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BY-NC-ND 3.0 license Open Access Published by De Gruyter November 26, 2014

Barrierefreiheit der Stuttgarter Bibliotheken

  • Mirjam Marqua EMAIL logo

Zusammenfassung

Dieser Beitrag will zeigen, wie Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung in Bibliotheken umgesetzt werden kann. Die Autorin untersuchte unter dem Gesichtspunkt der barrierefreien Zugänglichkeit und Nutzbarkeit ausgewählte Bibliotheken in Stuttgart hinsichtlich ihrer Gebäude, der zur Verfügung gestellten Hard- und Software sowie Medien und Dienstleistungen, die angeboten werden.

Abstract

This article wants to show how accessibility can be realized in libraries for people with disabilities. The author examined selected libraries in Stuttgart under the aspect of accessibility and usability regarding their buildings, provided hard- and software as well as media and services that are offered.

1 Einleitung

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Rollstuhl und möchten ein Buch in der Bibliothek vor Ort ausleihen. Um in das Gebäude zu gelangen, muss das Bibliothekspersonal Sie durch einen Hintereingang über interne Bereiche in den Nutzungsbereich lassen, denn der Haupteingang hat Stufen. Am Regal angekommen stellen Sie fest, dass das Buch auf dem obersten Regalbrett steht. Sie sind gezwungen, einen anderen Benutzer um Hilfe zu bitten. Bei der Ausleihe schaut der Mitarbeiter hinter der Stehtheke auf Sie hinab. Das gewünschte Buch halten Sie nun in den Händen – aber war das eine barrierefreie Nutzung? Doch wie sehen barrierefreie Bibliotheken aus, die nicht nur von Rollstuhlfahrern, sondern auch von sehbehinderten, blinden und hörgeschädigten Menschen genutzt werden können? Wie sind sie gebaut, welche Medien und Dienstleistungen bieten sie an, welche Hard- und Software stellen sie zur Verfügung? Und wie sieht die Situation im Besonderen in den Bibliotheken in Stuttgart aus? Auf diese Fragen möchte der vorliegende Beitrag eine Antwort geben.

2 Begriffsklärung

2.1 Barrierefreiheit

„Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“[1]

Diese Definition nach § 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) macht deutlich, dass sich Barrierefreiheit nicht nur auf den Bereich des Bauens beschränkt, sondern sich auf alle Nutzungsbereiche bezieht. Wichtig ist außerdem, dass Barrierefreiheit nicht nur die Zugänglichkeit, sondern auch die Nutzbarkeit umfasst. So nützt es z. B. einem Rollstuhlfahrer wenig, wenn er ohne Umstände in ein Gebäude gelangt, die Angebote vor Ort aber nicht nutzen kann.

2.2 Behinderung

„Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.“[2]

Um eine möglichst hohe gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu erreichen, spielt Barrierefreiheit eine große Rolle. Bei der Untersuchung der Stuttgarter Bibliotheken auf ihre Barrierefreiheit wurde auf die Besonderheiten von Körperbehinderung, Sehbehinderung und Blindheit sowie Gehörlosigkeit und Schwerhörigkeit eingegangen.

Im Bereich der Körperbehinderung wurde die Untersuchung in erster Linie auf Rollstuhlfahrer eingegrenzt. Um sich mit dem Rollstuhl ungehindert bewegen zu können, muss unter anderem auf eine schwellenlose Bauweise sowie ausreichend Platz für Wendemanöver geachtet werden.

Bei sehbehinderten und blinden Menschen ist im Zusammenhang mit Barrierefreiheit wichtig, dass sich sehbehinderte Menschen noch größtenteils visuell orientieren und Informationen aufnehmen können, wohingegen blinde Menschen sich anhand anderer Sinne (v. a. dem Tast- und Gehörsinn) orientieren und informieren.[3] Zum Lesen bedienen sich blinde Menschen der Brailleschrift, die jedoch lediglich etwa 10% aller blinden Menschen in Deutschland beherrschen.[4] Dies liegt daran, dass viele Menschen erst im Laufe ihres Lebens erblinden[5] und ihnen das Erlernen der Brailleschrift dann oft schwer fällt.

Gehörlose Menschen dagegen haben Schwierigkeiten bei der Kommunikation mit ihren Mitmenschen. Von Geburt an gehörlose Menschen besitzen außerdem häufig eine unzureichende Lese- und Schreibkompetenz.[6] Der Grund hierfür ist, dass sie „über das Gehör kein natürliches Wissen über Wortschatz und Grammatik aufbauen“[7] können und die Schriftsprache als Fremdsprache erlernen.

Laut der Schwerbehindertenstatistik waren im Jahr 2011 in Deutschland 7,3 Mio. schwerbehinderte Menschen mit gültigem Ausweis gemeldet. Als schwerbehindert gelten Menschen, die einen Grad der Behinderung von 50[8] oder mehr haben.[9] In Stuttgart waren es im gleichen Jahr rund 44 400 Menschen, das entspricht etwa 7% der Bevölkerung Stuttgarts.[10] Von den 7,3 Mio. schwerbehinderten Menschen deutschlandweit waren 2011 circa 1,9 Mio. Menschen körperbehindert, knapp 75 000 blind sowie rund 276 000 sehbehindert. Darüber hinaus gab es etwa 49 000 gehörlose sowie circa 241 000 schwerhörige Menschen.[11] In Stuttgart waren 2011 etwa 12 500 körperbehinderte, rund 2 610 blinde und sehbehinderte sowie circa 1 780 gehörlose und schwerhörige Menschen mit Schwerbehindertenausweis gemeldet.[12]

3 Rechtliche Grundlagen

Verschiedene Gesetze bilden die rechtliche Grundlage für Barrierefreiheit und ihre einzelnen Aspekte. Bereits im Grundgesetz heißt es „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“[13] Zur Umsetzung dessen wurde unter anderem das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) verabschiedet. Ziel des BGG ist es, Barrierefreiheit zu schaffen, um Menschen mit Behinderung gleichberechtigt am Leben in der Gesellschaft teilhaben zu lassen. Da das Gesetz jedoch in erster Linie für Einrichtungen auf Bundesebene gilt[14], wurden für die Länder entsprechende Landesgleichstellungsgesetze erlassen. In Baden-Württemberg ist dies das Landes-Behindertengleichstellungsgesetz (L-BGG). Im Bereich des Bauens verweist das L‑BGG auf die Landesbauordnung (LBO) für Baden-Württemberg, nach deren Vorgabe Barrierefreiheit in Gebäuden herzustellen ist.[15] Unter den Einrichtungen, für die diese Anforderungen gelten, werden auch explizit öffentliche Bibliotheken genannt.[16]

4 Analyse der Stuttgarter Bibliotheken auf Barrierefreiheit

4.1 Auswahl der Bibliotheken

Die Auswahlkriterien für die Untersuchung waren eine Bestandsgröße von mindestens 10 000 Medieneinheiten sowie die öffentliche Zugänglichkeit[17] der Bibliothek. Zur Untersuchung herangezogen wurden somit die großen öffentlichen und wissenschaftlichen Allgemeinbibliotheken sowie Bibliotheken der Stuttgarter Hochschulen. Außerdem wurde je eine Spezialbibliothek, eine Archivbibliothek, eine Behördenbibliothek sowie eine Bibliothek einer kirchlichen Institution ausgewählt. Nach diesen Kriterien ergab sich folgende Auswahl von zwölf Bibliotheken bzw. 18 Bibliotheksgebäuden:

  1. Stadtbibliothek Stuttgart: Zentralbibliothek am Mailänder Platz sowie die drei größten Stadtteilbibliotheken (Bad Cannstatt – Überkingerstraße, Vaihingen und Zuffenhausen)

  2. Württembergische Landesbibliothek (WLB)

  3. Universitätsbibliothek Stuttgart: Standorte Stadtmitte und Vaihingen

  4. Universitätsbibliothek Hohenheim: Zentralbibliothek und Bereichsbibliothek für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften[18]

  5. Bibliothek der Hochschule der Medien (HdM): Standorte Stadtmitte – Wolframstraße und Vaihingen – Nobelstraße[19]

  6. Bibliothek der Hochschule für Technik

  7. Bibliothek der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart

  8. Bibliothek der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst

  9. Bibliothek des Instituts für Auslandsbeziehungen e.V.

  10. Bibliothek des Stadtarchivs

  11. Bibliothek des Design Centers

  12. Landeskirchliche Zentralbibliothek

Die Untersuchung wurde anhand eines Kriterienkatalogs direkt vor Ort durchgeführt. Grundlage hierfür bildeten die IFLA-Prüfliste „Zugang zu Bibliotheken für Menschen mit Behinderungen“[20] und die DIN-Norm 18040–1[21] sowie Informationen aus der Fachliteratur. Zusätzlich dazu wurden drei der größeren Bibliotheken zusammen mit Menschen mit Behinderung untersucht.

4.2 Untersuchungsergebnisse

4.2.1 Gebäude

Das Ziel des barrierefreien Bauens ist laut DIN-Fachbericht 13 zur Bau- und Nutzungsplanung von Bibliotheken und Archiven „allen Menschen eine Nutzung von Gebäuden zu ermöglichen, die nicht von baulichen Hindernissen erschwert wird.“[22] Der Aspekt der Barrierefreiheit muss folglich bereits bei der Planung eines Gebäudes berücksichtigt werden. Beim Gebäude spielt das Alter eine große Rolle. So finden sich in älteren Bibliotheksgebäuden meist mehr Barrieren, da das barrierefreie Bauen erst in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat.

Vom Denkmalschutz sind drei der untersuchten Bibliotheken betroffen. Dass die Barrierefreiheit aber nicht immer unter dem Denkmalschutz des Gebäudes leiden muss, zeigt die Bibliothek des Stadtarchivs, die in einem denkmalgeschützten Gebäude untergebracht und dennoch in einem hohen Maße barrierefrei gestaltet ist.[23]

4.2.1.1 Äußere Erschließung

Ein wichtiger Aspekt der Barrierefreiheit ist die Erreichbarkeit eines Gebäudes. Dazu sollte es an den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) angebunden sein und Pkw-Stellplätze für behinderte Menschen bereithalten.[24]

Die Erreichbarkeit mit Verkehrsmitteln des ÖPNV wurde vom Stuttgarter Hauptbahnhof aus getestet. Von den 18 Standorten sind 14 mit dem Rollstuhl von der nächstgelegenen Haltestelle innerhalb von maximal zehn Minuten erreichbar. Drei Bibliotheken sind schwerer zugänglich, da der Weg dorthin über zehn Minuten beträgt. Die Bibliothek der HdM am Standort Wolframstraße ist für Rollstuhlfahrer mit dem ÖPNV nicht erreichbar, da ein Gefälle von über 3% überwunden werden muss. Mit dem Pkw sind 14 Bibliotheken gut erreichbar, da barrierefreie Stellplätze in nächster Nähe sind.

4.2.1.2 Zugangs- und Eingangsbereich

Der Eingangsbereich sollte leicht auffindbar und barrierefrei erreichbar sein. Für sehbehinderte Menschen sind eine gut lesbare Beschriftung[25] sowie Kontraste hilfreich. Blinden Menschen kann die Auffindbarkeit z. B. durch taktil erfassbare Bodenstrukturen erleichtert werden.[26] Dies ist in einigen wenigen Bibliotheken der Fall.

Ein Gebäude ist barrierefrei erreichbar, wenn es einen stufen- und schwellenlosen Haupteingang hat.[27] Dies ist lediglich bei der Zentralbibliothek Hohenheim der Fall. Zwei Gebäude besitzen einen barrierefreien Haupteingang, die Eingänge zu den Bibliotheksräumen sind jedoch nicht vollständig barrierefrei. Sechs Bibliotheksgebäude haben nahezu barrierefreie Haupteingänge. Barrieren sind hier z. B. kleine Schwellen oder schwer zu öffnende Türen.

Ist ein barrierefreier Haupteingang nicht realisierbar, muss ein barrierefreier Nebeneingang vorhanden sein. Dieser sollte mit einer Automatiktür – wie bei der Universitätsbibliothek Vaihingen (s. Abb. 1) – sowie gegebenenfalls mit einer Klingel und einer Gegensprechanlage ausgestattet sein.[28] Vier Bibliotheken besitzen barrierefreie Nebeneingänge, unter anderem die WLB. Hier weist ein Schild am Haupteingang auf den barrierefreien Eingang hin, der mithilfe des Eurokeys[29] zu öffnen ist.

Abb. 1: Eingang der Universitätsbibliothek Vaihingen mit barrierefreiem Nebeneingang (rechts)
Abb. 1:

Eingang der Universitätsbibliothek Vaihingen mit barrierefreiem Nebeneingang (rechts)

Drei Bibliotheken bieten die Möglichkeit über einen Seiteneingang mithilfe des Personals in die Bibliothek zu gelangen, wobei nur zwei eine Klingel und Gegensprechanlage besitzen. Bei zwei Hochschulbibliotheken können nur Angehörige der Hochschule den barrierefreien Nebeneingang benutzen, da ein Schlüssel benötigt wird, der nur an Hochschulangehörige verliehen wird. Die Stadtteilbibliothek Bad Cannstatt ist für Rollstuhlfahrer fast nicht erreichbar, da sich zwischen dem Eingang des Gebäudes und dem Aufzug, der zur Bibliothek führt, Treppenstufen befinden.

Damit Rollstuhlfahrer Türen passieren können, sollten diese leicht vom Rollstuhl aus zu öffnen sein.[30] In der Bereichsbibliothek Hohenheim ist dies bei einigen Türen im Gebäude unmöglich, da sich die Türknäufe auf etwa 1,40–1,50 m Höhe befinden und zum Öffnen gedreht werden müssen. Der Grund hierfür ist, dass sich die Bibliothek in denkmalgeschützten Räumen eines alten Schlosses befindet.

Außerdem müssen Türen mindestens 90 cm breit sein. Dies ergibt sich aus der durchschnittlichen Breite eines Rollstuhls und dem benötigten Platz für die Arme.[31] Diese Breite gilt für alle Durchgänge, so z. B. auch die Sicherungsanlagen, die in ausnahmslos allen Bibliotheken barrierefrei sind. Für sehbehinderte Menschen sollten Türen als solche erkennbar sein. Besonders Glastüren müssen kontrastreich markiert werden[32], was bei mehreren Bibliotheken jedoch nicht der Fall ist.

4.2.1.3 Innere Erschließung

Im Gebäude müssen alle Nutzungsbereiche stufen- und schwellenlos erreichbar sein. Damit behinderte Menschen größere Höhenunterschiede alleine überwinden können, muss ein Aufzug vorhanden sein, der selbständig bedient werden kann. Für blinde Menschen ist es wichtig, dass die Tasten taktil erfassbar sind und dass eine akustische Ansage vorhanden ist.[33] Nahezu barrierefreie Aufzüge finden sich lediglich in der Stadtbibliothek.

Nur bei sieben Bibliotheken können alle Bereiche selbständig erreicht werden. Fünf Bibliotheken besitzen einen internen Aufzug, der nicht selbständig bedient werden kann. In vier Bibliotheken ist ein Zugang aller Bereiche entweder erschwert und ohne Hilfe nicht möglich oder für größere Rollstühle nicht gegeben. So hindern in der Bibliothek der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste verschiebbare Regalleitern das Durchkommen.

In vier weiteren Bibliotheken sind ganze Bereiche nicht zugänglich, weil dort nur Treppen hinführen, wie beispielsweise bei der Bibliothek der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst.

Bei Treppen sollten die Stufen für sehbehinderte Menschen erkennbar sein, z. B. durch eine Markierung[34] oder wie in der Bibliothek des Stadtarchivs durch eine Beleuchtung der Stufenkante. Befinden sich Treppen frei im Raum in begehbaren Bereichen, müssen diese aus Sicherheitsgründen für blinde Menschen gegen ein Unterlaufen gesichert sein.[35] Eine bloße Markierung, wie sie in der Universitätsbibliothek Vaihingen (s. Abb. 2) oder in der Stadtbibliothek zu finden ist, reicht nicht aus.

Das Gebäude muss mit mindestens einer barrierefreien Toilette[36] ausgestattet sein, die leicht auffindbar ist, beispielsweise durch Piktogramme wie in der Stadtteilbibliothek in Vaihingen. Für blinde Menschen müssen außerdem Hinweise in Brailleschrift und als tastbare Symbole angebracht sein.[37] Dies gilt allgemein für taktile Informationen, da nicht alle blinden Menschen die Brailleschrift beherrschen. Von den untersuchten Bibliotheken besitzen 13 mindestens eine annähernd barrierefreie Toilette in der Nähe. Eine Besonderheit findet sich in der WLB sowie der Stadtbibliothek, wo die barrierefreien Toiletten mit einem Eurokey zu öffnen sind. Bei drei Bibliotheken ist die Nutzung der Toilette erschwert möglich. Zwei der 18 Bibliotheken besitzen keine barrierefreie Toilette.

Abb. 2: Treppe in der Universitätsbibliothek Vaihingen
Abb. 2:

Treppe in der Universitätsbibliothek Vaihingen

Für die Vermittlung von Informationen gilt das Zwei-Sinne-Prinzip, nach dem wichtige Informationen über mindestens zwei Sinne wahrgenommen werden müssen. Das ist bis auf wenige Ausnahmen in den untersuchten Bibliotheken jedoch nicht der Fall. Bei visuellen Informationen ist auf die räumliche Anordnung, eine ausreichende Beleuchtung, Kontraste sowie die Größe und Form zu achten.[38] Um diese Informationen schnell und einfach zu vermitteln, sind Piktogramme – wie sie z. B. in der Stadtbibliothek verwendet werden – hilfreich.[39]

Die Hinweisschilder in den untersuchten Bibliotheken sind häufig zu klein und nicht kontrastreich genug beschriftet. Ein positives Beispiel ist die Beschilderung im Eingangsbereich der Universitätsbibliothek Stadtmitte, die kontrastreich und groß beschriftet sowie hinterleuchtet ist und Piktogramme verwendet (s. Abb. 3).

Abb. 3: Hinweisschilder in der Universitätsbibliothek Stadtmitte
Abb. 3:

Hinweisschilder in der Universitätsbibliothek Stadtmitte

Abb. 4: Gang zwischen Regalen in der Stadtbibliothek
Abb. 4:

Gang zwischen Regalen in der Stadtbibliothek

4.2.1.4 Zugang zum Bibliotheksangebot

Die Regale sollten in einem Abstand von 1,50 m zueinander aufgestellt sein, damit Rollstuhlfahrer sich uneingeschränkt dazwischen bewegen können.[40] Um die Regale auch vom Rollstuhl aus bedienen zu können, sollte die maximale Höhe 1,20 m betragen. Der DIN-Fachbericht 13 macht darauf aufmerksam, dass dies in den wenigsten Bibliotheken durchführbar ist.[41]

Bei der Untersuchung zeigen sich hier deutliche Unterschiede zwischen öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken. So besitzen die öffentlichen Bibliotheken meist niedrigere Regale sowie breitere Gänge zwischen den Regalen, im Durchschnitt 1,20 ‑ 1,40 m (s. Abb. 4). Bei den wissenschaftlichen Bibliotheken liegt die Gangbreite bis auf einige Ausnahmen im Schnitt zwischen 80 cm und 1,05 m.

In vielen Bibliotheken erschweren außerdem Arbeitstische oder Säulen in der Nähe der Regale den Zugang. In der WLB beispielsweise ist ein ganzer Regalbereich für Rollstuhlfahrer nicht zugänglich, da eine Säule den Durchgang auf rund 60 cm verengt (s. Abb. 5).

Die Beschriftung der Regale muss gut lesbar sein und so angebracht werden, dass sie auch vom Rollstuhl aus gut zu lesen ist und Sehbehinderte nah vor die Beschriftung gelangen können. Bei den Regalbeschriftungen in den untersuchten Bibliotheken ist größtenteils ein Kontrast vorhanden. In der Stadtbibliothek ist ein Teil der Regalbeschriftungen sowie Regalnummern am Boden in einem Grauton gehalten, der nur wenig Kontrast zum Hintergrund bietet.

Abb. 5: Säule im Regalbereich der WLB
Abb. 5:

Säule im Regalbereich der WLB

Arbeitsplätze in der Bibliothek müssen für Rollstuhlfahrer unterfahrbar sein.[42] Dies ist auch in den meisten Bibliotheken der Fall. In der WLB findet sich ein höhenverstellbarer Arbeitsplatz (s. Abb. 6). Mindestens ein OPAC-Rechercheplatz sowie ein Selbstverbuchungsplatz sollten vom Rollstuhl aus bedienbar sein. Dasselbe gilt für Kopiergeräte, Buchscanner oder Kassenautomaten.[43] OPAC-Rechercheplätze sind in lediglich zwei der untersuchten Bibliotheken nicht unterfahrbar. Selbstverbuchungsplätze, die vom Rollstuhl aus bedienbar sind, finden sich in der Stadtbibliothek sowie der WLB, wo diese höhenverstellbar sind. Buchscanner und Mikrofilmlesegeräte sind – im Gegensatz zu Kassenautomaten oder Kopiergeräten – in den meisten untersuchten Bibliotheken vom Rollstuhl aus bedienbar.

Bei den Auskunftstheken sowie den Theken für Ausleihe und Rückgabe sollte ein Bereich für Rollstuhlfahrer zugänglich sein.[44] Die Mehrheit der Theken besitzt zwar einen niedrigen Bereich, jedoch ist dieser bis auf wenige Ausnahmen nicht unterfahrbar.

Abb. 6: Höhenverstellbarer Computerarbeitsplatz in der WLB
Abb. 6:

Höhenverstellbarer Computerarbeitsplatz in der WLB

Sind Veranstaltungsräume in der Bibliothek vorhanden, muss bei einer festen Bestuhlung eine freie Fläche für Rollstuhlfahrer vorhanden sein. Damit auch hörgeschädigte Nutzer an Veranstaltungen teilnehmen können, sollten die Veranstaltungsräume mit induktiven Höranlagen ausgestattet sein.[45] Diese sind bisher in keiner der Bibliotheken vorhanden. Eine Einrichtung in der Stadtbibliothek ist jedoch geplant.

4.2.2 Hard- und Software für Sehbehinderte und Blinde[46]

Es gibt verschiedene Angebote, die sehbehinderten und blinden Nutzern zur Verfügung gestellt werden können.

Die Stadtbibliothek (s. Abb. 7) sowie die Bibliothek der HdM in der Nobelstraße bieten für Sehbehinderte ein Bildschirmlesegerät an. Dieses Gerät erfasst mithilfe einer Kamera gedruckte Texte, die dann direkt am Gerät selbst oder am Computerbildschirm in stark vergrößerter Form gelesen werden können.[47]

Eine weitere, kostengünstigere Möglichkeit besteht darin, einen Flachbettscanner zusammen mit einem Computer, auf dem eine Vergrößerungssoftware installiert ist, zur Verfügung zu stellen. Der Nutzer kann auf diese Weise einen Text einscannen und am Computerbildschirm vergrößert lesen. Zusätzlich dazu kann eine OCR-Software angeboten werden. Diese Texterkennungssoftware ermöglicht es, gedruckte Texte nach dem Scannen mit einem Textverarbeitungsprogramm weiter zu bearbeiten.[48] Ist außerdem noch ein sogenannter Screenreader[49] vorhanden, ist es auch blinden Nutzern möglich, die gedruckten Texte zu lesen. Weitere Hilfsmittel für sehbehinderte Nutzer sind Großschrifttastaturen[50] sowie größere Monitore.[51] Letztere findet sich am höhenverstellbaren Arbeitsplatz in der WLB. An diesem Computer ist außerdem die Bildschirmauflösung veränderbar sowie eine Bildschirmlupe hinterlegt.

Abb. 7: Bildschirmlesegerät in der Stadtbibliothek
Abb. 7:

Bildschirmlesegerät in der Stadtbibliothek

Einen Computerarbeitsplatz für Sehbehinderte bieten die Stadtbibliothek sowie die Universitätsbibliothek Stadtmitte (s. Abb. 8) an. Letzterer ist ausgestattet mit einem 27‑Zoll-Monitor mit Schwenkarm, einer Großschrifttastatur, einem Bildschirmlesegerät sowie einer Vergrößerungssoftware mit Sprachausgabe[52], wodurch der Arbeitsplatz in gewissem Maße auch von blinden Menschen nutzbar ist.

Abb. 8: Sehbehindertenarbeitsplatz der Universitätsbibliothek Stadtmitte
Abb. 8:

Sehbehindertenarbeitsplatz der Universitätsbibliothek Stadtmitte

Ein Computerarbeitsplatz für blinde Benutzer sollte mit Braillezeile, Screenreader und wenn möglich einem Brailledrucker ausgestattet sein. Ein solcher Arbeitsplatz ist in keiner der Bibliotheken zu finden. Anders sieht es z. B. in der Bibliothèque publique d’information in Paris aus, die fünf Arbeitskabinen für Sehbehinderte und Blinde mit sehr umfangreicher Ausstattung bereithält.[53]

4.2.3 Medien

Spezielle Medien für Menschen mit Behinderung können in erster Linie von öffentlichen Bibliotheken angeboten werden. Für gehörlose Nutzer, die eine unzureichende Schrift- und Lesekompetenz aufweisen, kann leicht zu lesende Literatur (Easy-Reader) erworben werden.[54] Ist eine gewisse Lesekompetenz vorhanden, eignen sich DVDs mit Untertiteln für Hörgeschädigte. Sehbehinderten und blinden Nutzer können DVDs mit Audiodeskription[55] angeboten werden. Diese finden sich jedoch weit seltener auf dem Markt als DVDs mit Untertiteln für Hörgeschädigte.[56] Für Menschen mit Sehbehinderung können außerdem Großdruckbücher von Interesse sein. Diese verschiedenen Medienarten finden sich alle im Bestand der Stadtbibliothek.[57] Eine große Anzahl an DVDs besitzt auch die Bibliothek der HdM. Die Ausleihe ist dort allerdings Hochschulangehörigen vorbehalten. Vereinzelt findet sich ein Teil der verschiedenen Medienarten auch in den anderen Bibliotheken.

Auf das Angebot von Büchern in Brailleschrift kann verzichtet werden, da dieser Bereich der Literaturversorgung in Deutschland bereits durch Punktschriftbibliotheken abgedeckt wird.[58] Neben diesen gibt es außerdem Hörbüchereien, die Hörbücher für blinde Menschen produzieren und verleihen. Die Punktschriftbibliotheken und Hörbüchereien haben sich zur „Mediengemeinschaft für blinde und sehbehinderte Menschen e.V.“ (MediBuS) zusammengeschlossen[59] und bieten einen gemeinsamen Katalog an.

Die von den Hörbüchereien hergestellten Hörbücher haben das sogenannte DAISY-Format, welches unter anderem die Möglichkeit bietet, im Hörbuch zu navigieren. Außerdem passen auf einer DAISY‑CD etwa 40 Stunden Hörbuch. Abspielen lassen sich die CDs auf dem Computer, auf einigen MP3-Playern sowie auf speziellen DAISY-Playern[60]. Außer den Hörbüchereien gibt es auch kommerzielle Hörbuchverlage, die DAISY-Hörbücher anbieten.[61] In der Stadtbibliothek sind ein paar Hörbücher im DAISY-Format vorhanden.

Ein weiteres Medium, das Bibliotheken blinden Nutzern anbieten können, sind E‑Books.[62] Hier ist darauf zu achten, dass diese barrierefrei gestaltet sind, sodass sie von einem Screenreader fehlerfrei gelesen werden können.

Körperbehinderte Nutzer profitieren von Angeboten, die auch von zuhause aus genutzt werden können. So bietet die Stadtbibliothek beispielsweise die „Onleihe“ an.

4.2.4 Dienstleistungen

Es besteht die Möglichkeit, Veranstaltungen oder Führungen speziell für Menschen mit Behinderung anzubieten, in denen auf die Bedürfnisse dieser Nutzer eingegangen wird.[63] So führt die Stadtbibliothek zahlreiche Kooperationsveranstaltungen mit der Diakonie Stetten durch, darunter Bibliotheksführungen, Ferienbetreuungen und eine Lesenacht.

Noch wichtiger als das Angebot spezieller Veranstaltungen für behinderte Menschen ist jedoch, ihnen die Möglichkeit zu bieten, an allen Veranstaltungen, die von der Bibliothek durchgeführt werden, teilnehmen zu können. Für gehörlose Menschen bedeutet dies zum Beispiel, dass ein Gebärdendolmetscher anwesend sein muss. In der Stadtbibliothek findet gelegentlich zweisprachiges Vorlesen für Kinder statt – in Laut- und Gebärdensprache.

Auch Hochschulbibliotheken können verschiedene Dienstleistungen anbieten; für blinde und sehbehinderte Nutzer beispielsweise Umsetzungsdienste, die gedruckte Texte so aufbereiten, dass sie von dieser Zielgruppe gelesen werden können. In diesem Bereich gilt die Universitätsbibliothek Dortmund als Vorreiter.[64]

Vor allem im Bereich der wissenschaftlichen Bibliotheken sollten Benutzern, die aufgrund ihrer Behinderung mehr Zeit für das Lesen benötigen, längere Ausleihfristen zugestanden werden.[65] Dies ist in keiner der untersuchten Bibliotheken festgelegt, auf Nachfrage aber sicherlich möglich. Eine weitere Möglichkeit sind Bringservices von Medien für körperbehinderte Nutzer. Diese beiden Dienstleistungen bietet beispielsweise die Bibliothek der University of Sheffield ihren Studenten an.[66] Ein besonderes Angebot findet sich in allen Bibliotheken der San Francisco Public Library. Dort wird eine große Anzahl verschiedenster Hilfsmittel für Menschen mit Behinderung zur Verfügung gestellt, von verschiedenen Lupen bis hin zu tragbaren Hörverstärkern.[67]

Allgemein ist es wichtig, dass die Bibliotheksmitarbeiter im Umgang mit behinderten Nutzern geschult werden. Ein richtiger Umgang baut psychologische Barrieren ab und lässt die Benutzer gerne wieder kommen.[68]

5 Fazit

Die Barrierefreiheit in den untersuchten Bibliotheken ist in recht unterschiedlichem Maß vorhanden. Es konnte gezeigt werden, dass zahlreiche Barrieren vorhanden sind; manche sind so gravierend, dass sie eine Nutzung der Bibliothek verhindern. Im Bereich des Gebäudes schneiden die Bibliotheken, die in den letzten Jahren gebaut oder umgebaut wurden, weitaus besser ab als ältere Bibliotheken. So wird deutlich, dass sich in den letzten Jahrzehnten im Bereich Bau bereits einiges hinsichtlich Barrierefreiheit getan hat.

Ein nur mangelhaftes Ergebnis bieten die Bibliotheken bei der Ausstattung mit Sehbehinderten- und Blindenarbeitsplätzen. Erschreckend ist, dass bis auf drei Bibliotheken keine der großen Bibliotheken Hard- und Software zur barrierefreien Nutzung zur Verfügung stellt. Es muss jedoch beachtet werden, dass einige der untersuchten Bibliotheken einen vergleichsweise kleinen Nutzerkreis haben, sodass sich die Anschaffung spezieller Hard- und Software kaum lohnen würde.

Bei den angebotenen Dienstleistungen und Medien schneidet die Stadtbibliothek relativ gut ab. Von den wissenschaftlichen Bibliotheken werden leider keine besonderen Dienstleistungen angeboten.

Im Rahmen der Bachelorarbeit, auf die dieser Beitrag basiert, konnten nicht alle Bibliotheken in Stuttgart untersucht werden. Das Ergebnis verschafft aber dennoch einen guten Einblick in die Situation der Bibliotheken in Stuttgart und zeigt, dass noch vieles getan werden muss, um Bibliotheken für alle zugänglich und nutzbar zu machen. Denn Barrierefreiheit ist die Voraussetzung für eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen und kulturellen Leben und sollte zur Selbstverständlichkeit werden.

Note: Dieser Beitrag ist die aktualisierte Zusammenfassung der 2012 an der Hochschule der Medien Stuttgart entstandenen Bachelorarbeit „Barrierefreiheit der Stuttgarter Bibliotheken – Eine Analyse anhand ausgewählter Beispiele“ von Mirjam Marqua.

Online erschienen: 2014-11-26
Erschienen im Druck: 2014-12-19

© 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/München/Boston

This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 3.0 License.

Downloaded on 28.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/bfp-2014-0054/html
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