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Publicly Available Published by De Gruyter Saur May 15, 2019

Vom Schein des Rechten getäuscht?

Raubverlage und was die Wissenschaft dagegen unternehmen kann

Deceived by the appearance of right? Pseudoscientific-publishers and what science can do about it
Les ressemblances sont trompeuses. Comment la science peut se prémunir contre les revues prédatrices
Pseudoscientific-publishers and what science can do about it
  • Nicole Walger

    Nicole Walger, M. A., MA LIS studierte Germanistik und Romanistik in Frankfurt am Main. Nach ihrer Zeit als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universitätsbibliothek Mainz folgte ein Studium der Bibliotheks- und Informationswissenschaften an der Fachhochschule Köln. 2011 wurde sie Leiterin der Bereichsbibliothek Translations-, Sprachund Kulturwissenschaft. Ab 2013 war sie stellvertretende Leiterin der Abteilung E-Science-Services an der Universitätsbibliothek Mainz und dort zuständig für den Bereich Open Access-Publizieren und leitet das Projekt „Akademische Integrität“. Seit Oktober 2016 ist sie stellvertretende Bibliotheksdirektorin in Siegen.

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    and Nadine Walger

    Nadine Walger, M. A., MA LIS studierte Neuere Philologien, Anglistik/Germanistik an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Danach folgte ein Studium Bibliotheks- und Informationswissenschaften an der Fachhochschule Köln, das sie 2013 mit einem Master abschloss. Seit 2014 ist sie bei der Deutsche Nationalbibliothek zuständig für den Fachbereich Informationsinfrastruktur, u. a.: Pflichtablieferung von Netzpublikationen (Sammlung Open-Access-Publikationen); Lizenzangaben und Rechtedokumentationen in Metadaten; Konzeptarbeit zur Unterstützung von Dataworkflow und Geschäftsprozessen im Bereich Netzpublikationen.

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Zusammenfassung

Im Sommer 2018 sorgten Medienberichte von NDR, WDR, Süddeutsche Zeitung, SZ Magazin und weiteren anerkannten nationalen und internationalen Medien für einen nicht unbeträchtlichen Aufruhr, als sie berichteten, dass mehrere hunderttausende Forschende ihre Forschungsergebnisse bei scheinwissenschaftlichen Verlagen, sogenannten Raubverlagen, Open Access, jedoch nicht qualitätsgeprüft veröffentlichten. Warum publizieren Forschende in Raubjournalen? Wie groß ist das Ausmaß in der Wissenschaft tatsächlich? Welches Vorgehen kennzeichnet die scheinwissenschaftlichen Verlage? Und: wem schaden sie und was kann gegen sie unternommen werden? Mit diesen Fragen wird sich im vorliegenden Beitrag beschäftigt.

Abstract

In summer 2018, media reports from NDR, WDR, Süddeutsche Zeitung, SZ Magazin and other recognized national and international media caused a not inconsiderable uproar when they reported that several hundred thousand researchers published their research results in open access with fake scientific publishers, so-called Raubverlage, who do not carry out quality assurance procedures. But why do authors publish in pseudoscientific journals and how great is the extent of this in science really? What is the procedure that characterises pseudoscientific publishers? And: who are they harming and what can be done about them? This article deals with these questions.

Résumé

En été 2018, des reportages publiés par le NDR, le WDR, la Süddeutsche Zeitung, le magazine SZ et d’autres médias nationaux et internationaux bien connus connus ont provoqué un tollé non négligeable lorsqu’ils ont rapporté que plusieurs centaines de milliers de chercheurs avaient publié leurs résultats de recherche dans des périodiques pseudo-scientifiques, appelés revues prédatrices, Open Access, mais sans peer review. Pourquoi des chercheurs publient-ils dans des revues prédatrices? Quelle est l’ampleur réelle de ce phénomène dans le monde scientifique? Quelle démarche caractérise les revues pseudo-scientifiques? Et : à qui font-elles du mal et que peut-on faire contre elles? Voilà les questions abordées dans cet article.

Für ein breites mediales Aufsehen sorgten im vergangenen Sommer die Ergebnisse einer Investigativ-Recherche von NDR, WDR, Süddeutsche Zeitung, SZ Magazin und weiteren anerkannten nationalen und internationalen Medien zur Publikationshäufigkeit Forschender in wertlosen Fachzeitschriften scheinwissenschaftlicher Verlage. Weltweit publizierten demnach rund 400.000 Forschende ihre Forschungsergebnisse bei Online-Fachzeitschriften, die trotz gegenteiliger Behauptung die grundlegenden Regeln wissenschaftlicher Qualitätssicherung missachten, kein Peer Review durchführen, den Autorinnen und Autoren so gut wie keine verlegerische Leistung bieten und sogar frei erfundene Studien veröffentlichen. Auch etwa 5.000 Forschende deutscher Hochschulen, Institute und Bundesbehörden sollen laut den Rechercheergebnissen in den Skandal verwickelt sein.

Das unlautere Vorgehen pseudowissenschaftlicher Verlage

Spätestens seit den Medienberichten auch bekannt unter dem Begriff Raubverlage geht es scheinwissenschaftlichen Verlagen nicht um Wahrheitssuche oder Integrität, sondern allein um das persönliche Interesse an eigener finanzieller Bereicherung. Um ihr Ziel zu erreichen, machen sie sich das Open-Access-Geschäftsmodell author-pays zu Nutze, bei dem Forschende oder ihre Institutionen für die Artikelveröffentlichung zahlen.

Bei der Kundenakquise gehen sie penetrant vor, geworben wird häufig mit einem umfassenden thematisch kaum limitierten Spektrum an Online-Fachzeitschriften. Ihre Geschäftsmodelle passen sie mittlerweile auch an die jeweiligen Spezifika der Fachdisziplinen an, und so existieren neben pseudowissenschaftlichen Zeitschriften seit geraumer Zeit für konferenzstarke Fächer auch scheinwissenschaftliche Konferenzen. Ungefragt und beinahe wöchentlich treten dubiose Fachjournals zunächst mit personalisierten E-Mails an wissenschaftliche Autorinnen und Autoren heran. Die Angebote scheinen auf den ersten Blick verlockend: „Our journal is noted for academic excellence! Submit your manuscripts and enjoy ‘members-only’ services.“ Sie werben dabei mit einer schnellen und unkomplizierten Open-Access-Veröffentlichung von Forschungsergebnissen sowie mit einer wissenschaftlichen Begutachtung durch Expertinnen und Experten. Die angepriesenen Zeitschriften tragen nicht selten Namen, die denen seriöser Verlagshäuser zum Verwechseln ähnlich sind. Ähnlich verhält es sich mit dem Layout. Die namhaften Herausgeberinnen und Herausgeber, Peers und Mitglieder des Editorial Boards wissen von ihrer Mitgliedschaft oftmals selbst nichts und wurden nie um Erlaubnis gefragt. Angaben zu Rankings der Zeitschriften sind, wenn überhaupt sichtbar, schlichtweg falsch.

Sind Autorinnen und Autoren einem Raubverlag erst einmal auf den sprichwörtlichen Leim gegangen, wird der eingereichte Artikel nach Überweisung einer Gebühr und ohne wirkliche Begutachtung binnen weniger Tage und ohne Änderungen oder Korrekturen auf den Webseiten des Verlags veröffentlicht. Stimmigkeit und Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse spielen dabei ebenso wenig eine Rolle wie die Frage, ob es sich bei den Autorinnen und Autoren tatsächlich um in der Wissenschaft aktive Forschende handelt. Service-Angebote beispielsweise zur Langzeitarchivierung/-verfügbarkeit und nachhaltigen Auffindbarkeit der Publikationen erhoffen sich die Autorinnen und Autoren vergebens.

Von Profitgier getrieben, nehmen scheinwissenschaftliche Verlage also billigend in Kauf, dass selbst falsche oder betrügerische Forschungsergebnisse unter dem Anschein von Wissenschaftlichkeit in die Öffentlichkeit geraten und dort einen nicht unbeträchtlichen Schaden anrichten können. Das unlautere Vorgehen ist für Forschende meist leider erst auf den zweiten Blick erkennbar, da Raubjournals oft zunächst den Eindruck erwecken, seriös zu sein.[2]

Das Ausmaß

Während das Phänomen scheinwissenschaftlicher Verlage nicht wirklich neu ist und einige wissenschaftliche Bibliotheken im Rahmen ihres Open-Access-Beratungsangebots unlängst für existierende unethische Geschäftspraktiken sensibilisieren, handelt es sich laut Medienrecherchen von NDR, WDR, Süddeutsche Zeitung und SZ Magazin bei einer weltweiten Verdreifachung und deutschlandweiten Verfünffachung derer, die in dubiosen Zeitschriften publiziert haben, mittlerweile wohl um ein neues Ausmaß. Dass daraus abgeleitet aber pauschal der gesamten Wissenschaft die Diagnose zugeschrieben wird, auf Abwegen zu sein[3], scheint jedoch übertrieben. Denn, wie Untersuchungen des Science Media Centers ergeben, sind, gerechnet auf alle erschienen Publikationen im Untersuchungszeitraum, vom wissenschaftlichen Personal deutscher Universitäten und Forschungseinrichtungen 1,3 Prozent betroffen[4], was bedeutet, dass 98,7 Prozent – also die große Mehrheit – lege artis arbeiten.

Der Autorenkreis

Der im Rahmen der Untersuchungen identifizierte Autorenkreis pseudowissenschaftlicher Journale lässt sich nach jüngsten Einschätzungen grob in drei Gruppen unterteilen:

  1. die Gruppe der Autorinnen und Autoren, die einmalig unwissentlich und im Irrglaube, dass es sich um ein seriöses Angebot handelt, auf eine Raubzeitschrift hereingefallen und aufgrund der nicht einfachen Identifikation des Betrugs selbst Opfer der Täuschung geworden ist,

  2. die Gruppe der Autorinnen und Autoren, die billigend auf eine ‚Abkürzung‘ bei der Veröffentlichung gesetzt und andernorts abgelehnte, aber nicht per se auch falsche Inhalte publiziert hat, um die eigene Publikationsliste zu verlängern,

  3. die Gruppe nicht aus dem Wissenschaftsbetrieb stammender ‚Scharlatane‘ und ‚Geschäftemacher‘, wie beispielsweise „Produzenten fragwürdiger Krebsmedikamente oder Skeptiker des Klimawandels“[5], die in der nicht stattfindenden Qualitätssicherung eine willkommene Chance sehen, fragliche Studien und umstrittene Thesen sowie Verschwörungstheorien oder Werbung gezielt unter dem Schein eines angeblichen wissenschaftlichen Gütesigels in Umlauf zu bringen und so die öffentliche Meinung zu manipulieren.

Einordnung der Rechercheergebnisse

Es steht außer Frage, dass die Rechercheberichte einen wichtigen Beitrag geleistet haben, für die Existenz und das unlautere Geschäftsgebahren pseudowissenschaftlicher Verlage zu sensibilisieren und damit die Scheinwelt der Raubverlage zu schädigen. Bedauerlich ist aber, dass bislang weder die Rohdaten der Studie veröffentlicht, noch eine Zuordnung der Autorinnen und Autoren zu Fachgebieten unternommen wurde.

Diese und weitere kritische Punkte in der Berichterstattung zu Raubverlagen, wie beispielsweise die Frage, warum die Studie unter dem landläufigen Wissen, dass gerade an Publikationen in den Natur- und Technikwissenschaften, nicht selten gleich zahlreiche Forschende als Autorinnen und Autoren aufgeführt werden, derart auf die Anzahl identifizierter Autorennamen statt auf die Anzahl an Publikationen fokussiert, sind im TIB-Blog[6] zusammengefasst. Dort wird auch, um das tatsächliche Ausmaß etwas konkreter einschätzen zu können, auf die Ergebnisse einer Stichprobenuntersuchung verwiesen, deren Ergebnisse der Physiker Markus Pössel in seinem Blog[7] veröffentlicht. Demnach ist festzuhalten, dass der „Großteil der Artikel [...] aus den angewandten Wissenschaften [...] [stammt], die Grundlagenforschung ist kaum betroffen. Rund 90 Prozent der Autor/innen tauchen ein einziges Mal auf, einige wenige stechen mit sehr vielen Publikationen bei fragwürdigen Verlagen hervor. Das kann man dahingehend interpretieren, dass der Großteil tatsächlich unwissend in die Falle getappt ist und den Fehler nicht wiederholt hat, ein kleiner Teil aber möglicherweise ganz bewusst dort publiziert. Unter dem zweiten Teil finden sich relativ viele Personen mit nicht-existenten Affiliations, Privatadressen oder aus der Industrie, also von außerhalb des etablierten Wissenschaftsbetriebs.“[8]

Fake-Science? Junk-Science!

Neben dem Monitum der nicht vollständigen Bereitstellung der Recherche-Rohdaten zur Möglichkeit der weiteren Auseinandersetzung mit der Problematik, muss aber auch die Frage gestellt werden, ob die Verwendung eines für die Problematik falschen Begriffs, dem Begriff Fake-Science, und damit zusammenhängende Aussagen, wie „die Fake-Wissenschaft ist längst zu einer relevanten Größe geworden“[9], dem Vertrauen der Gesellschaft in die Wissenschaft nicht ebenso Schaden zuzufügen im Stande sind, wie die erhobene Problematik an sich. So legt der Begriff Fake-Science doch unmittelbar die Vorstellung von gefälschten Daten und Betrug nahe und klingt, als würde sich ein Teil der Forschenden ganz willkürlich etwas ungeprüft ausdenken und dann veröffentlichen. Darum geht es bei den Rechercheergebnissen aber gar nicht.

Auch, wenn die Inhalte, die in pseudowissenschaftlichen Journalen erscheinen, wissenschaftlich vermutlich eher unwichtig sind, so muss ihre Qualität per se nicht schlecht sein. Es wäre daher besser gewesen, man hätte bei der Berichterstattung von Junk-Science, d. h. wertloser Forschung gesprochen, die vor ihrer Veröffentlichung schlichtweg keinem wissenschaftlichen Qualitätssicherungsverfahren unterzogen wurde, aber dennoch und unverdienterweise über ein scheinbar wissenschaftliches Gütesigel verfügt und so von Laien nicht unterschieden werden kann.

Schaden nimmt nicht nur die Wissenschaft

Ebenso wie die Tatsache, dass ein Teil wissenschaftlich Forschender unwissentlich oder wissentlich bei Verlagen publiziert hat, die die Relevanz der wissenschaftlichen Qualitätssicherung missachten, kann auch die Verwendung eines für die Problematik nicht zutreffenden Begriffs zu Zwecken der medialen Skandalisierung die Integrität der Wissenschaft in Verruf bringen und dem Vertrauen der Gesellschaft in die Wissenschaft nachhaltig schaden.

Freilich kann für die Wissenschaft selbst behauptet werden, dass die bei pseudowissenschaftlichen Verlagen erschienen Publikationen, für sie selbst nur eine geringe Gefahr darstellen und von ihr im World Wide Web weitgehend ohne Beachtung bleiben. Die meisten Forschenden wissen genau, welche Zeitschriften in ihrem Gebiet von Relevanz sind und welche allein durch ärgerliche Spam-Nachrichten für Unmut sorgen.

Die Wissenschaft nimmt durch das unethische Vorgehen pseudowissenschaftlicher Verlage aber insofern Schaden, dass mit ihnen auch die Reputation jener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geschädigt wird, die ohne ihr Zutun und Einverständnis in gefälschten Editorial Boards aufgelistet werden.

Darüber hinaus verhält es sich nicht selten auch so, dass sich scheinwissenschaftliche Verlage das ausschließliche Nutzungsrecht an den Publikationen zu Eigen machen. Da die Forschungsergebnisse auf diese Weise an keinem anderen Publikationsort mehr veröffentlicht werden dürfen, gehen sie der Wissenschaft auf ewig verloren.

Eine weitaus größere Gefahr geht von pseudowissenschaftlichen Zeitschriften aber für Laien aus, die beispielsweise auf der Suche nach neuesten Forschungsergebnissen zu Krankheiten sind. Sie können nur schlecht differenzieren, ob die Ergebnisse einer Studie fehlerhaft, ungeprüft oder auch nur erfunden sind und müssen sich daher auf das Qualitätssiegel der Wissenschaft verlassen können. Hier trägt die Wissenschaft die besondere Verantwortung der Gesellschaft gegenüber vertrauenswürdig zu bleiben, ausnahmslos für die Sicherstellung der guten wissenschaftlichen Praxis einzutreten und alles in ihrer Macht Mögliche gegen die Existenz pseudowissenschaftlicher Verlage zu unternehmen.

Neben Wissenschaft und Gesellschaft zieht das unethische Vorgehen scheinwissenschaftlicher Verlage aber noch weitere Kreise, indem es last but not least auch das Ansehen seriöser Open-Access-Fachzeitschriften nachhaltig schädigt und auch die Glaubwürdigkeit des wissenschaftlichen Verlagswesens in Öffentlichkeit und Wissenschaft gefährdet.

Unsicherheit und Schwächen werden schamlos ausgenutzt

Bei ihrem Vorgehen nutzen Raubverlage sowohl existierende Unsicherheiten auf Seiten einzelner Forschender als auch vorhandene Schwächen im Publikationssystem schamlos aus.

Gerade bei jungen Forschenden herrscht vor dem Hintergrund von nicht selten bestehender Beschäftigungsunsicherheit und daraus resultierend schärferem Wettbewerb untereinander eine nicht zu unterschätzende Unsicherheit darüber, wie die eigene wissenschaftliche Leistung und Bedeutsamkeit messbar dokumentiert werden kann. Da die erste Frage, der sie sich bei Anträgen für Forschungsmittel oder Berufungen stellen müssen, häufig die nach der Anzahl der Publikationen und Zitationen ist, messen sie der Publikationstätigkeit ein besonderes Maß für die Qualität ihres wissenschaftlichen Tuns zu. In regelmäßigen Publikationen und daraus resultierend einer möglichst langen Publikationsliste liegt für sie ein greifbarer Ansatz, an dem sie sich im Vergleich mit anderen Forschenden messen können. Es ist nicht auszuschließen, dass sie der aus dieser Unsicherheit hervorgehende subjektiv empfundene Publikationsdruck in Phasen der Verzweiflung unter Umständen auch dazu verleitet, statt einer umfassenden Publikation mit sämtlichen im Forschungsprozess anfallenden Ergebnissen, in sogenannter ‚Salamitaktik‘ ein Teilergebnis nach dem nächsten zu publizieren. Wissend, dass bei einem zunehmenden Publikationsaufkommen aber nicht jede Publikation auch in einer der wenigen renommierten Zeitschriften mit hohem Impact Faktor unterkommen wird, kann es dann vorkommen, dass sie aus hinzukommender Unsicherheit über der Qualitätskriterien für wissenschaftliche Zeitschriften oder in existenzieller Not schlimmstenfalls in einer der scheinwissenschaftlichen Zeitschriften publizieren, die von hohen Ablehnungsquoten profitieren und schlichtweg alles veröffentlichen.

Die mit den Möglichkeiten des digitalen Wandels und mit dem empfundenen Publikationsdruck einhergehende steigende Output-Generierung mündet in einem weiteren Schritt in eine nicht zu unterschätzende Ausweitung des Zeitschriftenmarkts. Die Unterscheidung zwischen seriösen und unseriösen Zeitschriften wird dadurch nicht nur für junge Forschende zunehmend erschwert, sondern insbesondere auch für diejenigen, die interdisziplinär arbeiten und eine Zeitschrift auswählen wollen, die nicht in ihrem ursprünglichen Fachgebiet angesiedelt ist.

Die Ausweitung des Publikationsaufkommens führt auf Verlagsseite wiederum dazu, dass es zunehmend schwer fällt, im erforderlichen Umfang geeignete Gutachterinnen und Gutachter für den Qualitätssicherungsprozess zu finden und die Veröffentlichung daher nicht immer in der gewünschten Schnelligkeit erfolgen kann. Unter dem Dekret eines subjektiv empfundenen Publikationsdrucks kann diese Entwicklung auch dazu führen, dass unseriöse Verlage, die die schnelle Publikation versprechen, für junge Forschende dann in Zugzwang einen besonderen Charme ausüben.

Darüber hinaus – und das scheint der wesentliche Grund, warum pseudowissenschaftliche Verlage mit leeren Versprechen zu einem angeblich stattfindenden, aber de facto nicht durchgeführten Qualitätssicherungsprozess reüssieren können – machen sich Raubverlage das unhinterfragte Vertrauen in das vorherrschende zuweilen doch recht intransparente Peer-Review-Verfahren zu Nutze, das weder Teil der Forschungsarbeit ist und noch Möglichkeiten zur Überprüfung bietet, wann, von wem und mit welchem Ergebnis eine Überprüfung wissenschaftlicher Ergebnisse überhaupt stattgefunden hat.

Nicht zuletzt profitieren pseudowissenschaftliche Verlage aber auch davon, dass Forschende, die ihnen einmal im Irrglaube, dass es sich um ein seröses Journal handele, auf den ‚Leim‘ gegangen sind, den Fauxpas am liebsten nicht thematisieren möchten. Der Fehler ist ihnen nicht selten dermaßen peinlich, dass sie darüber schweigen. Sie nehmen es damit ohne böse Absicht in Kauf, dass ihre Kolleginnen und Kollegen möglicherweise auch in die Falle tappen, anstatt sie für die Problematik pseudowissenschaftlicher Verlage in der Wissenschaft zu sensibilisieren. Gerade für junge Forschende ist eine gute Betreuung und Beratung beim wissenschaftlichen Publizieren deshalb essentiell.

Nicht selten wird die Frage gestellt, ob nicht auch das vornehmlich mit der Open-Access-Bewegung in die Wissenschaft geratene author-pays-Modell, bei dem die Publikationsgebühren auf die Autorinnen und Autoren oder auf die Institutionen, an denen sie angesiedelt sind, verlagert werden, die Existenz unseriöser Verlagsangebote erleichtert. Es ist unbestritten, dass Raubverlage genau dieses Modell schamlos ausnutzen; ein Indikator für unseriöse Verlage ist Open Access deshalb aber nicht. Forschende sollten insbesondere immer dann hellhörig werden, wenn die Gebühren, die die Zeitschrift für die Publikation erhebt, nicht transparent sind und bereits im Vorfeld der Publikationsannahme erhoben werden.

Was kann die Wissenschaft tun?

Ein hundertprozentiger Schutz gegen Betrug wird niemals gegeben sein und die Gruppe nicht aus dem Wissenschaftsbetrieb stammender ‚Scharlatane‘ und ‚Geschäftemacher‘ wird auch weiterhin auf die Existenz pseudowissenschaftlicher Verlage setzen, um die öffentliche Meinung in ihrem Interesse zu manipulieren. Dennoch gibt es für die Wissenschaft doch einige Maßnahmen auch im Verbund mit ihren Bibliotheken und seriösen Verlagen, pseudowissenschaftlichen Verlagen zumindest einen Teil des Bodens für ihr unethisches Unterfangen zu entziehen.

Dies kann geschehen, indem einerseits gerade jungen Forschenden eine gute Beratung und Betreuung beim wissenschaftlichen Publizieren und bei der Auswahl geeigneter Fachzeitschriften geboten wird und indem andererseits neben Publikations- und Zitationsraten, die künftig mittels neuer digitaler Möglichkeiten der Qualitätsmessung erhoben werden sollten, verstärkt auch qualitative Indikatoren, wie wissenschaftliche Sorgfalt, Verfügbarmachung von Forschungsrohdaten, die Publikation von Negativergebnissen und Transparenz, bei der sogenannten Leistungsmessung berücksichtigt werden.

Wichtige darüber hinaus zu erwägende Maßnahmen bei der Sicherstellung der Qualität in Publikationen sind zudem die Schaffung von Anreizen für Forschende für die Übernahme von wissenschaftlichen Gutachten, mehr Transparenz im Peer-Review-Verfahren, die Veröffentlichung der Forschungsrohdaten in vollem Umfang, um die Gutachtertätigkeit durch bessere Überprüfbarkeit der Ergebnisvalidität zu beschleunigen, sowie die Veröffentlichung wissenschaftlicher Gutachten als Teil der Forschungsarbeit auf den Zeitschriften-Webseiten. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass eine Überprüfung überhaupt stattgefunden hat und wissenschaftliche Kriterien dabei zugrunde gelegt wurden. Pseudowissenschaftliche Verlage werden es unter diesen Bedingungen vermutlich schwer haben, leere Versprechen bezüglich der wissenschaftlichen Gutachten zu machen.

Im Nachgang der Ergebnisse der Studie von NDR, WDR, Süddeutsche Zeitung und SZ Magazin sind die Hochschulen nun verstärkt darum bemüht, das Bewusstsein der Forschenden für die Existenz scheinwissenschaftlicher Verlage zu schärfen, Aufklärungsarbeit zu leisten und gerade junge Forschende, die besonders unter Erfolgsdruck stehen, eng beim Publizieren zu begleiten. Nicht selten nehmen dabei Bibliotheken im Rahmen von Informations- und Schulungsveranstaltungen eine bedeutende Rolle ein. Sie weisen in diesem Kontext sowohl auf konkrete eigene oder von Verlagen initiierte Online-Informationsangebote hin, die Forschenden einfache Richtlinien an die Hand geben, um seriöse Zeitschriften zu identifizieren (wie beispielsweise das Portal Think. Check. Submit.[10]), als auch auf existierende Positivlisten oder auch sogenannte Whitelists zur Überprüfung der Seriosität von Online-Zeitschriften, die aufgrund der Schnelllebigkeit des Publikationsmarkts ständig und zuverlässig gepflegt und aktualisiert werden (wie beispielsweise das Directory of Open Access Journals (DOAJ)[11]).

Schließlich ist es wichtig, in den Hochschulen eine Fehlerkultur zu leben, die Forschende, die selbst einmal auf einen Raubverlag hereingefallen sind, dazu ermutigt, Fachkolleginnen und Fachkollegen vor dem Begehen des gleichen Fehlers zu warnen, statt ihn zu verschweigen. Informationsveranstaltungen im Rahmen von Doktorandenkollegs können hier für junge Forschende eine geeignete Bühne bieten, um sich darüber auszutauschen und dafür zu sensibilisieren.

Einige der geschilderten Gegenmaßnahmen wurden in den Hochschulen und ihren Bibliotheken längst vor den Medienberichten entwickelt und praktiziert, jedoch nicht flächendeckend und nie zuvor so effektiv, wie nach den Medienberichten. Der vorliegende Beitrag soll deshalb auch, die Relevanz der Berichterstattung anerkennend, mit einem die jetzigen Erfordernisse gut zusammenfassenden Zitat aus einem Kommentar von Peter Hornung schließen, der maßgeblich an den Recherchen von NDR, WDR, Süddeutsche Zeitung und SZ Magazin beteiligt war: „Vielleicht sind die Berichte über diese Scheinwelt der Schuss, den alle hören sollten. Denn die Wissenschaft kann das Problem selbst in den Griff kriegen, sie kann das Geschäft der Fake-Verlage kaputt machen: wenn keiner mehr hingeht, wenn jeder hinschaut, wo er publiziert – und, wenn die Wissenschaft neue Konzepte entwickelt, neue Ideen, wie Forscherinnen und Forscher publizieren können. Sonst steht nicht mehr und nicht weniger als die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft auf dem Spiel. Und das wäre eine Katastrophe für uns alle.“[12]


Anmerkung

Der Titel ist ein Zitat von Horaz, Ars poetica, 25.


About the authors

Nicole Walger , M. A., MA LIS

Nicole Walger, M. A., MA LIS studierte Germanistik und Romanistik in Frankfurt am Main. Nach ihrer Zeit als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universitätsbibliothek Mainz folgte ein Studium der Bibliotheks- und Informationswissenschaften an der Fachhochschule Köln. 2011 wurde sie Leiterin der Bereichsbibliothek Translations-, Sprachund Kulturwissenschaft. Ab 2013 war sie stellvertretende Leiterin der Abteilung E-Science-Services an der Universitätsbibliothek Mainz und dort zuständig für den Bereich Open Access-Publizieren und leitet das Projekt „Akademische Integrität“. Seit Oktober 2016 ist sie stellvertretende Bibliotheksdirektorin in Siegen.

Nadine Walger , M. A., MA LIS

Nadine Walger, M. A., MA LIS studierte Neuere Philologien, Anglistik/Germanistik an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Danach folgte ein Studium Bibliotheks- und Informationswissenschaften an der Fachhochschule Köln, das sie 2013 mit einem Master abschloss. Seit 2014 ist sie bei der Deutsche Nationalbibliothek zuständig für den Fachbereich Informationsinfrastruktur, u. a.: Pflichtablieferung von Netzpublikationen (Sammlung Open-Access-Publikationen); Lizenzangaben und Rechtedokumentationen in Metadaten; Konzeptarbeit zur Unterstützung von Dataworkflow und Geschäftsprozessen im Bereich Netzpublikationen.

Literatur

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Published Online: 2019-05-15
Published in Print: 2019-05-08

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 2.10.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/iwp-2019-2009/html
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