Zusammenfassung
Die Initiative, wissenschaftliche Publikationen, deren Entstehung in Universitäten und Forschungsinstituten zumeist von der öffentlichen Hand finanziert wird, der Öffentlichkeit auch entgeltfrei zugänglich zu machen, hat ein breites Echo gefunden. Angestoßen von der Budapester und der Berliner Erklärung (2002 und 2003) hat sie zum Aufbau einer leistungsfähigen Infrastruktur zwecks Erfassung, Distribution und Archivierung dieser Arbeiten geführt. Die damit verbundene Institutionalisierung wurde im Lauf der Zeit allerdings erfolgreicher als der Aufruf zur Mitbeteiligung an die „scientific community“, die Verwaltung ihrer Ergebnisse selbst in die Hand zu nehmen. Die Hauptakteure sind nun Bibliotheken, Hochschulleitungen und Fördereinrichtungen. Ein Grund für diesen, die anfänglichen Betreiber der Initiative enttäuschenden, Umstand liegt in ihrem Ansatz selbst. Er übergeht, wie erst hinterher auffällt, die bestehende sozio-ökonomische Infrastruktur des Verlagswesens und die mit ihm gekoppelten Interessen der Wissenschaftlerinnen. In der Folge hat der Impuls zwar neue Verhältnisse geschaffen, aber paradoxer Weise zugunsten der wissenschaftlichen Großverlage, gegen die er ursprünglich gerichtet war.
Abstract
The initiative to make the scholarly literature, whose production is in most cases financed by the public hand, freely available to the general public, was started by the Budapest and Berlin Declarations (2002 and 2003). It was widely appreciated and resulted in the development of a robust infrastructure for the recording, distribution and archiving of this type of publicaton. In recent years, however, this institutionalisation proved itself more successful than the call for participation from the actual scientific community. The main players nowadays are libraries, university managment and agencies for research funding. This outcome has disappointed the initial promotors of the initiative, but one of the reasons is precisely their own approach. It disregards, as one observes in hindsight, the existing sozio-economical infrastructure of scientific publishing and the associated interests of working scientists. The impulse has, therefore, made quite an impact in the realm of scholarly publications, but paradoxically in favor of those powerful publishing houses against it was originally directed.
Résumé
L’initiative de mettre gratuitement à la disposition du public des publications scientifiques, dont la production dans les universités et les instituts de recherche est financée en grande partie par le secteur public, a suscité un large écho. Initiée par les Déclarations de Budapest et de Berlin (2002 et 2003), elle a conduit à la mise en place d’une infrastructure efficace pour l’enregistrement, la distribution et l’archivage de ces œuvres. Au fil du temps, cependant, l’institutionnalisation associée a eu plus de succès que l’appel à la participation de la »communauté scientifique« à prendre en main la gestion de ses résultats. Les principaux acteurs sont désormais les bibliothèques, les administrations universitaires et les institutions de financement. L’une des raisons pour cela, qui décevra les premiers opérateurs de l’initiative décevante, réside dans son approche elle-même. Comme on s’est rendu compte par après, elle néglige l’infrastructure socio-économique existante de l’édition et les intérêts des scientifiques, qui y sont liés. En conséquence, l’impulsion a créé de nouvelles relations, mais paradoxalement en faveur des grands éditeurs scientifiques contre lesquels elle était dirigée à l’origine.
George Montbiot überschreibt einen Beitrag für die britische Tageszeitung „The Guardian“ suggestiv mit „The Lairds of Learning“: Die Gutsherren der Gelehrsamkeit.[1] Die skrupellosesten Kapitalisten sind für ihn weder Banker, noch Ölmillionäre, noch Vertreter der Versicherungsbranche, sondern die Manager mächtiger akademischer Verlagshäuser. Drei Unternehmen (Elsevier, Springer und Wiley) publizierten weltweit 42 Prozent der wissenschaftlichen Artikel, ihre Profitmarge liege im Bereich zwischen 30-40 Prozent. Diesen Befund aus dem Jahr 2011 bestätigen jüngere Untersuchungen (Lariviere et al. 2015, Mullins 2016, Morrison 2017). Für 2015 wird der Gewinn der RELX Group, zu der Elsevier gehört, mit 1,2 Milliarden Dollar (für einen Umsatz von 3,2 Milliarden Dollar) beziffert, also eine Umsatzrendite von 36 Prozent.[2]
Montbiot zufolge konfrontieren die genannten Verlage Bibliotheken mit Preiserhöhungen, die in keinem Verhältnis zu gestiegenen Produktionskosten stehen und sie dazu zwingen, ihre Budgets für Buchankäufe zu reduzieren. Die von den Oligopolisten vertriebenen Produkte seien, anders als in gängigen Märkten, weitgehend alternativlos. Die Distributoren besitzen nämlich einen über Jahrzehnte erworbenen Prestigefaktor, der mittelfristig nicht durch Neugründungen zu ersetzen ist. Er sei Grundlage eines eigentümlichen Geschäftsmodells: Die unabhängig vom Vertreiber geleistete und bezahlte Arbeit von Wissenschaftlerinnen[3] erzeugt durch die Publikation in den passenden Journalen ideellen und materiellen Mehrwert, nämlich gesteigertes Ansehen für die Forscherinnen und Profit für die Vermittler.
Die Entwicklung ist oft beschrieben worden (Willinsky 2009, Gershman 2014, Mason, o.J.) und auch die Reaktionen, die sie ausgelöst hat, sind an vielen Stellen dokumentiert.[4] Die sogenannten Budapester bzw. Berliner Erklärungen (s. u.) stellen sich programmatisch gegen den angesprochenen status quo. Der erste Teil des folgenden Artikels greift auf diese Dokumente zurück und problematisiert ihren Fortschrittsoptimismus. Es folgt ein Blick auf die Umsetzung der Forderungen jener Manifeste. Das Ergebnis ist zwiespältig und bedarf einer genaueren Analyse. Dieser Aufgabe widmet sich der dritte Teil. Den Abschluss bildet eine Momentaufnahme der Auseinandersetzung zwischen den „Gutsherrren“ und den Reformkräften im Wissenschaftsbetrieb.
Budapest und Berlin
Die im Februar 2002 beschlossene „Budapester Erklärung“[5], das Gründungsdokument der Open Access-Bewegung, setzt maßgeblich auf technische Errungenschaften. Jutta Haider hat diesen Aspekt und den damit verbundenen Fortschrittsoptimismus überzeugend herausgearbeitet (Haider 2012, 2015). Ein Bagger kann Arbeiten, die Bauarbeiter jahrhundertelang mit bloßen Händen verrichtet haben, schneller, müheloser und mittelfristig kostengünstiger erledigen. Die überholten Zustände, zu deren Verbesserung das Budapester Manifest aufruft, sind die Verbreitungsformen der wissenschaftlichen Fachliteratur. Sie waren an die Technologie des Buchdrucks gebunden. Verlage, die sich um die physische Erstellung der Druckvorlagen (Bleisatz) und den Vertrieb der Bücher und Zeitschriften kümmern mussten, erfüllten eine unersetzliche Funktion in der Verbreitung akademischer Arbeiten. Damit ging ein freizügiger kollegialer Umgang mit Sonderdrucken, Belegexemplaren und Fotokopien einher. Dies ist die „alte Tradition“, deren Zusammentreffen mit einer „neuen Technologie“ die Budapester Erklärung zu Beginn konstatiert. Die Digitalisierung der informatischen Ressourcen hat, so führt sie weiter aus, die Umstände dramatisch verändert. Die Erstellung druckreifer Manuskripte wird zunehmend an die Autorinnen delegiert und die beinahe kostenlose Vervielfältigung und Verbreitung computerisierter Daten ist den herkömmlichen Vertriebswegen weit überlegen. Das Budapester Manifest ruft die scientific community folgerichtig dazu auf, ihre Kommunikationsstruktur selbst in die Hand zu nehmen.
An diesen Aussichten ist nicht zu zweifeln. Allerdings sollte zwischen veränderten Bedingungen und faktischen Veränderungen unterschieden werden. Zu Beginn der „Berliner Erklärung“ (2003) liest man: „Das Internet hat die praktischen und wirtschaftlichen Bedingungen für die Verbreitung von wissenschaftlichem Wissen und kulturellem Erbe grundlegend verändert. (Kursiv h.h.).“[6] Die Rede ist von technischen Möglichkeiten, wissenschaftliche Produktions- und Distributionsprozesse zu revolutionieren. Die neue Zeit, so stellt es die Rhetorik dieses Aufrufes dar, beginnt mit einer Herausforderung „Mit dem Internet ist zum ersten Mal die Möglichkeit einer umfassenden und interaktiven Repräsentation des menschlichen Wissens, einschließlich des kulturellen Erbes, bei gleichzeitiger Gewährleistung eines weltweiten Zugangs gegeben.“[7] Die Mittel, dieses anspruchsvolle Ziel zu erreichen, haben uns die Informations- und Kommunikationstechnologien an die Hand gegeben. So unbestreitbar diese Diagnose ist, sie dispensiert nicht von der Rückfrage, unter welchen Umständen diese Aussicht sich realisieren lässt. Die Möglichkeit einer avisierten Transformation besagt noch nicht, dass sie schon eingetreten sei. Auch real verankerte Möglichkeiten verwirklichen sich nicht automatisch. Die Spezifikation der Schritte, die zur Einlösung der „Vision von einer umfassenden und frei zugänglichen Repräsentation des Wissens“[8] nötig sind, ist unerlässlich, um glaubwürdig zu bleiben.
Zu diesem Punkt finden sich in den beiden Deklarationen programmatische Ansätze. Einerseits werden (in der Budapester Erklärung) zwei komplementäre Strategien skizziert: Selbstarchivierung und die Einrichtung von Open-Access-Journalen in der Trägerschaft von Universitäten, Forschungsinstitutionen und wissenschaftlichen Gesellschaften.[9] Andererseits thematisiert das Berliner Dokument sowohl die instrumentellen Erfordernisse als auch den konzeptuellen Rahmen der Open Access-Bewegung. Die betreffenden Inhalte und Software-Werkzeuge müssen verfügbar und kompatibel sein. Sie sind so einzusetzen, dass die überlieferte Vertrauensbasis erhalten bleibt. An der Qualitätsgarantie für akademische Arbeiten durch die herkömmlichen Institutionen (oder andere der Sache verpflichtete Organisationen[10]) darf sich durch den neuen Verteilungsmodus nichts ändern.
Im letzten Absatz kommt das Dokument – es ist die einzige Erwähnung dieser Gesichtspunkte – auf juristische und finanzielle Aspekte des Paradigmenwechsels zu sprechen.[11] Diese „Rahmenbedingungen“ seien im „Prozess des Übergangs“ weiterzuentwickeln. Es fällt auf, dass sie nicht näher spezifiziert werden. Das Budapester Dokument erwähnt das Problem ebenfalls bloß in einer programmatischen Wendung.[12] Es nennt den Zustand, gegen den die Initiative antritt, die „alten Zugangs- und Nutzungsbeschränkungen“. Überraschenderweise finden sich unter den Bündnispartnern, an die in diesem Zusammenhang appelliert wird, auch die Zeitschriftenherausgeberinnen und Verlage. Der idealistische Elan des Dokuments übertönt dabei einen naheliegenden Einwand. Die genannten Beschränkungen, sprich das rechtliche und ökonomische Gerüst des Copyrights, bilden die Existenzgrundlage der meisten bestehenden Verlage. Guter Wille, so steht zu vermuten, wird nicht ausreichen, diese marktwirtschaftlichen Akteure für Open Access zu gewinnen. Die „optimale Nutzung eines offenen Zugangs“ hieße, nüchtern betrachtet, dass sie ihr Geschäftsmodell verlieren.
Die Schwachpunkte, auf die in diesem Abschnitt hingewiesen wurde, fielen vor 15 Jahren nicht ins Gewicht. Die Absicht der Beteiligten, die Dominanz der Großverlage zu brechen, war rhetorisch durch Emanzipations- und Weltverbesserungsmotive überdeckt. Den Wissenschaftlerinnen (m/w) seien durch technische Neuerungen Instrumente in die Hand gegeben, sich von unerwünschten Begleiterscheinungen des akademischen Verlagswesens zu befreien. Die Überzeugungskraft dieses Argumentes zeigt weitreichende Folgen. Es beruht, wie schon bemerkt, auf der Arbeitsersparnis durch maschinelle Innovation. Die Logik des Fortschrittsdiskurses zeichnet vor, dass solche Neuerungen herkömmliche Gepflogenheiten mehr oder weniger schnell ersetzen. Auf dem Gebiet der Wissenschaftskommunikation entstanden tatsächlich zu dieser Zeit eine Reihe von Hilfsmitteln, die den Weg zu einer „Befreiung“ vom kommerziellen Übergriff auf die Produktivität der scientific community bahnten. Sie werden im folgenden Abschnitt vorgestellt.
Open Access-Infrastruktur
Den Grundbestand des Internets bildet die Sammlung von Übertragungsprotokollen, nach deren Vorgabe unterschiedliche Programme innerhalb unterschiedlicher Betriebssysteme, sozusagen barrierefrei, prozedurale Anweisungen und Inhalte austauschen können, z. B. im Mailverkehr (SMTP) oder Datentransfer (FTP). Eine dominante Wirkung entwickelte das „Hypertext Transfer Protokoll“ und das darauf aufbauende WWW. Sein Erfolg liegt den Aufrufen zu Open Access zu Grunde, doch ohne Zusatzvorkehrungen ist das WWW ein denkbar schlechtes Medium zum Austausch wissenschaftlicher Arbeiten. Die einfache Bereitstellung eines Textdokuments durch Autorinnen an beliebiger Stelle ist ein untaugliches Mittel zur „Selbstarchivierung“. Erstens sind solche Beiträge unübersichtlich im Netz verstreut, zweitens ist ihre professionelle Qualität ungesichert und drittens fehlt die Garantie, dass sie längerfristig verlässlich (oder überhaupt) zur Verfügung stehen.
Zwischen der „alten Tradition“ und der „neuen Technik“ sind offensichtlich einige Zwischeninstanzen vorzusehen, die im digitalen Universum jene Institutionen abbilden, die bisher für den erfolgreichen Wissenschaftsbetrieb sorgten. Eine solche Einrichtung sind Archive. Sie bieten traditionell Gewähr für die Auffindbarkeit einschlägig geprüfter Inhalte und eine Bestandsgarantie für das Material. Ihre Funktionsweise war in der digitalen Welt nachzubilden. Pragmatisch gesehen können sich beliebige systematische Aufbewahrungen von Sammelstücken an einem festen Ort „Archiv“ nennen. Zur Bewahrung des wissenschaftlichen Anspruchs in einer online Umgebung sind spezielle Regeln nötig. Nicht umsonst widmet die Berliner Erklärung eine Seite der Auflistung von Bedingungen für methodisch respektablen Open Access.
Es traf sich gut, dass zeitgleich mit der Budapester Erklärung, aber unabhängig von ihrer wissenschaftspolitischen Botschaft in den USA unter Bibliothekarinnen und Ingenieuren ein Konsens über die erforderlichen Standardisierungen digitaler Archivierung von Wissenschaftsliteratur erreicht wurde. Zentral war die Festlegung auf HTTP als Transportprotokoll und den sogenannten „Dublin Core“[13] als Vorgabe für die Metadatenerfassung von „eprints“. Die 2002 beschlossene Version 2.0 vom OAI-PMH (Open Archive Initiative – Protocol for Metadata Harvesting) legt darüber hinaus fest, wie digital zu speichernde Daten sachgerecht zu klassifizieren sind.[14] Umgekehrt lassen sie sich dann nach den festgelegten Kriterien durchsuchen und abrufen. Damit werden im neuen Umfeld dieselben Regeln etabliert, auf denen das klassische Bibliothekswesen aufbaut. Der springende Punkt ist natürlich, dass die Sammlung nicht aus physischen Exemplaren, sondern aus Digitalkopien besteht, und damit eröffnen sich, wie in Budapest und Berlin hervorgehoben wurde, spektakuläre neue Perspektiven.
Fernleihe greift auf Informationen zum Buchbestand angeschlossener Institutionen zu und macht gesuchte Exemplare für Partnerbibliotheken verfügbar. Der Vorteil eines sachgerecht eingerichteten digitalen Verbundes ist im Vergleich nicht bloß die Geschwindigkeit der Recherche und der Datenübertragung. Eprints erlauben instant angefertigte identische Kopien der erwünschten Unterlagen. Das Exemplar wird nicht verliehen, sondern ohne Qualitätsminderung beliebig oft reproduziert. Um diese Entwicklung optimal nutzen zu können, enthält OAI-PMH eine Vorkehrung, den Bestand einzelner Sammlungen erstens über eine spezielle Schnittstelle automatisch abzufragen und die betreffenden Dokumente zweitens auch von dort abzurufen. Der technische Rahmen erlaubt, ganz im Sinn der Promotoren von Open Access, die ungehinderte, organisatorisch reibungslose, weltweite Teilnahme aller Interessentinnen am Austausch wissenschaftlicher Ergebnisse. Auf seiner Grundlage sind mehrere Softwarepakete entwickelt worden, die den kompletten Arbeitsablauf der Einrichtung und Wartung eines Webportals erfassen, das die wissenschaftliche Literatur sammelt und zur weiteren Benutzung zur Verfügung stellt.[15]
Diese Hilfsmittel stehen Wissenschaftlerinnen zur Verfügung, welche die erste in der Budapester Erklärung genannte Option – die Selbstarchivierung – wählen. Anfangs herrschte verbreitet Unsicherheit über die Legalität der Bereitstellung solcher digitaler Kopien, doch mittlerweile ist die überwiegende Mehrheit der Verlage bereit, Open Access unter bestimmten Bedingungen zu akzeptieren.[16] Gesetzliche Regelungen in Deutschland und Österreich erlauben mittlerweile die Freigabe wissenschaftlicher Publikationen für einen – allerdings restriktiv definierten – speziellen Personenkreis.[17] Auch die zweite Option – Open Access-Journale – wird durch bestehende Software gut unterstützt. Das „Public Knowledge Project“[18] hat ein Programmpaket entwickelt, das den gesamten Workflow einer wissenschaftlichen Online-Publikation abdeckt. Die Einreichung von Manuskripten, ihr Peer-Review, die Entscheidungsabläufe der Herausgeberinnen, die editorische Betreuung der Beiträge und zuletzt deren OAI-PMH-konforme Publikation im WWW werden unterstützt. Die graphische Gestaltung der Zeitschriften lässt sich individuell anpassen, während die Datenstruktur im Hintergrund unverändert bleibt. Das Angebot ist von zahlreichen Initiativen angenommen worden.[19] Wie im Fall der Software für Open Access Repositories handelt es sich um eine Open Source-Entwicklung, deren Quellcode entgeltfrei zur Verfügung steht. Es ist also dafür gesorgt, dass die unentbehrliche Infrastruktur wissenschaftlicher Recherchen zur Umsetzung der Ziele von Open Access zur Verfügung steht.
Ernüchterung
15 Jahre nach den bahnbrechenden Erklärungen sind dennoch viele Erwartungen unerfüllt geblieben. Die Bilanz der Bewegung fällt gemischt aus. Zwar steht ein solides Netzwerk einschlägiger Dokumentationen[20] und Datenaggregationen[21] zur Verfügung und auch die Aufforderung, sich der neuen Möglichkeiten zu bedienen, ist vielfach erfüllt worden. Doch die Entwicklung greift einerseits nicht so weit, wie sich die Initiatoren das gewünscht hatten, und sie verläuft andererseits in unvorhergesehene, von vielen unerwünschte Richtungen. Beide Enttäuschungen sind in der Naivität angelegt, mit der die richtungsweisenden Deklarationen ihren Fortschritts- und Entwicklungsdiskurs ohne Analyse der herrschenden sozio-ökonomischen Verhältnisse ausformuliert haben. Die Begeisterungsfähigkeit der Kollegenschaft wurde über- und die Beharrungskraft des Verlagswesens unterschätzt. Es folgt eine Skizze der Hindernisse, auf die das Engagement gegen überalterte Blockaden im Wissenschaftsaustausch gestoßen ist.
Das Budapester Dokument beginnt mit dem Hinweis auf die „alte Tradition“ der Bereitschaft zum kostenlosen Austausch von Forschungsergebnissen im Interesse des wissenschaftlichen Fortschritts. Andererseits spricht es (zurecht) von bisher unerhörten Möglichkeiten. Es annonciert die Greifbarkeit eines „beispiellosen öffentlichen Gutes“ und verspricht, dass sich die beiden Seiten reibungslos verbinden lassen. Im Ausblick rechnet es damit, dass sich die wissenschaftsgeschichtlich, forschungspolitisch und medientechnisch äquilibrierten Konstellationen der letzten Jahrhunderte mit Vernunft und etwas Enthusiasmus in das heutige Umfeld verlängern lassen. Es bleibt unberücksichtigt, dass die „Gelehrtenrepubliken“, welche zunehmend durch obrigkeitliche Produktivitätssteuerung verdrängt worden sind (Readings 1997, Etzkowitz 2003, Slaughter & Rhoades 2004) und bahnbrechende Kommunikationstechnologien die herkömmlichen Ausdrucksformen nicht bloß unterstützen, sondern auch gefährden.
Eine höchst vernünftige Idee und ein instrumenteller Rahmen, der ihre Verwirklichung ermöglicht, reichen nicht aus, um tief verwurzelte Verhaltensmuster in kurzer Zeit zu transformieren. Steven Bell beschreibt die mangelnde Bereitschaft vieler Wissenschaftlerinnen, sich auf ein solches Unternehmen einzulassen. „But when the conversation invariably turns to scholarly communications, I tend to feel more like a traveling salesmen speaking to a potential customer who really wants to get away from me.“ (Bell 2010). Das Hauptinteresse seiner Gesprächspartnerinnen, so Steven Bell, bestünde darin, sich in den wichtigsten Publikationsmedien ihrer Disziplin bemerkbar zu machen. Der Idealismus, mit dem die Aufhebung des „digital divide“ angestrebt wurde, setzt sich gegen die Karriereplanung einer Mehrheit der Wissenschaftlerinnen nicht durch. Claudio Aspesi fragt, wohin sich Open Access entwickle, und stellt fest: „OA implementation is failing“ (Aspesi 2014). Jedenfalls sei das Ziel, dem Kostendiktat der Großverlage zu entgehen, nicht in Sicht.
Statt der in Budapest und Berlin vorgeschlagenen Archive für „green open access“ sind Portale wie ResearchGate[22] und academia.edu[23] in Universitätskreisen populär geworden. Das eine verfügt nach eigenen Angaben über mehr als 12 Millionen Benutzerinnen, das andere gibt 48 Millionen registrierte Teilnehmerinnen an. Aaron Tay hat darauf hingewiesen, dass OAI-PMH gegenüber diesen Unternehmungen ungünstig spezifiziert wurde. Aus der Sicht der Informationstechnologie schien es ausreichend, eine Prozedur zur Aggregation bibliographischer Metadaten zu entwerfen. Der Zugriff auf den Volltext konnte dann mit einer einfachen URL angeboten werden. Dabei wurde nicht bedacht, dass die vorgesehenen Repositorien nicht nur den einen Zweck verfolgten, der in den Open Access-Erklärungen formuliert war (Tay 2016). Um nur ein Beispiel zu nennen: viele Universitäten betreiben ein Archiv, das die Abschlussarbeiten ihrer Absolventinnen erfasst. Darunter findet sich ein hoher Anteil an Einträgen, die von den Verfasserinnen nicht zum Open Access freigeben sind. Es ist daher nicht garantiert, dass die Ergebnisse der Suche nach OAI-PMH tatsächlich zu den erwünschten Publikationen führen.
Kommerzielle Portale kommen den bestehenden Bedürfnissen ihrer Klientel besser entgegen. Einerseits locken sie mit erhöhter Benutzerfreundlichkeit und unmittelbaren Netzwerkeffekten („friends“, Diskussionsgruppen, statistische Vergleiche), andererseits bieten sie die Infrastruktur für einen persönlichen Webauftritt. Dagegen stammt das nüchterne OAI Protokoll aus der Zeit vor dem „social web“. Es ist nicht darauf angelegt, die vielfältigen Desiderate des wissenschaftlichen Publikationswesens zu unterstützen. Stattdessen übernehmen firmeneigene Softwarearchitekturen die Dokumentation und Präsentation eines beträchtlichen Teils der wissenschaftlichen Produktion.
Mit unverhohlenem Ärger hat der Hauptverantwortliche für die Budapester Erklärung, Steven Harnad, sein Missfallen über den Gang der Dinge artikuliert und das Engagement für die Sache zurückgenommen.[24] Als Hauptgründe für die schleppende Entwicklung nennt er die Faulheit der Kolleginnen und ihre Angst vor Verlagen.[25] Selbstkritik ist seine Sache nicht. Sie würde berücksichtigen, dass der initiale Verweis auf die „alte Tradition“ der Separatdrucke und des gepflegten Umgangs in Wissenschaftskreisen zum gegenwärtigen Betrieb schlecht passt. Das Signalwort „offen“ ist keine Garantie dafür, dass die Adressatinnen des Aufrufs im turbulenten Feld des wissenschaftlichen Publikationswesens die ursprünglichen Absichten der Initiatoren teilen. (Offene Türen sind Zeichen der Gastfreundlichkeit und Einladungen zum Diebstahl.)
Mit Recht hat man der internen Kritik entgegengehalten, dass angesichts der weltweiten Ausdehnung der Bewegung, des eindrucksvollen Anstiegs der Anzahl von Open Access-Journalen und der nachdrücklichen Unterstützung durch staatliche sowie private Förderstellen nicht von einem Misserfolg gesprochen werden könne (Cockerill 2014). Dabei wird allerdings ausgeklammert, dass die angestrebten „Offenheit“ unter der Hand nicht selten ihren Sinn verändert hat. Das betrifft insbesondere die Transformation der „Gelehrtenrepubliken“ zu Unternehmen im Bildungssektor.
Das entschiedene Eintreten der Bibliotheken, Hochschulrektorinnen und Bildungspolitikerinnen für den offenen Zugang zur Forschungsliteratur ist ein gutes Beispiel des Sinneswandels. Ein „aufgeklärter Absolutismus“ hat sich der Sache angenommen. Stevan Harnad verteidigt obrigkeitliches Einschreiten, um den guten Zweck zu erreichen. „It is taking the author/institution/funder/library community a ridiculously long time to learn that that their only path to universal OA is by first universally mandating Green.“ (Harnad 2017). Durch die von ihm favorisierte Regelung würden alle Autorinnen angehalten, ihre Aufsätze unmittelbar nach erfolgreichem Peer-Review in institutionellen Repositorien bereitzustellen (Harnad 2014). Bibliothekarinnen finden darin einen neuen Aufgabenbereich. Die Rektorate interessiert die Sichtbarkeit der Forschungsleistungen ihrer Institutionen. Politikerinnen wiederum finden es angesichts der „Gutsherrenmentalität“ der großen Verlage attraktiv, das Gemeinwohl und speziell einen sparsamen Umgang mit Steuergeldern anzumahnen. Von freier Entscheidung der Autorinnen für ein erstrebenswertes Ziel kann unter diesen Umständen kaum die Rede sein.
Das optimistisch ausgemalte Zusammenwirken althergebrachter wissenschaftlicher Praktiken und zeitgenössischer Technologien hat sich nicht eingestellt. Eine Reaktion auf die neuen Vorschriften sind Proteste gegen das „Diktat“ des offenen Zugangs, dessen Implementierung vorgeblich die Freiheit der Wissenschaft gefährde.[26] Hier ist nicht der Ort, auf diese Bedenken einzugehen, aber so viel ist sicher: Open Access als bürokratisch verfügte Maßnahme im Interesse der Wissenschaftsbürokratie und der Volkswirtschaft war nicht die Zielvorstellung der anfänglichen Manifeste. Zumindest in dieser Diagnose ist dem kontroversen Pamphlet Michael Hagners Recht zu geben: „Nach etwas mehr als zehn Jahren Open Access ist keineswegs der Eindruck entstanden, dass scientific communities für eine freiwillige Änderung ihrer Gewohnheiten oder gar effektiven Protest und Boycott prädestiniert sind. Zahlreiche Wissenschaftler haben sich offen und bisweilen kämpferisch zu OA bekannt, doch Konsequenzen für ihr Verhalten gegenüber den Verlagsimperien folgten daraus nur in sehr beschränktem Maße.“ (Hagner 2016, S. 110). Das führt zu einer weiteren unvorhergesehenen Bedeutungsverschiebung der Adjektive „frei“ und „offen“ in der Aufforderung, „... zu einer Entwicklung bei[zu]tragen, in deren Verlauf Wissenschaft und Bildung sich in der Zukunft überall auf der Welt freier und offener entfalten können, als dies bisher der Fall war.“[27] Die angesprochenen Verlagsimperien verfügen nämlich über ihre eigene Lesart dieser Eigenschaftsworte.
Die überwiegende Mehrzahl der betroffenen Firmen hat sich bereit erklärt, Zeitschriftenartikel nach Einhaltung einer gewissen Embargofrist (abzüglich des Layouts der publizierten Version) zur allgemeinen Verbreitung freizugeben[28].
Damit wäre der „grüne“ Weg, das Ziel der Budapester Erklärung zu erreichen, im Prinzip frei. Wenn nämlich die Mehrheit der Fachliteratur in Open Access-Repositorien zur Verfügung stünde, würden die Orte ihrer Erstveröffentlichung an Bedeutung verlieren. Es würde deutlich, dass der Peer-Review-Prozess, der bereits jetzt unbezahlt in den Händen der scientific community liegt, leicht von verlegerischen Agenden zu entkoppeln ist. In diesem Szenario liegt die Distribution wissenschaftlicher Information in den Händen der Produzentinnen. Der Haken bei der Sache ist oben schon angedeutet. Für das berufliche Fortkommen ist es eben nicht unerheblich, an welcher Stelle eine Arbeit veröffentlicht ist. Die Meritokratie der einzelnen Disziplinen lässt sich nicht im Handumdrehen durch die Aggregation möglichst vieler publizierter Materialien ersetzen. Die abstrakte Berufung auf Peer-Review berücksichtigt nicht, dass dieses Verfahren unterschiedlich strikt gehandhabt wird, und dass sich das Renommee einer Zeitschrift gerade darin zeigt, wie exklusiv sie vorgeht. Die undifferenzierte Zusicherung von Peer-Review in Open Access-Publikationen kann diese Funktion nicht erfüllen. Aus der „Hackordnung“ im akademischen Bereich ist die Rolle der Verlagshäuser im Moment nicht wegzudenken.[29]
Es liegt also nicht nur am Profitstreben der Verlage, dass sich die Ziele von Open Access in vielen Bereichen nur schleppend verwirklichen lassen. Und es liegt auf der Hand, dass sich Firmen die Gelegenheit, sich unentbehrlich zu machen, nicht entgehen lassen. Ein strategischer Wechsel ihres Geschäftsmodells hat nach dem 2012 erstellten „Finch Report“[30] zunehmend an Bedeutung gewonnen. Er beruht auf einer weiteren nicht vorhergesehenen Deutung des Offenheitspostulates im Zusammenhang mit dem „goldenen Weg“ zu Open Access. Dieser war als die Option gedacht, wissenschaftliche Publikationen nicht in einer Parallelaktion privat zu archivieren, sondern sie direkt in frei zugänglichen Medien zur Verfügung zu stellen. Die Kosten der Verfügbarkeit am Netz könnten Universitäten, wissenschaftliche Vereinigungen, Institutionen der Forschungsförderung oder auch die öffentliche Hand übernehmen. Jedenfalls würden sie nur einen Bruchteil der handelsüblichen Preise für Zeitschriftenabonnements betragen. Der Finch Report empfiehlt dagegen eine modifizierte Variante des goldenen Wegs, nämlich die Finanzierung einzelner Veröffentlichungen im herkömmlichen Rahmen durch Autorinnen oder Förderinstitutionen („article processing charges“, APCs). Das läuft darauf hinaus, dass wissenschaftliche Arbeiten gezielt zwecks freier Zugänglichkeit aus der „Pay-Wall“ von Verlagen herausgekauft werden können.
Die Budapester und Berliner Erklärungen enthielten, diplomatisch in der Rhetorik freier Wissenschaftskommunikation versteckt, einen massiven Angriff auf das bestehende Verlagswesen. Die jüngste Wendung hat daraus die Gelegenheit gemacht, dass Verlage die bisherige Rendite durch Subskriptionen auf Einkommen aus APCs verlagern. Offen zugänglich sind die Publikationen tatsächlich, allerdings nicht im Sinn des Erfinders. „Fool’s gold“ ist die polemische Charakteristik dieser Strategie durch die Vertreter der Ursprungsintention (Jump 2013).
Nichtsdestotrotz schlagen maßgebliche Akteure vor, die Finanzierung des wissenschaftlichen Publikationswesens generell von den Rezipientinnen auf die Produzentinnen umzustellen – und zwar unter Beibehaltung des bestehenden Finanzrahmens (Schimmer 2015), (OA2020 o. J.). Ausschlaggebend ist dabei nicht mehr das Journal alten Stils, sondern das gezielte Sponsoring ausgesuchter Veröffentlichungen durch passende Institutionen. In dieser Sicht der Dinge geht es in der Auseinandersetzung weder um die unverhältnismäßig hohen Profite im wissenschaftlichen Verlagswesen noch um Selbstverwaltung innerhalb des Wissenschaftsbetriebs, sondern um einen Interessensausgleich zwischen Organisationen, die Publizität benötigen, und Dienstleistern, die einen dazu passenden Service anbieten können.
Vorsicht! Große Worte
Die Situation, die sich im Anschluss an die besprochenen Appelle ergeben hat, ist verworren (Anderson 2017 a, 2017b). Aufrufe zur Befreiung der Wissenschaftskommunikation von der geschäftlichen Übermacht der Großverlage wurden in Verwaltungsbüros der Universitäten aufmerksamer gehört als von ihrem Forschungspersonal. Dadurch entstand die Klage von „vor Ort“ arbeitende Wissenschaftlerinnen über die „Bevormundung“ durch das Management. Es würde ihre Forschungsfreiheit einschränken (Anderson 2015). Die Situation ist verdreht, denn die Beschwerde richtet sich gegen Versuche der eigenen Administration und (vorgeblichen?) Interessensvertretung, dem deutlich mächtigeren Diktat der ökonomischen Zwänge zu begegnen.
Die Ungereimtheit der Proteste ist ein Indikator dafür, dass sich auf dem Rücken der Wissenschaftstreibenden die Auseinandersetzung zweier übergeordneter Instanzen abspielt. Auf der einen Seite die Verlage, mit denen sie vielfältig gewachsene Kontakte verbinden, und die, wenn überhaupt, das bekanntere Übel darstellen. Und auf der anderen Seite die Universitätsleitungen unter neuem Management, die in diesem Punkt zu einem Doppelspiel gezwungen sind. Sie müssen nämlich versuchen, sich sowohl gegen die Preistreiberei im Zeitschriftensektor als auch gegen den Individualismus jener Wissenschaftlerinnen zu positionieren, die keine Verantwortung für das Bibliotheksbudget tragen und sich – dessen ungeachtet – durch die Open Access-Mandate in ihrer verbürgten Wissenschaftsfreiheit beeinträchtigt sehen.
Ein prominenter Streitpunkt betrifft das Recht, den Publikationsort und Verwertungsmodus der eigenen Arbeiten selbständig zu bestimmen (Graf 2012; Kingsley 2016). Die Berechtigung dieser Forderung sei dahingestellt, doch eine Pointe aus der teils erhitzt geführten Debatte beleuchtet schlagartig, wie verwirrend das Terrain geworden ist. Roland Reuß, ein prominenter Gegner der Open Access-Politik, sieht in ihr, wie schon erwähnt, einen „staatlich verbrämten Übergriff in (sic!) verbürgte Grundrechte“[31], speziell in die „Souveränität eines wissenschaftlichen Autors“ bei der Verlagswahl. Sie sei durch die Verpflichtung zur entgeltfreien Veröffentlichung unterlaufen. Der Zweck dieser Auflage ist nach dem Duktus der Open Access-Erklärungen – insofern trifft Roland Reuß einen Punkt – tatsächlich ein transformativer Eingriff in das bestehende wissenschaftliche Publikationssystem. Reuß wendet nun dagegen ein, “... dass der ohne Not veranstaltete Open-Access-Zirkus mit den popeligen T-Shirts nur den großen internationalen Oligopolverlagen zuarbeitet und nicht etwa, wie oft nachgebetet, deren Macht begrenzt“[32]. Nach der im vorigen Abschnitt dargestellten Entwicklung zum „golden open access“ durch Extrafinanzierung zugunsten der bekannten Oligopolisten hat er damit nicht ganz unrecht. Die Open Access-Mandate der Förderinstitutionen laufen unter den Bedingungen national ausgehandelter Rahmenverträge tatsächlich auf Abmachungen zwischen den „Gutsherren“ und den Mäzenen unterschiedlicher Provenienz hinaus (Crotty 2016). Dass es sich dabei um eine Verkehrung des anfänglichen Impulses handelt, beachtet Reuß nicht. Doch darin liegt gerade die Komplexität des vorliegenden Sachverhaltes. In 15 Jahren hat sich, zumindest was die Gewinnmargen der Verlage betrifft, eine Zukunftsperspektive ansatzweise zu einer Alibiaktion verwandelt.
Die beschriebenen Abläufe folgen einem Muster, das sich in öffentlichkeitswirksamen Zusammenhängen öfter beobachten lässt. Ein – zugegeben plakatives – Beispiel ist der Ausspruch Angela Merkels, den man die Berliner Erklärung 2015 nennen könnte: „Wir schaffen das!“ Diese Wendung hat den Verlauf der Flüchtlings- und Migrationskrise durch ihren knappen Optimismus und dann durch dessen Verblassen bestimmt. An hervorgehobener Stelle setzte eine Politikerin, ohne Abstimmung mit den bestehenden institutionellen Kräften, das Signal für eine gute Sache. Damit wurden Energien mobilisiert, die der staatliche Beamtenapparat gewöhnlich abdämpft. Die Zivilgesellschaft, so zeigte sich, war begeisterungsfähig und in der Lage, in kurzer Zeit para-administrativ bis dahin unerhörte Strukturen zu schaffen. Doch der Impuls war, wie sich im Verlauf der Entwicklungen herausstellte, seinerseits para-demokratisch. Die im Staatsverbund vorgesehenen Beratungs- und Entscheidungsgremien waren übergangen worden. Die Entscheidung, das Dublin-Abkommen unilateral so auszulegen, dass Deutschland zum Zielland der Flüchtlingsbewegung wurde, erinnerte einige Kommentatoren an monarchische Gepflogenheiten (Stephan 2011; Die Risiko-Strategie der Angela Merkel 2016). Zwei Jahre danach ist festzustellen, dass durch den Direktappell an die Menschenwürde und die einschlägigen Konventionen bemerkenswerte Energien freigesetzt worden sind, die sich teilweise auch verstetigt haben. Die zunächst übergangenen Institutionen haben sich allerdings rasch wieder bemerkbar gemacht. Die hohe Politik ist ihnen nicht entkommen.
Die auffällige Gemeinsamkeit, auf die sich der Vergleich der beiden „Berliner Erklärungen“ bezieht, ist das Überspringen der Zwischeninstanzen, das für prinzipielle Proklamationen charakteristisch ist. In einer repräsentativen Demokratie spielen Parteien eine unersetzliche Rolle. Ihre Vorsitzenden sind gehalten, sie in umstrittenen Fällen zu konsultieren. Das hatte Angela Merkel ausgeblendet. Die Budapester Erklärung ihrerseits vermeidet jede Anerkennung der Parteistellung der Verlage. Sie zeichnet das Bild wohlmotivierter Wissenschaftlerinnen, die eine grundlegende Revision bestehender medialer Strukturen in Angriff nehmen. Kein Wort davon, dass es sich um ein komplexes Geflecht wissenschaftlicher, wirtschaftlicher, öffentlich-rechtlicher und staatlicher Interessensträger handelt. Unzweifelhaft verlangen kritische Situationen außerordentliche Reaktionen, auch ohne Rückendeckung durch Amts- oder Geschäftsträger. Und um es nochmals zu wiederholen: Die Interventionen haben zeitgemäße und erstrebenswerte Ergebnisse hervorgebracht. Die andere Seite der Medaille zeigt sich, wenn der Impuls auf schwerfällige Verhältnisse trifft, also in den genannten Fällen den nationalstaatlichen bzw. mediengeschichtlichen Besitzstand.
Beide Male ist aufgeklärter Absolutismus eine nachvollziehbare Einstellung. Er tritt für vernunftgeprüfte Ideale ein und verteidigt sie gegen den Einspruch mächtiger lokaler Interessensverbände. Das OAI-PMH-Protokoll ist ein Instrument zum Aufbau einer effektiven ausschließlich sachlichen Zwecken dienenden Distributionsform von Wissenschaft – wenn es denn von den Beteiligten angenommen würde. Diese orientieren sich jedoch eher an den Zitationszahlen in Scopus, dem Web of Science oder Google Scholar. Das war in Budapest und Berlin nicht vorgesehen. Banal gesprochen: Der Teufel steckt im Detail. Es ist nicht verwunderlich, dass allgemeine Reformappelle unscharf formuliert sind, und dass ihre Interpretationen divergieren. Sie erzeugen ein Verhältnis von Kräften und Gegenkräften und werden umgekehrt von ihm modifiziert. An die Adresse der Open Access-Propagandisten ergeht daher Rick Andersons Warnung: „Not thinking about these conflicts ahead of time is a sure recipe for handling them poorly—and pretending they don’t exist is a sure recipe for failing to think about them.“ (Anderson 2017b).
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Herbert Hrachovec ist Hochschullehrer im Ruhestand am Institut für Philosophie an der Universität Wien. Er arbeitete über analytische Philosophie, Metaphysik und Ästhetik. Gegenwärtiger Arbeitsschwerpunkt sind Neue Medien. 2001 bis 2010 war Herbert Hrachovec stellvertretender, zuletzt Institutsvorstand des Instituts für Philosophie, 2006 bis 2010 und 2012 bis 2013 Mitglied des Senates, 2005 bis 2010 Vorsitzender der Curricularkommission der Universität Wien und 2010/11 Koordinator des EU-Projekts „Agora. Open Access in the Humanities“.
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