Skip to content
Publicly Available Published by De Gruyter Saur February 12, 2019

Fehl-, Falsch- und Desinformation aus dem Blickwinkel der Informationswissenschaften: Lassen sich Manipulationen im Internet durch informations-wissenschaftliche Methoden identifizieren?

Stefan Hauff-Hartig. – Berlin: Simon Verlag für Bibliothekswissen, 2018. 77 Seiten, Broschiert. ISBN 978-3945610480, 15,00 Euro

  • Franziska Zimmer EMAIL logo

Reviewed Publication:

Fehl-, Falsch- und Desinformation aus dem Blickwinkel der Informationswissenschaften: Lassen sich Manipulationen im Internet durch informationswissenschaftliche Methoden identifizieren? Stefan Hauff-Hartig. – Berlin: Simon Verlag für Bibliothekswissen, 2018. 77 Seiten, Broschiert. ISBN 978-3945610480, 15,00 Euro


Können sich Manipulationen im Internet durch informationswissenschaftliche Methoden identifizieren lassen? Dieser Frage geht Stefan Hauff-Hartig in seiner nun publizierten Masterarbeit nach. Hauff-Hartig ist seit 2004 als Diplom-Bibliothekar in der Bibliothek des Deutschen Bundestages Berlin und dort seit 2005 als Sachgebietsleiter für DV- und technische Dienste tätig. Diese Publikation hat nicht nur die Aufgabe, über Fake News zu unterrichten, sondern auch Digital Literacy zu empfehlen, um Nachrichten adäquat beurteilen zu können. Für den Verfasser ist es ein künftiger Auftrag in der Informationswissenschaft, „die aktiven Informationskompetenzen des Einzelnen einschließlich der Schärfung des Verantwortungsbewusstseins aufzubauen“ (S. 65).

Das 77-seitige Werk gliedert sich in drei Hauptteile. Dem Hauptwerk wird eine Einführung von Stephan Büttner, dem Betreuer der Masterarbeit, vorangestellt. Dieser fragt: Kann es falsche Informationen geben? Seine Antwort: Es kommt auf den Kontext an, dieser (be-)wertet die Information, was auch der Ansatzpunkt dieser Schrift ist. Alle Informationen durchlaufen Prozesse, bevor sie beim Rezipienten ankommen, die auch von persönlichen Meinungen geprägt sind. Demnach plädiert Büttner dafür, dass Bibliotheken und Hochschulen die Digital Literacy auf allen Ebenen fördern. Informationskompetenz gilt als Kernkompetenz des 21. Jahrhunderts; Büttner wirbt damit, dass die FH Potsdam diesen Aspekt bereits mit in die Lehre aufgenommen hat. Hauff-Hartig betont in seinem Vorwort, wie Fake News unser Leben prägen: Das Vertrauen in Politik und Medien geht verloren und traditionelle Medien werden abgelehnt, alles auf Kosten der Demokratie.

Inhalt

Der erste Teil beschäftigt sich mit der zentralen Kategorie der Information aus der Sicht von Rainer Kuhlen. Dieser sagt, dass Information aus Sicht der Informationswissenschaft nichts mit Wahrheit zu tun hat, auch eine Lüge kann eine Information sein. Es ist also schwierig zu beurteilen, was eine Information und eine Falschinformation nun sei. Demnach muss die Auseinandersetzung mit Fehlinformation in Aktion und Kontext geführt werden. Beleuchtet wird auch das Verhältnis von Information zur Desinformation aus dem Blickwinkel von Luciano Floridi und Don Fallis. Der Philosoph Floridi unterteilt Informationen in zwei Aspekte: in Kommunikation und Inhalt. Kommunikation ist syntaktisch, mathematisch; Inhalt ist semantisch wahr, Instruktionsinformation, von der Umwelt signalisiert. Hauff-Hartig fasst zusammen: Informationen sind also strukturierte mit Bedeutung versehene Daten. Für Floridi sind jedoch nur wahre Informationen wirklich Informationen; falsche Informationen gliedern sich in Fehlinformation (semantischer Inhalt ist ungewollt falsch) und Desinformation (die Quelle ist sich der Falschheit der Information bewusst). Fallis betrachtet die Definition der Desinformation Floridis kritisch: Für ihn ist der Aspekt der Bedeutung das wichtigste Merkmal von Informationen, es kommt nicht darauf an, ob sie wahr oder falsch ist. Sowohl Floridi als auch Fallis sehen jedoch, dass Desinformationen durch Fehler im Informationsprozess entstehen. Fallis definiert die Fehlinformation noch feiner als Floridi, da hier viele Aspekte einfließen. Floridi definiert sie zu breit, wenn die Desinformation nicht aus dem Ziel der bewussten Irreführung hervorrührt, zu eng, wenn es wirklich Desinformationen sind (auch wenn Floridi sie so nicht definiert hat). Fallis’ Erkenntnisse, die auf Floridis Theorien basieren, sind für eine praxisorientierte Untersuchung besser geeignet, da sie lebensnahe Beispiele nennen, die auch im Internet vertreten sind, zum Beispiel Sarkasmus (bewusst falsche Information ist nicht zwangsläufig irreführend) oder diskreditierende Fotomontagen, die Informationen sind, welche verfälschend zusammengeführt wurden.

Der zweite Teil zeigt sowohl die Begriffe „Nachrichten“ und „Information“ als auch „Medien“ und „Informationskreislauf“ auf und grenzt diese ab. Der Begriff „Nachricht“ definiert sich als eine um Objektivität bemühte Mitteilung, die aktuell ist, dem allgemeinen Interesse dient, einen gewissen Aufbau hat, verständlich und objektiv ist. Die informierende Darstellungsform der Nachricht ist klar von der meinungsäußernden Form wie zum Beispiel einem Kommentar abzugrenzen. Demnach können auch Fake News nicht als Meinungsäußerung entschuldigt werden. Genauer betrachtet lässt sich die journalistische Nachricht als spezielle und formalisierte Form der Information ansehen. Demnach werden die Begriffe „journalistische Nachricht“ und „Information“ sowie „Fake News“ und „Falschinformation“ laut Hauff-Hartig als Kongruenten aufgefasst. Für Hauff-Hartig werden für die Basis der Untersuchung von Falschinformationen die „information chains“ und „lifecycles“ verwendet. Diese Informationsketten und Informationslebenszyklen beschreiben den Prozess von der Kreierung zur Verbreitung, Organisation, Indexierung, Speicherung und Verwendung bis zur Entsorgung.

Anschließend, im Hauptteil seiner Arbeit, wird der Ansatz der „irreführenden Informationen“ vorgestellt und ihre Auswirkung auf das Social Web diskutiert. Hierfür wurde ein Modell zu verschiedenen Verbreitungsarten irreführender Informationen entwickelt und mit Praxisbeispielen gefüttert. Für Hauff-Hartig verschmelzen traditionelle Medien und Social Media zu einer neuen Gesamtheit, von ihm „hybride Systeme“ genannt. Klassische Medien übernehmen Inhalte aus Social-Media-Kanälen und umgekehrt. Die Faktoren für die Weitergabe von Informationen, auch von irreführenden Informationen, sind die Quelle der Nachricht, die „Story“ und der Kontext. Zentral wichtig für die Arbeit ist die Unterteilung in vier Verbreitungsformen. Der Urheber kann eine Aussage als „falsch“ oder als „wahr“ auffassen; der Verbreitende kann diese Aussage auch als „falsch“ oder „wahr“ auffassen. Es entsteht eine Matrix der vier Verbreitungsformen. Beim Typ 1 sind sich Urheber und Verbreitender über die „Falschheit“ einig. Dieser Fall wird von Hauff-Hartig als reine Desinformation bezeichnet. Eine vom Urheber als „wahr“ produzierte Aussage kann vom Verbreiter als „falsch“ weitergegeben werden, was Typ 2 ist. Typ 3 beschreibt die Art der Verbreitung bei der der Urheber die Information als „falsch“ wahrnimmt, aber der Verbreiter als „wahr“. Der letzte Fall zeigt auf, dass sowohl der Urheber als auch der Verbreiter eine Information als „wahr“ aufnehmen. Insbesondere diese Matrix macht die Studie interessant. Bemerkenswert ist allerdings, dass sowohl die Matrix als auch der interpretierende Text von Giglietto et al. (2016) übernommen worden sind. Hauff-Hartig legt einzig eine gelungene Übersetzung vor.

Methoden

Der Kern der Untersuchung basiert vorwiegend auf Literaturstudien. Nach eigenen Angaben dienen als Forschungsmethoden desk research, der Literaturbericht als auch die Inhaltsanalyse. Dies ist allerdings irreführend, da unter einer Inhaltsanalyse eine empirische Arbeit an Texten durchgeführt wird (mindestens zwei Coder ordnen gemäß einem Codebuch Texte oder Textelemente in Klassen ein, was in diesem Fall nicht durchgeführt worden ist). Fokussiert wird sich hier auf Manipulationen im Sinne von allgemeinen Aspekten falscher Informationen, das bedeutet, dass speziellere Formen wie gefälschte Produktbewertungen oder Trolle den Rahmen der Untersuchung sprengen würden. Der Autor redet zwar über Wahrheit und Falschheit von Informationen, ohne jedoch „Wahrheit“ zu definieren. Da gerade in medialen Kontexten die klassische Wahrheitstheorie, nämlich die Korrespondenztheorie, nicht anwendbar ist, müssen wir auf Kohärenz- und Konsenstheorie zurückgreifen, was einen Rückgriff auf die Wahrheit nicht mehr zulässt (Zimmer & Reich, 2018). Unreflektiert redet Hauff-Hartig von wahren und falschen Informationen. Allerdings hat es sogar sein Gewährsmann Kuhlen abgelehnt, den Wahrheitsbegriff auf Informationen anzuwenden. „Information ist nicht für den Wahrheitswert zuständig“ (Kuhlen, 1996, S. 41). Ausschließlich Aussagen sind Träger von Wahrheit, aber keineswegs Informationen. Im Gegensatz zu vielen informationswissenschaftlichen Forschungsarbeiten vermissen wir bei diesem Projekt eigene empirische Ergebnisse. Gerade im Bereich von Filterblasen und Echokammern spielen Fake News eine bedeutende Rolle, die sich empirisch analysieren lassen (Zimmer, Scheibe, Stock, & Stock, 2019).

Der Text ist zwar meist gut lesbar, aber lange URLs im Fließtext erschweren den Lesefluss. Die Literatur ist unvollständig recherchiert; ebenso wird im Buch ein Kapitel über den Stand der Forschung vermisst. Register sind im Buch nicht vorhanden.

Fazit

Das Buch bringt eine gute Zusammenfassung einiger theoretischer Ansätze zur Debatte um Fake News. Die wichtige Unterscheidung zwischen reiner Desinformation, durch Desinformation verbreitete Fehlinformation, aus Desinformation entstandener Fehlinformation und Fehlinformation ist eine elegante deutsche Fassung des Ansatzes von Giglietto et al. (2016). Der Autor bringt keinerlei eigene empirische Ergebnisse. Falls es sich um einen Literaturbericht handelt, ist die Quellenlage viel zu dünn. Falls es sich um eigene Modelle beziehungsweise Ideen des Autors handelt, wird – außer bei der Quellenauswahl – nicht deutlich, worin diese bestehen. Im Großen und Ganzen liest sich das Werk sehr gut, es ist verständlich geschrieben und erklärt alle Fachbegriffe, Methoden und Ansätze sehr klar. Die Fallbeispiele, Beispiele, Grafiken und Tabellen sind gut gewählt und anschaulich und unterstützen den Inhalt sehr passend. Das Werk bildet einen geeigneten Ansatz, um sich als Laie einen ersten Eindruck einer informationswissenschaftlichen Behandlung von Fake News zu verschaffen; Fachkundige werden allerdings wenig neue Informationen finden.

Literatur

Giglietto, F., Iannelli, L., Rossi, L., & Valeriani, A. (2016). Fakes, News and the Election: A New Taxonomy for the Study of Misleading Information within the Hybrid Media System. In Convegno AssoComPol 2016 Urbino, 15-17 Dicembre 2016 (40 pp.).Search in Google Scholar

Kuhlen, R. (1995). Informationsmarkt – Chancen und Risiken der Kommerzialisierung von Wissen. Konstanz: Universitätsverlag Konstanz.Search in Google Scholar

Zimmer, F., & Reich, A. (2018). What is Truth? Fake News and Their Uncovering by the Audience. In 5th European Conference on Social Media, 21-22 June 2018, Limerick, Ireland (pp. 374-381). Reading, UK: Academic Conferences and Publishing.Search in Google Scholar

Zimmer, F., Scheibe, K., Stock, M., & Stock, W. G. (2019). Echo Chambers and Filter Bubbles of Fake News in Social Media. Man-Made or Produced by Algorithms? In 2019 Hawaii University International Conferences on Arts, Humanities, Social Sciences & Education (AHSE) (22 pp.). Honolulu, HI: Hawaii University.Search in Google Scholar

Published Online: 2019-02-12
Published in Print: 2019-01-31

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 7.6.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/iwp-2019-0008/html
Scroll to top button