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BY-ND 4.0 license Open Access Published by De Gruyter April 14, 2021

Von der Sammlung von Zeitzeugnissen zur Mehrung kulturellen Kapitals: Zeitspendenarbeit in deutschen Museen

From the Collection of Material Evidence to the Accumulation of Cultural Capital: Volunteering in German Museums
  • Markus Walz

    Professor für Theoretische und Historische Museologie, Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, Fakultät Informatik und Medien, Karl-Liebknecht-Straße 132, D-04277 Leipzig

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Zusammenfassung

Unentgeltliche Museumsarbeit begleitet die gesamte Museumsgeschichte, sie garantiert die Vielfalt und Menge der deutschen Museen. Museen allein auf Zeitspendenbasis bestehen neben Museen, deren Verantwortliche in ihrer Freizeit hauptberufliches Personal anleiten, und hauptberuflichen Museumsleitungen mit Zeitspenden-Team. Dieses Neben- und Miteinander funktioniert bis hin zu Fördervereinen als leistungsstarken Betriebspartnern des Museums. Gelegentlich klingt gegenüber Zeitspendenpersonal Misstrauen an; ein zukünftiges Problem mag in dessen einseitiger Sozialstruktur liegen.

Abstract

Voluntary museum work accompanies the entire history of museums, guaranteeing the diversity and quantity of German museums. Museums on a time donation basis alone exist alongside museums whose responsible persons instruct full-time staff in their free time and full-time museum directors with a time donation team. This coexistence and cooperation function up to some support associations as powerful operating partners of their museum. At times, mistrust of voluntary staff may be heard; a future problem may lie in their one-sided social structure.

1 Zeitspendenarbeit in museumsgeschichtlicher Perspektive

Das deutsche Museumswesen ist ohne unentgeltliche Tätigkeiten nicht vorstellbar. Nur einzelne Stränge der Museumsgeschichte sind frühzeitig mit einer wenigstens nebenamtlichen Leitung ausgestattet, so z. B. die fürstlichen Gemäldegalerien. Auch wenn, beginnend 1820 mit Wilhelm Dorow in Bonn,[1] die ersten hauptberuflichen Museumsdirektoren ihren Dienst antreten, bleiben sie Ausnahmen. Für die frühen Altertümersammlungen, außer Bonn, kooperieren die Staatsverwaltungen mit Vereinen. In Trier beginnt der Honoratiorenverein Societé des Recherches utiles 1808 eine provinzialrömische Sammlung; das Herzogtum Nassau erteilt dem Verein für nassauische Altertumskunde und Geschichte 1820 ein landesweites Grabungsprivileg, wobei die Fundstücke an das 1825 eröffnete Wiesbadener Museum fallen. Der bayerische Rheinkreis betreibt seit 1825/26 in Speyer ein staatliches Antiquarium; seit 1843 präsentiert der Geschichtliche Verein des Rheinkreises eigene Sammlungen in einem nahe gelegenen Gebäude – zwei Wurzeln des Historischen Museums der Pfalz.

Später greifen die Initiativen von Sammlern und Kommunen ineinander. Der Spezereihändler Anton Bachmair dient sich (und seine Sammlung) 1873 seiner Stadt Erding als ehrenamtlicher Museumsleiter an; in Bitterfeld instrumentalisiert der Bürovorsteher Emil Obst 1891 die im Rathaus lagernden „Altertümer“ für die Anfrage nach städtischem Raum für seine eigene Sammlung; das Konglomerat heißt ab 1905 Stadtmuseum.[2]

In der Kaiserzeit verbreitet sich die hauptberufliche Leitung nicht nur für staatliche, sondern auch für kommunale Museen. Teils ist sehr viel Beharrlichkeit vonnöten: Justus Brinckmann verfasst 1866, noch als Student, eine Denkschrift zur Gründung eines Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg, für das er sich weiterhin engagiert, auch auf Staatskosten erste Ankäufe tätigen kann; erst 1874 bezieht er sein erstes Gehalt als Gründungsdirektor dieses Museums.[3] Lokale Museen bieten Amateuren weiterhin ein breites Betätigungsfeld. Verschiedenste Vereine engagieren sich:[4] Der Verschönerungsverein von Bad Zwischenahn realisiert 1910 das museale Ammerländer Bauernhaus, der Oberpfälzer-Wald-Verein setzt sich seit 1928 für das neue Heimatmuseum Vohenstrauß ein, die „Narrenzunft Krakeelia“ in Waldkirch (Baden) verwirklicht 1931 die Neuaufstellung der seit 1887 magazinierten städtischen Altertümer. Manche Vereine dienen einzelnen Sammlern als Fassade: Der 1892 errichtete Verein für die Geschichte Göttingens widmet sich vorrangig der Altertümersammlung eines Mitgründers, des Germanistikprofessors Heyne. Der Gerber Robert Rheinen aus Mülheim an der Ruhr stellt ab 1896 seine Altertümersammlung mehrmals öffentlich aus; 1904 gehört er dem Gründungsvorstand des Geschichtsvereins an. Der Ankauf seiner Sammlung bildet 1908 die Basis des Städtischen Museums, das zugleich als Vereinssitz dient. Der Bürgermeister von Siegburg initiiert 1903 einen Altertumsverein und übergibt ihm seine Privatsammlung als Grundstock.

Die DDR unterbricht auf ihrem Territorium diese Strukturen, setzt mehr hauptberufliches Personal ein; andererseits kanalisiert sie das jugendliche Interesse für Sammlungen („Junge Historiker“, „Junge Naturforscher“) und formt kleine Amateurmuseen („Traditionskabinett“, „Heimatstube“). Ein Fallbeispiel aus der alten Bundesrepublik veranschaulicht die dortige Schubkraft der Zeitspenden: Der „Freundeskreis Schloss Grumbach e.V.“ entstand 1980, als die Marktgemeinde Rimpar diese Immobilie erwarb. Das Schloss wird zum Rathaus umgebaut, der Freundeskreis beräumt Schutt aus einem ruinösen Teil, baut diesen aus und eröffnet dort mit Funden aus dem Abraum ein Archäologisches Museum. Der hergeschenkte alte Backtrog eines örtlichen Bäckermeisters vermehrt sich durch regionale Exponatrecherche zum Bäckereimuseum, für das die Stadt den Schlossdachboden überlässt. Das Turmgefängnis wird von Schutt befreit und als Kriminalmuseum eingerichtet, eine weitere Entschuttung endet mit der Eröffnung des Maurer- und Zimmerer-Museums, auch wenn Exponate anfangs völlig fehlen.[5]

2 Zeitspendenpersonal in den Museen der Gegenwart

Bis heute bestehen in Deutschland Museen ohne hauptberufliches Personal neben solchen mit hauptberuflichem Personal; auch in letzteren bringen Menschen Zeitspenden ein. Die deutsche Museumsstatistik bietet hierzu nur im Dekadenabstand kumulierte Daten an. Den Statistiken für 2003 und 2014 zufolge sind die häufigsten Zeitspenden-Tätigkeiten (Mehrfachangaben zugelassen):

  1. Führungen durch die Ausstellungen mit über 60 % der Nennungen,

  2. die Leitung des Museums mit rund 50 %,

  3. Tätigkeiten im Publikumsservice oder in der Aufsicht mit jeweils über 40 %,

  4. Tätigkeiten im Zusammenhang mit Veranstaltungen mit 42 %,

  5. Öffentlichkeitsarbeit mit rund 40 %,

  6. Inventarisierung / Dokumentation mit über 35 %;

am unteren Ende der Rangordnung landet die in kleineren Museen unübliche Garderobenkraft (4 %), „Sonstiges“ (rund 8 %) und die wissenschaftliche Sammlungsbetreuung (rund 12 %). Jede fünfte Nennung betrifft die klaren Berufsbilder Fotografie/Grafik, Restaurierung und Bibliotheksarbeit.[6] Daten von 2009 belegen, dass in 209 niedersächsischen Museen 414 von insgesamt 3 540 unentgeltlichen Kräften akademisch qualifiziert sind; davon erfüllen 109 Forschungsaufgaben.[7]

Auf der Museumsstatistik lasten Unwägbarkeiten: An der Datenerhebung für 2003 haben 4 485 Museen teilgenommen, von denen 3 010 Zeitspendenpersonal einsetzen; in diesem Jahr sind aber 6 135 Museen bekannt.[8] Mehrere Einzelwerte schwanken auffällig, etwa bei der Museumsleitung zwischen 48,1 % (2003) und 57,8 % (2014), beim Zeitspendenpersonal insgesamt in Thüringen zwischen 41,9 und 33,9 %.

Zwei niedersächsische Beispiele illustrieren die Unverzichtbarkeit der Zeitspenden.[9] Im Kreismuseum Syke engagiert sich ein Ehepaar von 1980 bis in die Mitte der 1990er-Jahre in der Freizeit für die Magazinierung und Erschließung der Sammlungen. Das Museum verfügt erst seit 1989 über eine hauptberufliche Museumsleitung mit Universitätsabschluss; als eine verrentete Krankenschwester 1996 ihre Mitwirkung anbietet, lädt sie der Museumsleiter zur Sammlungsinventarisierung ein. Wegen des Arbeitsumfangs wirbt sie 2000 vier Rentnerinnen und drei Rentner als Unterstützung an, die sich arbeitsteilig spezialisieren (Urgeschichte, Werkzeuge, Spielzeug, Bibliotheksbestand). Im Museumsdorf Hösseringen leiten zwei verrentete Personen, ein Historiker und eine Bibliothekarin, das Museumsarchiv und die Museumsbibliothek eigenverantwortlich. Die Aufsicht und die Führungen erledigen dort ebenfalls Personen im Ruhestand; den erhöhten Bedarf an Veranstaltungstagen decken Freunde und Verwandte des Museumspersonals ab.

Eine relevante Menge der deutschen Museen kommt ganz ohne hauptberufliches Personal aus, was nicht pauschal mit unqualifiziert gleichzusetzen ist. Die Gesellschaft für Leprakunde e.V., Münster, erforscht satzungsgemäß die Geschichte dieser Krankheit und betreibt ohne hauptberufliches Personal das Lepramuseum Münster; 43 der 103 Mitglieder verfügen über einen Doktorgrad in einer diesem interdisziplinären Thema angemessenen fachlichen Vielfalt.[10] Der 1897 gegründete Verschönerungsverein Oldenburgische Schweiz e.V. betreibt seit 1992 in einem von der Stadt bereitgestellten Gebäude das Stadtmuseum Damme. Der Museumswart hat weitgehend freie Hand, auch bei der Kapitalhandhabung. Dieser ortsbürtige Studienrat für Geografie und Deutsch hat das Museum konzeptuell und physisch weitgehend selbst geschaffen, unterstützt durch Vereinsmitglieder im Rentenalter, die bei Ausstellungsarbeiten mithelfen bzw. die Öffnungszeiten des Museums sicherstellen; Führungen übernimmt ein pensionierter Lehrer.[11]

3 Haltungen der Museumsverbände gegenüber Zeitspendenpersonal

Neben zwei nationalen Verbänden (Deutscher Museumsbund, ICOM Deutschland) und Verbänden auf Länderebene existieren teilweise kleinräumige Regionalverbände, ferner spezialisierte Interessensverbände (von Apotheken- bis Musikermuseen) sowie je ein Berufsverband für Museumspädagogik und Leihverkehrsmanagement. In den meisten Verbänden geben hauptberufliche Personen mit akademischer Qualifikation den Ton an.

Deswegen überrascht es nicht, dass eine Liste geeigneter Aufgaben für Zeitspendenpersonal HandlangerBezeichnungen wie „Schreibhilfe“, „Garderobenaushilfe“ oder „Verkaufshilfe“ aufreiht; andere Tätigkeiten werden zurückgeschnitten wie „einfache digitale Objektfotografie“ oder „einfache Recherchen“.[12] Einem Leitfaden erscheint die Struktur völlig klar:

„Freiwillige Mitarbeiter/innen unterstützen die Arbeit der hauptamtlich Angestellten ‚im Hintergrund‘. [...] Darüber hinaus ergänzen sie die Museumsarbeit durch beratende und praktische Leistungen, für die das Stammpersonal nicht ausgebildet ist, nicht zur Verfügung steht, oder aber fachliche Qualifikation nicht erforderlich ist. [...] Leitung und hauptamtliches Team des Museums definieren die Tätigkeitsfelder, in denen freiwillige Mitarbeit möglich und willkommen ist.“[13]

Zwischen den Zeilen klingen Befürchtungen an. Es ist von „Missbrauch des bürgerschaftlichen Engagements“ die Rede und davon, dass sich das „bürgerschaftliche Engagement als ‚Jobkiller‘“ erweisen könne.[14] Ein plastisches Fallbeispiel liefert die ländliche Gemeinde Unterlüß. Sie erbt 1984 ein Künstlerhaus samt Nachlass mit der Auflage, ein Museum einzurichten, und stellt eine hauptberufliche Museumsleitung ein. Als sich der Kunsthistoriker 1994 verändern will und kündigt, sucht die Gemeinde wegen gesunkener Gewerbesteuereinnahmen eine Alternative und findet einen in der Kreisstadt Celle wohnenden und als Richter arbeitenden Kunstliebhaber, der das Museum unentgeltlich leiten mag; die übrigen Museumsarbeiten leistet, wie schon zuvor, Zeitspendenpersonal.[15] In der Museumspädagogik zeigt sich eine andere Dynamik. Hier nehmen während der 1990er-Jahre die Anzahlen der hauptberuflichen Personen, der Honorarkräfte und des Zeitspendenpersonals allesamt zu, die entgeltlichen Beschäftigten allerdings im geringsten Ausmaß.[16]

Die Museen ohne hauptberufliches Personal erscheinen dem Deutschen Museumsbund irgendwie fragwürdig: „Die Kernaufgaben des Museums [...] werden von nicht speziell dafür ausgebildeten und unbezahlten Kräften entsprechend ihren Kenntnissen und Möglichkeiten ausgeführt“; ungefähr die Hälfte des Texts nehmen normative Aussagen ein, was Weiterbildungsangebote vermitteln sollen. Für Museen mit nur einer hauptberuflichen Kraft gelte dasselbe. „Hier ist für beide Seiten zusätzlich Unterstützung für den Umgang miteinander im Sinne einer Moderation erforderlich.“[17]

4 Museumsvereine: faktische Miteigentümer oder zusätzliches Aktivitätspotenzial

Der Blick auf mit Museen verbundene Vereine erschließt ein zusätzliches Spektrum an Zeitspenden. Ein komplexes Gefüge bietet das Museumsdorf Hösseringen in der Lüneburger Heide. Eigentümer des Museums ist ein Verein, in dem Landkreis und Kommune Mitglied sind und der Landrat traditionell der Vereinsvorsitzende ist. Institutionelle und persönliche Mitgliedschaften changieren, wenn Führungspersonen der Sparkasse, der Raiffeisengenossenschaft und der Landwirtschaftsschule Vereinsmitglied sind und die Vereinsmitgliedschaft Altersrollen zulässt (ehemaliger Landrat, ehemaliger Bürgermeister). Der Vereinsvorstand hat insbesondere die Kapitallage im Blick; im Übrigen bestellt er die „Planungsgruppe“, sieben Fachleute (Architekt, Biologe, Landwirtin), die alle zwei Monate unentgeltlich die Perspektiven des Museums mit dem hauptberuflichen Museumsleiter und dessen hauptberuflichem Stellvertreter beraten.[18]

Etliche Museen begleitet ein Verein, der eigene Sammlungen dem Museum leihweise überlässt. Daraus kann eine teilhaberartige Stellung ohne wirtschaftliche Risiken erwachsen. Das Urbild bereicherte ab 1929 die Gegenwartskunst-Sammlung der Berliner Nationalgalerie. Für das „Kuratorium Wallraf-Richartz-Museum und Museum Ludwig“ in Köln rechnet die regionale Presse 2009 aus, dass es binnen 50 Jahren 46 Werke im Wert von 70 Millionen Euro zusammentrug.

Das Zeitspendenpotenzial solcher Eigentümervereine ist begrenzt; dasselbe gilt für Vereine, die vorrangig der Kapitaleinwerbung dienen. Museumsvereine können aber erhebliche Zeitspenden-Reservoirs erschließen:[19] Die „Freunde des Wallraf-Richartz-Museums und des Museum Ludwig“ rekrutieren aus den über 5 600 Mitgliedern zweihundert Personen für verschiedene unentgeltliche Tätigkeiten, darunter die rund vierzig Mitglieder des „Arbeitskreises“, der seit 1978 kostenlose Führungen durch Museumsausstellungen „auf einem kunsthistorisch anspruchsvollen Niveau“ anbietet. Mit den entgeltpflichtigen Angeboten der städtischen Museumspädagogik konkurriert ferner die Führungsreihe „Kunst trifft Uni“, die der (aus dem Freundeskreis hervorgegangene) Verein „Junge Kunstfreunde“ verantwortet. In vielen Stadt- oder Naturmuseen erzeugen der Geschichts-, der Heimatverein oder der naturwissenschaftliche Verein eine vergleichbare Programmvielfalt durch Vorträge, Arbeitsgemeinschaften und andere Veranstaltungen des Vereins.

Der Verein der Freunde der Kunsthalle, Hamburg, betreibt in diesem Kunstmuseum alle drei vorhandenen Läden sowie den Online-Shop; dafür hat er fünfzehn Beschäftigte eingestellt. Als vorbildhaft gelten die von Museumsvereinen, überwiegend mit Zeitspendenpersonal, betriebenen Museumsläden im Von-der-Heydt-Museum, Wuppertal, und im Reiss-Engelhorn-Museum, Mannheim. Die Grenzen des Machbaren hat die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg mit dem seit 1997 im Schloss Charlottenburg existierenden Laden kennengelernt. Das Geschäft ließ sich nicht ausschließlich mit Zeitspenden aus dem Freundeskreis betreiben, weil sich nicht genug Vereinsmitglieder bereitfanden und das EDV-Warenwirtschaftssystem nur gelegentlich mitwirkende Personen überfordert; inzwischen hat der Freundeskreis eine Betriebs-GmbH ausgegründet.

Die größte Bandbreite an Museumsmitarbeit präsentiert der Förderverein des Freilichtmuseums am Kiekeberg bei Hamburg.[20] Gründungsmitglieder sind 1989 fünf Spitzenvertreter der Kreisverwaltung, zwei Abgeordnete des Kreistages, der Museumsdirektor und – als einzige Person ohne Amt – dessen Ehefrau; der jeweilige Kämmerer des Landkreises agiert ehrenamtlich als Schatzmeister des Vereins. Der Verein hat mehrere Geschäftsfelder erschlossen, zuerst – mit Fördermitteln des Bundeslandes – ab 1993 die Entwicklung eines Museumsdatenbank-Computerprogramms, dessen Pflege und Vertrieb heute zwei Personalstellen bindet. Seit 1994 verlegt der Verein die Museumspublikationen auf eigenes Risiko. 1997 tritt er als Bauträger des Museumsgasthofs auf und steuert zwei Drittel der Baukosten bei, teils über Darlehen (mit Blick auf künftige Pachteinnahmen) finanziert. 2001 beginnt die Planung für Bau und Einrichtung einer Brennerei und eines Gasthaus-Tanzsaals; der Vereinsanteil von 300 000 Euro beruht wiederum auf einem Darlehen. Ab 1998 führt der Verein einen Gartenbaubetrieb mit Hofladen als Museums-Zweigstelle, zu dessen Behinderten-Arbeitsplätzen der Landkreis laufende Zuschüsse leistet; ergänzend stellt das Museum ein Behindertenwohnheim bereit. 2004 übernimmt der Förderverein die Museums-Schaubäckerei samt Backwarenverkauf.

Von seinen über 10 000 Mitgliedern motiviert der Förderverein über 220 Menschen zu insgesamt 20 000 Jahresarbeitsstunden im Museum. Er beschäftigt eine Halbtagskraft für das Management des Zeitspendenpersonals: Anwerbung, über vierzig Informationsgespräche jährlich mit Interessierten, Einsatzplanung, Organisation der internen Weiterbildungen und der jährlichen geselligen Treffen, Kontaktpflege (vom Newsletter über den Geburtstagsgruß bis zum Kondolenzbrief).[21]

5 Analytische Ansätze

Als Resonanz politischen Interesses, z. B. der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ (Abschlussbericht 2002), verbreitet 2006–2011 das „Netzwerk Bürgerschaftliches Engagement im Museum“ Praxisberichte in seinem vierteljährlichen „netbem.eu Newsletter“. Trotzdem bleibt die Wahrnehmung begrenzt: Eine 431 Seiten umfassende „Denkschrift zur Lage der Museen“ erwähnt die Zeitspendenarbeit nur kurz; der abschließende Forderungskatalog nimmt keinerlei Bezug auf Zeitspendenarbeit.[22]

Erste Forschungsinteressen betreffen die Zusammenarbeit von Hauptberuflichen und Zeitspendenpersonal. „Bei Institution, Personal und Freiwilligen liegen teilweise falsche Vorstellungen von den Anforderungen, Möglichkeiten und Grenzen freiwilligen Engagements vor.“[23] Die größte Befürchtung der Hauptberuflichen gilt der mangelnden Fachkompetenz des Zeitspendenpersonals, dicht gefolgt von der „zu hohen Zeit- und Arbeitsbelastung für Betreuung und Einarbeitung“.[24] Fallstudien zeigen Differenzen auf: Zeitspendenpersonal kann besser qualifiziert sein – ein Luftwaffenoffizier erläutert dem Publikum Exponate anders als ein entgeltlicher „Vorführ-Handwerker“;[25] hauptberufliches Personal erkennt die Notwendigkeit, sieht aber etliche Probleme, während das Zeitspendenpersonal mehrheitlich keine Probleme kennt.[26] Offensichtlich treffen „Freizeit-Chefs“ auf weniger Akzeptanz durch Hauptberufliche („Der Verein schaltet sich ein, wenn er es für nötig hält, und trifft auch eigene Entscheidungen über den Kopf der Leitung hinweg.“[27]).

Das jüngere Forschungsinteresse an Museen ohne entgeltliche Beschäftigte trifft in der Mikrostudie von fünf „Kleinstmuseen“ auf erhebliche Mängel in den musealen Kernaufgaben (Sammeln, Bewahren, Erforschen, Ausstellen, Vermitteln); die Suche nach anderen Qualitäten beweist die Funktion als „soziale Ankerzentren in ländlichen, oft strukturschwachen Gegenden“ und eine „niedrigschwellige Zugangssituation“ ohne „Dichotomie von Laien und Profis“.[28] Es besteht ein erheblicher kommunikativer Überbrückungsbedarf zwischen universitär Verankerten und dem Zeitspendenpersonal, weil dieses seine Qualitätsvorstellungen implizit hält und aktuelle akademische Diskurse nicht teilt; zugleich fehlt ihm die Fähigkeit, inhaltliche Vorstellungen mit Ausstellungen auszudrücken („Curatorial Literacy“).[29]

6 Ausblick: Kritik der Zeitspendenarbeit als Potenzierung sozialer Ungleichheit

Es ist absehbar, dass der soziologische Diskurs zur Zeitspendenarbeit die Museen erreichen wird. Ein Thema sind die unterschiedlichen Beteiligungsgrade: Überdurchschnittlich aktiv sind in Deutschland junge Menschen und solche im mittleren Alter; Schülerinnen, Schüler und Personen mit Hochschulabschluss; Personen mit einem entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis und solche, die ihre finanzielle Situation als gut oder sehr gut einschätzen. Wenig aktiv sind Menschen mit einfachem Bildungsstatus, ohne Erwerbstätigkeit (außer Ausbildungszeiten) und mangelhafter wirtschaftlicher Lage. Diese sozioökonomischen Faktoren wirken kumulativ auf die Engagementneigung ein.[30] Die schiefe Verteilung auf die Altersklassen wird damit erklärt, dass mit der Zunahme der Hochschulabschlüsse der Konkurrenzdruck wächst und deshalb Zeitspendenarbeit für junge Erwachsene als „berufliche Einstiegshilfe“ nützlicher wird, während die Statuskonkurrenz mit dem Ruhestand sinkt und damit das Repräsentationsinteresse schwindet.[31]

Besonders im Fokus stehen Tätigkeiten mit Entscheidungsbefugnissen. Historisch wird sichtbar, dass die Modernisierung viele Ehrenämter, vom Parlament bis zur Kommunalverwaltung, in Berufe verwandelt hat, sodass die Eliten Alternativen suchen mussten.[32] Zeitspenden-Führungspositionen gelten als „ständisches“ Merkmal, das neben dem Bildungsgrad, Beruf, Einkommen und Vermögen beim Anspruch auf hohe gesellschaftliche Rangplätze vorgewiesen wird.[33] Zeitspenden-Führungspositionen sind attraktiv, weil hinter einer altruistischen Fassade „eigennützige Interessen befriedigt werden, die mit anderen Instrumenten entweder nicht oder aber nur zu einem weitaus höheren Preis zu realisieren wären.“[34]

Eine schärfere Selektion verkleinert den infrage kommenden Personenkreis, der so mehr Gelegenheit erhält, symbolisches Kapital zu generieren: Für Führungspositionen werden Qualifikationen erwartet, die auf akademischer Bildung beruhen und äquivalente berufliche Positionen verschaffen. Die Zutrittsbarrieren erhöhen sich zusätzlich, weil solche Zeitspendenpositionen überwiegend auf Einladung oder Empfehlung vergeben werden. „Diejenigen, die auch in den Bereichen Ökonomie, der Verwaltung etc. Führungspositionen innehaben, führen die dort Geführten, sofern sich diese freiwillig engagieren, auch außerhalb ihres Erwerbslebens.“[35] Schließungen bemerkt auch eine Fallstudie, als sich die langjährig im Museumsverein engagierte „dörfliche Elite“ von den im Forschungsprojekt neu hinzugewonnenen, an Mitarbeit interessierten Personen abgrenzt und ihnen Wissen vorenthält.[36]

Die Zeitspendenarbeit im Museum ist, neben den Geschichts- und Heimatvereinen, ein Paradebeispiel für das seit dem 19. Jahrhundert fortdauernde Engagement der örtlichen Eliten, unter denen Lehrer, Pfarrer oder Juristen den Ton angeben.[37] Die Attraktion liegt darin, dass neben dem symbolischen Kapital gleichzeitig ein Zugewinn kulturellen Kapitals winkt. Das überdurchschnittliche Engagement der mittleren Altersgruppen lässt sich auch im Museumswesen mit der entsprechenden Besetzung der Führungspositionen gut belegen, doch können Museen mehr Seniorinnen und Senioren rekrutieren – mit Verlängerung der sozialen Ungleichheiten in die hohen Altersgruppen: Von den zu Zeitspendenengagement befragten Senioren-Mitgliedern deutscher Museumsfördervereine sind 99 % deutscher Nationalität, sie haben mehrheitlich Abitur und gehören der höchsten Haushaltseinkommensklasse an.[38]

Der museologische Diskurs bezieht jedoch seit der Debatte der 1970er-Jahre über „Kultur für alle“ entgegengesetzte Positionen mit den Schlüsselbegriffen Partizipation, Integration, Inklusion und Diversität; man möchte verdeckte Machtverhältnisse dekonstruieren und strebt egalitäre Kommunikation mit den Herkunftsgemeinschaften der Sammlungen und museumsfernen Publikumsgruppen an. Ein Hinweis, dass Zeitspendenarbeit im Museum bisher mehr „zusammenschmiedendes soziales Kapital“ ansammle als Brücken zwischen verschiedenen sozialen Gruppen baue und dass eine Synthese beider Tendenzen ausgeschlossen sei,[39] verhallte ungehört.

Über den Autor / die Autorin

Prof. Dr. Dr. Markus Walz

Professor für Theoretische und Historische Museologie, Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, Fakultät Informatik und Medien, Karl-Liebknecht-Straße 132, D-04277 Leipzig

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Online erschienen: 2021-04-14
Erschienen im Druck: 2021-04-26

© 2021 Markus Walz, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Downloaded on 30.11.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/bfp-2020-0105/html
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