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Publicly Available Published by De Gruyter March 22, 2017

Sprachliche Studierfähigkeit: ein Konstrukt auf dem Prüfstand

  • Mattheus Wollert

    Studium (Abschluss in Deutsch als Fremdsprache, Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft, Sinologie) 1993 an der LMU München, DaF-Lektorate an Universitäten in Südkorea, Promotion 2002 in Deutsch als Fremdsprache an der Universität Kassel, seit 2006 Leiter des Internationalen Studienzentrums der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

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    and Stephanie Zschill

    Bachelor- und Masterstudium der Germanistik an der TU Chemnitz. Seit 2015 Lehrerin am Beruflichen Schulzentrum für Technik und Wirtschaft Freiberg in einer VKA (Willkommensklasse).

Zusammenfassung

Dieser Artikel berichtet über ein Projekt des Internationalen Studienzentrums der Goethe Universität Frankfurt am Main zur Überprüfung der Konstruktvalidität der DSH. Dem Testkonstrukt der DSH liegen die sprachlichen Fähigkeiten zugrunde, die ausländische Studierende aufweisen müssen, um ein Studium in Deutschland aufnehmen zu können: die sprachliche Studierfähigkeit. Sie ist konstitutiv für die Sozialisierung in den wissenschaftlichen Alltag an deutschen Hochschulen. Allerdings sind zentrale Anforderungen der sprachlichen Studierfähigkeit noch nicht ausreichend untersucht worden. Ausgangspunkt des Projekts sind deshalb linguistische Untersuchungen zu dem in der DSH-Prüfungspraxis verwendeten sprachlichen Material. Dabei berichten wir hier über eine exemplarische Gegenüberstellung von Prüfungsmaterial aus dem Teilbereich des Leseverstehens und der wissenschaftssprachlichen Strukturen mit authentischen Beispielen der alltäglichen Wissenschaftssprache mittels funktional-pragmatischer Analysekategorien.

Abstract

This paper describes a project carried out by the Internationales Studienzentrum at the Goethe University Frankfurt. The project investigates the construct validity of the German language university entrance exam DSH (Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang). At its core the construct of DSH encompasses the linguistic abilities necessary to start studying at university level (sprachliche Studierfähigkeit). But, as was shown repeatedly, central aspects of the sprachliche Studierfähigkeit are yet unclear and need to be further specified. The starting point of the project was, therefore, to take authentic examples of the Alltägliche Wissenschaftssprache (language for academic purposes) and confront it with linguistic structures of an authentic DSH by means of categories developed in Functional Pragmatics. The linguistic material examined in this paper is taken from two of DSH’s subtests: Leseverstehen (reading comprehension) and Wissenschaftssprachliche Strukturen (grammar phenomena typical in German language for academic purposes).

1 Ein Projekt am Internationalen Studienzentrum der Goethe-Universität

Am Internationalen Studienzentrum der Goethe-Universität Frankfurt werden die DSH und die Feststellungsprüfung Deutsch abgenommen. An der Erstellung dieser beiden Prüfungen sind zwei unterschiedliche Teams beteiligt, das Team des Arbeitsbereichs DSH und das Team des Fachbereichs Deutsch im Studienkolleg. Auf die beiden Prüfungen bereiten diese beiden Teams jeweils in zweisemestrigen Vorbereitungskursen vor. Aus beiden Teams arbeiten Kolleginnen und Kollegen auch in studienbegleitenden Kursen zur weiteren Qualifizierung der Studierenden in der Wissenschaftssprache Deutsch mit. So ergibt sich die Möglichkeit, den Weg einzelner Studierender von der Studienvorbereitung bis zum Studienabschluss intensiv (Studienvorbereitung) und extensiv (Studienbegleitung) zu verfolgen. In dieser günstigen Kombination von Studienvorbereitung und Studienbegleitung wird erkennbar, wie diese beiden Phasen an der Goethe-Universität Frankfurt in einzelnen Studienverläufen ineinandergreifen und wo es Anschlussprobleme gibt. Aus diesen Voraussetzungen heraus entstand ein drittmittelgefördertes Projekt zur Verbesserung des Studienerfolgs ausländischer Studierender. Unter anderem wurde so z. B. eine Analyse des Studienverlaufs von ausländischen Studierenden (vgl. die HIS-Studie von Heublein/Sommer 2004) vorgenommen. Neben anderen Faktoren, die den Studienverlauf bzw. besonders den Studienerfolg beeinflussen, geriet die sprachliche Studierfähigkeit in den Fokus. Es wurde deutlich, dass die Vorbereitung auf den Umgang mit den Spezifika der deutschen Wissenschaftssprache in der Studienvorbereitung verbessert werden muss, um die Weichen für die spätere sprachliche Weiterqualifizierung richtig zu stellen. In einem weiteren Projekt sollte deshalb erarbeitet werden, wie die DSH in Bezug auf die zu überprüfende sprachliche Studierfähigkeit genutzt werden kann. Im Folgenden berichten wir über Ergebnisse aus diesem Projekt.

2 Das Testkonstrukt der sprachlichen Studierfähigkeit

Die Rahmenordnung über Deutsche Sprachprüfungen für das Studium an deutschen Hochschulen (RO-DT, 2011) regelt, welche Prüfungen von Studienbewerberinnen und Studienbewerbern abgelegt werden müssen, die ihre Studienqualifikation nicht an einer deutschsprachigen Einrichtung erworben haben. Dazu gehören die DSH sowie die darauf bezogene Teilprüfung Deutsch in der Feststellungsprüfung (im Folgenden wird dafür generisch „DSH“ verwendet), der TestDaF, das Deutsche Sprachdiplom (DSD II) und – neben anderen befreienden Prüfungen – telc Deutsch C1 Hochschule. Mit diesen Prüfungen können ausländische Studienbewerber einen Nachweis über sprachliche Fähigkeiten erbringen, die „zum Studieren an der Hochschule befähigen“ (RO-DT § 1.1). Diese sogenannte „sprachliche Studierfähigkeit“ wird jedoch in der Rahmenordnung nicht näher bestimmt. Auch sonst findet sich in der Literatur nur wenig Konkretes zur sprachlichen Studierfähigkeit. Demmig (2012: 38) stellt in diesem Zusammenhang fest: „Eine der fundamentalen Schwierigkeiten der Betrachtung des sprachlichen Handlungsfelds ‚Deutsch im Studium‘ liegt darin, dass es, obwohl im letzten Jahrzehnt einige grundlegende Arbeiten geleistet worden sind, noch nicht so intensiv beforscht worden ist, wie es als gesicherte Grundlage für eine Testentwicklung wünschenswert wäre.“. Marks (2012: 22) berichtet von einer Validierungsstudie, in der „überprüft wurde, ob die Aufgaben im TestDaF tatsächlich auch die Situationen widerspiegeln, denen Studienanfänger an Hochschulen in Deutschland begegnen.“. Diese Studie stützt sich auf die „Erhebung qualitativer Daten durch Dokumentenanalysen, Workshops und leitfadengestützte Interviews“ sowie auf Fragebögen zur Erhebung quantitativer Daten, die darüber Aufschluss geben sollten, welche sprachlichen Aktivitäten an den Hochschulen in Deutschland aus Sicht der Befragten relevant sind, und auf welche sprachlichen Schwierigkeiten die Befragten im Kontext Hochschule treffen (2012: 23). Außerdem wurde erhoben, „welche Sprachhandlungen an den Hochschulen in Deutschland heute verbreitet sind“ (2012: 24). Die hierzu erhobenen Beispiele (z. B. „Fachvorträgen/Vorlesungen [...] zuhören, Material zur Vorbereitung einer Veranstaltung lesen, in [einer] Vorlesung/[einem] Seminar mitschreiben, Notizen machen“) zeigen, dass hier unter „Sprachhandlungen“ keine linguistischen Kategorien im funktional-pragmatischen Sinn verstanden werden. Marks weist aber darauf hin, dass für die befragten ausländischen Studierenden „viele Schwierigkeiten mit dem Verstehen und Formulieren von Wissenschaftssprache verknüpft sind“ (2012: 25).

Hier setzt unser Projekt an. Wir wollen anhand von Beispielen alltäglich verwendeter Wissenschaftssprache zentrale sprachliche Merkmale identifizieren, um auf dieser Basis das Testkonstrukt der sprachlichen Studierfähigkeit auf den Prüfstand zu stellen. Wir stellen hier zunächst einige Überlegungen zur Textauswahl in der Teilprüfung Leseverstehen vor und gehen anschließend exemplarisch auf ein Beispiel des Prüfungsteils Wissenschaftssprachliche Strukturen in der DSH ein.

3 Textauswahl für das Leseverstehen

Für die Überprüfung der rezeptiven Fertigkeiten Hörverstehen und Leseverstehen wird in der DSH jeweils mindestens ein Text benutzt. Andere für den Hochschulalltag relevante Textsorten wie z. B. Handouts, Präsentationsfolien, Mitschriften, Aushänge, Vorlesungsverzeichnisse werden in der DSH nicht berücksichtigt und deshalb von uns in diesem Beitrag auch nicht weiter untersucht. Anforderung an die Texte ist laut Anlage 1 der Rahmenordnung (MPO = Musterprüfungsordnung zur DSH § 10 Abs. 2a) „Authentizität, Studienbezogenheit und Wissenschaftsorientierung“, wobei allerdings keine Fachkenntnisse vorausgesetzt werden dürfen. Dies ist wegen der wissenschaftlichen Orientierung unrealistisch. Die Prüfungserstellenden stehen bei der Auswahl der Textgrundlagen für den Prüfungsteil Leseverstehen somit vor dem Problem, geeignete Texte finden zu müssen, die zentrale Anforderungen zur Überprüfung der sprachlichen Studierfähigkeit erfüllen.

Ausländische Studierende müssen keine umfassenden Kenntnisse im Bereich wissenschaftlichen Schreibens und Arbeitens aufweisen, um ein Studium in Deutschland aufnehmen zu können. Unter der Voraussetzung, dass ein Großteil der Prüflinge weder Fachkenntnisse noch Studienerfahrung vorweisen kann, kann es deswegen auch nicht zielführend sein, einen wissenschaftlichen Artikel als Textgrundlage für den Prüfungsteil Leseverstehen auszuwählen. Denn dieser würde einerseits ein Fachverständnis voraussetzen, das Teilnehmer ohne Vorkenntnisse benachteiligt, und andererseits einen kaum zu bewältigenden Textumfang umfassen. Vorschläge, die DSH-Prüfungstexte fachspezifisch aufzubauen, um damit authentischere Texte verwenden zu können (vgl. Demmig 2012), sind begrüßenswert, aber wegen ihres Erstellungsaufwandes impraktikabel. Was bedeutet dies für die Prüfungskonzeption? Bei der Textauswahl werden in der Praxis größtenteils Zeitungs- oder Zeitschriftenartikel verwendet, die dem Genre des Wissenschaftsjournalismus zugeordnet werden können. Diese Praxis ist zwar nicht unumstritten, andererseits scheint es kaum vernünftige oder praktikable Alternativen zu geben. Unser Ansatz war nun zu erheben, inwieweit diese Texte als Textgrundlage für die Überprüfung der sprachlichen Studierfähigkeit geeignet sind. Im Folgenden soll zunächst das Leseverstehen näher betrachtet werden.

3.1 Wissenschaftsjournalistische und wissenschaftliche Textsorten im Prüfungsteil Leseverstehen

Wissenschaftsjournalistische Textsorten werden von DSH-Erstellern vor allem deshalb genommen, weil sie gut zugänglich sind, einen hohen Gegenwartsbezug haben und durch ihren meist sachlichen und objektiven Stil am ehesten an den Stil eines wissenschaftlichen Artikels heranzureichen scheinen. Diese Einschätzung wird dadurch bestärkt, dass Journalisten und Wissenschaftler ähnliche Normen erfüllen müssen, um innerhalb ihres Kommunikationsbereiches tätig sein zu können. Post (2013: 220) zählt Objektivität, Genauigkeit und die Validierung von Ergebnissen als gemeinsamen Standard für Journalisten und Wissenschaftler auf. Ein entscheidender Unterschied zwischen beiden Textsorten ist jedoch darin zu finden, dass die Verfahren der Wissensdarstellung sehr unterschiedlich sind. Journalisten schreiben über interessante Einzelfälle und stellen wissenschaftliche Individuen in den Vordergrund, um den Lesern eine Möglichkeit zu bieten, das Thema an ihre Alltagserfahrungen anzuknüpfen (vgl. Lee 1998). Demzufolge tendieren Journalisten auch eher dazu, eindeutige Aussagen und vermeintliche Fakten über wissenschaftliche Sachverhalte oder Gegenstände zu präsentieren. Der Zweck eines journalistischen Artikels richtet sich darauf, zu informieren, zur Bildung der öffentlichen Meinung beizutragen und, in besonderer Weise, zu unterhalten (vgl. Rykalova 2005).

In Abgrenzung dazu ist der wissenschaftliche Artikel zu sehen, auf dessen Rezeption und Weiterverarbeitung die ausländischen Studierenden vorbereitet werden sollen. Als fachunabhängige stilistische Merkmale des wissenschaftlichen Artikels haben Graefen/Thielmann (2007) folgende sprachlichen Mittel bzw. Handlungen beschrieben: Verweise im Text, Textkommentierung, implizite Wissensbewertung und ein sachlich-unpersönlicher Stil. Betrachtet man die Entstehung und Entwicklung dieser Textsorte, wird seine Hauptfunktion in der wissenschaftlichen Kommunikation schnell deutlich: Er dient nicht nur zur schnellen Weitergabe von neuem wissenschaftlichem Wissen, sondern auch zur Kritik daran. Damit ist der wissenschaftliche Artikel eng in eine eristische Streitkultur eingebunden, die charakteristisch für die westliche Wissenschaftstradition ist (Graefen/Thielmann 2007: 85). Für die Verwendung von spezifischen sprachlichen Mitteln ergeben sich in der Wissenschaft daher zwei größere Einsatzbereiche: Einerseits hat die Wissenschaft besondere Benennungsbedürfnisse, da neue Erkenntnisse mit entsprechenden Begriffen beschrieben und benannt werden müssen. Dazu werden durch verschiedene Wortbildungsprozesse Termini gebildet und alltägliche, sprachliche Mittel für wissenschaftliche Zwecke instrumentalisiert. Letzteres führte zur Bildung des Begriffs »Alltägliche Wissenschaftssprache» (Ehlich 1993). Andererseits wurden sprachliche Verfahren zur Äußerung von Kritik und autorenseitiger Positionierung ausgebildet, die in Texten als „eristische Struktur“ zu klassifizieren sind (Ehlich 1995).

3.2 Analyse eines wissenschaftssprachlichen Textausschnitts

Einige oben genannte, für wissenschaftliche Artikel typische sprachliche Merkmale sollen nachfolgend an einem Textausschnitt verdeutlicht werden. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus einem wirtschaftswissenschaftlichen Artikel zur Regulierung des Schienenverkehrs in der Schweiz (Grotrian/Jaag/Trinkner 2011: 9). Er wurde gewählt, da der hier herangezogene Vergleichstext einer DSH vom Schienenverkehr in der Schweiz berichtet und zum Vergleich ein ähnliches Thema vorteilhaft schien. Der wissenschaftliche Artikel stammt aus einem wirtschaftswissenschaftlichen Jahrbuch und betrachtet bestimmte staatliche Regulierungsmaßnahmen für den Schienenverkehr in der Schweiz. Der hier vorliegende Textauszug wurde dem Kapitel „Würdigung“ entnommen, innerhalb dessen eine kritische Auswertung der zuvor erläuterten Regulierungen vorgenommen wird.

»Ebenfalls ist die von Infrastrukturanbietern zur Verfügung gestellte Qualität der Trassen aufgrund des Vorrangs des Personenverkehrs und zusehends stärker ausgelasteten Infrastrukturen nicht optimal. Korridore, in denen wie in der EU vorgesehen dem Güterverkehr der Vorrang eingeräumt wird, existieren in der Schweiz nicht.« (Grotrian/Jaag/Trinkner 2011: 9).

Ein Benennungserfordernis ergibt sich im konkreten Fall daraus, dass die Autoren verdeutlichen müssen, welche Aspekte des Schienenverkehrs kritisch gewürdigt werden sollen. Im vorliegenden Fall beschäftigen sich die Autoren mit „Trassen“, also vorhandenen oder in Planung befindlichen Verkehrswegen zwischen zwei geografischen Punkten. Dieser Begriff kommt mehrmals auf der Seite vor und wird auch nicht durch synonyme Wörter oder Umschreibungen ersetzt. Damit etablieren die Autoren einen Redegegenstand, der beim Rezipienten ein gemeinsames Wissen aufruft und dadurch als bekannt vorausgesetzt werden kann. Die Autoren verwenden den Begriff dementsprechend als Terminus. Ebenso verhält es sich mit dem alltagssprachlichen Begriff Vorrang, der zwei Mal im Textausschnitt Verwendung findet. Mit diesem Begriff wird eine spezielle Beziehung zwischen zwei oder mehreren Personen oder Gegenständen bzw. Situationen charakterisiert, nämlich dass ein asymmetrisches Verhältnis in Bezug auf die Aufmerksamkeitsfokussierung oder Bearbeitung vorherrscht. Ein Part in der so bezeichneten Beziehung ist als wichtiger charakterisiert, wodurch sich diesem gegenüber bestimmte Handlungsdispositionen ableiten lassen. Im Textausschnitt handelt es sich um den Vorrang des Personenverkehrs gegenüber dem Güterverkehr. Da die Autoren weitere sprachliche Handlungen vornehmen, die sich auf die beschriebene Beziehung zwischen zwei Parteien und deren Handlungskonsequenzen beziehen, wird dem Begriff Vorrang eine fachliche Verwendung zuteil. Weiterhin nutzen die Autoren das Funktionsverbgefüge ein Vorrang wird eingeräumt, um den Verursacher der von ihm bewerteten Konsequenz einzubeziehen. Auch wenn nicht explizit gemacht wird, wer dem Güterverkehr in Korridoren den Vorrang einräumt, so kann der Rezipient auf Grundlage der vorangegangen Argumentation erschließen, dass dies von Seiten der staatlichen Regulierung erfolgen muss. Der Einbezug zuvor textuell etablierter außertextueller Aktanten und der implizite Rückbezug darauf sind komplex und als wissenschaftliches Vorgehen einzustufen.

Der Textausschnitt enthält auch einen erkennbaren Hinweis auf die Kultur des wissenschaftlichen Streits. Die sich aus dem „Vorrang des Personenverkehrs“ ergebenden Konsequenzen werden von den Autoren als „nicht optimal“ gewertet. An dieser Stelle positionieren sie sich durch eine Einschätzung einer wirtschaftlichen Situation, die sie zuvor argumentativ dargestellt haben. Die Autoren sind der Auffassung, dass es unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine bessere Lösung geben könnte. Diese Haltung würde wohl nicht von allen Wissenschaftlern geteilt werden, da hierbei auch andere Faktoren in die Einschätzung der Situation einbezogen werden könnten. Demzufolge handelt es sich bei dieser Formulierung um den Standpunkt der Autoren: Sie kann als Element der eristischen Struktur angesehen werden, die für wissenschaftliche Texte spezifisch ist.

3.3 Analyse eines Textausschnittes aus einer DSH Leseverstehensprüfung

Betrachten wir nun, ob ein wissenschaftsjournalistischer Text, der in einer DSH der Universität Frankfurt am Main zum Einsatz kam, in gleicher oder ähnlicher Form spezielle Benennungserfordernisse befriedigt und sich in einem Diskurs positionieren kann. Nachfolgend wird ein Textauszug, der einem Artikel mit der Überschrift „Güterverkehr über die Alpen“ aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 1.11.2001 entnommen und für den Prüfungsteil Leseverstehen bearbeitet wurde, dahingehend analysiert, ob sprachliche Strukturen in vergleichbaren Funktionen wie in einem wissenschaftlichen Artikel aufgefunden werden können.

Abbildung 1 Güterverkehr über die Alpen (bearbeiteter Textauszug)
Abbildung 1

Güterverkehr über die Alpen (bearbeiteter Textauszug)

Aus dem Prüfungstext wurde ein Absatz ausgewählt, in dem sich Unterschiede zu einem wissenschaftlichen Artikel zeigen. Der Autor wendet sich direkt mit einer Frage an den Leser und wird somit erkennbar. Er hinterfragt die Gründe der Speditionsunternehmen, den gut ausgebauten Schienenverkehr der Schweiz nicht zu nutzen. Allerdings geschieht dies mittels emotionalisierender sprachlicher Mittel: Die Lastkraftfahrer „quälen sich“ (42) über die Alpen, obwohl sie ihre Vehikel „bequem“ (43) auf Bahnwaggons verladen könnten. Die sprachlichen Wendungen sich quälen und bequem sind als Gegensatzpaar aufgestellt und unterstreichen die Meinung des Autoren, der hier die Nutzung des Schienenverkehrs bevorzugt. Der Autor positioniert sich in diesem Abschnitt zwar, aber er nutzt dafür emotionale und wertende Ausdrücke. Außerdem lässt sich die daran anschließende sprachliche Handlung des Behauptens erkennen, die zum Handlungsmuster des Berichtens zählt (vgl. Lee 1998: 56). Der Autor vermutet eine psychologische Barriere bei den Lastkraftfahrern und belegt diese mit nachgestellten Argumenten, nämlich dadurch, dass diese „fahren wollen“ (45) und die Fahrerkabinen „komfortabler eingerichtet“ (47–48) sind. Die Argumente sind jedoch so aufgebaut, dass sie an das Allgemeinwissen des Lesers anknüpfen und nicht durch Fremdquellen oder Belege gestützt werden. Die Gründe stellen demzufolge nur Vermutungen dar, die vom Rezipienten nicht geprüft werden können.

Betrachtet man abschließend noch die Wortwahl, so könnte man bei einigen Begriffen vermuten, dass sie einen fachbegrifflichen Charakter haben. Als Beispiel sollen „Lastwagenfahrer“ und „Speditionsunternehmen“ dienen. Diese Begriffe bezeichnen zwei Berufsgruppen, die bestimmte Aufgaben zu erfüllen haben und in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. Sie befriedigen damit das Bedürfnis, die Aktanten des Problems zu benennen. Jedoch werden die Begriffe nicht einheitlich benutzt: Die Lastwagenfahrer kommen auch nur als „Fahrer“ (42) und die Speditionsunternehmen als „Transportunternehmer“ (49, 52) vor. Damit verwischt sich die Funktion von fachlichen Begriffen, nämlich einen gemeinsamen Wissensbestand zwischen Autor und Rezipient zu festigen und für andere Kontexte abrufbar zu machen. Zusätzlich könnten sich aus diesen sprachlichen Variationen für den Rezipienten erhebliche Probleme bei der Rekonstruktion des Textinhaltes ergeben.

Festzuhalten ist, dass im gewählten Textabschnitt weder eristische Strukturen, noch eine spezifisch fachliche Verwendung von Begriffen vorliegen. Es wurden eher die für journalistische Texte typischen Sprachhandlungen des Behauptens und Berichtens erkannt. Da die vorgefundenen sprachlichen Mittel nicht repräsentativ für sprachliche Mittel und Handlungen eines wissenschaftlichen Textes sind, können aus dessen Bearbeitung unserer Ansicht nach auch keine spezifischen Rückschlüsse auf eine sprachliche Studierfähigkeit abgeleitet werden.

3.4 Kriterien für die Textauswahl

Welche Kriterien für die Textauswahl lassen sich aus den obigen Überlegungen nun ableiten? Für eine angemessene Überprüfung des Leseverstehens in der DSH bedeutsam wäre es, diejenigen sprachlichen Handlungen am Text zu prüfen, die unseres Erachtens für ein wissenschaftliches Studium von größerer Wichtigkeit sind: z. B. Wiedergabe, Einschätzung und kritische Auswertung von Informationen und deren Weiterverarbeitung (vgl. Redder 2014). Wie werden fachliche Benennungserfordernisse sprachlich gelöst, wie wird strittiges Wissen sprachlich bearbeitet? Es fehlen bislang Untersuchungen darüber, wie diese sprachlichen Handlungen eingeübt und sinnvoll geprüft werden können. Weiterhin müsste ein Prüfungstext Merkmale aufweisen, die zur „Vorschule der Wissenschaft“ (Ehlich 1995: 347) zu zählen sind: sprachliche Strukturen, die als Vorstufe zur Alltäglichen Wissenschaftssprache gelten können. Beispielsweise könnte dies die Verwendung von idiomatischen Wortkombinationen wie „eine Frage aus X ableiten“ sein. Ehlich bezieht den Begriff der „Vorschule der Wissenschaft“ auf das Erlernen spezifischer Ausdrücke der alltäglichen Wissenschaftssprache. Wir schlagen vor, in diesen Begriff auch das Erlernen der sprachlichen Handlungen und Strukturen einzubeziehen, die Voraussetzung für ein wissenschaftssprachliches Handeln sind. Es wäre zu überprüfen, ob sich einleitende Lehrbuchtexte aus einführenden Lehrveranstaltungen für diese Zwecke anbieten würden. Durch ihre Funktion, überblicksartiges, kanonisiertes Wissen an Studienanfänger zu vermitteln, bieten sie die nötigen sprachlichen Strukturen und inhaltlich ansprechende, aber nicht überfordernde Texte.

3.5 Fazit

Anhand der analysierten Textausschnitte aus einer DSH lässt sich schlussfolgern, dass Prüfungstexte, die auf dem wissenschaftsjournalistischen Genre basieren, nur bedingt geeignet sind, um die sprachlichen Fähigkeiten abzuprüfen, die relevant für ein deutsches Hochschulstudium sind. Sie unterscheiden sich durch ihre unterhaltende Funktion in Aufbau, Struktur und sprachlicher Stilistik grundlegend von wissenschaftlichen Textsorten.

4 Wissenschaftssprachliche Strukturen in der DSH

Zum Prüfungsteil Leseverstehen in der DSH gehört laut MPO § 10 (1.2) der Prüfungsteil „Wissenschaftssprachliche Strukturen“. Dieser Prüfungsteil soll die Beherrschung der für wissenschaftliche Texte typischen sprachlichen Mittel überprüfen. Während TestDaF und DSD ihre Prüfungsteile konsequent fertigkeitsbezogen gestalten, also in Lese- und Hörverstehen sowie Mündlicher und Schriftlicher Ausdruck (bzw. Kommunikation), wirkt der Prüfungsteil „Wissenschaftssprachliche Strukturen“ in der DSH auf den ersten Blick wie aus der Zeit gefallen. Das Festhalten an diesem Prüfungsteil steht in einer direkten Tradition mit der DSH-Vorläuferin Prüfung zum Nachweis deutscher Sprachkenntnisse (PNdS). Andererseits könnte man dieses Festhalten auch so sehen, dass sich hier die Erkenntnis sedimentiert hat, dass „vertiefte Sprachkenntnisse“ – nach Aguado (2011) unabdingbarer Teil der sprachlichen Studierfähigkeit – in einem eigenen Prüfungsteil geprüft werden sollten. Auch die aktuelle Diskussion über das Konzept der „Bildungssprache“ offenbart aufschlussreiche Bezüge zu diesem Aspekt des Konstrukts der sprachlichen Studierfähigkeit. Beispielsweise verweist Feilke (2012) im Zusammenhang der Diskussion bildungssprachlicher Kompetenzen auf einen „Satz von Indikatoren [...], die als in besonderem Maße bildungssprachlich relevant gelten. An ihrem Vorkommen oder Nichtvorkommen lassen sich Kompetenzniveaus unterscheiden“ (2012: 9). In diesem Zusammenhang nennt er: Nominalisierungen, Komposita, Passiv, unpersönliche Ausdrücke, Konstruktionen mit lassen, Attribute unterschiedlicher Komplexität, komplexe Satze und Phrasen, modale Konstruktionen, Konjunktiv u. a. (2012: 9–10). Für DSH-Erstellende stellt das Vorhandensein und die Überprüfbarkeit dieser sprachlichen Mittel oft ein zentrales Kriterium für die Auswahl eines geeigneten Prüfungstextes dar.

Zwar sind in den für den Prüfungsteil Leseverstehen der DSH verwendeten wissenschaftsjournalistischen Zeitungsartikeln die oben genannten sprachlichen Strukturen reichlich aufzufinden. Doch sind Fragen berechtigt, inwiefern in den realen Prüfungsaufgaben des Prüfungsteils „Wissenschaftssprachliche Strukturen“ tatsächlich die sprachliche Studierfähigkeit abgeprüft wird. Das zeigt sich vor allem dann, wenn der Prüfungsteil Wissenschaftssprachliche Strukturen auf mechanische grammatische Umformulierungen reduziert wird. Üblicherweise werden Sätze aus dem Text entnommen und mit Umformungsaufgaben versehen. Beispielsweise sollen ausländische Studierende einen Aktivsatz in einen Passivsatz transformieren, ohne dessen inhaltliche Aussage zu verfälschen. Dies mag das grammatische Know-how der Studierenden zeigen, verwischt aber gleichzeitig die Funktion von sprachlichen Strukturen, die sich in ihrer konkreten Verwendung erfüllt. Die sprachlichen Strukturen werden so auf ihre grammatische Richtigkeit reduziert. Es stellt sich die Frage, wieso zwischen Aktiv und Passiv unterschieden werden sollte, wenn die Satzaussage angeblich unverändert ist? Kommt man allerdings auf Ehlichs Begriff der Vorschule der Wissenschaft (siehe Abschnitt 3.4) zurück, so wird deutlich, dass damit auch die aktive und passive Sprachkompetenz gemeint ist, in der die Lerner mit den implizit normativen, sachlogischen Strukturen von Sprache vertraut sind. Um die „Alltägliche Wissenschaftssprache“ also verstehen und anwenden zu können, kann es hilfreich sein, im Vorfeld komplexe sprachliche Mittel und Strukturen im Hinblick auf ihre Funktionalität zu verstehen und zu beherrschen.

Es soll im nächsten Abschnitt zunächst analysiert werden, ob und in welcher Weise typische in einer DSH überprüfte sprachliche Mittel in wissenschaftlichen Texten vorkommen und ob ihre Verwendung Ähnlichkeiten mit Aufgabentypen der DSH aufweist. Dies ist notwendig, um die Relevanz der sprachlichen Mittel und ihre Bedeutung für zukünftige Sprachhandlungen im Hochschulalltag einzuschätzen. Anschließend soll überprüft werden, wie die identifizierten sprachlichen Mittel im Teil Wissenschaftssprachliche Strukturen einer DSH berücksichtigt werden.

4.1 Deiktische Verweise in einem wissenschaftlichen Text

Nach Graefen/Thielmann (2007) gehören Verweise im Text zu den zentralen sprachlichen Mitteln wissenschaftlicher Textsorten. Im Folgenden soll die Funktion von Deixis im wissenschaftssprachlichen Gebrauch herausgearbeitet werden, um sie mit entsprechenden Aufgaben aus der DSH zu konfrontieren. Da die DSH auf die sprachlichen Studienanforderungen vorbereiten will, muss sichergestellt sein, dass die abgeprüften sprachlichen Strukturen nicht nur generell in wissenschaftlichen Texten Anwendung finden, sondern auch in einer ähnlichen Weise genutzt werden. In dem folgenden Textausschnitt aus einer ingenieurwissenschaftlichen Dissertation geht es um die Anordnung bestimmter Getriebeteile, mit denen in großen Fabrikmaschinen bestimmte Bewegungsabläufe erzeugt werden können. Der Autor der Dissertation versucht, mit Hilfe von Experimenten den Vorteil von computergestützten Getriebeteilen darzustellen. In der Einleitung nutzt der Autor drei deiktische Prozeduren, die zur Zusammenfassungsdeixis zu zählen sind. Sie binden bestimmte Elemente aus dem vorherigen Text. Die deiktischen Prozeduren wurden fett markiert

»Die Möglichkeit, beliebige Antriebsfunktionen durch die gezielte Steuerung und Regelung von Motoren zu realisieren, stellt in heutiger Zeit oft die Notwendigkeit mechanischer Getriebe zur Bewegungserzeugung in Frage. Ungeachtet des Fertigungsaufwandes für ungleichmäßig übersetzende Getriebe bilden diese vor allem im Be- und Verarbeitungsmaschinenbau einen festen Bestandteil dieser Maschinen. Die Vorteile der mechanischen Bewegungserzeugung und -übertragung, wie z. B. [...].« (Berger 1997: 604).

Der Autor weist zwei Mal auf unterschiedliche Textelemente zurück. Dafür nutzt er die Objektzeigewörter diese und dieser, um den Leser „auf ein Wissenselement, das bis dahin noch nicht im Fokus [...] der Aufmerksamkeit war“ (Graefen/ Moll 2011: 49) hinzuweisen. Die erste deiktische Prozedur, diese, bezieht sich auf „die Getriebe“, wodurch Getriebe zum Thema des Satzes erhoben werden. Das diese übernimmt auch die syntaktische Funktion des Subjektes und wird damit für die Satzsemantik zentral. Da der Fokus von „des Fertigungsaufwandes“ auf „die Getriebe“ übergehen soll, nutzt der Autor die deiktische Prozedur zur Neufokussierung des Redegegenstandes. Die deiktische Prozedur dieser steht im Zusammenhang mit „Maschinen“ und verweist auf den kurz zuvor benannten „Be- und Verarbeitungsmaschinenbau“. Jedoch kommt dieser noch eine andere Aufgabe zu: Der Autor greift durch dieser einen Teil des „Be- und Verarbeitungsmaschinenbau[s]“ heraus, nämlich die Maschinen, weswegen eine zusätzliche Benennung der Maschine notwendig wird. Daher verweist das Objektzeigewort vor allem auf die genauere Charakteristik der Maschinen, nämlich auf ihre Zugehörigkeit. Die deiktische Prozedur fasst somit ein an dieser Stelle notwendiges Attribut zusammen. Das dritte Zeigewort findet sich im ersten Satz des dritten Absatzes der Einleitung. Die deiktische Prozedur ist fett markiert:

»Unter diesen Gesichtspunkten ergibt sich eine zukunftsträchtige Entwicklungsrichtung durch die Kombination von ungleichmäßig übersetzenden Getrieben mit gesteuerten Antrieben.« (Berger 1997: 604).

Mit diesen wird auf die komplette Argumentation des vorherigen Absatzes zurückverwiesen. Der Autor hat im zweiten Absatz die Vorteile der mechanischen Bewegungserzeugung beschrieben und sie an Beispielen erläutert. Das alles fasst er nun unter „diesen Gesichtspunkten“ zusammen, um sie in ihrer Gesamtheit als Redegegenstand aufzunehmen. Die für wissenschaftliche Texte typische Funktion der Zusammenfassungsdeixis zeigt sich an diesem Beispiel besonders gut, da mit einer einzigen deiktischen Prozedur ein Absatz komprimiert werden kann. Der Rezipient muss die vorherigen Ausführungen des Autors verstanden haben, um sie nun als „zukunftsträchtige Entwicklungsrichtung“ einschätzen zu können.

4.2 Deiktische Bezüge in DSH-Aufgaben

In den DSH-Modellsätzen wird das Auffinden des Verweisobjektes bei vorgegebenen deiktischen Prozeduren als Aufgabentyp häufig eingesetzt. Im Folgenden soll ein Beispiel aus dem Prüfungsteil „Wissenschaftsprachliche Strukturen“ betrachtet werden. Dieses Textstück entstammt dem bereits oben herangezogenen Prüfungsteil zum Leseverstehen, der auf dem Artikel „Güterverkehr über die Alpen“ aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 1.11.2001 beruht (siehe Abschnitt 3.3).

»3) Z. 72–73: Doch wie lange wird das noch gehen?

Worauf bezieht sich „das“?

______________________________________________________________«

Da sich deiktische Prozeduren nicht ohne ihre kontextuelle Einbettung erklären lassen und der Aufgabentyp vom Lernenden verlangt, im Lesetext nach dem Bezugsobjekt zu suchen, ist ein Blick in den Lesetext für die Analyse notwendig.

»Die Schweiz hat es bisher geschafft, sich dem europäischen Trend zum Schwerverkehr auf der Straße weitgehend zu widersetzen. Doch wie lange wird das noch gehen? Die Schweizer glaubten, dass die Zeit für sie arbeiten würde denn irgendwann würden auch die Flachländer [...].« (aus: DSH-Musterprüfung der GU Frankfurt).

Die hier vorliegende deiktische Prozedur ist als Zusammenfassungsdeixis zu bezeichnen, denn sie bindet bestimmte Elemente aus dem vorherigen Satz. Das Verweiswort das hat die syntaktische Funktion des Subjektes im Satz inne. Umso wichtiger ist es, zu bestimmen, auf welche bereits bekannten sprachlichen Elemente mit das verwiesen wird. Deswegen muss der vorherige Satz in die Analyse einbezogen werden. Offensichtlich ist, dass mit das auf keine Nominalphrase verwiesen werden kann, denn „die Schweiz“ hat das Genus feminin und „Trend“ ist maskulin. Auch die Präpositionalphrasen „zum Schwerverkehr“ und „auf der Straße“ enthalten einen Kopf, der im maskulin bzw. feminin steht. Mit dem Verweiswort kann demzufolge nur auf einen übergeordneten Satzinhalt verwiesen werden, der sich aus der Kombination der Phrasen und der Verbteile ergibt. Das Verweiswort steht in einem Fragesatz, wodurch das vorher Geschriebene zusätzlich in den Fokus gerückt und hinterfragt wird. Mit das wird dementsprechend auf den Umstand an sich verwiesen, dass sich die Schweiz einem bestimmten Trend widersetzt. Dies kann nicht nur an konkret einem Wort oder einer Phrase festgemacht werden, da es sich um eine Zusammenfassungsdeixis handelt. Will ein ausländischer Studierender also bei dieser Aufgabe korrekt antworten, müsste er den vorausgehenden Satz angemessen paraphrasieren.

In diesem Beispiel wird eine deiktische Prozedur geprüft, deren Verweisobjekt in relativer Nähe zum Zeigewort aufzufinden war. Die Analyse des wissenschaftlichen Textes zeigt, dass deiktische Prozeduren einerseits ein klar umrissenes Verweisobjekt aufweisen können, das sogar im gleichen Satz zu finden ist wie das Zeigewort. Andererseits kann mithilfe deiktischer Prozeduren auch ein kompletter Absatz subsumiert werden, wodurch das Verweisobjekt unscharf wird. Zur Vorbereitung auf die Arbeit mit wissenschaftlichen Texten muss dieses Potenzial der Deixis also an besonders dafür ausgesuchten Texten eingeübt werden.

5 Ausblick

Das im obigen Abschnitt vorgestellte Verfahren, authentische Beispiele der alltäglichen Wissenschaftssprache mit dem in der Prüfungspraxis verwendeten Material mittels funktional-pragmatischer Analysekategorien zu konfrontieren, ist unseres Erachtens geeignet und erforderlich, um Spezifika des Testkonstrukts „sprachliche Studierfähigkeit“ zu erkennen und darauf aufbauend konkrete Anforderungen an die Validierung des Konstrukts zu beschreiben. In unserem Projekt haben wir dieses Verfahren in folgenden weiteren Bereichen angewandt:

  1. in DSH-Modellsätzen verwendete wissenschaftssprachliche Strukturen (grammatikalische Transformationen, Verweiswörter usw.);

  2. Fertigkeitsbezogene Aufteilung der Prüfungsaufgaben, d. h. Trennung von rezeptiven (Lese- und Hörverstehen) und produktiven (Sprechen, Schreiben) Aufgaben;

  3. Terminologie-Bildung und Verwendung von Termini, sprachliche Verfahren zur Benennung;

  4. sprachliche Handlungen und Diskursformen.

Bei den aktuell in der RO-DT aufgenommenen Sprachprüfungen zur Zulassung ausländischer Studienbewerber zum deutschen Hochschulstudium werden die Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität unterschiedlich stark berücksichtigt. Bei der Berücksichtigung des Kriteriums der Validität sollten unserer Ansicht nach die in den letzten Jahren entstandenen, umfangreichen Untersuchungen zur Wissenschaftssprache einbezogen werden. Die empirische Basis ist in den zahlreichen Untersuchungen im Rahmen des Projekts „euroWiss“ (Redder/Thielmann/Heller o. J.) erheblich verbessert und erweitert worden. Wenn der Prüfungserstellung ein empirisch basiertes Konzept zur sprachlichen Studierfähigkeit zugrunde liegen würde, anhand dessen man das Testkonstrukt erfassen könnte, bräuchte man sich bei der Erstellung der Prüfungen nicht mehr nur an den traditionellen Testformaten zu orientieren, bei denen man den zu überprüfenden Merkmalen oft nicht gerecht wird. Z. B. könnte die Unterscheidung nach den rezeptiven und produktiven Fertigkeiten und somit deren Separierung in verschiedene Prüfungsteile hinsichtlich der sprachlichen Studierfähigkeit auf den Prüfstand gestellt werden. Das Frankfurter Projekt zur Verbesserung der Konstruktvalidität der DSH hat sich zum Ziel gesetzt, das aktuelle Prüfungsformat der DSH auf der Grundlage neuerer Erkenntnisse zur Wissenschaftssprache zu hinterfragen, um konkrete Ansatzpunkte zu einer Verbesserung der Konstruktvalidität aufzuzeigen. Da die DSH das einzige Prüfungsformat ist, über das Universitäten direkt Einfluss auf die von ihnen erwünschte sprachliche Qualifizierung ausländischer Studierender nehmen können, setzen wir an der DSH an, obgleich das Desiderat einer entsprechenden Überarbeitung für andere einschlägige Prüfungen unseres Erachtens gleichermaßen gilt.

Über die Autoren

Mattheus Wollert

Studium (Abschluss in Deutsch als Fremdsprache, Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft, Sinologie) 1993 an der LMU München, DaF-Lektorate an Universitäten in Südkorea, Promotion 2002 in Deutsch als Fremdsprache an der Universität Kassel, seit 2006 Leiter des Internationalen Studienzentrums der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Stephanie Zschill

Bachelor- und Masterstudium der Germanistik an der TU Chemnitz. Seit 2015 Lehrerin am Beruflichen Schulzentrum für Technik und Wirtschaft Freiberg in einer VKA (Willkommensklasse).

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Online erschienen: 2017-3-22
Erschienen im Druck: 2017-3-1

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 6.6.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/infodaf-2017-0005/html
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