Zusammenfassung
Schreiben ist ein komplexer Prozess, da die Beziehung von Formen der gesprochenen Sprache zu Formen der geschriebenen Sprache weitaus weniger regelmäßig ist, als dies zunächst den Anschein erweckt. Der Schreiberwerb umfasst einerseits das Erlernen von Korrespondenzregeln und bestimmten Teilregularitäten, andererseits das Auswendiglernen von unregelmäßigen Formen. Wenn Schreibfähigkeiten im DaZ-Lehr-/Lernkontext bewertet werden, geht es allerdings oft eher darum zu prüfen, ob alle Einzelfälle auswendig gelernt wurden, und nicht, inwiefern ein Wissen über (Teil-)Regularitäten vorliegt, das für das orthographisch korrekte Schreiben hilfreich ist. Im vorliegenden Beitrag stellen wir das Spelling Inventory Deutsch vor, das eine Adaption des englischsprachigen Spelling Inventory nach Bear et al. (2020) darstellt. Erfasst wird das Wissen zu transparenten Korrespondenzregeln, die zu einem eindeutigen Ergebnis führen können, sowie auch das Wissen zu Silben, Morphemen und einzelnen Phänomenen wie Dehnung und Schärfung, die regelhafte Aspekte umfassen und daher Schreibenden bewusst sein sollten. Das Spelling Inventory ist dabei progressiv angelegt und berücksichtigt die Kernphasen, die im Zuge der entwicklungspsychologischen Forschung ermittelt wurden.
Abstract
Spelling is a complex process, as the relation of spoken to written forms is much less consistent than might seem at first sight. On the one hand, the acquisition of writing involves the learning of correspondence rules and specific partial regularities; on the other hand, it also involves the memorization of irregular forms. When spelling skills are assessed in a German as a second language classroom, it is often more a matter of checking whether all individual cases have been memorized, and not to what extent there is a knowledge of partial regularities that is helpful for orthographically correct writing. In the current contribution, we present the German spelling inventory as an adaptation of the English version by Bear et al. (2020). It measures the knowledge of transparent correspondence rules that can lead to unambiguous results, as well as the knowledge of syllables, morphemes, and specific partly regular features (for example, the realization of vowel tenseness in German) that beginning spellers should be aware of. The spelling inventory is organised in progressive stages and takes account of research evidence with regard to literacy development.
Über die Autoren
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt ELIKASA und am Lehrstuhl Deutsch als Zweitsprache an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU Jena). Nach ihrem Bachelorabschluss an der FSU Jena in den Bereichen Altorientalistik und Deutsch als Fremd- und Zweitsprache setzte sie ihr Studium am Herder-Institut der Universität Leipzig und der Ain-Shams-Universität Kairo in einem binationalen Masterprogramm im Bereich Deutsch als Fremdsprache im arabischen Kontext fort. Sie konnte jahrelange Unterrichtserfahrung in verschiedenen Bereichen der DaZ-Jugend- und Erwachsenenbildung sammeln und ist ebenfalls seit mehreren Jahren in der DaZ-Weiterbildung unter anderem im Bereich der Alphabetisierung engagiert. Ihr Hauptforschungsinteresse liegt in der L2-Alphabetisierung, dem Zweitspracherwerb, der Methodik/Didaktik des DaZ-Unterrichts und dem transkulturellen Lernen.
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt ELIKASA am Lehrstuhl für Deutsch als Zweitsprache an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU Jena) und am Institut für Germanistik der TU Braunschweig. Außerdem promoviert sie zu Erwerb und Verarbeitung von nicht-kanonischen Satzstrukturen am Graduiertenkolleg Empirische und Angewandte Linguistik an der WWU Münster. Nach dem Diplomstudium Linguistik/Lehramt für Englisch und Deutsch als Fremdsprache an der Staatlichen Linguistischen Universität Nischnij Nowgorod und dem Masterstudium Anglistik/Amerikanistik an der FSU Jena leitete sie DaF-Kurse auf unterschiedlichen Niveaustufen sowie Fortbildungen für angehende und berufserfahrene Lehrkräfte für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ihre Hauptforschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Psycholinguistik, L1- und L2-Erwerb bei Kindern und Erwachsenen, literale Kompetenzen und ihre Entwicklung.
ist Universitätsprofessor für Germanistische Linguistik an der TU Braunschweig. Er studierte Germanistik, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, Pädagogik und Allgemeine Sprachwissenschaft an der Universität zu Köln, wo er mit einer Arbeit zur Verbflexion promovierte und einer Arbeit zur Graphematik habilitierte. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Theorien des Sprachsystems (Phonologie, Morphologie, Syntax) und des Schriftsystems. Er ist Autor von rund 50 Aufsätzen, etwa ebenso vielen kürzeren Texten und Mitherausgeber von zwölf Sammelbänden. Von 2008 bis 2015 war er General Editor der Zeitschrift Written Language and Literacy. Von 2007 bis 2019 leitete er das Studienprogramm Deutsch als Fremdsprache/Deutsch als Zweitsprache an der TU Braunschweig. Er ist Mitglied des Beirats des Forschungsprojekts ELIKASA.
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