Einleitung und Problemstellung
Das Klima historischer Innenräume wird sich durch den Klimawandel langfristig verändern. Bereits während der trockenen Sommer in den Jahren 2018 und 2019 wurde von geringen Luftfeuchten in Kirchen berichtet, vor allem aus dem Raum Mitteldeutschlands.[1] Halten diese niedrigen Luftfeuchten über einen Zeitraum von mehreren Tagen oder Wochen an, so bedeutet dies vor allem für organische hygroskopische Materialien Stress, in dessen Folge es zu Schäden wie Rissen, Lockerungen oder Substanzverlusten kommen kann.
Am Hochaltar der Kirche St. Nicolai in Döbeln lassen sich an den Tafelgemälden Schäden in Form von Schrumpfungen und Rissen erkennen, die mit Veränderungen des Innenraumklimas in Verbindung zu bringen sind. Diese wurden exemplarisch anhand von Musterflächen mittels eines opto-technischen Monitorings untersucht.[2]
Fallbeispiel Hochaltar St. Nicolai in Döbeln
Der zweifach wandelbare Hochaltar in St. Nicolai ist auf das Jahr 1515/16 datiert (Abb. 1).[3] Er ist 2,85 Meter breit und einschließlich des Gesprenges circa 11 Meter hoch. Für die opto-technischen Untersuchungen richtet sich das Augenmerk auf die beiden inneren Klappflügel der ersten Wandlung. Quer durch die beiden Holztafeln verläuft jeweils ein fast durchgehender Riss. Dieser ist durch die Ausführung bedingt, da die quer verlaufenden Bretter mit Zapfen im Rahmen fixiert sind und sich diese bei Klimaänderungen nicht spannungsfrei verformen können. Die Teilstücke sind weitgehend stabil miteinander verbunden.[4] 2016 wurden die Risse stabilisiert, gekittet und retuschiert. Vier Jahre später hatten sich diese als Reaktion auf Veränderungen des Raumklimas erneut geöffnet.
Die Risse der beiden Tafeln wurden als Testflächen ausgewählt und zwischen August 2020 und November 2021 insgesamt sechs Mal mit dem Streifenlichtscanner aufgenommen.
Methoden
Für die in-situ-Detektion von Oberflächenveränderungen wurde exemplarisch ein opto-technisches Monitoring mittels eines hochauflösenden Strukturlichtscanners (SLS) durchgeführt.[5] Beim Scanprozess wird durch die Projektionseinheit ein sich veränderndes Streifenmuster auf die Oberfläche geworfen, welches durch die Digitalkamera der Erfassungseinheit aufgezeichnet wird. Die Oberfläche des Objektes wird so in x-y-z-Koordinaten transferiert; das digitale Abbild besteht also aus einer Vielzahl von einzelnen 3D-Punkten, allerdings ohne Farbwert.
Der verwendete Scanner[6] erlaubt einen Austausch der Objektive, so kann die maximal zu erfassende Fläche variiert werden. Da die Anzahl der Pixel in der Erfassungseinheit konstant bleibt, verändert sich mit der Fläche die Dichte des Geometriemodells.[7] Bei einer kleineren Fläche ist die Pixeldichte höher und damit der Abstand zwischen zwei erfassten Punkten geringer und umgekehrt.[8] Die Scans in Döbeln wurden mit einem 250er Messfeld aufgenommen.
Der hochauflösende Scan mittels SLS hält den geometrischen Zustand der Oberfläche zum Zeitpunkt der Erfassung fest. Scans der Oberfläche zu unterschiedlichen Zeitpunkten ermöglichten somit einen Vergleich von Zuständen in unterschiedlichen klimatischen Situationen. Aufgrund der hohen Auflösung sind Veränderungen im Submillimeterbereich darstellbar. Mittels einer Inspektionssoftware[9] können Falschfarbenbilder generiert werden, die die Differenz von zwei Scans visualisieren. Zur besseren Verortung der Oberflächenveränderungen werden diese halbtransparent über ein
Foto der Originaloberfläche gelegt (vgl. Abb. 3–4)[10]. Die Erfassung des Raumklimas (Temperatur und relative Feuchte), die für die Auswertung der Scans erforderlich ist, erfolgte durch einen Datenlogger, der hinter dem Retabel aufgestellt ist.
Ergebnisse
Das Raumklima von St. Nicolai wurde für den Zeitraum der Messungen (26. August 2020 bis 17. Juni 2021) statistisch ausgewertet. Die Temperatur lag im Mittel bei circa 15 °C (Minimum: 10,6 °C; Maximum: 23,5 °C), die relative Feuchte im Mittel bei 62,2 % r. F. (vgl. Tabelle 1). Eine Langzeitklimamessung ab 2003 zeigte, dass die Temperatur ab 2013 speziell im Winter um etwa 3 Kelvin gestiegen war. Dies wirkt sich auf das Feuchteniveau in der Kirche aus, das über den Messzeitraum kontinuierlich abnahm (Abb. 2). Auch die Hitzesommer ab dem Jahr 2017 zeichnen sich in den Klimadaten durch höhere Temperaturen und geringere relative Feuchten ab.
Tag der Messung | Zeitraum der ausgewerteten Klimadaten | Minimum | Mittelwert | Maximum | Δ | |
---|---|---|---|---|---|---|
26. August 2020 | — | — | — | — | ||
20. Oktober 2020 | 26.8.2020 bis 20.10.2020 | Temperatur [°C] | 13,1 | 18,5 | 23,5 | 10,4 |
Relative Feuchte [%] | 53,8 | 66,9 | 71,7 | 17,3 | ||
11. März 2021 | 20.10.2020 bis 11.3.2021 | Temperatur [°C] | 10,6 | 13,3 | 17,5 | 6,9 |
Relative Feuchte [%] | 51,1 | 63,3 | 73,6 | 22,5 | ||
17. Juni 2021 | 11.3.2021 bis 17.6.2021 | Temperatur [°C] | 11,9 | 15,7 | 22,5 | 6,8 |
Relative Feuchte [%] | 52,0 | 57,9 | 64,0 | 6,1 | ||
Statistische Auswertung aller Daten | Temperatur [°C] | 10,6 | 15,1 | 23,5 | 12,9 | |
Relative Feuchte [%] | 51,1 | 62,2 | 73,6 | 22,5 |
Der Vergleich der Scans der beiden Tafeln vom 20. Oktober 2020 und 12. März 2021 zeigt starke Reaktionen der beiden Tafelgemälde auf das Klima (Abb. 3). Grün gefärbte Flächen weisen keine Veränderungen auf, gelbe bis rote Flächen haben sich – entsprechend der in der Skala angegebenen Größe – nach vorne gewölbt, hellblaue bis dunkelblaue Flächen haben sich nach hinten bewegt. In der linken Tafel treten mit maximal 1,5 Millimeter die größten Bewegungen auf, die rechte weist Bewegungen von maximal 0,6 Millimeter auf. Aus der statistischen Analyse des Raumklimas (Tabelle 1) geht hervor, dass in diesem Zeitraum eine Feuchtedifferenz von 22,5 % (Minimum: 51,1 %; Maximum: 73,6 %) und ein Temperaturunterschied von 6,9 Kelvin vorlag.
Vom Frühjahr bis Sommer zeigt sich eine Gegenbewegung zu der im Herbst und Winter, jedoch ist diese weniger stark ausgeprägt (Abb. 4). Die Klimaschwankungen sind mit 6,4 % r. F. in diesem Zeitraum geringer (Minium: 52 %; Maximum: 64 %).
Der Messzeitraum von August 2020 bis Juni 2021 wies keine Trockenperiode auf und zeigt die gleiche maximale Differenz der relativen Feuchte wie der Zeitraum zwischen Oktober 2020 und März 2021. Dies legt nahe, dass insbesondere der Zeitraum der Heizperiode einen entscheidenden Einfluss auf das Raumklima hat und dass das Tafelgemälde darauf besonders an den Rissen mit Quell- und Schwindprozessen reagiert.
Schlussfolgerung / Ausblick
An den beiden untersuchten polychromen Holztafeln zeigten sich Reaktionen auf den jahreszeitlichen Verlauf des Raumklimas. Dabei verformte sich die linke Tafel stärker als die rechte. Die größten Reaktionen traten im Zeitraum zwischen Herbst und Frühjahr auf (siehe Abb. 3). Die entsprechende Gegenreaktion findet in der zweiten Jahreshälfte statt, jedoch weniger stark ausgeprägt (Abb. 4).
Für die Erhaltung des Hochaltars spielt im Hinblick auf künftige Veränderungen durch den Klimawandel die Heizstrategie eine große Rolle. Eine Verringerung der Temperatur im Winter von derzeit minimal 18 °C auf 15 °C würde in diesem Zeitraum eine Erhöhung der relativen Feuchte in der Kirche um ca. 10 % r. F. bewirken. Dies hätte eine puffernde Wirkung zur Folge, von der das Altarretabel bis über die künftig trockener werdenden Sommermonate profitieren würde.
Das Monitoring mittels SLS ist eine zerstörungsfreie und sensible Methode zur Untersuchung von historischen Oberflächen, die empfindlich auf klimatische Schwankungen reagieren. So kann das individuelle Risiko eines Objekts abgeschätzt und Maßnahmen zur Verbesserung der Situation entwickelt werden. Des Weiteren kann die Methode zur langfristigen Überprüfung der Schadensfreiheit genutzt werden.[11]
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Abbildungsnachweis
1: Wilfried Sitte, Klipphausen — 2: Thomas Löther/Kristina Holl — 3, 4: Kristina Holl/Leander Pallas
© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston, Germany