Auch auf der Buchmesse 2016 veranstalteten b.i.t.online, das Fachbuchjournal und Library Essentials zwei gut besuchte Podiumsdiskussionen.[1]
Ein besonders großes und spürbar angespanntes Publikum versammelte sich am 20. Oktober 2016 um das Podium Der große „DEAL“. Detlef Büttner, einer der Podiumsteilnehmer, wies darauf hin, dass an dieser Stelle zum allerersten Mal Vertreter verschiedener Marktteilnehmer zu einer öffentlichen Diskussion über das DEAL-Projekt geladen worden seien. Die kontroverse Diskussion wurde von Rafael Ball, Chefredakteur von b.i.t.online und Direktor der ETH-Bibliothek, moderiert.
Bei DEAL gehe es den Vertretern der Hochschulrektorenkonferenz und der Allianz der Wissenschaften darum, über den bundesweiten Zugang zu den E-Journal-Portfolios ausgewählter internationaler STM-Verlage zu verhandeln Dabei sollen Open-Access-Publikationsmöglichkeiten im Rahmen eines Offsetting-Vertrags gestärkt werden, führte Ball in das Thema ein.
Der Direktor der KIT-Bibliothek Frank Scholze ist Mitglied der DEAL-Projektgruppe und er nahm den Faden auf: Mit DEAL solle ein größeres und einheitlicheres Leistungspaket zu geringer ausfallenden Kosten geschnürt werden, so dass mehr Geld für den „Long Tail of Science“ übrigbleibe. Gleichzeitig sollen die Ziele der internationalen Open Access Initiative 2020 unterstützt und aktuelle Marktverzerrungen etwas bereinigt werden. Auf Nachfrage räumte Scholze im Laufe der Diskussion ein, dass DEAL bei Erfolg exemplarisch sein könne, seine Parameter aber wohl nicht eins zu eins auf andere Publikationsformate und Wissenschaftsfächer anwendbar seien. DEAL könne eine Transformation anstoßen, die auf mehr Inhalt für das im Publikationssystem vorhandene Geld hinauslaufe.
Der Vice President Sales Europe des Verlages Elsevier, Jörg Limberg, wollte weder dem Slogan „mehr Inhalt für weniger Geld“, noch der Forderung nach einem Offsetting-Vertrag folgen. Bereits in anderen europäischen Ländern vereinbarte Konditionen seien auch auf Deutschland anzuwenden, Elsevier stehe als globaler Verlag in einer internationalen Verantwortung. Limberg ist unmittelbar in die Verhandlungen involviert, war aber auf dem Podium nicht zu weiteren Erläuterungen zu bewegen – zum Bedauern der zahlreichen Zuhörer und des Moderatoren.
Als zukünftige Verhandlungspartnerin für den Verlag Springer äußerte sich Dagmar Laging zurückhaltend. In ihrer Funktion als Vice President Institutional Sales Europe verwies sie darauf, dass der Verlag noch gar nicht in Verhandlungen eingestiegen sei und empfahl, die Besonderheiten der föderalen Strukturen in Deutschland als Chance bei der Entwicklung zukunftsfähiger Lizenzmodelle zu begreifen. Ebenso wie Jörg Limberg betonte sie, dass das DEAL-Konzept nachhaltig sein müsse, um Erfolg zu haben.
Umso deutlicher wurden mit Detlef Büttner und Johannes Rux zwei Vertreter „von außen“. Prof. Rux sieht sich als Leiter des Nomos-Verlags und Rechtswissenschaftler in gleich zwei Rollen von Folgen des DEAL-Projekts betroffen. Unterstützt von Büttner kritisierte Rux die mangelnde Transparenz der Verhandlungen und Interessen als Blackbox und bezweifelte, dass nach DEAL gleichbleibende oder gar größere Erwerbungsetats für Produkte und Dienstleistungen anderer Marktteilnehmer übrigblieben. Das wirke sich fatal für die Verlage, aber auch für Wissenschaftler aus, weil das Portfolio der großen Verlage für sie nicht ausreiche. Darüber hinaus zeigte er sich skeptisch, ob kleine und mittelgroße Verlage ausreichende Ressourcen für die Open-Access-Anforderungen von DEAL aufbringen können.

Gespannt verfolgte das Publikum die Auseinandersetzungen um den großen DEAL (Foto: Vera Münch).
Detlef Büttner vertrat als Geschäftsführer von Lehmanns Media neben den eigenen Interessen als Vorstandsmitglied auch die des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Er appellierte an alle direkt Beteiligten, die Konsequenzen von DEAL und ähnlichen Bundeslizenzen zu bedenken. DEAL trage zur Oligopolbildung zugunsten einiger weniger, global agierender Verlage und zur Zerstörung der diversifizierten Infrastruktur aus Verlagen und Handel in Deutschland bei. Sowohl Büttner als auch Rux vermissten eine ausgewogene Strategie unter Berücksichtigung des gesamten Marktes.
Als ebenso strittig erwies sich das von Jörg Limberg und Frank Scholze befürwortete Ziel, ein einheitliches Angebot zu schaffen. Rafael Ball verließ an dieser Stelle kurz seine neutrale Position und kritisierte wie Rux, dass große, standardisierte Paketkäufe den Bedarf von Wissenschaftlern oftmals nicht decken. Vielmehr sei ein passgenaues Bestandsmanagement erforderlich und gewünscht. Frank Scholze und Jörg Limberg hingegen hoben hervor, dass viele Institutionen ihren Bestand im Rahmen von DEAL wesentlich erweitern könnten. Limberg betonte das Potential großer Contentmengen für Added Value Services von Bibliotheken, Händlern und Verlagen: Im Zuge des Transformationsprozesses und der Relevanz von Big Data würden sich neue Geschäftsfelder ergeben, die in „anderen Ländern“ bereits professionell genutzt würden.
Zum Abschluss löste sich die Anspannung bei Diskutanten und Publikum ein wenig durch teils launig vorgebrachte Angebote für weitere Gespräche. Johannes Rux zog seine Visitenkarte und bat Frank Scholze, den Kontakt zwischen ihm und dem Verhandlungsführer Horst Hippler herzustellen. Frank Scholze wiederum bot Jörg Limberg Gespräche mit Wissenschaftlern an, die die Ziele des DEAL-Projekts unterstützen.
Wir sind gespannt auf die Entwicklung dieses Projekts – die Verhandlungen sind derzeit ausgesetzt und sollen 2017 weiterverfolgt werden.
Die Spannung des Podiums Publizieren durch Startups am 21. Oktober 2016 entstand nicht aus Kontroversen, sondern aus den heterogenen Geschäftsmodellen, die auch im Auditorium auf großes Interesse stießen. Sven Fund, Geschäftsführer der fullstopp GmbH und Managing Director von Knowledge Unlatched, arbeitete als Moderator die verschiedenen Ansätze der Start-ups im weiten Feld digitaler Publikationen heraus. Das Publizieren durch, mit, gegen und ohne Start-ups solle zur Diskussion stehen, so Fund. Wegen der kurzfristigen Absage eines Verlagsvertreters blieben die Jungunternehmer [sic! Dieses Podium war ausschließlich von Männern besetzt.] mit dem Moderator allerdings unter sich.

Sven Fund (links) im Gespräch mit den vier Unternehmensgründern (v.l.n.r.) Simon Bungers, Felix Evert, Fabian Langenbac und André Gaul (Foto: Vera Münch).
Die vier Unternehmensgründer waren aus einer gewissen Unzufriedenheit mit der angebotenen Infrastruktur während des Studiums oder der Promotion heraus aktiv geworden. So kritisierte Fabian Langenbach die Hürden zur Nutzung von Inhalten außerhalb des Universitätsangebots als dramatisch. Die Paywalls der Verlage seien zumindest für Studierende prohibitiv, frei verfügbare Abstracts böten zu selten valide Entscheidungsgrundlagen. Sein Start-up [j]karef bietet eine Prepaid-Plattform für Publikationen an, deren Lizenzgebühr von der Lesezeit abhängt. Leser könnten nach kurzer Sichtung des gesamten Textes fundiert über dessen Relevanz und die eigene Preisbewilligungsbereitschaft entscheiden, so Langenbach.
Wissenschaftliche Publikationen bietet auch PaperHive. André Gaul stellte diese Plattform vor, auf der kollaborativ gelesen, diskutiert und kommentiert werden könne. Er sieht einen großen Bedarf darin, die üblichen Gelegenheiten zum wissenschaftlichen Austausch auf Tagungen und in der eigenen Institution um orts- und zeitunabhängige Kollaborationsmöglichkeiten zu erweitern.
Simon Bungers möchte das insbesondere in der chemischen und pharmazeutischen Industrie und Forschung tradierte papierene Laborbuch durch ein digitales Angebot ablösen. In LabFolder können mehrere Forscher gemeinsam arbeiten, dokumentieren sowie die Ergebnisse z. B. für eine Veröffentlichung aufbereiten und exportieren. Hier werde der Publikationsbegriff auf Forschungs- und andere Labordaten erweitert und mit kollaborativen Elementen verknüpft.
Mit Sample of Science erweiterte Felix Evert den Publikationsbegriff auf Materialproben. Es handele sich hier um eine Publikations- und Tauschplattform insbesondere für chemische Proben, die die Anschlussnutzung in Industrie und Wissenschaft ermögliche.
Die vier Podiumsgäste berichteten von heterogenen Erfahrungen mit Verlagen. Man habe gut aufgestellte, agil reagierende Innovationsteams mit starken Netzwerken in der Start-up-Szene, aber auch mangelndes Interesse, lange Entscheidungswege und große Schwerfälligkeit erlebt. Die richtigen Ansprechpartner zu finden und mit einem möglichst konkreten und nachvollziehbaren Testprodukt zu interessieren sei herausfordernd und essentiell, um Startschwierigkeiten zu überwinden und ein nachhaltiges Unternehmen aufzubauen.
Junge Start-ups hätten es zunehmend schwerer, gleichzeitig reife die Zusammenarbeit etablierter Verlage mit denjenigen Start-ups, die bereits Erfolge nachweisen können. Manche gute Idee aber bleibe mangels solider Grundfinanzierung und mangels guter Netzwerke auf der Strecke. Gründungsstipendien des Bundes, der EU oder von Universitäten seien gerade in der Anfangsphase hilfreich, das gelte auch für gut vernetzte Business Angels als Geld- und Ratgeber.
In der abschließenden Diskussionsrunde wurde mit dem Publikum insbesondere erörtert, was unter „Publizieren“ zu verstehen sei und welchen Einfluss dieses Verständnis auf die Rolle der Verlage zukünftig haben könne. Schließlich gehe es den Verlagen primär um Inhalte, Start-ups seien in der Regel technologielastiger und setzten auf die Bereitstellung von Infrastruktur oder Problemlösungen, fasste Sven Fund zusammen. Es blieb offen, ob und wie Verlage als primär contentgetriebene Unternehmen im Wettbewerb mit Start-ups stehen, die neue monetarisierbare Kommunikationskanäle entwickeln und die tradierte Definition von Inhalten und Publikation weiterentwickeln. Gegenwärtig seien Verlage in vielen Bereichen außen vor. Sie seien aber wirtschaftlich etabliert und hätten die Expertise, inhaltliche und formale Qualitätssicherung zu gewährleisten. „Ich glaube, an dieser Stelle verweisen wir auf die Diskussion im nächsten Jahr“ schloss Dr. Fund das lebhafte Gespräch. Auch wir sehen weiteren Diskussionsbedarf und sehen dem mit Interesse entgegen.
Deskriptoren: Tagung, Verlagswesen, Hochschule, Beschaffung, Betrieb, Dienstleistung
Martina Kuth ist seit gut 25 Jahren in juristischen Firmenbibliotheken tätig und seit einigen Jahren neben- und freiberufliche Autorin und Referentin. Ihr ehrenamtliches Engagement konzentriert sich gegenwärtig auf die Vorstandsarbeit für die Arbeitsgemeinschaft juristischer Bibliotheken und Dokumentationsstellen e. V. (AjBD) und den OPL-Kreis Rhein-Main. Martina Kuth ist Diplom-Bibliothekarin und hat einen Masterabschluss in Bibliotheks- und Informationswissenschaften (Master in Library and Information Science, MALIS).
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