supermarkets-marketplaces-evolution-open-access-ecosystem/. 2018 [Zugriff: 08.08.2019].Search in Google Scholar

Hook, Daniel; Calvert, Ian; Hahnel, Mark: The Ascent of Open Access. London 2019.Search in Google Scholar

Pollock, Dan; Michael, Ann: News & Views: Open Access Market Sizing Update 2018. O. O. 2018.Search in Google Scholar

Schonfeld, Roger: Will Publishers Have Platforms? In: Scholarly Kitchen, https://scholarlykitchen.sspnet.org/2019/02/27/will-publishers-have-platforms/. 2019 [Zugriff: 08.08.2019].Search in Google Scholar

SIMBA Information: Open Access Book Publishing 2018-2022. Rockville, MD, 2018.Search in Google Scholar

Volkswagen Stiftung: Information Open Access - Open Data - Open Source. 2018.Search in Google Scholar

Published Online: 2019-09-07
Published in Print: 2019-08-05

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 2.10.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/bd-2019-0080/html
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