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Publicly Available Published by De Gruyter December 6, 2017

Potenzial der Visualisierungen für mediengestütztes Grammatiklernen

Potentials of visualizations for media-supported grammar instruction
  • Tamara Zeyer

    ist als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Justus-Liebig-Universität Gießen (Lehrstuhl Deutsch als Fremdsprache) tätig. Sie hat mehrjährige Unterrichtserfahrung im DaF-Bereich. Darüber hinaus bietet sie Fortbildungen für DaF-Lehrende im Ausland an und leitet Seminare im Rahmen von Weiterbildungskursen der Hessischen Lehrerakademie für Schullehrer für das Unterrichtsfach Deutsch als Fremd-/Zweitsprache. Forschungsschwerpunkte: Grammatikvermittlung mit digitalen Medien, Konzeption und Entwicklung digitaler Materialien zum Fremdsprachenlernen.

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Zusammenfassung

Lernenden stehen immer mehr unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung, Fremdsprachen mit digitalen Lernprogrammen selbständig zu lernen. Dabei geht es nicht nur um das Üben grammatischer Themen sondern auch darum, sie zu entdecken. Ziel des vorliegenden Beitrags ist, einen Überblick über visuelle Komponenten eines interaktiven Lernprogramms zur Grammatik für Anfänger zu verschaffen, sowie die Potenziale und Grenzen der Visualisierungen für die induktive Grammatikvermittlung zu diskutieren.

Abstract

There are various digital learning programs available to foreign language learners working on their own. In such cases, it is not only a question of practising particular grammatical topics, but also of discovering areas of difficulties. It is the aim of this article to provide an overview of the visual components of an interactive grammar learning program for beginners as well as to discuss the potentials and the limits of visualizations for inductive grammar teaching.

1 Einleitung

Grammatik nimmt einen großen Platz in fremdsprachendidaktischen Diskussionen über ihre Rolle beim Sprachenerwerb, sowie die Art und Weise ihrer Vermittlung ein. Auch Lernende verstehen die Bedeutung grammatischer Kenntnisse für eigene Fremdsprachenkompetenzen, obwohl gerade dieser Teil des Lernens häufig langweilig und/oder kompliziert scheinen mag. Deswegen wird versucht, die Erklärungen von grammatischen Phänomenen und die Übungen zu den jeweiligen grammatischen Themen zugänglich und interessanter zu gestalten. Besonders wichtig ist die Zugänglichkeit für die Lernenden in der Anfangsphase des Fremdsprachenlernens, da die vorhandenen Sprachkenntnisse unzureichend für das Verstehen komplizierter Grammatikregeln sind. Hier können visuelle Darstellungen eine große Hilfe sein.

Werden grammatische Phänomene ausschließlich verbal, ohne visuelle Hilfsmittel, verwendet, kann dies zur Minderung des Lerneffektes oder Entstehung von Missverständnissen führen. Visualisierte Grammatikerklärungen begleitend mit einfachen verbalen Erläuterungen sind effektiver und verständlicher (vgl. Storch 2001: 198). Im Unterricht können auftretende Schwierigkeiten schnell durch eine Lehrperson geklärt werden. Bei digitalen Lernangeboten, ohne tutorielle Unterstützung, ist eine solche Hilfe eingeschränkt. Grammatikerklärungen vieler digitaler Lernangebote beinhalten viel Text – was auch durch die Komplexität grammatischer Phänomene erklärbar ist – was aber das selbstgesteuerte Grammatiklernen nicht erleichtert. Als visuelle Unterstützung werden Hervorhebungen durch Farben- oder Schriftänderung im Text und tabellarische Darstellungen verwendet. Damit wird das Potenzial der Visualisierungen nicht ausgeschöpft, was im Widerspruch zu Möglichkeiten mediengestützten Lernens steht.

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit den Potenzialen visueller Komponenten zum Grammatiklernen, insbesondere beim selbstgesteuerten Lernen mit einer Lernsoftware. Zuerst wird ein kurzer Exkurs in die Geschichte der Visualisierungen im Fremdsprachenunterricht unternommen. Danach folgt ein Überblick über die Funktionen und Typen der Visualisierungen, u. a. werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen statischen und dynamischen Visualisierungen dargestellt. Anschließend werden anhand der Visualisierungsbeispiele aus einer Lernsoftware zur Grammatik für DaF-Lernende Möglichkeiten und Probleme visueller Komponenten beim Grammatiklernen erläutert.

2 Visualisierungen beim Fremdsprachenlernen: analog und digital

2.1 Ein kurzer Rückblick in die Geschichte

Die Einbettung visueller Komponenten in den Lernprozess ist keine Innovation. In den didaktischen Diskussionen stehen Bilder und visuelle Medien schon lange im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Bereits im 15. Jahrhundert wurde ein Vokabelverzeichnis durch Federzeichnungen ergänzt (vgl. Reinfried 1992: 25). Das bekannteste Beispiel in der Geschichte der Fremdsprachenlehrwerke, das Lehrwerk der Orbis Pictus von J. A. Comenius, erschien im 17. Jahrhundert und beinhaltete 150 Holzschnitte (vgl. ebd.: 34). Dabei ging es nicht um bloße Illustrationen, sondern um einen Versuch, die Zweckmäßigkeit des Bildeinsatzes beim Spracherwerb zu begründen (vgl. Hecke; Surkamp 2009: 19). Der Blick in verschiedene Methoden des Fremdsprachenunterrichts deutet auch darauf hin, dass Bilder dabei unterschiedliche Gewichtung hatten. Im reformierten Fremdsprachenunterricht ab den 1860er Jahren wurden Bilder für die Visualisierungen von Sprachbedeutungen verwendet. Dies galt aber ab Mitte der 1940er als überholt. Die audiovisuelle Methode räumte Veranschaulichung wieder eine wichtige Rolle ein (vgl. ebd.: 21). Sturm (1991: 5) schildert die paradoxe Rolle der audiovisuellen Methode für den Einsatz von Bildern im Fremdsprachenunterricht. Nachdem die in die audiovisuelle Methode gesetzten Erwartungen nicht erfüllt worden waren, wandte sich die didaktische Diskussion vom Bildereinsatz ab. Im kommunikativen Fremdsprachenunterricht wurden Bilder als Impuls zur Textproduktion eingesetzt, zudem wurde ihre motivierende Funktion genutzt. Der interkulturelle Fremdsprachenunterricht nutzt Bilder für die Vermittlung des Wissens über die Zielkultur. Dabei liegt der Fokus auf dem Bildinhalt, die Bildform und Prozesse der individuellen Bildverarbeitung werden nicht beachtet (vgl. Hecke; Surkamp 2009: 21).

Die Rolle von Bildern in den verschiedenen Methoden spiegelt sich auch in den Lehrwerken unterschiedlicher Generationen wider. Jedoch diente die Funktion der Bilder hauptsächlich der Texterschließung, erst in den Lehrwerken der letzten Generation werden sie als eigenständiger Gegenstand behandelt. Dabei stehen Bildreichtum, medienspezifische Bildreflexion und funktionale Bildverwendung im Fokus (vgl. Macaire; Hosch 1996: 116). Durch den medialen Fortschritt hat sich auch die Rolle der Visualisierungen im Lernprozess erweitert.

2.2 Visualisierungen: Typen und Funktionen

Das Interesse am Bildeinsatz für das Fremdsprachenlernen führt dazu, dass dieses Thema immer wieder zum Gegenstand didaktischer Diskussionen wird. Eine der möglichen Erklärungen ist laut Reinfried, dass „[d]as Bild [...] das einzige Medium [ist], das eine inhaltliche Stütze bietet, ohne mutter- oder fremdsprachliche Ausdrücke vorzugeben“ (Reinfried 1992: 283). Auch Macaire und Hosch (1996: 15) betonen:

„Bilder gelten allgemein als leicht verständliche Mittel der Kommunikation, der Verständigung. Man meint, daß sie einfacher als fremdsprachliche Texte zu verstehen seien. Deshalb arbeiten viele Fremdsprachenlehrer und -lehrerinnen in ihrem Unterricht mit Abbildungen aus Lehrwerken, Bildbänden oder Illustrierten, mit Comics oder auch mit Karikaturen.“

Der Einsatz von Bildern im Fremdsprachenunterricht ist nicht nur mit Vorteilen verbunden. Aus diesem Grund ist zu überlegen, wann der Bildeinsatz gewinnbringend sein kann und in welchen Fällen er unnötig oder überfordernd wirkt. Zeitliche oder logische Aussagen können eindeutiger und detaillierter mit Wortsprache als bildlich dargestellt werden. Die Bildsprache erlaubt keine so prägnanten Definitionen theoretischer Begriffe wie eine wortsprachliche Darlegung (vgl. Stary 1997: 12). Es stellt sich die Frage, welche Visualisierungen für das Grammatiklehren und -lernen vorteilhaft sein können.

Macaire und Hosch (1996: 71–74) unterscheiden zwischen Abbildungen, logischen und analogen Bildern. Zu Abbildungen gehören Fotos, Zeichnungen, Gemälde, Piktogramme, Buttons etc. Sie haben, im Vergleich zu logischen (wie z. B. Grafiken, Schemata, Diagramme) und analogen Bildern (visuelle Metapher), einen engeren Bezug zur realen Welt. In Abhängigkeit von Lernzielen können Bilder verschiedene Funktionen haben: Bilder zur Motivation und Dekoration, Bilder als Informationsträger, Bilder als Sprach-/Schreibanlass, Bilder zur Veranschaulichung (von Wörtern, Grammatikstrukturen, Gestik/Mimik, Situationen) sowie Bilder zur Gedächtnisstütze (vgl. ebd.: 75–88). Hallet (2010) unterscheidet die illustrative, die semantische, die repräsentationale, die kognitive, die instruktive sowie die bildästhetische Funktion der Bilder. Auch Hecke (2010: 20) betont den instrumentalisierenden Bildeinsatz im Fremdsprachenunterricht und die Vielzahl der Bildfunktionen, zu denen u. a. die Grammatisierung, also die Veranschaulichung grammatischer Strukturen und Funktionen mithilfe von Bildern, gehört.[1]

Schatz, die sich mit der Förderung der Sprechkompetenz beschäftigt, sieht großes Potenzial in Bildern für den Transfer grammatischer Informationen beim Sprechen. Da für das Sprechen und analytisch-logisches Denken die linke Hirnhälfte zuständig ist, führt die gleichzeitige Aktivierung beider Prozesse zur Überlastung und Blockierung des Systems, d. h. wenn der Lerner eine grammatische Regel abruft, bricht er seinen Redefluss ab (vgl. Schatz 2006: 93). Laut Schatz kann man dieses Problem umgehen: „Durch Visualisierung wird die Grammatikregel nicht verbal abgespeichert, sondern in eine bildhafte Anschauung übertragen. Beim Sprechen kann das Bild abgerufen werden, das Bild stört das Sprechen nicht, sondern hilft“ (ebd.: 95). Betrachtet man Visualisierungen als didaktische Medien, sollte man jedoch die Bandbreite des Bildbegriffs und das besondere Verhältnis zur Wirklichkeit beachten. Der Einsatz von Bildern im Fremdsprachenerwerb heißt dann, den Blick des Lerners auf eine bestimmte visuelle Darstellung zu fokussieren (vgl. Höpel 2008: 62). Anforderungen an die Grammatikvisualisierungen sind besonders hoch, da die grafische Darstellung auf keinen Fall eine zusätzliche Erklärung benötigen darf (vgl. Macaire; Hosch: 1996: 85).

2.3 Visualisierungen in Printmedien

Wie bereits in 2.1 beschrieben, hat der Bildeinsatz in den Lehrwerken eine lange Tradition. Auch die Versuche, grammatische Strukturen (und, wenn auch seltener, Funktionen) visuell darzustellen, sind keine Innovation, insbesondere seit der Ära des kommunikativen Ansatzes. Die Visualisierungen in DaF-Lehrwerken werden in erster Linie mit dem Namen Theo Scherling in Verbindung gebracht (vgl. Rösler 2010: 1203). Nicht nur in den Lehrwerken sind unterschiedliche Visualisierungsformen zu finden, auch ein Handbuch mit didaktischen Vorschlägen für den Einsatz von Bildern im Unterricht wurde ausgearbeitet (vgl. Scherling; Schuckall 1992).

Lehrwerkautoren versuchen unterschiedliche visuelle Elemente bei der Darstellung grammatischer Themen einzubinden. Dabei geht es z. B. nicht nur um Pfeile bei der Veränderung der Verbposition in Nebensätzen oder tabellarische Darstellungen der Adjektivdeklination, sondern auch um die Visualisierung der Funktionen verschiedener grammatischer Phänomene sowie eine visuelle Darbietung der Kontexte, in denen sie angewendet werden. Lehrenden werden auch alternative Vermittlungsverfahren angeboten, die auf der Monitor-Theorie von Krashen, Elementen der Suggestopädie und dem Verb-Aktantenmodell von Weinrich basieren (siehe dazu das Lehrwerk von Brinitzer/Damm Grammatik sehen). Die Autorinnen haben den Anspruch, eine Brücke zwischen semantisch-kommunikativen und grammatischen Kenntnissen zu schlagen.[2] Dabei spielen auch visuelle Elemente, wie Bildstützung und Farbcodierung eine wichtige Rolle sowie das Aktantenmodell, das die Kasus-Logik im Rahmen des Verbtheaters nachvollziehbar darstellen soll (vgl. Brinitzer/Damm 1999: 4).

Funk und König beschäftigten sich mit der Analyse der Grammatikvisualisierungen in DaF-Lehrwerken sowie mit Erarbeitungsvorschlägen der Grammatikdarstellungen als Tafelbilder (vgl. Funk; König 1991 a, b). Ausgehend von der Brauchbarkeit visueller Elemente für die Grammatikvisualisierung unterscheiden sie (1991a: 74) zwischen drucktechnisch-grafischen Hilfsmitteln, abstrakten Symbolen, „konkreten“ Symbolen bzw. visuellen Metaphern und „dynamischen Symbolen“ bzw. Personalisierung von grammatischen Regeln. Zu der ersten Gruppe werden Schriftarten, farbige Hervorhebungen sowie tabellarische Anordnungen gezählt. Anlehnend an die sprachwissenschaftliche Systematik werden abstrakte Symbole für die Darstellung grammatischer Regel verwendet. Unter konkreten Symbolen werden visuelle Metaphern verstanden. Damit versucht man mithilfe konkreter Gegenstände abstrakte grammatische Regeln darzustellen (wie z. B. die Satzklammer mit einer Schraubzwinge). Zu „dynamischen Symbolen“ werden Zeichnungen und Fotos gezählt, die die Verwendung bestimmter grammatischer Strukturen erfordern (vgl. Funk/König 1991 a, b).

Ein Lehrwerk ohne visuelle Komponente ist kaum vorstellbar. Auch Grammatikbücher beinhalten weitere Versuche, Grammatik visuell darzustellen. Neben didaktischen Übungsgrammatiken gibt es bereits auch rein visuelle Referenzgrammatiken, wie z. B. „Grammatik in Bildern“ (Gubanova-Müller/Tommaddi 2015), die ein leicht verständliches Grammatiklernen verspricht.[3]

2.4 Veränderungen der Visualisierungen durch mediale Entwicklung

Basierend auf verschiedenen Theorien und Forschungen (vgl. Sweller et al. 2011, Paivio 1986, Mayer 2005), die sich mit der Belastung des Arbeitsgedächtnisses beim multimedialen Lernen beschäftigen, folgen verschiedene Empfehlungen für die Gestaltung der Lernmaterialien. Da im Arbeitsgedächtnis nicht zu viele Informationen gleichzeitig verarbeitet werden können, lohnt der gleichzeitige Einsatz visueller und textueller Informationen nicht immer, sondern nur, falls sie einander ergänzen, dann werden Lernende, insbesondere Anfänger, nicht überfordert (vgl. Kerres 2013: 167–168). Darüber hinaus können Anfänger Schwierigkeiten bei der Unterscheidung relevanter und irrelevanter Informationen haben, deswegen sollten Lernangebote keine Bilder mit rein dekorativer Funktion beinhalten. In der Kombination von Bild und Text ist auf Redundanz zu verzichten, die Informationen sollten einander nicht vollständig wiederholen, sondern ergänzen (vgl. ebd.: 170 f). Die beschriebenen Empfehlungen beziehen sich nicht nur ausschließlich auf digitale Lernangebote, sondern auf alle, die mehrere Kanäle beim Lernen ansprechen (vgl. Weidenmann 2011: 76, Schnotz/Horz 2011: 88). Wie verändert dann die mediale Entwicklung Lernangebote im Hinblick auf die Visualisierung?

Die Lehrwerke werden durch weitere visuelle Komponenten wie z. B. Videos, Grammatikclips oder Augmented-Reality-Apps ergänzt. Den Lernenden stehen viele lehrwerkunabhängige digitale Materialien zur Verfügung, webbasiert sowie als Apps. Die visuelle Gestaltung der Apps ähnelt gedruckten Bilderbüchern. Im Gegensatz zu diesen bieten Apps andere Eigenschaften in Form bewegter Bilder, also Animationen. Darüber hinaus verfügen sie über Interaktivität und können spielerischen Charakter haben (vgl. Müller/Olsen 2014: 422). Die Potenziale der Animationen für die Grammatikvermittlung, auch im Hinblick auf die Motivation, wurden bereits in einigen Studien begründet, siehe dazu Scheller (2008) am Beispiel von Wechselpräpositionen, Kanaplianik (2016) mit Animationen für Modalverben. Jedoch kann und muss nicht jedes grammatische Phänomen durch eine Animation dargestellt werden. Laut Roche (2013: 69) lassen sich kausale oder sequenzielle Sachverhalte mit Animationen nachvollziehbar darstellen.

Nicht nur Animationen können in digitalen Lernangeboten verwendet werden, sondern auch die Visualisierungen, die erfolgreich in Lehrwerken eingesetzt werden, wie „drucktechnisch-grafische Hilfsmittel, abstrakte Symbole“ nach Funk/König (s. Kapitel 2.3). Wichtige Merkmale digitaler Lernprogramme sind dynamische Inhaltsdarstellungen und Interaktivität. Dies kann vorteilhaft sein, doch gleichzeitig gibt es die Ablenkungsgefahr. D. h. wenn den Lernenden neue Inhalte angeboten werden, müssen sie visuell so gestaltet werden, dass die Aufmerksamkeit auf sie gelenkt wird. Das kann z. B. „durch einen Pfeilverweis, eine Einrahmung, farbige Hinterlegung, größere Schrift, Fettschrift, Blinken“ realisiert werden (Rakoczi et al. 2011: 5 f). Somit kann jede Textveränderung sowie einzelne Aspekte grammatischer Phänomene sichtbar gemacht werden, was insbesondere für die Erklärung der Grammatik von großer Bedeutung ist, wobei Lernende trotzdem passiv in der Erklärungsphase bleiben. Damit sie aktiv in den Lernprozess einbezogen werden und im Laufe des ganzen Prozesses aktiv bleiben, kann eine Kombination von Visualisierungen und Interaktivität von Interesse sein. Im Weiteren folgt eine Darstellung des Zusammenspiels genannter Elemente am Beispiel einer interaktiven Lernsoftware für eine Grammatik des Deutschen als Fremdsprache.

3 Visualisierungen beim interaktiven Grammatiklernen von Anfängern

3.1 Interaktive Grammatik – das Material

Grammatik ist ein Bereich der Sprache, den man gut selbst erlernen kann (im Gegensatz z. B. zur mündlichen oder interkulturellen Kompetenz). Normalerweise gibt es eine Regel, die zu lernen und beim Üben einzusetzen ist, darauf folgt die nächste Regel usw. Auch vom Implementierungsaufwand scheint es nicht so kompliziert zu sein, da nicht so viele Antwortmöglichkeiten programmiert werden müssen. Lernenden stehen im Netz eine Menge digitaler Grammatiklernangebote zur Verfügung, die einen ähnlichen Aufbau haben, und zwar einer textuellen bzw. tabellarischen Darstellung eines grammatischen Themas folgen geschlossene formfokussierte Übungen (vgl. Zeyer 2016: 192 f). Nicht besonders viele digitale Angebote bieten jedoch eine interaktive Einführung in Grammatik an. Nur die Interaktivität allein kann das Grammatiklernen nicht interessanter machen. Sind visuelle Unterstützung und Interaktivität sinnvoll verbunden, überfordern sie Lernende (s. o. Kerres 2013), insbesondere mit geringen Sprachkenntnissen, nicht und tragen zum Lernerfolg bei.

Eines dieser digitalen Lernangebote ist beim Goethe-Institut, in der Community Deutsch für dich[4] zu finden. Die Interaktive Grammatik ist für Anfänger des Deutschen (Sprachniveau A1) konzipiert. Insgesamt wurden Einheiten für zehn grammatische Themen[5] entwickelt, die auf der Grundlage der Lehrmaterialanalyse und der Analyse der Forschungsliteratur ausgewählt wurden (vgl. Zeyer et al. 2015). Alle Einheiten der Interaktiven Grammatik haben den gleichen, in fünf Teile bzw. Schritte unterteilten Aufbau. Die ersten zwei Schritte haben einen entdeckenden Charakter und führen Lernende an das Thema sowie in die Funktionsweise und Bildung des jeweiligen grammatischen Phänomens heran. Im dritten Schritt folgt eine Regelformulierung, dabei werden die Informationen aus den ersten zwei Schritten zusammengefasst und die Lernenden formulieren auf deren Grundlage eine Regel. In den Schritten vier und fünf werden Übungen unterschiedlicher Schweregrade und Typen angeboten. Die Bearbeitung der Schritte kann in beliebiger Reihenfolge geschehen, d. h. sowohl induktiv als auch deduktiv. Die Interaktive Grammatik unterstützt Anfänger beim Lernen durch die Interaktivität sowie durch visuelle Komponenten, die im folgenden Unterkapitel exemplarisch dargestellt werden. Da die Visualisierungen nach und nach angeboten werden und unterschiedlicher Art sind, wird die Aufmerksamkeit gezielt auf die Besonderheiten grammatischer Phänomene gelenkt. Die Interaktive Grammatik ist als Web-Version und als App für den Tablet-PC[6] vorhanden. So stehen alle interaktiven Elemente und Informationen für die Bearbeitung zur Verfügung, ohne dass gescrollt werden müsste.

3.2 Visuelle Komponenten der Interaktiven Grammatik

Icons, Farben, Schriftänderung

Die Einheiten der Interaktiven Grammatik haben nicht nur den gleichen Aufbau, sondern beinhalten auch einige visuelle Gemeinsamkeiten, damit sich Lernende nicht bei jeder neuen Einheit einarbeiten müssen. Dazu gehören Info- und Hilfe-Buttons, die sich oben rechts befinden und jederzeit abrufbar sind (siehe Abb. 1). Beim Klick des Info-Buttons, der als grüner runder Button mit dem Buchstaben i gekennzeichnet ist, erscheint die jeweilige Aufgabenstellung. Die Aufgabenstellung wird aus Platzgründen, was insbesondere für die App-Version von Bedeutung ist, unter dem Info-Button versteckt. Der Hilfe-Button ist rund, hellgrün und hat ein Fragezeichen. Damit können sich Lernende mittels Animation zeigen lassen, was von ihnen erwartet wird, falls die Aufgabenstellung nicht verstanden wurde. Beide Icons sind selbsterklärend, somit werden Lernende durch die visuelle Gestaltung auf der Navigationsebene unterstützt.

Ein fester Bestandteil jedes Angebots zum Selbstlernen ist das Feedback. Hier treffen Entwickler die Entscheidung, wie umfangreich und in welcher Form es gestaltet wird, ob es als erklärender Text oder symbolisch gestaltet wird.[7] Die Interaktive Grammatik bietet ein ikonisches Feedback: Auf eine falsche Antwort reagiert das System mit einem orangen Kreuzchen, eine richtige signalisiert ein grünes Häkchen. Die Symbole erscheinen nur kurz und verschwinden sofort wieder. Je nach Lernziel eines Schrittes kann das Feedback durch eine kurze Erklärung oder durch eine farbige Markierung des falscheingegebenen Wortes erweitert werden. Im zweiten Fall kann entweder das ganze Wort orange oder nur der nicht richtig eingegebene Buchstabe hervorgehoben werden. Die Farben Orange und Grün haben durchgehend in allen Einheiten eine Signalfunktion eine falsche bzw. richtige Antwort betreffend.[8] Auch weitere Farben haben eine Bedeutung: Blau und Grau stehen für nicht bearbeitete Elemente. Sobald sie bearbeitet wurden, ändern sie ihre Farbe. Farben können auch eine weitere Funktion übernehmen, z. B. können sie eine Änderung oder einen besonderen Aspekt einer grammatischen Form signalisieren. In den Einheiten zur Konjugation im Präsens werden beispielsweise Änderungen im Verbstamm starker Verben in der 2. und 3. Person Singular bereits in der Entdeckungsphase farbig hervorgehoben. Zuerst wird die Konjugation schwacher Verben entdeckt, erst danach die starker, damit die Stammänderung nicht übersehen wird.

Der Fokus auf einen bestimmten Aspekt kann auch durch eine Schriftänderung hervorgehoben werden. In der Einheit zum Imperativ in der ersten Übung müssen Lernende zuerst drei Präsensformen eintippen, die als Grundlage für die Bildung des Imperativs dienen. Die Präsensformen starker Verben (helfen, nehmen und fahren) in der zweiten Person Singular erscheinen im Fettdruck, sobald sie richtig eingegeben wurden. Dies dient der Erinnerung daran, dass bei der Bildung der jeweiligen Imperativformen besonders darauf geachtet werden sollte. Daraus kann man schließen, dass im Gegensatz zur Farbänderung, die sofort die Aufmerksamkeit auf sich zieht, eine Schriftänderung eher der „dezenteren“ Erinnerung dient, die unterstützend, aber gleichzeitig leicht zu übersehen sein kann.

Was die drucktechnischen Visualisierungen digitaler Lernangebote (wie der Interaktiven Grammatik) von denen der analogen unterscheidet, ist, dass sie nicht statisch sind und erst nach und nach zum Einsatz kommen. Dies macht die Verwendungslogik visueller Komponenten nachvollziehbar und lenkt die Aufmerksamkeit der Lernenden nicht auf einmal auf alle Aspekte eines grammatischen Phänomens. Abbildung 1 präsentiert, wie eine Regel anhand unterschiedlicher visueller Komponenten formuliert werden kann.

Die Regelformulierung in der Einheit „Fragesätze“ ist ein Beispiel, wie Lernende schrittweise ausgehend von Beispielsätzen eine Regel bilden. Zuerst müssen Sätze nacheinander gebildet werden, indem man mit einzelnen Wörtern als Zieh-Elemente Sätze bildet. Dabei signalisiert ein Fragezeichen am Satzende, dass es sich um einen Fragesatz handelt. Bildet man einen Fragesatz richtig,

Abb. 1 
              Nach und nach aufgebaute Regel zu Fragesätzen (Goethe-Institut).
Abb. 1

Nach und nach aufgebaute Regel zu Fragesätzen (Goethe-Institut).

erscheint rechts eine Antwortmöglichkeit (in der Abbildung sind die Antworten bereits verschwunden). Danach erscheinen die beiden grünen Balken „Position 1“ und „Position 2“, um die Position des Verbs in Fragesätzen hervorzuheben. Anschließend tauchen geschweifte Klammern mit den Beschriftungen „W-Frage“ und „Ja/Nein-Frage“ auf, damit der Unterschied in der Verbposition in verschiedenen Fragesätzen verdeutlicht und die minimale grammatische Terminologie eingeführt wird. So sollten Lernende am Schluss die Regel selbst formulieren können, die im unteren dunklen Block erscheint. Lernenden stehen drei Zieh-Elemente zur Verfügung. Wird das richtige Element in der Lücke platziert, leuchten die jeweiligen Wörter in den Beispielsätzen, wie in Abbildung 1 „Wie“ und „Wo“. Die beschriebene Darstellung ist ein Zusammenspiel textueller und visueller Elemente, die einander ergänzen und eine selbstständige Regelformulierung erleichtern können. Dadurch, dass Elemente nicht alle auf einmal dargestellt werden, wie es in einem Printwerk der Fall ist, wird die Aufmerksamkeit auf einzelne Aspekte der Regel gelenkt. So wie Rakoczi et al. (2011: 6) empfehlen, dass die Veränderung auf dem Bildschirm „salient genug“ ist, damit die neu erscheinenden Informationen nicht übersehen werden.

Tabellen

Ohne Tabellen ist die Darstellung grammatischer Themen schwer vorstellbar. In jedem Lehrwerk sind zahlreiche Tabellen zu verschiedenen grammatischen Themen zu finden und auch Online-Grammatiklernangebote bieten tabellarische Darstellungen an, die aber oft unveränderbar sind und somit eine digitale Version analoger Tabellen darstellen. Dank der Interaktivität der Interaktiven Grammatik können die Lernenden tabellarische Zuordnungen grammatischer Themen (wie z. B. der Konjugation im Präsens, des Imperativs) selbst erarbeiten, indem sie Zieh-Elemente in der Tabelle platzieren. Werden die Elemente falsch gezogen, rutschen sie in die Anfangsposition zurück und man kann es erneut versuchen. Somit wird induktives Grammatiklernen ermöglicht. Die Tabellen lassen auch eine „dosierte“ Einführung grammatischer Terminologie zu (s. Abb. 2).

In der Einheit „Konjugation im Präsens“ (Schritt 2) sind die Infinitive in die Tabelle zu ziehen. Die Konjugationsendungen stehen bereits in der Tabelle. Zieht man einen Infinitiv in eine der Zellen, wird er in Verbstamm und Endung getrennt, der Verbstamm rutscht zur Konjugationsendung, die Infinitivendung verschwindet. Bei der Trennung des Infinitivs, die auch farbig hervorgehoben wird, erscheinen auch zwei grammatische Termini, die im weiteren Schritt ebenfalls bei der Regelformulierung verwendet werden. Abbildung 2 zeigt einen Versuch, grammatische Terminologie einzuführen, jedoch kann dies auch überfordernd sein, da die Lernenden auf mehrere Aspekte achten sollten. Hierbei sollte näher untersucht werden, inwiefern und wie viel grammatische Terminologie beim induktiven mediengestützten Selbstlernen erlernt werden kann.

Abb. 2 
              Eine Tabelle zur Entdeckung der Konjugation im Präsens (Goethe-Institut).
Abb. 2

Eine Tabelle zur Entdeckung der Konjugation im Präsens (Goethe-Institut).

Tabellen werden auch beim Üben in einigen Einheiten der Interaktiven Grammatik eingesetzt, wie z. B. zum Thema „Imperativ“. Allerdings erscheint nach der Eingabe der Imperativformen eines Verbs ein Foto, dem eine richtige Imperativform zuzuordnen ist. Somit wird nicht nur die Form geübt, sondern auch der lebensnahe Kontext einbezogen.

Fotos, Zeichnungen

Fotos und Zeichnungen verbindet man eher mit Vokabelvisualisierungen, sie können aber auch für die Darstellung vieler Aspekte grammatischer Phänomene verwendet werden. In erster Linie kann Grammatik durch Bilder/Zeichnungen kontextualisiert werden, somit wird die kommunikative Relevanz der jeweiligen Grammatikthemen präsentiert, was beim Grammatiklernen häufig bemängelt wird. In der Interaktiven Grammatik werden Fotos bzw. Zeichnungen für unterschiedliche Ziele und in verschiedenen Variationen eingesetzt. In der Einheit „Komposita“ wird ein Möbelhauskatalog zum Einkaufen von Möbelstücken angeboten, d. h. die Lernenden können darin blättern und müssen die Wörter, die sie für Komposita halten, anklicken. Für die Entdeckung temporaler Präpositionen steht ein Formular zum Kauf eines Zugtickets zur Verfügung, in dem das Reiseziel, das Datum und die Uhrzeit ausgewählt werden können. Nach Niegemann et al. (2008: 218) können Objekte leichter erkannt werden, „wenn sie in ihrem Kontext dargestellt werden.“ Übertragen auf die Grammatikvisualisierungen mit Fotos und Zeichnungen, folgt daraus, dass der lebensnahe Kontext und somit die Relevanz grammatischer Phänomene für Lernende erkennbar wird.

In der Einheit „Imperativ“ veranschaulichen z. B. zwei auf einander folgende Fotos unterschiedliche Funktionen des Imperativs, die Bilder-Sequenzen werden nach einem Klick angezeigt und müssen den jeweiligen Funktionen (Tipp, Aufforderung, Bitte) zugeordnet werden. Darüber hinaus werden die Bilder-Sequenzen vertont, damit die Intonation in Imperativ-Sätzen präsentiert wird. So beginnen Lernende die Entdeckung des Themas nicht mit der Form, sondern mit den Funktionen, die durch realitätsnahe Abbildungen veranschaulicht werden.

Fotos können auch als „Belohnung“ bei mediengestütztem Grammatiklernen fungieren. In Übung 2 der Einheit zur Konjugation im Präsens werden Lernende aufgefordert, richtige Präsensformen der angebotenen Verben einzutippen. Über dem Lückensatz steht ein verschwommenes Bild (Abb. 3 links), der Fokus bleibt auf der Lücke. Sobald Lernende eine richtige Form eingegeben haben, wird das Foto scharf (Abb. 3 rechts). Versteht man die Bedeutung des Verbs nicht, kann sie

Abb. 3 
              Ein Lückensatz in der Übung zur Konjugation im Präsens (links), der richtig ausgefüllte Satz und ein Foto zu seiner Veranschaulichung (rechts). (Goethe-Institut).
Abb. 3

Ein Lückensatz in der Übung zur Konjugation im Präsens (links), der richtig ausgefüllte Satz und ein Foto zu seiner Veranschaulichung (rechts). (Goethe-Institut).

mit dem erschienenen Bild entschlüsselt werden. In Anbetracht dessen, dass das grammatische Thema im Unterricht relativ früh vorkommt, kann eine semantische Vorentlastung lernfördernd sein. Die Behauptung, dass es in dem beschriebenen Fall um die Visualisierung des Wortschatzes geht, stimmt, jedoch wird durch eine unmittelbare Veranschaulichung der Verbbedeutung nach der Eingabe der richtigen Antwort die Wahrscheinlichkeit verringert, dass die Verbformen ohne Wort-/Satzverständnis – wie es oft bei formfokussierten Grammatikübungen passiert – eingegeben werden. Wären die Bilder sofort zu sehen, könnten sie auch flüchtig angesehen werden, als eine Reaktion auf eine richtige Eingabe wecken sie jedoch die Aufmerksamkeit.

Bilder als Informationsträger (nach Macaire/Hosch 1996: 85, 79) können auch Teil der zu lösenden Aufgabe sein. Z. B. tippen die Lernenden in Übung 2 der Einheit „Temporale Präpositionen“ die Präpositionen ein, die Aussagen von Nachbarn bezüglich eines Zeitpunktes sind. Anschließend müssen sie die Sätze mit abgebildeten „Beweisstücken“ abgleichen und entscheiden, ob die jeweilige Person ein Täter sein kann (Abb. 4). Somit wird nicht nur das Ausfüllen der Präpositionen, sondern auch das Verstehen der Sätze mithilfe der Bilder erwartet, ohne das die Lösung der Aufgabe unmöglich ist.

Hallet (2010: 38) bemängelt die Rolle der Bilder im Lernprozess als Instrument und nicht als Lerngegenstand. Das beschriebene Beispiel, in dem das Bild ein Teil der Übung ist und die kognitive Beschäftigung mit Bildinhalten verlangt, zeigt, wie Visualisierungen als Lerngegenstand agieren können.

Abb. 4 
              Ein ausgefüllter Lückensatz mit temporalen Präpositionen und ein Foto mit zu überprüfenden Informationen (Goethe-Institut).
Abb. 4

Ein ausgefüllter Lückensatz mit temporalen Präpositionen und ein Foto mit zu überprüfenden Informationen (Goethe-Institut).

Visuelle Metapher

In einigen Einheiten der Interaktiven Grammatik sind auch visuelle Metaphern zu finden. Im Gegensatz zu Lehrwerken sind sie dynamisch und interaktiv. In der Einheit „Satzklammer“ verbindet ein Magnet die Satzklammerteile, dabei ist er auch „dehnbar“ und lässt mehrere Elemente ins Mittelfeld. Somit wird die feste Position von Satzklammerteilen veranschaulicht. In Lehrwerken findet man ähnliche Visualisierungsbeispiele für die Satzklammer, wie z. B. eine Schraubzwinge, eine Schere oder eine Brücke. Der Unterschied zum Magneten besteht im Interaktivitätsmerkmal der visuellen Elemente. Dabei kann man Satzteile im Mittelfeld ergänzen oder tauschen, somit kann das grammatische Phänomen von Lernenden selbst entdeckt werden.

Beim Entdecken des Imperativs steht ein interaktiver Radiergummi zur Verfügung, den man auf die vorher gebildete Präsensform bewegt. Dabei werden der Pronomen (außer Sie in der Höflichkeitsform) sowie die Präsensendung „wegradiert“. In Lehrwerken wird oft der Zusammenhang der Präsens- und der Imperativform dadurch veranschaulicht, dass die Pronomen und die Endungen im Präsens durchgestrichen werden. Eine dynamische Darstellung aktiviert Lernende zum Selbstentdecken und dazu, eigene Hypothesen über die Bildung des Imperativs zu bilden.[9]

Eine weitere visuelle Metapher ist eine Schere in der Einheit „Komposita“. Mit der Schere müssen die Lernenden die Komposita „zerschneiden“ – eigentlich die Schere auf ein Kompositum ziehen und anklicken. Dann wird das Kompositum in zwei Wörter geteilt, die nach unten rutschen. Dabei erscheint der Artikel vor dem ersten Wort (Kompositumteil), wenn es ein Nomen ist. Der Artikel für das zweite Wort rutscht vom Kompositum herunter. Somit wird dargestellt, welches Wort den Artikel der Komposita bestimmt. Außerdem wird die Bedeutung der Wörter mit Fotos veranschaulicht (Abb. 5). Dies ist ein weiteres Beispiel für das Zusammenspiel mehrerer visueller Elemente.

Abb. 5 
              Mehrere visuelle Elemente bei der Entdeckung von Komposita (Goethe-Institut).
Abb. 5

Mehrere visuelle Elemente bei der Entdeckung von Komposita (Goethe-Institut).

Animationen

Viele Elemente der Interaktiven Grammatik sind dynamisch, d. h. sie können bewegt, gezogen und neu platziert werden. Eine komplett dynamische Visualisierung, also eine Animation im eigentlichen Sinne, wird nur in Übung 2 der Einheit „Imperativ“ angeboten (Abb. 6). Sie dient dabei mehreren Zwecken. Die Lernenden müssen eine für eine Situation passende Imperativform eintippen. Die Situation wird mit dem Startbild der Animation veranschaulicht. Wird die Imperativform nicht richtig eingegeben, erscheint ein Fragezeichen über dem Kopf der „angesprochenen“ Person (Abb. 6 links). Ist die richtige Form in der Lücke ergänzt, wird der Imperativsatz, d. h. die Aussage ausgeführt (Abb. 6 rechts). Somit ist die Animation ein Feedback. Am wichtigsten ist jedoch die Verdeutlichung der Funktion des Imperativs durch die durch eine Aussage ausgelöste Handlung.

Problematisch in der vorgestellten Übung könnten nicht die Animationen, sondern die auszufüllenden Lücken sein. Da die Lücken Striche für jeden Buchstaben haben, kann eine Gefahr darin bestehen, dass die Entscheidung über die Imperativform nicht auf Grundlage der Bildanalyse getroffen wird, sondern sich die Lernenden an der Anzahl der Striche orientieren.

Abb. 6 
              Animation als eine Rückmeldung auf eine falsche Antwort (links) und auf eine richtig eingegebene Form (rechts). (Goethe-Institut).
Abb. 6

Animation als eine Rückmeldung auf eine falsche Antwort (links) und auf eine richtig eingegebene Form (rechts). (Goethe-Institut).

Videos

Eine weitere bewegte Visualisierung der Grammatik wird in der Einheit „Wechselpräpositionen mit Akkusativ“ angeboten. Im ersten Entdeckungsschritt müssen die Lernenden Fotos mit Verben und Nomen zuordnen. Im Falle einer richtigen Zuordnung wird eine kurze Videosequenz abgespielt, darunter stehen Sätze mit den Wechselpräpositionen, die aus dem zugeordneten Verb und Nomen gebildet werden. Die Sätze mit den Wechselpräpositionen sind in einen lebendigen Kontext eingebunden. Mit Videosequenzen sollte nicht nur die Bedeutung der Präpositionen, sondern auch die Dynamik bzw. die Ortsänderung veranschaulicht werden. Eine alternative Visualisierung könnte eine animierte Darstellung, wie sie z. B. in der Arbeit von Scheller (2008) vorkommt, sein.

4 Schlussbemerkung

Vor zwanzig Jahren erarbeitete Biechele (1997: 68 f) einige didaktische Vorschläge zur Bildverwendung in Lehrwerken, „um dem oberflächlichen Rezipieren entgegenzuwirken und um prozedurale Fähigkeiten auszubilden“. Dabei betonte sie die wichtige Rolle (neben der Auswahl von Bildern) der Prozesssteuerung beim Fremdsprachenlernen durch Visualisierungen. Während im Unterricht der Lernprozess größtenteils von Lehrenden gesteuert wird, wird er bei selbständigem Lernen den Lernenden überlassen. Ihre Einbeziehung in den Lernprozess durch aktive Auseinandersetzung mit textuellen und visuellen Komponenten eines Lernprogramms sollte zum Lernerfolg und zu längerem Behalten beitragen. Das bedeutet jedoch nicht, dass im Laufe des selbständigen Lernprozesses keine Wissenslücken oder kein Missverstehen entstehen können. Am Beispiel visueller Komponenten der Interaktiven Grammatik wurden sowohl die Potenziale als auch mögliche Problemstellen medialer Visualisierungen von grammatischen Phänomenen gezeigt. Die vorgestellte Grammatik ist für Nullanfänger nicht geeignet, ermöglicht jedoch den Lernenden bereits in der Anfangsphase eine aktive Beschäftigung mit grammatischen Inhalten. Die Komplexität grammatischer Informationen kann teilweise vorentlastet werden, indem die Lernenden sofort in den Lernprozess einbezogen werden und selbst mit den angebotenen visuellen Elementen arbeiten. Da nicht alle Visualisierungen auf dem Bildschirm erscheinen, sondern durch Aktionen der Lernenden eine komplexe Strukturierung grammatischer Informationen aufgebaut wird, sollten sie nachvollziehbar sein. Mögliche Probleme bei der Arbeit mit Grammatikvisualisierungen könnten durch Usability-Tests mit potenziellen Lernenden bzw. Lerngruppen gelöst werden. Dadurch ist insbesondere mit Anfängern zu überprüfen, ob die Visualisierungen zum (Miss-)Verstehen führen.

Die Analyse der Forschungslandschaft zu Grammatikvisualisierungen zeigt, dass Forschungsbedarf in Bezug auf einzelne Aspekte von Visualisierungsmöglichkeiten besteht. Unter anderem z. B. wie Lernende mit visuell dargestellter grammatischer Terminologie umgehen und ob dynamische visuelle Metaphern verstanden werden. Darüber hinaus stellen kulturelles Bildverstehen sowie Visualisierungen als Lerngegenstand ein Forschungspotenzial dar. Der vorliegende Beitrag kann auch als eine Anregung für Entwickler von Lernmaterialien dienen.

About the author

Tamara Zeyer

ist als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Justus-Liebig-Universität Gießen (Lehrstuhl Deutsch als Fremdsprache) tätig. Sie hat mehrjährige Unterrichtserfahrung im DaF-Bereich. Darüber hinaus bietet sie Fortbildungen für DaF-Lehrende im Ausland an und leitet Seminare im Rahmen von Weiterbildungskursen der Hessischen Lehrerakademie für Schullehrer für das Unterrichtsfach Deutsch als Fremd-/Zweitsprache. Forschungsschwerpunkte: Grammatikvermittlung mit digitalen Medien, Konzeption und Entwicklung digitaler Materialien zum Fremdsprachenlernen.

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Published Online: 2017-12-06
Published in Print: 2017-12-04

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 1.10.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/infodaf-2017-0097/html
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