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BY 4.0 license Open Access Published by De Gruyter May 28, 2021

Jan Mohr: Minne als Sozialmodell. Konstitutionsformen des Höfischen in Sang und rede (12.–15. Jahrhundert), Heidelberg: Winter 2019, 532 S. (Studien zur historischen Poetik 27)

  • Ralf Schlechtweg-Jahn EMAIL logo

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Mohr Jan Minne als Sozialmodell. Konstitutionsformen des Höfischen in Sang und rede (12.–15. Jahrhundert) Heidelberg Winter 2019 (Studien zur historischen Poetik 27) 1 532


Die in aufsteigender Komplexität angelegte Untersuchung bewegt sich vom frühen Minnesang und der Minnekanzone über die Tagelieder Wolframs und Neidharts Winterlieder bis hin zu einigen erzählenden Minnereden.

Der Autor formuliert zwei Fragestellungen: Was sind die Konstitutionsformen des Höfischen, und welche Vorstellungen vom Hof als einem Sozialgebilde können im Minnediskurs formuliert werden (vgl. S. 11 f.)?

Als Gemeinsamkeit der untersuchten Lieder und reden versucht der Autor, eine trianguläre soziale Grundsituation – Ich, Du, Gesellschaft – herauszuarbeiten, die in verschiedenen Varianten und vor allem in wachsender Komplexität an den ausgewählten Texten zu beobachten sei (vgl. S. 15). Dabei interessiert er sich vor allem für die Binnendifferenzierung des Höfischen, nicht für den Gegensatz zum Unhöfischen (vgl. ebd.). Eine trianguläre Grundstruktur als Konstitutionsform des Höfischen sei in der Forschung schon häufig bemerkt worden, bislang aber an einem zu kleinen Textausschnitt und nicht in der gebührenden Komplexität (vgl. ebd.).

In einem Forschungsüberblick (Kap. I.2, S. 16–23) distanziert der Autor sich zunächst von älteren, analogisch-allegorisierenden Verfahren einer sozialgeschichtlich orientierten Literaturwissenschaft: »Man könnte all diese Interpretationsrichtungen als im weitesten Sinne allegoretisch bezeichnen. […] In diesen Lesarten werden die textuell entfalteten Kommunikationen en bloc auf komplexe reale Handlungs- und Interaktionsmuster bezogen« (S. 18). Der eigentliche Kritikpunkt ist hier wohl das etwas vage ›en bloc‹, denn letztlich, wie sich zeigen wird, verfährt der Autor nicht sehr viel anders. Seinen Neuansatz beschreibt er wie folgt:

»Gegenüber dieser Forschungsrichtung sucht die vorliegende Arbeit noch einmal grundsätzlicher anzusetzen. Sie interpretiert Figurenkonstellationen und Kommunikationsentwürfe in den Liedern und dann in erzählenden Minnereden nicht als Reflexe gesellschaftsgeschichtlicher Sachverhalte. Einen Bezug zwischen in Lied- bzw. rede-Texte eingelagerten Semantiken und einem historischen Kontext sucht sie auf der Ebene einer höfischen Episteme, auf der symbolische Formen der Kommunikation, wie die Texte sie entwerfen, auf ein Wissen über Interaktion am Hof und deren Bedingungen bezogen zu denken sind« (S. 21).

Der Bezug von den Texten zum realen Hof wird also auf ein Drittes, ein Wissen vom Hof, verlagert.

Der Autor spricht hierbei von einer wissenssoziologischen Problemstellung (vgl. S. 23), in die er Dichtung mit einbringen will, die nicht nur abbilde, sondern selber an der »Formierung, Konstruktion, Modifikation und Dissemination« (S. 26) von Wissen teilhabe. Das ist zwar nachvollziehbar, dennoch wäre zu unterscheiden zwischen pragmatischen und fiktionalen Verfahren bei dieser Formierung des Wissens, was mir in der Arbeit aber kaum Beachtung zu finden scheint (auch wenn der Autor es explizit anders formuliert [vgl. ebd.]); im recht vagen Begriff ›Wissen‹ gehen diese Unterschiede verloren. In Kap. 2 (S. 91–174), zur ›Minnekanzone‹, schreibt Mohr: Es »werden der frühe Minnesang und dann vor allem die Kanzone des Hohen Sanges als ein Kommunikationsmedium interpretiert, dessen Semantik ein historisches Wissen über die höfische Gesellschaft als Sozium abzulesen sei [sic!]« (S. 91). Einem literarischen Text Wissen einfach abzulesen, dürfte wohl nicht möglich sein. Und wieso eigentlich im Konjunktiv?

Methodisch-theoretisch orientiert sich die Arbeit zunächst am Dresdener SFB 537, ›Institutionalität und Geschichtlichkeit (von 1997 bis 2008): »›Das ›Institutionelle‹ an einer Ordnung ist die ›symbolische‹ Darstellung ihrer Prinzipien und Geltungsansprüche‹« (S. 28). Es werden insgesamt eine Fülle heterogener Theorien herangezogen: Simmel, Foucault, Luhmann etc., die jedoch kaum aufeinander bezogen werden.

Im Rückgriff auf Foucault bezieht der Autor seine Analysen auf einen höfischen Minnediskurs: Die minne »bildet […] ein Dispositiv von Redeordnungen und Handlungsanleitungen, die Kommunikationen vorstrukturieren, dadurch Verhaltenssicherheit und Erwartbarkeiten erzeugen« (S. 42) – inhaltlich bezieht er sich wesentlich auf Schnell (vgl. S. 52). Fraglich ist nun allerdings, ob Verhaltenssicherheit und Erwartbarkeit wirklich etwas sind, was ausgerechnet literarische Texte auszeichnet? Gerade die sind doch zumindest auch für das Gegenteil, für Unsicherheit und das Unerwartete, da. Ganz so einfach ist der Foucault’sche Dispositivbegriff nicht auf Literatur übertragbar. Der Autor sieht dieses Problem wohl selbst:

»Im Rahmen einer sich als textwissenschaftlich verstehenden germanistischen Mediävistik wird die praxeologische Dimension dieses Dispositivs freilich analytisch vor allem greifbar, indem man die Aufmerksamkeit auf in den Texten eingelagerte Reflexe von Handlungs- und Kommunikationsroutinen richtet. Insofern versteht sich die Untersuchung als Beitrag zu einer Rekonstruktion von minne als einem Set von semantischen und formalstrukturellen Termen, in dem höfische Selbstkonzepte formuliert werden können.« (S. 43)

Was allerdings ›eingelagerte Reflexe‹ sind, erschließt sich mir nicht.

Problematisch ist auch, dass die ›Handlungs- und Kommunikationsroutinen‹ nur auf der Textebene beschrieben, und dann letztlich als textexterne, eingelagerte nur behauptet sind. Geschichtliche Forschung zum Hof vom 12.–15. Jahrhundert nimmt der Autor kaum zur Kenntnis (vgl. S. 51 f.). Richtig ist zweifellos, dass es keinen spezialisierten Diskurs über den Hof im Mittelalter gegeben hat (vgl. S. 53), und dass für den Adel gerade auch Literatur ein wesentliches Medium der Reflexion des Höfischen gewesen ist. Die pragmatische, vor allem gelehrte Literatur zum Hof (Kap. I.3.3.1, S. 54–57) handelt der Autor kurz ab, was ihn zu drei zentralen Punkten führt: 1.) Der Zugang zum Hof, zur Nähe zur Macht und zur milte ist lizensiert; nicht immer durch den Fürsten. 2.) Der Eintritt in den Raum des Hofes ist notwendige, aber nicht schon hinreichende Bedingung für Kommunikation mit den Hofsässigen. 3.) Die Hofgesellschaft ist unübersichtlich (vgl. S. 63). Diese drei Thesen spielen dann auch in der Untersuchung zu Sang und rede eine zentrale Rolle.

In allen Textanalysen Mohrs steht die Figur eines Dritten im Mittelpunkt, was für den frühen Minnesang und die Minnekanzone vriunde und Boten meint (v. a. Reinmar, Lied CVII und Walther, Lied Cor 31). Beide seien »Öffnung von intimen Kommunikationsprozessen« (S. 167) auf den Hof hin. Im Unterschied zur gelehrten Hofliteratur stelle das vriunde-Motiv den Hof gerade nicht als auf den Fürsten ausgerichtet dar, es handele sich stattdessen um ein »nuancierteres Bild vom Hof als einem Ort von Machtausübung und -repräsentation, von Heilsdarstellung und Geselligkeit« (S. 169). Der Hof sei ein Sozialgebilde in ständiger Bewegung (vgl. ebd.), wobei nicht recht klar wird, was ›Bewegung‹ hier meint, die Bezeichnung bleibt metaphorisch.

Ähnlich würden auch Reinmars Botenlieder auf ein labiles Zentrum des Hofes verweisen, denn die Minnedame sei zugleich in einer privilegierten wie auch einer gefährdeten Position; ›gefährdet‹ nämlich »von jenem metonymischen Zusammenhang, der begehrenswert zu sein und ein Zentrum von höfischer Geselligkeit und fröide zu sein verkoppelt und beides von einer Ökonomie von Zugeständnis und Sich-Entziehen in der Minnebeziehung abhängig macht« (S. 170). Diese Textbeobachtung wird dann wieder recht unmittelbar auf reale Hofsituationen bezogen:

»Auch dies könnte man noch auf ein höfisches Wissen vom Hof beziehen: Nicht von klar benennbaren Fragen der Organisation, sondern von institutionellen, durch vielfache personale Bindungen gesicherten Zusammenhängen sind die Stabilisierung von Machtgefügen und die Persistenz von Sozialstrukturen am Hof abhängig« (ebd.).

Auch hier irritiert, wie sehr häufig, die Formulierung im Konjunktiv – der Autor nimmt diesen Bezug doch vor? Der Zusammenhang von Lied und sozialer Realität bleibt letztlich analogisch und vage, was konkret hier mit Machtgefüge und Persistenz eigentlich gemeint ist, ungesagt. Wenn die Texte auf diese Weise Wissen über den Hof in sich tragen, das unmittelbar auf dessen soziale Realität bezogen werden kann, dann wäre doch aber die Frage, warum sie sich die Mühe machen, das in Minnevokabular gleichsam zu verschlüsseln, statt direkt darüber zu reden? Welche Transformationsprozesse finden da statt, warum sind sie nötig?

Die Figur des Boten wird vom Verfasser dabei gleichsam als literarischer Trick verstanden, der »eine Semantik bereitstellt, in der die Bedingungen des Hofes als einer sozialen Formation reflektiert werden können oder aber als vorausgesetzte beobachtbar sind« (ebd.). »Daß mindestens dessen [des Boten] Loyalität und Zuverlässigkeit nicht in Frage steht, werte ich als weiteren Beleg dafür, daß die Selbstentwürfe der höfischen Gesellschaft soziale Komplexität typischerweise nur in gedrosseltem Maße entwerfen« (S. 173). ›Gedrosselt‹ ist hier wieder ein metaphorisches Argumentieren, dessen Auflösung sich mir nicht erschließen will: Was wird denn hier von wem ›gedrosselt‹? Und was ist der Maßstab dafür, eine soziale Realität, die ausgesprochen werden könnte oder müsste, aber nicht wird? Denn ›gedrosselt‹ meint doch, dass eigentlich mehr stattfinden könnte. Es klingt wie eine Bewertung von Literatur, die leider keine so gute Sozialanalyse leistet, wie sie könnte.

Vom Publikum eines so als Sozialanalyse interpretierten Genres wird dann einiges an Abstraktionsleistung verlangt:

»Das im Vortrag anwesende Publikum kann sich wiedererkennen in einem textinternen höfischen Umfeld, das als abwesend entworfen ist. Es ist in die Position des Voyeurs gespielt, erhält zugleich Gelegenheit, sich als arbiter zu verhalten, und kann beobachten, welche kommunikativen Risiken das Sichtbarkeitspostulat der höfischen Kultur generiert.« (S. 174).

Das Publikum müsste also vom konkreten Inhalt, der Minne, letztlich ganz absehen, um die Lieder als eine Art verschlüsselter Darstellung von Kommunikations- und Machtproblemen am Hof zu lesen.

In Kap. 3 (S. 175–246), zu ›Wolframs Tageliedern‹, tritt der Wächter als weitere Figur des Dritten hinzu, die Kemenate werde dabei zum Geheimnisraum in Abgrenzung zum Außenraum (vgl. S. 240), wobei der Wächter beiden Räumen verpflichtet sei. Der Verfasser beschreibt diese Räume mit Bachtins Begriff des ›Chronotopos‹ als Öffentlichkeits- (Hof), Intimitäts- (Paar) und Geheimnisraum (Paar und Wächter), was nicht ganz unproblematisch ist, handelt es sich dabei doch um einen Begriff der Erzähltheorie. Der zeitliche Aspekt des Begriffs, der ja in der Tat nur bei einer sich entfaltenden Erzählung Sinn macht, kommt auch nicht zum Tragen. Ohnehin neigt auch hier die Argumentation zum Metaphorischen, denn der Geheimnisraum ist ja kein wirklicher Raum, in dem sich Paar und Wächter gemeinsam aufhalten, was der Verfasser übrigens selbst konstatiert, ohne jedoch auf die erzähltheoretischen Anleihen zu verzichten.

Im ›Geheimnisraum‹, so Mohr, gelten die gleichen höfischen Regeln wie im ›Außenraum‹, jedoch unter anderen Vorzeichen, denn der intime Raum verlange Freiräume, der Außenraum dagegen Inklusion (vgl. S. 242). Damit verhandele das Tagelied zwei widerstrebende Anliegen, den Inklusionsanspruch der Gesellschaft, den auch die Minnenden grundsätzlich bejahen, und den Anspruch auf wenigstens zeitweise Exkludierung des Paares vom Hof (vgl. S. 242 f.); in der Wächterfigur komme diese Spannung zusammen.

Der Autor fasst dann wieder, auf ein Wissen vom Hof zielend, abstrahierend zusammen: »Räume können eine okkasionell sozialdifferenzierende Funktion erhalten, indem sie nach außen abgeschlossen und damit auch sozial exklusive Kommunikation ermöglichen« (S. 245). Was aber heißt an einem Hof im Mittelalter ›sozialdifferenzierend‹, wer ›differenziert‹ sich da von wem, wie, wo und warum? Wer kommuniziert mit wem sozial exklusiv? Von welchen Räumen ist hier real überhaupt die Rede? Das Tagelied reflektiere, dass die Inklusionskräfte des Hofes nicht unumschränkt gelten (vgl. S. 245), es handele sich deshalb um eine Diskussion der Frage, wieviel deviantes Sozialverhalten die eigene gesellschaftliche Ordnung aushalten könne – das, scheint mir, wird in den Tageliedern aber nie thematisiert, sondern erschließt sich bestenfalls auf der Ebene abstrahierender Metaphorik.

Die metaphorische Lesart der Minnelieder spitzt sich bei ›Neidharts Winterlieder[n]‹ (Kap. 4, S. 247–325) noch zu, sie wird allegorisch. Neu für die Winterlieder sei, dass eine Welt außerhalb des Hofes hinzukomme (vgl. S. 316): »Die poetisch-kommunikative Funktion von Neidharts Liedern habe ich in der Option vermutet, ein Wissen vom Hof, vom Voraussetzungsreichtum seines Bestehens und der ihn formierenden und stabilisierenden Übereinkünfte in einer neuen Sozialsemantik verhandeln zu können« (S. 317). Mir ist nicht recht klar, inwieweit eine Funktion in einer Option liegt, die dann verhandelt wird, aber deutlich ist zumindest, dass die Welt der dörper, die nur eine Sozialsemantik sei, als Hofallegorie verstanden wird.

Konkurrenz sei hier der entscheidende neue Modus, der die Figurationen des Dritten erweitere um Geheimnis, Allianzbildung, Zerwürfnis, Eskalation und Pazifizierung (vgl. S. 317) – man erkennt den gleichen Modus des abstrahierenden Sprechens, um auf dieser Ebene die dörper-Welt mit dem Hof kurzschließen zu können.

Aus der Vielzahl der ja recht unterschiedlichen ›Minnereden‹ (Kap. 5, S. 327–457) greift der Verfasser im Wesentlichen zwei Gruppen heraus, Minnegesellschaften und Minnegerichte (›Weltliches Klösterlein‹ [B 440]; ›Kloster der Minne‹ [B 439]; ›Minne Gericht‹ [B 459] etc.). Das Erzähler-Ich bewege sich dabei von einem Eigenraum durch einen Schwellenraum, die wilde, in einen Raum des »gesteigerten Eigenen« (S. 451). Im Raum der Minnegesellschaften ist die Konkurrenz aufgehoben, die Paare – ›Dyaden‹, wie der Verfasser sie nennt – können ihre Intimität öffentlich vorführen, die hier mit Gesellschaftlichkeit vereinbar sei. Diese Räume bringen zusammen, was eigentlich inkompatibel ist: »Geselligkeit und Minne, Sozialität und Intimität, Integration und Isolation, Inklusion und Selbstexkludierungsoptionen wie -lizenzen« (S. 454).

Die Minnegerichte übernehmen hingegen basale Schemata des Sangs: Die Vorstellung eines Konnexes von Dienst und Lohn, die Asymmetrie und Hierarchie der Minnebeziehung (vgl. S. 454). Vor Gericht sind dann auch Konkurrenzverhältnisse thematisierbar.

Der Unterschied zum Minnesang sei vor allem, dass sich in den reden Unbekannte begegnen, weshalb Vertrauen erst einmal hergestellt werden müsse. Den Bezug zu realen Höfen stellt der Verfasser wieder analogisch her: »Der soziale Hintergrund einer Interaktionsgemeinschaft, in der jeder jeden kennt, wird auch an einem Hof um 1200 kaum immer realistisch gewesen sein« (S. 456). Die spezifische Leistung der Minnereden für das Wissen vom Hof sei deshalb, in »Wahl und Wechsel von kommunikativen Rahmen einzuüben; damit verbunden, stellt sie zu bedenkende Muster zur Verfügung, in denen Begegnungen mit Fremden durchgespielt werden« (S. 457) – Literatur als Handlungsanleitung für das reale Hofleben?

Die Grundidee der Arbeit – Sang und rede verfügen über ein spezifisches Wissen vom Hof – ist mit der Fülle theoretischer Ansätze nur schlecht vermittelt, wie auch nicht recht klar wird, wie diese sich zueinander verhalten. Zweifellos gibt es zwischen bspw. Foucault und Luhmann Überschneidungen, aber beide Theoretiker umstandslos nebeneinander zu benutzen, erscheint mir problematisch. Letztlich trägt die Fülle an theoretischen Ansätzen mehr zur Verwirrung als zur Klärung bei.

Wissen als Bezugspunkt der Analyse führt zu einem weiteren Problem, weil, auch wenn es im Theoriekapitel (Kap. 1.3, S. 23–88) noch anders gesagt wird, in den Analysen zwischen fiktionalem und pragmatischem Wissen nicht wirklich unterschieden wird. Letztlich werden die Texte sehr direkt, im Grunde wie pragmatische Aussagen über den Hof, gelesen. Was dabei weitgehend verloren geht, sind die Möglichkeiten des Fiktionalen zur Distanzierung, zur Formulierung von Alternativen, zu Denkspielen etc. Ein Problem ist dabei auch, dass historische Forschung im eigentlichen Sinne unberücksichtigt bleibt, weshalb es auch gar keine historische Differenzierung gibt – das Textkorpus erstreckt sich immerhin vom 12. bis zum 15. Jahrhundert, ein Zeitraum mit erheblichen Veränderungen im inneren Gefüge europäischer Adelsherrschaft.

Letztlich kehrt die Arbeit zurück zu den im Rahmen postmodernen Dekonstruktivismus und kulturtheoretischer Verfahren vernachlässigten sozialgeschichtlichen Ansätzen. Auch wenn deren häufigstes Problem, analogisch und allegorisch zu argumentieren, erkannt wird, landen die von Mohr vorgelegten Analysen letztlich dann doch wieder bei genau diesem Prozedere. Die Ergebnisse sind dann vielleicht differenzierter und vielfältiger, aber das methodische Problem bleibt.

Published Online: 2021-05-28
Published in Print: 2021-05-26

© 2021 Ralf Schlechtweg-Jahn, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 8.12.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/bgsl-2021-0024/html
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