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Publicly Available Published by De Gruyter Saur April 7, 2020

Förderung Kultureller Bildung – Herausforderung auch für Wissenschaftliche Bibliotheken?

Is the Promotion of Cultural Education a Challenge for Scientific Libraries?
  • Wilfried Sühl-Strohmenger

    Dr. Wilfried Sühl-Strohmenger

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From the journal Bibliotheksdienst

Abstract

Im Rahmen der österreichischen BAM-Offensive wurde seinerzeit damit begonnen, die Bestände von Bibliotheken, Archiven und Museen unter einem Portal verfügbar zu machen, um die digitalisierten Objekte übergreifend für Zwecke der Bildung und der wissenschaftlichen Forschung zugänglich zu machen. Dieses Ziel verfolgen auch die Portale der Europeana sowie der Deutschen Digitalen Bibliothek (DDB). Aber nicht nur die wissenschaftliche Forschung soll dadurch unterstützt werden, sondern auch die Bildung insgesamt, insbesondere die Kulturelle Bildung. Inwieweit auch die Wissenschaftlichen Bibliotheken mehr zur Förderung Kultureller Bildung beitragen könnten und sollten, ist Gegenstand dieses Artikels.

Abstract

At the initiative of the work group BAM-Austria (BAM short for: Libraries, Archives, Museums), access to the collections of libraries, archives and museums has been pooled on one platform to make the digitised objects available for education and scientific research purposes. Web portals such as Europeana and the German Digital Library DDB have the same goal, which is not only to promote research but education in general, particularly with regard to cultural education. The extent to which scientific libraries may be part of the promotion of cultural education, is the subject of this paper.

1 Kulturelle Bildung als Perspektive und als gesetzlicher Auftrag

Wesentlich auf Initiative des Vereins Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VÖB) und ihres damaligen Präsidenten Harald Weigel (Vorarlbergische Landesbibliothek Bregenz, Sprecher von BAM-Austria bis 2013) entstand BAM, ein kooperatives Modell für Bibliotheken, Archive und Museen: „Das Pflegen eines Netzwerkes sollte den Wissensaustausch befördern und Leistungssteigerung im Sinne größerer Nutzerfreundlichkeit bewirken. International waren längst BAM-Aktivitäten selbstverständlich. Als ein Hauptanliegen kristallisierte sich heraus, ein BAM-Portal für Österreich aufzubauen. Der Umgang mit (digitalem) kulturellem Erbe ist von zentraler Bedeutung für zukünftige Strategien in der Informationsgesellschaft. Als ein wichtiger Punkt gilt dabei der übergreifende Zugang zu den digitalisierten Beständen von Museen, Bibliotheken und Archiven.“[1] Nach diesem Verständnis sollte BAM-Austria – in der Folge entstand auch in Deutschland ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes BAM-Portal[2] – also vornehmlich den übergreifenden Zugang zu den jeweiligen Beständen der beteiligten Einrichtungen ermöglichen und erleichtern, mit Akzent auf den digitalisierten Objekten.[3] Die Recherche nach Informationen, Medien und kulturellen Objekten stand also im Vordergrund[4], jedoch fragt sich, ob dies die einzige nachhaltige Möglichkeit für Bibliotheken, Archive und Museen darstellt, das ihnen anvertraute kulturelle Erbe zur Geltung zu bringen. Ein weiterer Ansatz soll hier näher vorgestellt werden: die Kulturelle Bildung. Die Nutzung der übergreifend verfügbaren digitalisierten Objekte aus Bibliotheken, Archiven und Museen, wie sie die Europeana Collections verfügbar machen, beschränkt sich nicht auf die wissenschaftliche Forschung, sondern soll vielmehr ausdrücklich auch im Kontext von Bildung, Arbeit, Lernen und Vergnügen geschehen.[5] Die Förderung der Kulturellen Bildung wäre also eine naheliegende Intention und sie verbindet die drei Institutionen Bibliothek, Archiv und Museum.

Auch in den bislang verabschiedeten fünf deutschen Landesbibliotheksgesetzen von Thüringen, Sachsen-Anhalt, Hessen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein[6] werden als übergreifende Zielbereiche der Öffentlichen und der Wissenschaftlichen Bibliotheken Bildung, Wissenschaft und Kultur herausgehoben. So heißt es beispielsweise in § 1 (1) des Bibliotheksgesetzes für Sachsen-Anhalt: „Die Bibliotheken sind Bildungseinrichtungen und dienen der Förderung der kulturellen Betätigung aller Einwohnerinnen und Einwohner. Sie sind Informations-, Kommunikations- und Lernorte und entsprechend ihren Aufgaben wichtige Kooperationspartner für andere Einrichtungen in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Kultur.“[7]

Zunächst wäre zu fragen, welche Rolle Kulturelle Bildung überhaupt spielt, welche Bedeutung sie auch für Wissenschaftliche Bibliotheken hat und wie sie vermittelt werden könnte.

2 Kulturelle Bildung: ein schillernder Begriff

Eine bündige Definition von Kultureller Bildung zu geben, erweist sich als schwierig, weil die beiden Bestandteile dieses Konstrukts – „Kultur“ und „Bildung“ – ihrerseits als Dachbegriffe unscharf und schillernd sind, zudem vielfältige Veränderungen erfuhren: Der vornehmlich auf die bürgerlichen Ausdrucksformen durch Theater, Literaturkanon und klassische Musik geprägte Kulturbegriff differenzierte sich aus in beispielsweise Alltagskultur, Netzkultur, Interkulturalität. Der Bildungsbegriff wandelte sich von dem einstmals engen Bezug auf die Antike und das Klassische, in deren Überlieferung und Sprache sich die Persönlichkeit entfalten sollte, streng geschieden von der berufsbezogenen Ausbildung, hin zu einem bloßen, beliebig weit gefassten Schlagwort für Lernprozesse jeglicher Art. Um ihn wieder schärfer zu konturieren und für die Herausforderungen der Gegenwart praktikabel zu machen, werden aktuell wieder Versuche seiner Rekonstruktion und Neufassung unternommen.[8]

Allerdings blieb der Bezug von Kultureller Bildung zum Individuum weitgehend erhalten, d. h.: Die Aneignung kultureller Inhalte und Objekte wird stets als eigenständige rezeptive und produktive Leistung des sich bildenden Subjekts verstanden. Eine Kulturvermittlung ist also auf ein bildungswilliges Individuum angewiesen, das sich im Bildungsprozess die Kulturangebote schöpferisch und eigenständig zu eigen macht, sich dadurch „bildet“. Der Deutsche Kulturrat hat 1994 folgende Definition von Kultureller Bildung vorgeschlagen: „Kunst und Kultur sind unverzichtbare Elemente einer zeitgemäßen Allgemeinbildung. Jedes innovative und zukunftsorientierte Bildungssystem muss das berücksichtigen. Kulturelle Bildung ist weit mehr als Wissensvermittlung. Kulturelle Bildung hat das Ziel, allen Menschen den Zugang zu Kunst und Kultur und über diesen Weg die Entwicklung eigener schöpferischer Kräfte zu ermöglichen.“[9]

Daraus geht hervor, dass die Institutionen, wie beispielsweise Bibliotheken, Museen, Theater und Archive, ihre kulturellen Ressourcen und Angebote nicht lediglich passiv durch Rezeption verfügbar machen, sondern darüber hinaus aktiv daran mitwirken, dass bei ihrem Publikum Kulturelle Bildung erwachsen kann und zwar möglichst bei jedem einzelnen Menschen, der mit den Institutionen in Kontakt kommt – „Teilhabe“ ist dabei der Schlüsselbegriff.

Gleichzeitig werden verschiedene Kompetenzen entwickelt und gefördert, wie noch zu zeigen ist. Zu thematisieren wäre auch das Verhältnis von Bildung und Kompetenz, da Bildung und Kompetenz sich nicht widersprechen müssen, vielmehr einander ergänzen können, wie Erpenbeck/Sauter[10] mit Bezug auf die Bildungstheorie Wilhelm von Humboldts herausgestellt haben. Sie sehen im neuhumanistischen Bildungsbegriff des 18. Jahrhunderts den Aspekt des Sich-Selbst-Bildens als wesentlich neue Dimension: „Die Nähe zum modernen Kompetenzbegriff ist unübersehbar; Kompetenzen erfasste er als Fähigkeiten, in offenen Situationen sich selbst bildend und verwirklichend zu handeln.“[11] Diese Sichtweise erweist sich auch für die Kulturelle Bildung im Kontext von Bibliothek, Archiv und Museum als ergiebig, denn dort können die jüngeren wie die älteren Besucherinnen und Besucher Fähigkeiten und Fertigkeiten in Bezug auf das Rezipieren und das Verarbeiten von Information und die darauf aufbauende Formierung von Wissen erwerben, ein Prozess, der in Bildung mündet.

Kulturelle Bildung beinhaltet immer auch Interkulturelle Bildung: „Kulturelle Bildung ist die produktive und rezeptive Auseinandersetzung in und mit den Künsten. Als Querschnittsaufgabe verbindet sie interdisziplinäre, interkulturelle, intergenerative und interaktive künstlerische Angebote in formalen und non-formalen Kultur- und Bildungsinstitutionen.“[12] Insofern fungiert Kulturelle Bildung als Oberbegriff, der eine Pluralität der Kulturen umfasst, die gleichrangig betrachtet werden, also die Denkfigur einer „Leitkultur“ ausschließen.

3 Kulturelle Bildung in Schule und Hochschule

In der Schule existiert gegenwärtig kein Unterrichtsfach „Kulturelle Bildung“, sondern diese ereignet sich vornehmlich in den vielfach noch als ungeliebte „Nebenfächer“ titulierten Fächern Kunst und Musik, ferner in den Literaturfächern und dem Geschichtsunterricht, zudem wäre sie fächerübergreifend zu verorten. Als Kooperations- oder Bildungspartner spielen dabei die außerschulischen Kulturinstitutionen eine wichtige Rolle.[13]

Im Hochschulbereich wären die kulturwissenschaftlichen Disziplinen, ferner die betreffenden Lehramtsstudiengänge prädestiniert, Kulturelle Bildung im Rahmen der Lehre zu fördern. In diesem Zusammenhang erscheint es als passend, mit Breidbach auch von kulturellem Wissen oder „Kultur-Wissen“[14] zu sprechen, das auf einer reflektierten Interpretation von Informationen und Nachrichten gründet, die vom Subjekt selbst zu leisten ist. Ein solches Kultur-Wissen gehört vornehmlich in das Studium Generale.

Aber auch darüber hinaus könnte Kulturelle Bildung einen höheren Stellenwert in der Hochschule beanspruchen, und zwar im interdisziplinären Diskurs. DFG-Sonderforschungsbereiche (SFB) mit kultur- und geisteswissenschaftlichen Ausrichtungen würden dabei eine Rolle spielen. Die Hochschulbibliotheken sind in solche Sonderforschungsbereiche ohnehin bereits involviert, allerdings konzentriert auf die Beschaffung der benötigen Literatur-, Medien- und Informationsressourcen und den Aufbau von Informationsinfrastrukturen, im Rahmen derer auch die anfallenden Forschungsdaten verarbeitet werden. Hier wäre naheliegend, dass die Bibliotheken auch dazu beitragen, die beispielsweise im Zuge der SFB-Forschungen gewonnenen Erkenntnisse durch Angebote zur Förderung Kultureller Bildung in Kooperation mit den betreffenden Forscherinnen und Forschern fruchtbar zu machen, wie es zum Beispiel der SFB „Muße“[15] an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau tut. Der SFB Muße bietet in dieser Richtung ein gutes Beispiel, weil er ein kulturvermittelndes Transferprojekt in Form eines Museums der Muße und Literatur in Baden-Baden initiiert hat[16], das generell für die Kulturelle Bildung fruchtbar gemacht werden kann. Auch in Kooperation mit den betreffenden Einrichtungen von Forschung und Lehre durchgeführte Veranstaltungen und Ausstellungen in der Bibliothek[17] können die Kulturelle Bildung jenseits der Fachgrenzen bereichern.[18]

4 Ansatzpunkte für Kulturelle Bildung im Kontext Wissenschaftlicher Bibliotheken

Die drei Einrichtungen Bibliothek, Archiv und Museum haben im Kontext Kultureller Bildung einen hohen Stellenwert, vor allem im Hinblick auf Ihre Rolle als Gedächtnisinstitutionen[19], als Speicherorte kultureller Objektivationen, sei es als handschriftliche Aufzeichnung, als gedrucktes Werk, als museales Objekt in vielfältiger Form oder sei es als digitale oder sonstige Ressource.

Die digitalisierten Bestände und Sammlungen im Rahmen der Europeana bzw. der DDB wären dabei eine enorm reichhaltige und vielseitige Material- und Quellenbasis, die nicht nur einzelne Objekte umfasst, sondern diese auch im Rahmen von virtuellen Ausstellungen anschaulich und lehrreich arrangiert. Damit wäre der Zugriff auf die empfindlichen und schutzbedürftigen Originale nicht notwendig, zumal gerade der ortsunabhängige Zugriff einen unschätzbaren Vorteil für Bildungs- und Studienzwecke darstellt.

Teilweise sind die Grenzen zwischen den drei Institutionen fließend, denn an Wissenschaftlichen Bibliotheken sind teilweise Hochschularchive benachbart angegliedert, teilweise besitzen Bibliotheken selber auch archivalische Materialien und handschriftliche Zeugnisse, zum Teil fungieren sie mit ihren Ausstellungsaktivitäten auch als eine Art von Museum, besitzen Foto- und Bildsammlungen.

Archive und Museen ihrerseits sind den Bibliotheken nicht ganz fern.[20] Sie arbeiten ähnlich, d. h. sie verzeichnen kontinuierliche Zugänge an Archivgut und an Objekten, sie erschließen diese Zugänge zum Beispiel in Findbüchern, Repertorien, Bestandskatalogen, sie digitalisieren ihre Bestände nach Möglichkeit, sie sind offen für die Nutzung oder die Besichtigung ihrer Ressourcen, teilweise mithilfe der Archivpädagogik bzw. der Museumspädagogik. Im Bibliothekswesen existiert analog dazu die Bibliothekspädagogik[21], vor allem mit Bezug auf die öffentlichen Bibliotheken, aber die Kulturvermittlung spielt auch in einigen Wissenschaftlichen Bibliotheken bereits eine nennenswerte Rolle.[22]

Die Förderung von Lesekompetenz, von Informations- und Medienkompetenz kann als Grundlage Kultureller Bildung im Kontext von Bibliotheken gesehen werden, die sich auch als Teaching Libraries, als Lernorte verstehen und mit ihren vielseitigen Medienangeboten die Wissensbildung im Auge haben, während die Archive vornehmlich Kompetenzen im Umgang mit der quellenmäßigen Überlieferung entwickeln, die Museen Artefakte der Künste, der Naturkunde, der Ethnologie und sonstiger Kulturbereiche zur bildenden Anschauung bringen können, nicht nur auf rezeptive Weise, sondern auch zur produktiven Aneignung durch Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Diese Zusammenhänge können in entsprechenden Lehrangeboten zur Kulturellen Bildung den Studierenden verdeutlicht werden, wie im Folgenden beispielhaft zu zeigen ist.

Kulturelle Bildung ist im Bibliothekswesen grundsätzlich nichts Neues, konzentriert sich allerdings bislang vornehmlich auf die Öffentlichen Bibliotheken.[23] Barbian plädiert dafür, die Förderung Kultureller Bildung weiter zu fassen, über die Schule und auch über die Leseförderung hinaus, obgleich diese gerade in der digitalen Medienwelt von herausragender Bedeutung sei.[24] Für die Wissenschaftlichen Bibliotheken existieren bislang offenbar keine übergreifenden Studien und Veröffentlichungen[25], die deren Beitrag zur Kulturellen Bildung systematisch untersuchen oder als Aufgabe diskutieren.[26] Dabei sind Universitäts-, Hochschul-, Staats-, Regional- und Landesbibliotheken bedeutende Einrichtungen zur Bewahrung und Erschließung des kulturellen Erbes.[27] Gemeinsam mit den Öffentlichen Stadt- und Kommunalbibliotheken sind sie prädestiniert, ihre Angebote für die ästhetisch-literarische Bildung, für die Förderung von Lese-, Informations- und Medienkompetenz in den Dienst der Kulturellen Bildung zu stellen. Hinzuweisen wäre noch darauf, dass viele Landes- und Regionalbibliotheken sich dieser Aufgabe bereits stellen[28] und gerade im Ausstellungsbereich (eigentlich die klassische Form der Vermittlung Kultureller Bildung) besonders rührig sind. Nicht nur Europeana und DDD, sondern regionale Portale, wie zum Beispiel LEO-BW[29], dienen diesem Zweck. LEO versammelt nicht nur die Quellen digital im Netz, sondern bereitet sie auch exemplarisch auf und trägt dadurch zur Vermittlung bei, damit die Digitalisate zum Beispiel von schulischen Lehrkräften und anderen produktiv aufgegriffen werden können, für die kulturelle Bildungsarbeit.

5 Kulturelle Bildung und bildungswissenschaftliches Studium

In den Bildungswissenschaften, die in Baden-Württemberg im Rahmen des Lehramtsstudiums (Bachelor-/Masterabschluss) angeboten werden, erhalten die Studierenden Kenntnisse über bildungswissenschaftliche Aspekte der zentralen Tätigkeiten einer Lehrkraft. Der Verfasser[30] führt seit einigen Jahren regelmäßig ein bildungswissenschaftliches Seminar beim Institut für Erziehungswissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg unter dem Titel „Kulturelle Bildung im Kontext des gymnasialen Unterrichts: Bibliothek, Archiv, Museum, Theater“ durch. Anfänglich beschränkte sich der Inhalt der Lehrveranstaltung ausschließlich auf die Bibliotheken, mit der Intention, diese als Lehr-Lernorte für die Erlangung von Informations- und Medienkompetenz, aber auch als Kulturinstitutionen für die außerschulische Kulturelle Bildung den zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern nahezubringen. Dabei wuchs schnell die Einsicht, dass es bei dem Seminar nicht nur um die Kompetenzorientierung und die Bibliotheken gehen sollte[31], sondern auch um Kulturelle Bildung als umfassenderes Ziel, somit um weitere außerschulische Lernorte wie das Archiv, das Museum und das Theater, ferner das Kino.

Das Ziel der Lehrveranstaltung im Bildungswissenschaftlichen Begleitstudium besteht darin, den Lehramtsstudierenden (Gymnasium) die Kulturelle Bildung im Kontext außerschulischer Kultureinrichtungen näher zu bringen, um dadurch die pädagogischen Möglichkeiten und die konkreten Bildungsangebote dieser Institutionen für Schule und Unterricht zu verdeutlichen.

Das Verständnis von Kultureller Bildung ist dabei bewusst enger gefasst, bezieht sich auf die jeweiligen Konzeptionen der Kultureinrichtungen für Kinder und Jugendliche, mit Fokus auf der außerschulischen Kulturellen Bildung[32]. Mit Blick auf Bibliothek, Archiv und Museum kommt dabei den literarisch-medial-informationellen, den historischen und den ästhetisch-künstlerischen Ausrichtungen der Kulturellen Bildung die größte Bedeutung zu. Welche Rolle übernehmen nun die Bibliotheken konkret bei der außerschulischen Kulturellen Bildung?

6 Bibliothek, Archiv und Museum

Im genannten bildungswissenschaftlichen Seminar befassen sich Lehramtsstudierende also mit verschiedenen Kulturinstitutionen, die für die außerschulische Kulturelle Bildung wichtige Beiträge leisten. Insofern entstehen ungeachtet der jeweils spezifischen ästhetisch-kulturellen Erfahrungen, die die genannten Institutionen eröffnen, Verbindungslinien und Gemeinsamkeiten, die sich auf das Ziel, Kulturelle Bildung zu entwickeln und zu fördern, konzentrieren.

Den Bibliotheksbereich repräsentieren die Stadtbibliothek Freiburg[33] und die Universitätsbibliothek Freiburg[34]. In den betreffenden Sitzungen sind jeweils die mit den Bildungsangeboten befassten Ansprechpersonen der Bibliothek anwesend. Die Studierenden, die die Sitzung gestalten, waren vorab in den beiden Bibliotheken und haben sich dort im Gespräch mit den jeweiligen Bibliothekarinnen und Bibliothekaren informieren können. Bei der Stadtbibliothek geht es wesentlich um die Förderung von Lesekompetenz[35] und Leseverständnis bei Kindern und Jugendlichen. Diese basalen Fähigkeiten sind unverzichtbare Grundlagen der weitergehenden Informations- und Medienkompetenzen, deren Förderung sich auch die Wissenschaftlichen Bibliotheken annehmen. Bei der Universitätsbibliothek steht deshalb die Förderung von Informationskompetenz für gymnasiale Seminarkurse im Zentrum. Diese baut auf der Lesekompetenz auf, wie sie in der Primarstufe, auch unter Mitwirkung der Elternhäuser und der öffentlichen Bibliotheken entwickelt wird. Lehramtsstudierenden sind diese Angebote von Hochschulbibliotheken erstaunlicherweise nur wenig bekannt, sie zeigen sich deshalb interessiert an diesen Möglichkeiten für die Seminarkurse, mit denen sie es später im Beruf eventuell zu tun haben werden.

Den nächsten Schritt hin zu Kultureller Bildung im Kontext von historisch bedeutsamen Handschriften, Frühdrucken, Flugschriften, Magazinen, Zeitungen usw. vollziehen beispielsweise die Schülerseminare der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel[36], wo die Schülerinnen und Schüler Kulturelle Bildung im Kontext der dort vorhandenen reichen und vielfältigen Quellen und Sammlungen erfahren.[37] In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist auch das vorbildliche Programm „explore the world’s knowledge“ der British Library[38], das Lernangebote beinhaltet, die über die bloße intellektuelle Wissensaufnahme hinausgehen, sondern vielmehr auf Kulturvermittlung abzielen und dazu auf die reichen Literatur- und Medienbestände der Bibliothek zurückgreifen.

Bibliotheken sind mit den Quellen und Publikationen, die sie in ihren Beständen aufbewahren und verfügbar machen, also reich an kulturell nachhaltigen Ressourcen, die zum Weiterdenken motivieren würden: „Alle Publikationen einer wissenschaftlichen Bibliothekssammlung enthalten Informationen und sind reich an Assoziationen“[39], allerdings ist es notwendig, dass diese Bücher auch tatsächlich gelesen werden, um ihre Inhalte in vertieftem Sinne zu verstehen.

Museen können ihr Sammelgut in Dauerausstellungen oder in thematisch arrangierten Wechselausstellungen präsentieren, die Objekte somit den Besucher(inne)n stärker sichtbar machen, als dies Bibliotheken in der Regel möglich wäre.[40] Das Augustinermuseum Freiburg[41] ist mit einer museumspädagogischen Mitarbeiterin am Seminar beteiligt. Wesentlich konzentriert sich die Kulturelle Bildung hier auf den künstlerisch-ästhetischen Bereich, erweitert also den Bibliotheken gegenüber den Horizont der Kulturellen Bildung, spricht weitere Dimensionen der Wahrnehmung und des Handelns an. In naturkundlichen oder technischen Museen kämen naturwissenschaftliche bzw. technikgeschichtliche Aspekte eines umfassenderen Kulturverständnisses hinzu.

Die Archivpädagogik ist bestrebt, die wesentlich auf dem Zugang zu Quellen der historischen Überlieferung im weitesten Sinne rekurrierenden Archive den Heranwachsenden durch entsprechende Bildungsangebote näher zu bringen. Als Beispiel wird in dem Seminar das Deutsche Tagebucharchiv Emmendingen[42], seit Anfang 2020 mit einem neu gestalteten angebundenen Museum, behandelt. Deutlich gemacht werden kann in dieser kulturellen Einrichtung die wichtige Funktion des autobiografischen Schreibens[43], das sich nicht in publizierten Werken, wie sie die Bibliotheken verfügbar machen, sondern in handschriftlichen Primärquellen niederschlägt. Die Möglichkeiten für die Kulturelle Bildung ergeben sich in der Wahrnehmung solcher individuell geprägter Dokumente, die authentische Einblicke in bestimmte historische Epochen und Zeitumstände vermitteln, insofern aber auch das Alltagserleben als Form kulturellen Ausdrucks widerspiegeln. Hinzuweisen ist auch auf die archivpädagogischen Konzepte[44] der Stadt-, Landes-, Regional- und Staatsarchive zur Förderung Kultureller Bildung.

In der bildungswissenschaftlichen Lehrveranstaltung treten die drei Einrichtungen Bibliothek, Archiv und Museum (dazu auch noch das Theater) also in eine anregende Beziehung zueinander: Alle drei sind Gedächtnisinstitutionen, die das kulturelle Erbe bewahren, erschließen und vermitteln. Dabei nutzen sie die Möglichkeiten der Digitalisierung, führen ihre Bestände in übergreifenden Portalen wie der DDB und Europeana zusammen und machen sie dadurch auch ortsunabhängig für die Zwecke der Kulturellen Bildung verfügbar. Diese rekurriert sowohl auf Texte und sonstige Informationsressourcen der Bibliotheken, zielt auf eine Verbesserung der Informations- und Medienkompetenz, ferner konfrontiert sie die Studierenden und Lernenden mit primären Quellen und Lebenszeugnissen der Archive, erschließt dadurch komplexe Dimensionen der historischen Bildung, und im Kontext des Museums hat es die Kulturelle Bildung mit museal dargebotenen Schöpfungen der Kunst, der Naturkunde und der Technik zu tun, die eine Auseinandersetzung nicht nur auf rezeptive Weise, sondern auch zu produktiver Aneignung anregen.

Es lassen sich also verschiedene Seiten und Ausprägungen Kultureller Bildung miteinander verzahnen und in Beziehung zueinander setzen, die durch Bibliothek, Archiv und Museum anschaulich zur Geltung gebracht werden. Insofern erweist sich Kulturelle Bildung als gemeinsame Aufgabe und Herausforderung zugleich für diese Kultureinrichtungen. Sie müssten sich ihrer Bedeutung für die Kulturelle Bildung, gerade auch im Zeichen der digitalen Verfügbarkeit ihrer Objekte und Sammlungen, jedoch noch stärker bewusst werden. Das gilt vor allem für die Wissenschaftlichen Bibliotheken, die sich – abgesehen von den Staats-, Landes- und Regionalbibliotheken – ihrer kulturvermittelnden Rolle gegenüber anderen Aufgaben für Studium und wissenschaftliche Forschung wieder entschiedener annähern sollten.

7 Fazit: Cultural Librarians als Perspektive?

Wenn die Hochschulbibliotheken sich dezidierter als bisher auch wieder als kulturelle und kulturvermittelnde Einrichtungen verstehen wollen, wären die Bibliothekarinnen und Bibliothekare als eine Art Kulturagent(inn)en gefragt, die die Kulturvermittlung gleichrangig neben die Förderung von Medien- und Informationskompetenz stellen. Sie verstehen sich also nicht nur als Teaching Librarians, als Data Librarians oder als E-Scientists, sondern auch als Cultural Librarians, wenn man die Aufgabe so bezeichnen will.[45]

Eine solche Aufgabe als Cultural Librarians brächte die Bestände und Sammlungen selbst, ihren substantiell historischen Wert zugunsten der Schärfung des kulturellen Gedächtnisses im Rahmen der Kulturellen Bildung mehr zur Geltung, als es bislang vielfach der Fall ist. Eine Bibliothek verfügt eben nicht über inhaltlich unbestimmte „Ressourcen“, sondern diesen sind stets kulturell zuzuordnende, in der wissenschaftlichen Forschung gewonnene Erkenntnisse inhärent, die sich den Rezipienten teilweise durch vorhandene Lese-, Informations- und Medienkompetenzen sowie durch fachwissenschaftliche Expertise erschließen, die jedoch darüber hinaus als Kulturwissen an Heranwachsende und auch an Erwachsene im Rahmen Kultureller Bildung zu vermitteln wären.

Konkret denkbar wären folgende (teilweise bereits realisierte und bewährte) Aktivitäten der Wissenschaftlichen Bibliotheken:

  • Ausstellungen und begleitende Workshops seitens der Bibliothek, auch mit weiteren Kooperationspartnern,

  • kulturvermittelnde Angebote zu gezielt ausgewählten Beständen und Ressourcen der Bibliotheken, beispielsweise anlässlich aktueller Themen (Klimawandel, Künstliche Intelligenz, Mobilitätswandel, Migration usw.),

  • Lehrveranstaltungen in den Kultur- und Bildungswissenschaften durch Fachreferentinnen und Fachreferenten,

  • kooperative Angebote zur Kulturellen Bildung mit Archiven und Museen, über die Bereitstellung einzelner Leihgaben hinaus.

Was spräche gegen eine stärkere Ausweitung der kulturvermittelnden Angebote Wissenschaftlicher Bibliotheken?

Es könnte für die Bibliotheken schwierig sein, die erforderlichen personellen Kapazitäten für eine solche kulturvermittelnde Aufgabe (als Querschnittsaufgabe) aus dem vorhandenen Personalbestand heraus zu gewinnen. In Frage kämen dafür die Fachreferate, ferner die mit Ausstellungs- und Öffentlichkeitsarbeit betrauten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die primäre Aufgabe der Hochschulbibliotheken wird vielfach in der Literatur- und Informationsversorgung der Hochschulangehörigen gesehen, nicht aber in der Förderung Kultureller Bildung für Zielgruppen außerhalb der Hochschule.

Wie oben skizziert wurde, könnten die kulturvermittelnden Aufgaben zunächst im Rahmen des vorhandenen Personalbestands geleistet werden, allerdings bedürfte es eines zeitlichen Vorlaufs für die Planung und Konzeption des Angebots sowie einer didaktischen Qualifizierung der betreffenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die als „cultural librarians“ fungieren und zudem an Kooperationen mit Museen und Archiven herangeführt werden müssten. Dadurch ergäbe sich eine breitere, auch öffentlichkeitswirksame Profilierung der Wissenschaftlichen Bibliothek, zusätzlich zu ihren angestammten Aufgabenschwerpunkten als zentrale Bibliothek für die Hochschule.

Die Bibliotheken, die bereits seit Jahren in der Kulturvermittlung aktiv sind, wie zum Beispiel die Berliner Staatsbibliothek im Verbund mit den Museen und Archiven der Stiftung Preußischer Kulturbesitz[46], profitieren erheblich von diesem Engagement. Die Intentionen Kultureller Bildung wären in diesem Zusammenhang jedoch von einem „Bibliothekstourismus“[47], der im Rahmen des Kulturtourismus durchaus eine wichtige Funktion haben kann, abzugrenzen.

Sollen Wissenschaftliche Bibliotheken also verstärkt in die Kulturvermittlung einsteigen? Die Frage kann uneingeschränkt, trotz der genannten Hemmnisse, bejaht werden. Insbesondere die Hochschulbibliotheken haben zweifellos auf den Gebieten Open Access, Forschungsdatenmanagement, Kompetenzvermittlung, Digitalisierung oder E-Science, um einige der wichtigsten Bereiche zu nennen, erhebliche und wichtige Aufgaben zu erfüllen, jedoch sollte darüber hinaus der kulturvermittelnde Auftrag, der den Wissenschaftlichen Bibliotheken aufgrund ihrer vielfältigen Bestände, Sammlungen und Ressourcen zukommt, nicht vernachlässigt werden. Als steuerfinanzierte Institutionen sind sie, wie die Archive und die Museen gleichermaßen, einem auch in den öffentlichen Raum hineinwirkenden kulturellen Bildungsauftrag verpflichtet.

About the author

Dr. Wilfried Sühl-Strohmenger

Dr. Wilfried Sühl-Strohmenger

Published Online: 2020-04-07
Published in Print: 2020-04-28

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 7.12.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/bd-2020-0048/html
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