Rezensierte Publikation:
Roche, Jörg: Deutschunterricht mit Flüchtlingen: Grundlagen und Konzepte. Tübingen: Narr, 2016 (narr studienbücher). – ISBN 978-3-8233-8055–9. 231 Seiten, € 24,99.
Mit der Zunahme der Zuwanderung 2015 stieg der Bedarf nach Informationen über den Deutschunterricht mit Flüchtlingen: Flüchtlinge wurden häufig von Personen unterstützt, die bislang nicht mit Flüchtlingen oder dem Deutschunterricht zu tun hatten. Auch in Sprachkursen wurden bisweilen Lehrkräfte eingesetzt, die über wenig Erfahrung mit dem Deutschunterricht für Flüchtlinge verfügten. Bildungsträger, die bislang keine Kurse für Flüchtlinge durchgeführt hatten, benötigten Kurskonzepte. In der DaF-/DaZ-Szene war man auf die hohe Zahl von Anfragen nach Expertise nicht vorbereitet, wohl aber auf die Antworten, denn die Themen, zu denen Informationsbedarf bestand, waren nicht neu: Zur Heterogenität der Kursteilnehmer, zur Differenzierung im Deutschunterricht, zu Sprachkursen mit Berufsorientierung, zum Thema Alphabetisierung oder zur Gestaltung von Integrationskursen liegen ausgearbeitete Konzepte und erprobte Materialien vor. Das Rad musste also nicht neu erfunden werden. Das dachten sich auch Jörg Roche und Mitarbeiterinnen und legten ein Studienbuch zum Deutschunterricht mit Flüchtlingen vor.
Deutschunterricht mit Flüchtlingen enthält Texte aus bekannten Publikationen zum Fremdsprachenerwerb, die für das Studienbuch überarbeitet und angepasst wurden (Kapitel eins bis drei) sowie neue Texte (Kapitel vier und fünf). Laut eigenem Anspruch soll Grundlagenwissen leicht verständlich erklärt und dabei die Relevanz für die Praxis anhand von Beispielen und Modellen aufgezeigt werden (1). Die Reihe narr studienbücher richtet sich an Studierende in Einführungsveranstaltungen. Im Vergleich mit anderen Titeln zum Deutschunterricht mit Flüchtlingen (z. B. Kreutzer/Spier-Mazor/Wozniak-Kreutzer 2016; Cornely Harboe/Mainzer-Murrenhoff/Heine 2016) hat das Studienbuch einen wissenschaftlicheren Anspruch. Es lässt sich eher mit den von Jeuk (2015) oder von Kniffka/Ott (2007) vorgelegten Titeln zum Thema „Deutsch als Zweitsprache“ vergleichen.
Deutschunterricht mit Flüchtlingen beginnt mit einer Einführung in den Spracherwerb. Welche Informationen zum Spracherwerb benötigt man, wenn man sich auf den Deutschunterricht mit Flüchtlingen vorbereiten möchte? Die Annahme in Deutschunterricht mit Flüchtlingen ist, dass sich der Spracherwerb von Flüchtlingen nicht grundsätzlich von dem anderer Zielgruppen unterscheidet und dass sich daher eine allgemeine Einführung eignet. So findet man eine Übersicht über Themen, die normalerweise in einem Einführungsseminar zum Spracherwerb behandelt werden. Dabei werden schwerpunktmäßig Aspekte berücksichtigt, die im Zusammenhang mit dem Zweitsprachenerwerb besonders relevant sind, beispielsweise die Schwellenhypothese und die Unterscheidung zwischen BICS und CALP. Ein direkter Bezug zur Zielgruppe wird in dem Kapitel nicht hergestellt: Erwerbsprozesse werden anhand eines Gesprächs mit einem türkischen Arbeiter erklärt, das mentale Lexikon anhand von englischen und russischen Begriffen. Auch wenn die Beispiele nur die Annahmen des Spracherwerbs erläutern sollen, wäre ein Bezug zu anderen Sprachen passender gewesen; schließlich stammte die größte Gruppe der Flüchtlinge in den Jahren 2014 bis 2016 aus Syrien. Auch wurden nicht alle Inhalte auf ihre Relevanz überprüft. So sind die Überlegungen zum Sprachenerwerb im Alter angesichts der Zielgruppe nicht besonders relevant.
Im zweiten Kapitel „Grundlagenwissen über den Lerngegenstand deutsche Sprache“ wird zunächst die sprachenpolitische Stellung des Deutschen dargestellt. Hier wird auf die Anzahl der Flüchtlinge Bezug genommen und ihre Situation in Bezug auf den Spracherwerb erläutert. Im weiteren Verlauf werden Merkmale der deutschen Phonologie, Morphologie und Syntax vorgestellt, gefolgt von den Themen Text- und Gesprächsanalysen sowie Fach- und Berufssprachen. Auch dieses Kapitel ist eine sinnvoll aufgebaute und gut verständliche Einführung in die genannten Themen. Wiederum wird es den Lesern überlassen, den Transfer zur Situation der Flüchtlinge herzustellen. So müssen die Informationen über die Besonderheiten der Fach- und Berufssprachen auf die Sprachkurse für Flüchtlinge, die häufig über einen Berufsbezug verfügen sollen, übertragen werden.
Im dritten Kapitel „Grundlagenwissen zum Deutschunterricht mit Flüchtlingen“ wurde die Zielgruppe verstärkt berücksichtigt. Zur Unterrichtsplanung erhalten die Leser eine geeignete Einführung; zentrale Begriffe werden erläutert, und es werden Handlungsempfehlungen gegeben. Die Auswahl der Themen und die Tiefe, mit der sie behandelt werden, ist stimmig: Bei dem relevanten Thema „Differenzierung“, das auf zwei Seiten behandelt wird (158–160), werden beispielsweise Formen der Differenzierung erläutert („Binnendifferenzierung“ und „äußere Differenzierung“), der Begriff Differenz mit Blick auf den Fremdsprachenunterricht definiert und Überlegungen zur Berücksichtigung der Differenz vorgestellt. Etwas weniger zum Charakter des Studienbuchs passt die Darstellung zum Umgang mit Fehlern, die vor allem aus Appellen besteht, ohne dass Terminologie oder Hintergründe erläutert werden („von der Fehlersuch-Kultur distanzieren“, 167). Dies ist vermutlich der großen Themenbreite geschuldet, die dazu führt, dass die Auseinandersetzung mit dem einzelnen Thema nicht allzu tief sein kann.
Das vierte Kapitel „Grundwissen zu Flucht und Asyl“ wurde für das Studienbuch verfasst. Zunächst wird über das Asylverfahren und die Lebensbedingungen informiert. Diese Hintergrundinformationen sind für Lehrkräfte relevant, die bislang kaum oder gar nicht mit der Zielgruppe zu tun hatten. Ein besonderer Schwerpunkt wird in diesem Kapitel auf die Angebote für die Ausbildung von Flüchtlingen gelegt. Deutlich wird: Die Förderlandschaft ist vielfältig.
Im fünften und letzten Kapitel werden zunächst drei Modellprojekte vorgestellt, die mögliche Vermittlungssansätze verdeutlichen sollen. Die Projektskizzen könnten etwa für Personen oder Institutionen von Interesse sein, die eigene Projekte beantragen möchten. Die folgenden Überlegungen zur Alphabetisierung sind besonders hilfreich: Der Abschnitt beginnt mit einer Bestandsaufnahme, Konzepte werden vorgestellt und es wird ein Praxisbeispiel gegeben. Wer sich vorher nicht mit dem Thema beschäftigt hat, findet hier eine geeignete Einführung. Das Kapitel schließt mit einer Linksammlung zum Deutschunterricht mit Flüchtlingen.
Der Sammelband wurde 2016 vorgelegt, also kurz nach dem Anstieg der Zuwanderung 2015. Man merkt ihm an, dass er unter einem gewissen Zeitdruck erstellt wurde: Die Kapitel, die bereits an anderer Stelle veröffentlicht wurden, hätte man für den Sammelband stärker überarbeiten können. Die neuen Kapitel sind noch etwas roh. Dem Nutzen tut das aber keinen Abbruch: Für den Deutschunterricht mit Flüchtlingen sind keine grundsätzlich neuen Konzepte nötig; er ist schließlich kein neues Phänomen, auch wenn die Bedeutung zugenommen hat und daher mehr Lehrkräfte, Schulen und Institute mit dieser Zielgruppe zu tun haben. Es ist legitim, auf vorhandene Konzepte und Erfahrungen zurückzugreifen, wie das in Deutschunterricht mit Flüchtlingen erfolgt ist. Der Bezug zur Zielgruppe wird vor allem in den neuen Kapiteln hergestellt, in denen es um die rechtliche und soziale Situation der Flüchtlinge sowie den Förderbedarf und die Förderangebote geht.
Literatur
Cornely Harboe, Verena; Mainzer-Murrenhoff, Mirka; Heine, Lena (Hrsg.) (2016): Unterricht mit neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen: Interdisziplinäre Impulse für DaF/DaZ in der Schule. Münster: Waxmann. Search in Google Scholar
Jeuk, Stefan (2015): Deutsch als Zweitsprache in der Schule: Grundlagen – Diagnose – Förderung. Stuttgart: Kohlhammer.Search in Google Scholar
Kniffka, Gabriele; Siebert-Ott, Gesa (2007): Deutsch als Zweitsprache. Lehren und Lernen. Paderborn: Schöningh. Search in Google Scholar
Kreutzer, Michael; Spier-Mazor, Anne; Wozniak-Kreutzer, Jolanta (2016): Deutsch lernen mit Flüchtlingen: Tipps und spielerische Übungen für den erfolgreichen Erstunterricht. Berlin: Cornelsen Scriptor.Search in Google Scholar
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