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Publicly Available Published by De Gruyter April 9, 2021

Rödder, Andreas: Geschichte der deutschen Wiedervereinigung. 3. durchgesehene Auflage. München: C. H. Beck, 2020. -- ISBN 978-3-406-75117-2. 128 Seiten, € 9,95.

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Rezensierte Publikation:

Rödder, Andreas: Geschichte der deutschen Wiedervereinigung. 3. durchgesehene Auflage. München: C. H. Beck, 2020. -- ISBN 978-3-406-75117-2. 128 Seiten, € 9,95.


Andreas Rödder, Professor für Neueste Geschichte an der Universität Mainz, bietet mit seinem kompakten Grundriss zur Geschichte der deutschen Wiedervereinigung eine Zusammenfassung seines wesentlich umfangreicheren Standardwerks Deutschland einig Vaterland. Die Geschichte der Wiedervereinigung (2009). Mit dieser Einführung, die auf ein Referieren der aktuellen wissenschaftlichen Diskurse verzichtet, erreicht er eine breitere Leserschaft als mit seinem Standardwerk. Sie ist sehr gut geeignet, um sich in die Thematik einzulesen und Anregungen zur Vertiefung zu erhalten. Ob dieser Grundriss für den DaF-Landeskundeunterricht geeignet ist, ist eine andere Frage. Das liegt keineswegs an der hervorragend aufbereiteten Darstellung und den Deutungen des Wiedervereinigungsprozesses, sondern eher an der sehr dichten Sprache. Um dem doch komplizierten Geschehen mit all seinen Fakten und Akteuren folgen zu können, müssten die Deutschlerner mindestens das Niveau C1 und sehr viel Hintergrundwissen besitzen.

Doch zunächst zur Vorstellung des Buches. Es umfasst fünf thematisch geordnete Kapitel: „Vorabend der Revolution“, „Friedliche Revolution“, „Nationale Wende“, „Wiedervereinigung und Weltpolitik“, „Einheit durch Beitritt“. Diese Großkapitel sind wiederum in kleinere, höchst informative Unterkapitel aufgeteilt. Im Anhang finden sich eine Aufschlüsselung der Abkürzungen, was für DaF-Lerner wichtig ist, eine kommentierte Auswahlbibliographie, Zeittafel und Personenregister. Rödder beschreibt die wichtigsten Geschehnisse des Einigungsprozesses 1989/1990, den er in zwei Hauptphasen unterteilt: die des Falls des SED-Regimes durch die friedliche Revolution in der DDR und die des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik und damit der Übernahme der westdeutschen Ordnung (vgl. 7). Dabei betrachtet er die friedliche Auflösung der Sowjetunion als das „eigentliche Mirakel von 1989/90“ (11).

Rödder gelingt es, in den Unterkapiteln die unterschiedlichen Aspekte des Wiedervereinigungsprozesses aufzuzeigen und dabei zugleich die weltpolitischen Rahmenbedingungen zu verdeutlichen. Unter anderem konkretisiert er verschiedene Krisen der DDR, so die Führungs-, Flüchtlings-, Regime- und Staatskrise, weiterhin die Oppositionsbewegung und Spaltung der Bürgerbewegung und die wirtschaftliche Situation der DDR. Auch die Kosten bzw. Folgen der Einheit und der gesellschaftliche Umbruch werden thematisiert.

Die Rolle Gorbatschows wird eingehend analysiert, er sei ein „reformkommunistischer Idealist“ gewesen, dessen Streben nach „Perestroika“ letztlich außer Kontrolle geriet, da die Reformen eine unerwartete „Eigendynamik“ erhalten hätten (8 f.).

Viel Raum widmet der Verfasser der Analyse der Politik der damaligen Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl. Ausführlich werden das „Zehn-Punkte-Programm“ und die damit verbundene Reisediplomatie Kohls vorgestellt sowie die heiklen Reaktionen des Auslands, allen voran die der vier Siegermächte Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich und USA. Sehr plausibel beschreibt Rödder, wie Kohl darauf konzentriert war, deren Mistrauen gegenüber einem wiedervereinigten und damit für sie eventuell wieder zu mächtigen Deutschland zu beseitigen. Dass eine rasche Wiedervereinigung noch im November 1989 als unwahrscheinlich galt bzw. sogar teils abgelehnt wurde, aber dann recht schnell akzeptiert wurde, bezeichnet Rödder als eine der „vielen unerwarteten Wendungen der deutschen Revolution“ (69). Diese „Wendungen“ und „Überraschungen“ sieht er als typisch für den Wiedervereinigungsprozess an. Hier könnte man einen Ansatz für den DaF-Unterricht sehen, indem jene genauer aufbereitet werden, beispielsweise durch Gruppenarbeit: Die Gruppen werden entsprechend der kleineren Unterkapitel aufgeteilt und stellen diese „Wendungen“ zusammen. Damit wird die Vielschichtigkeit des Prozesses für DaF-Lerner besser strukturiert. Hierzu ist sicherlich auch die Zeittafel im Anhang nützlich.

Generell lassen sich auch offenere Fragestellungen erarbeiten: Warum brach die DDR zusammen? Warum wurden die beiden deutschen Staaten vereinigt und nach welchem Vorbild (dem der ‚alten‘ Bundesrepublik)? Welche Rolle spielte die Bürgerbewegung und welche Helmut Kohl? Warum gaben die sogenannten Siegermächte ihre anfängliche Skepsis gegen die Wiedervereinigung auf (hier sind die Rollen der ersten freien Volkskammerwahlen und der Währungs- und Wirtschaftsunion zu beachten)? Was bedeutete die Wiedervereinigung für die Ostdeutschen? Was steckt hinter der Treuhandanstalt? Was bedeutet das Erbe der DDR für das vereinte Deutschland? Was bedeutet der Begriff „bürgerliche Revolution“? Was bedeutet „Ostalgie“?

Bei diesem Schlüsselwort Ostalgie ist Rödders Erklärung unbedingt zu diskutieren: Er bezeichnet sie als „trotzige, auch realitätsverweigernde Reaktion auf die unerwarteten Schwierigkeiten des Einigungsprozesses“ sowie als „Selbstbehauptung und Abgrenzung [...] und somit Teil einer ostdeutschen ‚Abgrenzungsidentität‘“, aber auch als „ganz normale lebensweltliche Nostalgie“ (106).

In diesem Buch steckt eine Flut von Informationen, die für einen DaF-Lerner schwierig zu erfassen ist. Allein schon die wichtigsten Schlüsselbegriffe zu klären, ist eine umfassende Aufgabe. Die konzise Sprache ist eher für Muttersprachler geeignet, für DaF-Lerner bildet sie m. E. eine der Hauptschwierigkeiten neben dem zu erfassenden Faktenwissen. Einzelne Kapitel herauszunehmen und zu besprechen scheint eine Lösung zu sein. Hier ist auf jeden Fall das Resümee empfehlenswert, in dem Rödder die deutschen Revolutionen, angefangen mit der 1848er-Revolution, miteinander in Beziehung setzt und bewertet. Die friedliche Einigung von 1990 sieht er „erstmals im Einklang mit den Nachbarn“ und als „Revolution der Bürger: für Freiheit und Selbstverantwortung“; jedoch gibt er keinen durchweg positiven Ausblick, sondern verweist auf die Doppelgesichtigkeit der aktuellen weltpolitischen Situation (115). Diese Thesen, als interessante Beispiele herausgegriffen, könnten als Basis für eine weiterführende Diskussion im DaF-Landeskundeunterricht dienen.

Literatur

Rödder, Andreas (2009): Deutschland einig Vaterland. Die Geschichte der Wiedervereinigung. München: C. H. Beck.Search in Google Scholar

Online erschienen: 2021-04-09
Erschienen im Druck: 2021-04-01

© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 6.6.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/infodaf-2021-0049/html
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