Zusammenfassung
Diese Untersuchung ist aus informationswissenschaftlicher Sicht dem Themenbereich der Informationskompetenz zuzuordnen und überprüft die Wahlkompetenz von wahlberechtigten Studierenden. Dabei werden diese um eine Einschätzung der Positionen der wichtigsten politischen Parteien Österreichs gebeten. Die Wahlkompetenz wird umso höher eingeschätzt, je geringer die als Fehlerquote bezeichnete Abweichung zwischen subjektiver Einschätzung und tatsächlicher Position ist. Die für die Untersuchung benötigten Daten zu den Pateipositionen wurden der Wahlempfehlungsplattform „wahlkabine.at“ entnommen. Die Einschätzung der Position erfolgte mittels strukturierter Befragung von 620 Studierenden. Zusätzlich wird analysiert, ob es bei der Wahlkompetenz studiums-, geschlechter-, alters- oder interessensspezifische Unterschiede gibt. Die Ergebnisse zeigen eine recht hohe Wahlkompetenz der Studierenden. Im Durchschnitt lag die Fehlerquote, je nach Methodik, zwischen 24,7 und 36,6 Prozent. Signifikant besser schnitten v. a. Studierende mit einem hohen Interesse an Politik ab.
Abstract
This study can be from an information science point of view assigned to the subject area of information literacy. It examines the electoral competence of students on the basis of questions in which the positioning of the most important political parties in Austria regarding selected subject areas has to be assessed. The electoral competence is measured as the difference between this assessment and the actual positioning and is higher the smaller this difference is. In addition, we analyze whether there are differences in competence according to the branch of study, gender, age and political interest. The data regarding the positioning of the parties was taken from the voting advice application “wahlkabine.at”, and those for assessing this positioning were collected by means of a structured survey of 620 students. Our results indicate that students are politically quite competent. On average, the error rate was between 24.7 and 36.6 percent, depending on the methodology used. Students indicating a high interest in politics showed significantly better results.
Résumé
Dans le cadre de la présente étude, nous examinons la compétence de vote des électeurs appartenant à la catégorie des étudiants. Les étudiants sont invités à évaluer le positionnement des principaux partis politiques autrichiens. Plus l’écart entre l’évaluation subjective et le positionnement réel est faible, ce que l’on appelle le taux d’erreur, plus la compétence de vote est considérée comme élevée. Les données nécessaires à l’étude sur le positionnement réel des partis ont été extraites de la plate-forme de recommandation électorale „wahlkabine.at“. L’évaluation du positionnement s’est basée sur une enquête structurée auprès de 620 étudiants. En outre, nous analysons s’il existe des différences spécifiques, en ce qui concerne la compétence électorale, liées au type d’études, au sexe, à l’âge ou aux intérêts. Les résultats montrent un niveau relativement élevé de compétence électorale chez les étudiants. En moyenne, le taux d’erreur se situait entre 24,7 % et 36,6 %, selon la méthodologie utilisée. Les étudiants qui s’intéressent beaucoup à la politique ont obtenu de résultats nettement meilleurs.
1 Einleitung
1.1 Einführung in die Thematik
Die Informationskompetenz ist ein informationswissenschaftliches Forschungsfeld, das in den vergangenen Dekaden zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, wie zahlreiche Publikationen dazu belegen (vgl. z. B. Chandra 2015). Häufig werden Definitionen bzw. Standards für diesen Begriff generiert (vgl. z. B. Sample 2020) sowie Tests zur Überprüfung der vorhandenen Informationskompetenz entwickelt und in der Praxis eingesetzt (vgl. z. B. Boh Podgornik et al. 2016). Eine Alternative dazu ist, das Wissen bzw. die Kompetenz der Bevölkerung oder von Teilen davon für verschiedene Bereiche des Alltags zu überprüfen. Das ermittelte Wissens- bzw. Kompetenzniveau lässt Rückschlüsse auf die vorhandene Informationskompetenz als notwendige Bedingung zur Erlangung dieses Niveaus zu (vgl. z. B. Reichmann/Mestel 2018). Diesem Ansatz wird hier gefolgt und der Alltags-Bereich der Politik betrachtet. Konkret soll eine wichtige Teildimension der politischen Kompetenz, nämlich die Wahlkompetenz von Wählenden, untersucht werden.
Bei Wahlen stellt sich die Frage, inwieweit Wählende tatsächlich die für sie richtige Wahlentscheidung getroffen haben. Bei dieser häufig als Correct Voting bezeichneten Thematik (vgl. z. B. Sokhey/McClurg 2012; Johann/Glantschnigg 2013; McGregor 2013; Stiers/Dassonneville 2019) geht es laut Definition von Lau und Redlawsk (1997, 586) darum, ob jene Partei gewählt wurde, die auch im Falle vollständiger Information gewählt worden wäre, meist jene, die bei relevanten Sachthemen am ehesten der Einstellung der Wählenden entspricht. Zentrale Voraussetzung für ein Correct Voting ist also das ausreichende Wissen zu den Parteipositionen, das als Teildimension des politischen Wissens anzusehen ist.
Während man politisches Wissen als einen sehr umfassenden Begriff verstehen kann, der auch Wissen beinhaltet, das nicht unbedingt für ein Correct Voting nötig ist, wie etwa detaillierte Kenntnisse des politischen Systems oder auch umfassende Informationen über die politischen Akteure (vgl. Delli Carpini/Keeter 1996), wird hier Wahlkompetenz als das für ein Correct Voting notwendige Wissen der Wählenden verstanden. Hinreichende Wahlkompetenz setzt also in erster Linie profunde Kenntnisse der Parteipositionen voraus (vgl. Johann/Glantschnigg 2013). Dabei stellt sich die Frage, auf welche Sachthemen sich diese Kenntnisse beziehen sollen: Auf möglichst alle aktuell relevanten, d. h. z. B. stark in den Medien präsenten, oder nur auf solche, die für die einzelnen Wählenden persönlich von großer Bedeutung und damit für die Wahlentscheidung ausschlaggebend sind? Um beide Alternativen zu berücksichtigen, werden im empirischen Teil mehrere Varianten der Wahlkompetenz analysiert.
In der wissenschaftlichen Literatur finden die Themen „politisches Wissen“ und „Wahlkompetenz“ breite Berücksichtigung, allerdings unter anderen Bezeichnungen, wie etwa „politische Reife“ (vgl. z. B. Bergh 2013; Johann/Mayer 2017). Diese Beiträge verfolgen zumeist theoretische oder empirische Ansätze. Bei ersteren stehen begriffliche Abgrenzungen sowie Möglichkeiten zur Wissens- bzw. Kompetenzmessung im Mittelpunkt, während zweitere vornehmlich Projekte zur Ermittlung des politischen Wissens bzw. der Wahlkompetenz vorstellen.
Zu den theoretischen Beiträgen gehört etwa jener von Delli Carpini/Keeter (1993), der sich mit der Entwicklung und Testung von umfragebasierten Methoden zur Messung des politischen Wissens befasst. Diskutiert wird auch die Präferenz von Forschenden für Datenauswertungen anstatt Datenerhebungen, was einen verstärkten Rückgriff auf Sekundärdaten bedeutet. Diesem Trend folgt die vorliegende Untersuchung nicht, da vorwiegend Primärdaten erhoben und verwendet werden. Barabas et al. (2014) setzen sich mit der Messung von politischem Wissen sowie möglichen Einflussfaktoren wie Bildung oder Geschlecht, auseinander. Derartige Einflussfaktoren wie etwa die Bildung stehen bei Grönlund/Milner (2006) im Mittelpunkt.
Eine Reihe von Beiträgen widmet sich der Kompetenzmessung auf internationaler Ebene. Elff (2019) beschäftigt sich mit der Problematik einer international vergleichbaren Messung des politischen Wissens. Hobolt (2007) stellt einen theoretischen Rahmen zur Evaluierung der Wahlkompetenz von Wählenden bei EU-Wahlen vor und diskutiert, wie diese Fähigkeit verbessert werden kann. Möglichkeiten sowie Rahmenbedingungen, die eine höhere Wahlkompetenz bzw. ein umfangreicheres politisches Wissen begünstigen, wie eine gute Einbindung in soziale Netzwerke, beschäftigen weitere Aufsätze (vgl. z. B. Ryan 2011; Sokhey/McClurg 2012). Nach Lau et al. (2008) wird Correct Voting stark vom politischen Wissen, aber auch von weiteren Faktoren beeinflusst, wie der Anzahl der wahlwerbenden Gruppen oder dem Ausmaß der Differenzierung zwischen den wahlwerbenden Gruppen.
Bei den empirischen Beiträgen steht die Erhebung des politischen Wissens(standes) von Personen(-gruppen) im Mittelpunkt. Es kann sich um internationale (vgl. Braun/Tausendpfund 2019) oder nationale Untersuchungen handeln. Letztere überwiegen und wurden beispielsweise in Deutschland (vgl. Westle et al. 2015), Großbritannien (vgl. Chan/Clayton 2006), Neuseeland (vgl. Karp 2006), den Niederlanden (vgl. Hendriks Vettehen et al. 2004), Österreich (vgl. Johann/Mayer 2017) oder den USA (vgl. Delli Carpini 2005) durchgeführt. Sie beziehen sich entweder auf die jeweilige Gesamtbevölkerung oder einzelne Bevölkerungsgruppen, wie etwa Jung-Wählende (für diese spezielle Wählergruppe liegen bereits zahlreiche Untersuchungen vor: vgl. z. B. Bergh 2013; Johann/Mayer 2017) oder Wählende mit Migrationshintergrund (vgl. Westle 2011).
Bei der überwiegenden Mehrheit der empirischen Beiträge handelt es sich um Querschnittstudien, da Längsschnittstudien infolge mangelnder Datenverfügbarkeit bzw. -vergleichbarkeit nur schwer realisierbar sind. Die wenigen Längsschnittstudien zeigen, dass politisches Wissen Schwankungen unterworfen ist und trotz einem allgemein höheren Bildungsniveau und immer umfassenderer Informationsmöglichkeiten über die Zeit hinweg nicht unbedingt steigt (vgl. z. B. Bathelt et al. 2016).
1.2 Forschungsfragen
Ziel dieser Studie ist die Erhebung der Wahlkompetenz von Studierenden (die Beschränkung auf die Wählergruppe der Studierenden erfolgt aus Gründen der Umsetzbarkeit) bei österreichischen Nationalratswahlen (diese entsprechen den deutschen Bundestagswahlen). Dabei wird mit einer strukturierten Befragung festgestellt, inwieweit Studierenden die Positionen von sechs Parteien im Hinblick auf zwölf der Wahlempfehlungsplattform „wahlkabine.at“ (diese ist mit dem deutschen Wahl-O-Mat vergleichbar) entnommene für Nationalratswahlen relevante politische Aussagen bekannt sind. Daraus ergibt sich folgende Forschungsfrage:
F1: Inwieweit verfügen Studierende über (Nationalrats)Wahlkompetenz?
Die Wahlkompetenz wird in Form von Fehlerquoten (s. vergleichbare Untersuchungen wie z. B. Bathelt et al. 2016) ermittelt, für deren Berechnung die Unterschiede zwischen der Einschätzung durch die Studierenden und der tatsächlichen Position verwendet werden. Dabei stellt – nach Wissen der Autoren – eine Wahlempfehlungsplattform als Datenbasis für die tatsächliche Parteiposition eine Novität dar.
Darüber hinaus wird der Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Faktoren und der Wahlkompetenz untersucht. So werden das Interesse der Studierenden an Politik und ihr Wahlverhalten (in Form der bisherigen Teilnahme an Wahlen) erhoben, um die Ergebnisse der Forschungsfrage 1 besser einschätzen zu können. Daraus resultieren zwei weitere Forschungsfragen:
F2: Beeinflusst das Interesse an Politik die Wahlkompetenz?
F3: Beeinflusst das bisherige Wahlverhalten die Wahlkompetenz?
Wenn jemand an Politik interessiert ist und auch regelmäßig wählt, so ist eine höhere Wahlkompetenz zu erwarten (vgl. z. B. Luskin 1990; Johann/Glantschnigg 2013). Zum anderen werden soziodemographische Merkmale der Befragten ermittelt, um einen möglichen Zusammenhang zum Ausmaß der Wahlkompetenz identifizieren zu können. Bei diesen Faktoren handelt es sich um: Art des Studiums, Geschlecht und Alter. Daraus ergibt sich die nächste Forschungsfrage:
F4: Beeinflussen soziodemographische Merkmale die Wahlkompetenz?
Es wird vermutet, dass Studierende der „Geisteswissenschaften“ (GEWI; zur Abgrenzung: vgl. Abschnitt 2.2), männliche und ältere Studierende eine höhere Wahlkompetenz aufweisen. Die Begründungen dafür lauten wie folgt: 1.) GEWI-Studierende sind durch ihr Studium eher mit der Thematik befasst (in Abhängigkeit vom konkreten Studium); 2.) Männer verfügen über ein höheres politisches Wissen als Frauen. Dies wurde in mehreren Studien festgestellt (vgl. z. B. Dow 2009; Fortin-Rittberger 2016); 3.) Wissen nimmt tendenziell mit dem Alter zu, was auch für die hier untersuchte Wahlkompetenz gelten sollte (in der Literatur finden sich zahlreiche Belege für zunehmende politische Kompetenz mit steigendem Alter (vgl. etwa Johann/Mayer 2017)).
In Abschnitt 2 wird zunächst die gewählte Vorgehensweise beschrieben, das verwendete Erhebungsinstrument sowie die Planung und Durchführung der Befragung vorgestellt. Ergänzend wird auf die der Wahlempfehlungsplattform „wahlkabine.at“ entnommene Position der betrachteten politischen Parteien eingegangen. Diese dient als Basis für die Ermittlung der Wahlkompetenz. Abschließend wird die Berechnung der herangezogenen Fehlerquoten erläutert. Die Ergebnisse der Untersuchung werden in Abschnitt 3 präsentiert und diskutiert, den Abschluss bildet ein Resümee (Abschnitt 4).
2 Vorgehensweise
2.1 Auswahl und Positionen der politischen Parteien
In einem ersten Schritt war zu klären, welche politischen Parteien in die Untersuchung einbezogen werden sollten. Ursprünglich sollten die bei der Datenerhebung im Frühjahr 2018 im österreichischen Nationalrat (dieser entspricht dem deutschen Bundestag) vertretenen Parteien sowie jene, die bei den vorangegangenen letzten vier Nationalratswahlen (2017, 2013, 2008 und 2006) permanent angetreten waren, berücksichtigt werden; letztere weil den Wählenden deren Position eher bekannt sein sollte, und diese auch auf „wahlkabine.at“ verfügbar war. Von den sieben in Erwägung gezogenen Parteien, ÖVP (Österreichische Volkspartei; 1945 gegründet), SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs; 1889 gegründet), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs; 1955 gegründet), Neos (Das Neue Österreich und Liberales Forum; 2012 gegründet), Jetzt (Jetzt – Liste Pilz; 2017 gegründet), Grüne (Die Grünen – Die Grüne Alternative; 1986 gegründet) und KPÖ (Kommunistische Partei Österreichs; 1918 gegründet), wurde Jetzt ausgeschlossen, da die Daten (Position) zu den Nationalratswahlen 2013, 2008 und 2006 fehlten und Bemühungen der Autoren um Ergänzung erfolglos blieben.
Aus insgesamt 104 Aussagen zur politischen Position, die auf der Wahlempfehlungsplattform „wahlkabine.at“ (zur Funktionsweise und Qualität solcher als „voting advice applications“ bezeichneten Anwendungen: vgl. z. B. Wagner/Ruusuvirta 2012) für die vier relevanten Nationalratswahlen enthalten waren, wurden 12 ausgewählt. Der Schwerpunkt lag auf jüngeren Aussagen (d. h. für die Nationalratswahl 2017) sowie auf solchen, die den als besonders wichtig erachteten Themenbereichen „Migration“ (mit den Gegenpolen „restriktiv“ und „liberal“; diesem Bereich werden die Aussagen 4, 5, 7, 8, 10 und 11 zugerechnet) bzw. „Wirtschaftsordnung“ (mit den Gegenpolen „Kommunismus“ und „Kapitalismus“; diesem Bereich werden die Aussagen 1, 2, 3, 6, 9 und 12 zugerechnet) zugeordnet werden konnten. In Tabelle 1 sind diese inklusive Parteipositionen aufgelistet, wobei diese wie in „wahlkabine.at“ jeweils aus zwei Elementen bestehen: Einerseits der Zustimmung (Zust.) zur Aussage („ja“ oder „nein“), andererseits der Bedeutung (Bed.) der Aussage für die jeweilige Partei („sehr wichtig“, „wichtig“ oder „weniger wichtig“). Bisher eingesetzte Methoden zur Erhebung der Parteienpositionen wären etwa Expertenbefragungen oder Inhaltsanalysen der Parteiprogramme (vgl. z. B. Benoit/Laver 2007).

Positionen der politischen Parteien (Datenquelle: „wahlkabine.at“).
Erläuterungen: Zust. bedeutet Zustimmung der Parteien zu den Aussagen; Bed. steht für die Bedeutung der Aussagen für die Parteien.
2.2 Erstellung eines Fragebogens
Alle weiteren für die Untersuchung benötigten Daten wurden anhand eines strukturierten Fragebogens erhoben, der im Zuge einer Lehrveranstaltung des Erstautors zum Thema „Projektmanagement“ ausgearbeitet wurde.[1] Dieser Fragebogen umfasste drei Fragenblöcke.
Gegenstand des ersten Teils waren soziodemographische Merkmale der Studierenden, für die ein potenzieller Zusammenhang mit der Wahlkompetenz untersucht wurde. Im Einzelnen wurden 1.) Art des Studiums (differenziert wurde zwischen Geisteswissenschaften im weiteren Sinn (GEWI) und Naturwissenschaften im weiteren Sinn (NAWI)), 2.) Geschlecht und 3.) Alter erhoben.
Der zweite Fragenblock umfasste drei Fragen zum politischen Interesse und Verhalten der Studierenden. Ersteres sollte anhand einer fünfstufigen Skala, die von „sehr groß“ über „groß“, „mittel“ und „gering“ bis zu „sehr gering“ reichte, angegeben werden. Die Fragen nach einer Teilnahme an der Nationalratswahl 2017 bzw. an der Bundespräsidentenwahl 2016 waren mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten.
Den Kern des Fragebogens bildete der dritte Part mit insgesamt 156 Fragen, anhand derer die Studierenden die Positionen der sechs Parteien in Form der Zustimmung zu und der Bedeutung von zwölf ausgewählten Aussagen (vgl. Tab. 1) einschätzen sollten. Die eingesetzte Skala war zur Vergleichbarkeit mit der von „wahlkabine.at“ identisch. Somit war bei der Zustimmung zwischen den Ausprägungen „ja“ und „nein“ und der Bedeutung zwischen den Ausprägungen „sehr wichtig“, „wichtig“ und „weniger wichtig“ zu wählen. Ergänzend sollten die Befragten anhand der Skala für jede Aussage angeben, welche Bedeutung diese für sie hat.
2.3 Planung und Durchführung der Befragung
Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollten sich auf die Studierenden öffentlicher Universitäten in Österreich beziehen. Da das aufgrund beschränkter Ressourcen nicht realisierbar war, konzentrierte man sich auf drei Grazer Universitäten, die als repräsentativ erachtet wurden. Dabei vertritt die Universität Graz den Typus der Volluniversitäten[2], die Technische Universität Graz den der Technischen Universitäten[3] und die Medizinische Universität Graz jenen der Medizinischen Universitäten[4]. Grundsätzlich sollte je Universität rund ein Prozent der Studierenden befragt werden. Dies entspricht insgesamt einer Anzahl von 605 Studierenden.
Durchgeführt wurde die Befragung im Zuge der bereits erwähnten Lehrveranstaltung des Erstautors im Mai 2018 von Studierenden der Betriebswirtschaft. Anhand des Fragebogens wurden die Studierenden mündlich befragt. Interview-Standorte waren die zentralen (Eingangs)Bereiche an den drei Universitäten, die zumindest theoretisch von allen Studierenden der Universitäten frequentiert werden konnten. Die Auswahl der interviewten Personen erfolgte zufällig. Die Interviews dauerten durchschnittlich 10 bis 15 Minuten. Insgesamt wurden die angestrebten Quoten mit 620 für die Auswertung heranziehbaren Fragebögen leicht überschritten.
2.4 Auswertung der erhobenen Daten
Die erhobenen Daten wurden unter Einsatz von Software (SPSS bzw. Python) ausgewertet. Der Schwerpunkt lag entsprechend der Forschungsfragen auf univariaten Auswertungen.
Die Wahlkompetenz der einzelnen befragten Personen wird in Form von drei Fehlerquoten, die für diese Untersuchung neu entwickelt wurden, ausgewiesen (vgl. Abbildung 1 samt Erläuterungen). Fehlerquote 1 bezieht sich auf die Korrektheit der Einschätzung, ob eine Partei einer bestimmten Aussage zustimmt oder nicht (zur Position der Parteien: vgl. Tabelle 1, Spalten „Zust(immung)“). Bei Fehlerquote 2 wird zusätzlich die Korrektheit der Einschätzung, welche Bedeutung diese Aussage für die einzelnen Parteien hat, berücksichtigt (Position der Parteien: vgl. Tabelle 1, Spalten „Bed(eutung)“). Bei Fehlerquote 3 wird die Korrektheit der Einschätzung laut Fehlerquote 1 mit der Bedeutung der Aussage für die befragte Person kombiniert.
Der vorgenommenen Untergliederung und der daraus resultierenden Berechnung von drei Fehlerquoten lag die Vermutung zugrunde, dass die Wahlkompetenz stark vom Detailierungsgrad der Fragestellung und von der Bedeutung der betrachteten Aussagen für die befragten Personen abhängig ist. Im Einzelnen wurde angenommen, dass die Wahlkompetenz mit zunehmendem Detailierungsgrad der Fragestellung (Fehlerquote 2) abnimmt, jedoch bei Berücksichtigung der Bedeutung der Aussagen für die Studierenden (Fehlerquote 3) zunimmt.

Beispielhafte Berechnung der Fehlerquoten 1–3.
Erläuterungen:
Schwarz = Parteiposition bezüglich Aussage x im Hinblick auf Zustimmung und Bedeutung (Datenbasis: „wahlkabine.at“)
Blau = Einschätzung der Parteiposition durch die befragte Person (Datenbasis: Befragung)
Rot = Bedeutung der Aussage x für die befragte Person (Datenbasis: Befragung).
Fehlerquote 1 zielt ausschließlich darauf ab, ob es bei der Zustimmung zu Aussage x (vgl. Abb. 1, oben) Unterschiede zwischen der tatsächlichen Parteiposition (schwarz) und deren Einschätzung seitens der befragten Person (blau) gibt; bei Fehlerquote 2 wird zusätzlich berücksichtigt, ob es entsprechende Unterschiede bei der Bedeutung der Aussage x für die Partei (vgl. Abbildung 1, Mitte) gibt. In Fehlerquote 3 fließt anstelle der Bedeutung der Aussage x für die Partei zusätzlich die Bedeutung dieser Aussage für die befragte Person (rot: vgl. Abb. 1, unten) ein.
Für die Berechnung von Fehlerquote 1 wurde zunächst bei jeder Fehleinschätzung, d. h. jedem Unterschied zwischen studentischer Einschätzung und tatsächlicher Parteiposition, ein Fehlerpunkt vergeben. Damit ergaben sich pro befragter Person maximal 72 Fehlerpunkte (6 Parteien x 12 Aussagen). Fehlerquote 1 wurde anschließend über das Verhältnis von tatsächlichen Fehlerpunkten zu maximal möglichen Fehlerpunkten ermittelt. Fehlerquote 1 wird in der Folge als individuelle Gesamtfehlerquote 1 bezeichnet. Die individuelle Gesamtfehlerquote 1 lässt sich in zwei Teilfehlerquoten unterteilen. Beschränkt man sich bei der Berechnung von Fehlerquote 1 auf eine Partei, lassen sich auf Basis von maximal 12 Fehlerpunkten (1 Partei x 12 Aussagen) sechs parteibezogene individuelle Teilfehlerquoten 1 ermitteln. Beschränkt man sich bei der Berechnung von Fehlerquote 1 auf eine Aussage, lassen sich auf Basis von maximal 6 Fehlerpunkten (6 Parteien x 1 Aussage) zwölf aussagebezogene individuelle Teilfehlerquoten 1 berechnen.
Bei der Berechnung von Fehlerquote 2 wurde zusätzlich zur Zustimmung die Bedeutung der Aussagen für die Parteien berücksichtigt. Dabei wurde zunächst für jede Aussage die tatsächliche Parteiposition im Hinblick auf Zustimmung und Bedeutung laut „wahlkabine.at“ in eine neue sechsstufige Skala transformiert (vgl. Abb. 2), wobei jeder möglichen Ausprägung (in der Abbildung durch schwarze Punkte repräsentiert) eine Nummer bzw. Punkteanzahl zwischen 1 und 6 zugeordnet wurde.

Berechnung der Fehlerquote 2.
Beispielsweise würde sich daher bei einer Zustimmung („ja“) zu einer bestimmten Aussage, aber einer geringen Bedeutung („weniger wichtig“) dieser Aussage aus Sicht der Partei (vgl. schwarze Positionen in Abb. 1) Ausprägung 4 ergeben (vgl. Abb. 2).
Die Einschätzung der Parteienpositionen seitens der Studierenden wurde nach der gleichen Methodik in die sechsstufige Skala transformiert. Gehen die Studierenden bei ihrer Einschätzung beispielsweise von einer Ablehnung („nein“), aber hohen Bedeutung („sehr wichtig“) der Aussage aus (vgl. blaue Positionen in Abb. 1), würde sich die Ausprägung 1 ergeben (vgl. Abb. 2).
Im nächsten Schritt wurde die Differenz in der Punkteanzahl zwischen Einschätzung und tatsächlicher Position, die maximal fünf betragen konnte, ermittelt. Basierend auf dem Beispiel von Abbildung 1 würde die Differenz, d. h. die Anzahl der Fehlerpunkte, 3 (Ausprägung 4 mit 4 Punkten minus Ausprägung 1 mit 1 Punkt) betragen.
Die maximale Anzahl an Fehlerpunkten ist damit von der tatsächlichen Parteiposition abhängig und kann bei der Aussage einer Partei zwischen 3 und 5 Fehlerpunkten (vgl. Abb. 2) liegen. Pro Person liegt die maximale Anzahl somit zwischen 216 und 360 Fehlerpunkten. (3 Fehlerpunkte x 12 Aussagen x 6 Parteien bzw. 5 Fehlerpunkte x 12 Aussagen x 6 Parteien).
Fehlerquote 2, die eine individuelle Gesamtfehlerquote repräsentiert, berechnet sich als Quotient aus tatsächlicher Anzahl an Fehlerpunkten und maximal möglicher Anzahl an Fehlerpunkten. Bei Zerlegung dieser Gesamtfehlerquote in Teilfehlerquoten sei auf die Ausführungen zu Fehlerquote 1 verwiesen.
Für die Berechnung von Fehlerquote 3 wurde zusätzlich zur Zustimmung die Bedeutung der Aussagen für die Studierenden wie folgt berücksichtigt: Stimmt die Einschätzung der Zustimmung durch die befragte Person nicht mit der tatsächlichen Partei-Zustimmung überein, wird der daraus resultierende Fehlerpunkt bei geringer/mittlerer/großer Bedeutung der Aussage für die befragte Person mit eins/zwei/drei multipliziert. So ergeben sich bei einer Diskrepanz der Zustimmung zu einer Aussage und einer großen Bedeutung derselben für die befragte Person (vgl. rote Position in Abb. 1) 3 Fehlerpunkte. Bei einer richtigen Einschätzung spielte die subjektive Bedeutung der Aussage keine Rolle, da sich aufgrund fehlender Diskrepanz null Fehlerpunkte ergeben.
Die maximale Anzahl an Fehlerpunkten pro befragter Person beträgt 216 Punkte (3 Fehlerpunkte x 12 Aussage x 6 Parteien). Fehlerquote 3 berechnet sich als Quotient aus tatsächlicher und maximal möglicher Anzahl an Fehlerpunkten und lässt sich ebenfalls in zwei Teilfehlerquoten zerlegen.
Bei allen im Ergebnisteil ausgewiesenen Fehlerquoten handelt es sich um durchschnittliche Gesamt- bzw. Teilfehlerquoten pro befragte Person. Das bedeutet, dass die Summe der individuellen Fehlerquoten durch die Anzahl der Befragten dividiert wurde.
3 Ergebnisse und Diskussion
3.1 Soziodemographische Merkmale, Interesse und Verhalten
Aus Tabelle 2 geht die Zusammensetzung der Stichprobe hervor. Von den 620 Befragten waren 217 GEWI-Studierende und 403 NAWI-Studierende. Mit 52,1 Prozent war die Mehrheit männlich, das Durchschnittsalter betrug 23,3 Jahre, knapp über 11 Prozent waren 27 Jahre und älter. Ein Interesse an Politik war nur bei 28,2 Prozent hoch, bei 32,6 Prozent gering oder sehr gering; Median und Modus lagen bei „mittel“. Höher als vermutet fiel die angegebene Teilnahme an der Nationalratswahl 2017 sowie der Bundespräsidentenwahl 2016 aus.

Soziodemographische Merkmale, Interesse und Verhalten.
3.2 Wahlkompetenz von Studierenden
Dieser Abschnitt ist der Beantwortung von Forschungsfrage 1 gewidmet, indem zunächst aggregiert und anschließend partei- und aussagebezogen dargelegt wird, inwieweit die befragten Studierenden über entsprechende Wahlkompetenz verfügen. Abbildung 3 gibt einen Überblick zu den aggregierten Ergebnissen. Bei der Einschätzung der Zustimmung der Parteien zu den zwölf relevanten Aussagen liegt die durchschnittliche Gesamtfehlerquote 1 bei etwas über einem Drittel; d. h. im Durchschnitt haben die Studierenden in 25 von 72 Fällen eine Fehleinschätzung vorgenommen. Dies wirkt auf den ersten Blick hoch, ist aber aus Sicht der Autoren auf die zum Teil recht spezifischen Aussagen und die Tatsache zurückzuführen, dass alle Befragten nicht nur die von ihnen favorisierten Parteien bzw. die ihnen wichtigen Aussagen, sondern alle sechs Parteien auf alle zwölf Aussagen hin einschätzen mussten.
Überraschenderweise führt die zusätzliche Berücksichtigung der Einschätzung der Bedeutung dieser Aussagen für die Parteien zu einer im Vergleich zur Fehlerquote 1 nur geringfügig höheren durchschnittlichen Gesamtfehlerquote 2. Insgesamt ergaben sich hier bei den 620 Befragten 66.638 von 182.244 möglichen Fehlerpunkten. Die durchschnittliche Gesamtfehlerquote 3, die Fehleinschätzungen bei der Zustimmung mit der Bedeutung der jeweiligen Aussage für die Befragten gewichtet, ist erheblich geringer als die Fehlerquoten 1 und 2. Denn die Studierenden haben in erster Linie die Parteipositionen jener Aussagen falsch eingeschätzt, die ihnen nicht so wichtig sind. Das kann als deutliches Indiz für ein zufriedenstellendes Correct Voting sowie eine entsprechende Informationskompetenz dieser Personengruppe interpretiert werden.
Untersuchungen zum politischen Wissen, die allerdings weniger Parteipositionen, sondern eher politisches Faktenwissen abgefragt haben, zeigen zum Teil deutlich höhere Fehlerquoten von bis zu 60 Prozent (vgl. Delli Carpini/Keeter 1996; Bathelt et al. 2016). Johann/Mayer (2017) haben in ihrer Studie das politische Wissen in die drei von Delli Carpini/Keeter (1996) vorgeschlagenen Bereiche unterteilt und beobachtet, dass die Fehlerquote bei Parteipositionen (21 %) erheblich niedriger war als beim politischen System (42 %) sowie den politischen Akteuren (38 %). Allerdings ist dieses Ergebnis nicht unmittelbar mit jenen laut Abbildung 3 vergleichbar, da diese 21 Prozent auf einer Fokussierung der Parteipositionen auf deren Links-Rechts-Einstufung basieren.

Wahlkompetenz – Gesamtergebnis.
Anhand von Tabelle 3 lässt sich die Wahlkompetenz im Hinblick auf die unterschiedlichen Parteien erkennen. Je geringer die parteibezogene durchschnittliche Teilfehlerquote, desto besser können die Befragten die Parteiposition einschätzen. Unabhängig von der Variante zur Berechnung dieser Fehlerquote nimmt die FPÖ den Spitzenplatz ein, wobei die Fehlerquote 3 sogar unter 20 Prozent liegt. Eine vergleichbar gute Quote wird nur noch von den Grünen erreicht. Im Mittelfeld liegen KPÖ und ÖVP, während die Positionen von SPÖ und Neos überdurchschnittlich vielen Befragten unbekannt waren. Während dies hinsichtlich der Neos noch mit ihrer kurzen Parteigeschichte erklärt werden kann, liegen die Gründe bei der SPÖ möglicherweise an intransparenten bzw. inkonsequenten Positionen.
Wahlkompetenz im Hinblick auf die betrachteten Parteien (parteibezogene durchschnittliche Teilfehlerquoten).
Partei | Fehlerquote 1 | Fehlerquote 2 | Fehlerquote 3 |
ÖVP | 36,6 % | 37,3 % | 25,3 % |
SPÖ | 41,6 % | 40,2 % | 29,1 % |
FPÖ | 25,4 % | 29,3 % | 18,7 % |
Neos | 43,9 % | 42,8 % | 31,0 % |
Grüne | 28,3 % | 33,1 % | 19,9 % |
KPÖ | 35,0 % | 38,1 % | 24,5 % |
Ist es demokratiepolitisch wünschenswert, dass die Wahlberechtigten die Parteipositionen möglichst gut kennen, muss das aus parteistrategischer Sicht nicht unbedingt von Vorteil sein. Wenn Wahlberechtigte Parteien falsch einschätzen und deshalb wählen, würde dies zulasten jener Partei erfolgen, die sie bei Kenntnis der wahren Position gewählt hätten. Interessant ist daher, ob Parteien solche Fehleinschätzungen tendenziell nutzen bzw. schaden. Dies könnte in einer Folgestudie untersucht werden.

Wahlkompetenz im Hinblick auf die betrachteten Aussagen (aussagebezogene durchschnittliche Teilfehlerquoten).
Tabelle 4 spiegelt die Fehlerquoten hinsichtlich der betrachteten Aussagen wider (aussagebezogene durchschnittliche Teilfehlerquoten). Bei Aussage 5 (uneingeschränkter Nachzug naher Familienangehöriger bei anerkannten Flüchtlingen) wird die Position der sechs betrachteten Parteien von den meisten richtig eingeschätzt. Nur geringfügig höher sind die Fehlerquoten bei den Aussagen 4 bzw. 9 (Beschränkung des Wahlrechts auf Bundesebene auf österreichische Staatsbürger bzw. höhere Besteuerung von Vermögen zur Armutsbekämpfung).
Am anderen Ende der Fehlerskala liegen Aussage 1 (bedingungsloses Grundeinkommen anstelle der Mindestsicherung (vgl. das deutsche Arbeitslosengeld II)) und Aussage 11 (Verschärfung der Kriterien für ein humanitäres Bleiberecht). Bei thematischen Zusammenhängen zwischen Aussagen mit hohen bzw. niedrigen Fehlerquoten lässt sich sagen, dass die zum Themenbereich „Migration“ tendenziell besser eingeschätzt wurden als jene zum Themenbereich „Wirtschaftsordnung“.
Überraschend hoch erscheinen die Fehlerquoten bei Aussage 3 (Erben bleiben weiterhin steuerfrei), obwohl das Thema häufig in den Medien zu finden war. Möglicherweise ist es für Studierende wenig interessant. Allerdings scheint die Relevanz kein Garant für geringe Fehlerquoten zu sein, wie die Aussage 6 zur Wiedereinführung von allgemeinen Studiengebühren erkennen lässt.
3.3 Einflüsse auf die Wahlkompetenz
In diesem Abschnitt wird analysiert, ob die erhobenen soziodemokratischen Merkmale inklusive politischem Interesse bzw. Verhalten die Wahlkompetenz beeinflussen. Somit wird nachfolgend auf die Forschungsfragen 2, 3 und 4 eingegangen.

Einflüsse auf die Wahlkompetenz.
Erläuterungen: Für jeden der sechs betrachteten Faktoren wird hinsichtlich jeder Ausprägung die durchschnittliche Gesamtfehlerquote 1, 2 bzw. 3 angegeben. Anhand der rechten Spalte (Korrelationskoeffizienten) lässt sich erkennen, in welchem Ausmaß die einzelnen Faktoren mit den drei Fehlerquoten korrelieren, und ob diese Korrelation jeweils signifikant ist (* bezeichnet dabei das 5 %-Signifikanzniveau, ** das 1 %-Signifikanzniveau). Zudem ist in der Tabelle jene Ausprägung jeden Faktors fett gedruckt, die das Ergebnis (am stärksten) positiv (im Sinne von geringeren Fehlerquoten) beeinflusst.
Tabelle 5 zeigt naheliegenderweise, dass ein vorhandenes Interesse an Politik am stärksten mit der Wahlkompetenz korreliert. Bei der Gesamtfehlerquote 1 konnten Studierende mit sehr hohem Interesse an Politik durchschnittlich 55 der 72 Einschätzungen richtig vornehmen, während dieser Wert für Studierende mit sehr geringem Politik-Interesse 42 betrug. Ein deutlicher Zusammenhang besteht auch zwischen Wahlkompetenz und Geschlecht, allerdings sind die Differenzen hier wesentlich geringer: Männliche Studierende konnten etwa bei der Gesamtfehlerquote 1 durchschnittlich 48 von 72 Einschätzungen richtig vornehmen, weibliche 45. Zu beachten ist, dass es einen signifikanten Zusammenhang zwischen Interesse an Politik und Geschlecht gibt. Das Interesse an Politik ist bei männlichen Studierenden höher. Man könnte daraus schließen, dass es hier durchaus noch Handlungsbedarf gibt, um Gleichstellung zwischen den Geschlechtern zu erreichen.
Auch das Alter beeinflusst das Politik-Interesse. Dieses ist bei älteren Studierenden höher als bei jüngeren. Darüber hinaus sind die Gesamtfehlerquoten 1, 2 und 3 geringer, sofern die Befragten an der Nationalratswahl 2017 bzw. der Bundespräsidentenwahl 2016 teilgenommen haben. Dies deckt sich mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen (vgl. z. B. Levendusky 2011). Hingegen existiert zwischen Wahlkompetenz und Studienart kein nennenswerter Zusammenhang.
4 Resümee
Zusammenfassend legt diese Studie Folgendes offen: Die befragten Studierenden weisen aus Sicht der Autoren eine zufriedenstellende Wahlkompetenz auf. Das lässt wiederum auf eine entsprechende Informationskompetenz schließen. Zielt man darauf ab, inwieweit die Studierenden richtig einschätzen können, ob die sechs Parteien zwölf ausgewählten Aussagen jeweils zustimmen oder nicht, beträgt die durchschnittliche Gesamtfehlerquote ca. 35 Prozent. Dieser Wert scheint isoliert betrachtet verbesserungswürdig, wird aber, so die detailliertere Analyse, stark davon beeinflusst, wie gut die einzelnen Parteien ihre Positionen kommunizieren und wie relevant die Aussagen für die Befragten sind. Auffällig ist das deutlich schlechtere Abschneiden der SPÖ, der Neos und bei Themen, die Studierende eher am Rande betreffen, wie die „Erbschaftssteuer“.
Erfreulich ist, dass die durchschnittliche Gesamtfehlerquote nur geringfügig steigt, wenn man mehr ins Detail geht, indem zusätzlich die Einschätzung der Bedeutung der Aussagen für die einzelnen Parteien durch die Studierenden berücksichtigt wird. Eine Verknüpfung der Einschätzung der Zustimmung mit der Bedeutung der Aussagen für die befragten Personen führt zu einer deutlichen Reduktion der durchschnittlichen Gesamtfehlerquote auf 24,7 Prozent. Die Befragten schätzen damit vor allem die Parteipositionen bei für sie weniger relevanten Aussagen falsch ein.
Die Ergebnisse sind insofern zu relativieren, da es sich bei den betrachteten zwölf Aussagen um eine recht kleine Themenauswahl gehandelt hat.
Die Zusammensetzung der Stichprobe wird für Studierende an öffentlichen Universitäten in Österreich als einigermaßen repräsentativ angesehen. So entspricht etwa die Geschlechterverteilung der Stichprobe weitgehend jener der Grundgesamtheit.
Erstaunlich ist, dass 32,6 Prozent der Studierenden angaben, nur geringes oder sogar sehr geringes Interesse an Politik zu haben. Die Gruppe mit hohem oder sehr hohem Interesse war mit 28,2 Prozent deutlich kleiner. Hier gibt es dringenden Handlungsbedarf; übt dieses Interesse doch einen signifikant positiven Einfluss auf die Wahlkompetenz aus. Ein Ansatzpunkt für eine Steigerung könnte eine stärkere Integration der politischen Bildung in die Lehrpläne höherer Schulen sein. Wichtig wäre dabei, alle drei Teilbereiche des politischen Wissens von Delli Carpini/Keeter (1996) zu berücksichtigen, also nicht nur das hier thematisierte Wissen zu Parteipositionen, sondern auch jenes über das politische System und die politischen Akteure.
Überraschend ist, dass trotz des geringen politischen Interesses mehr als 84 Prozent der Befragten an der Nationalratswahl 2017 bzw. der Bundespräsidentenwahl 2016 teilgenommen haben (Forschungsfrage 3). Möglicherweise sind diese Zahlen zu hoch, da Befragte dazu neigen, sozial erwünschtes Verhalten, hier die Teilnahme an Wahlen, anzugeben, auch wenn dieses nicht der Realität entspricht (vgl. z. B. Döring/Bortz 2016, 437ff.).
Die drei analysierten soziodemographischen Merkmale zeigen bei „Geschlecht“ und „Alter“ einen signifikanten Zusammenhang zur Wahlkompetenz: Männliche und ältere Studierende weisen – wie eingangs vermutet – eine höhere Wahlkompetenz auf als weibliche und jüngere Studierende. GEWI-Studierende verfügen wider Erwarten nur über eine (nicht signifikante) geringfügig niedrigere Wahlkompetenz als NAWI-Studierende. Eventuell könnte in einer Folgeuntersuchung erhoben werden, inwieweit politisches Wissen im Rahmen unterschiedlicher Studien vermittelt wird.
Abschließend sollen die Forschungsfragen nochmals komprimiert beantwortet werden:
F1: Die Studierenden verfügen über zufriedenstellende Wahlkompetenz.
F2: Je höher das Interesse an Politik, desto höher die Wahlkompetenz.
F3: Je häufiger die Teilnahme an Wahlen, desto höher die Wahlkompetenz.
F4: Männliche und ältere Studierende weisen eine höhere Wahlkompetenz auf, die Art des betriebenen Studiums hat keinen signifikanten Einfluss.
Über die Autoren

ao. Prof. DDr. Gerhard Reichmann ist seit 1997 an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz beschäftigt. Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte sind Evaluierung (Evaluierung von universitärer Forschung, Lehre und Verwaltung, Evaluierung im Gesundheitsbereich), Informationskompetenz und Informationsrecht (Datenschutzrecht, Urheberrecht und Plagiatsproblematik).

Dr. Klaus Ladner ist Betriebswirt und als Senior Lecturer am Institut für Statistik und Operations Research der Karl-Franzens-Universität Graz beschäftigt. In der Forschung beschäftigt er sich vor allem mit mathematischen und statistischen Fragestellungen.

Dr. Rostislav Staněk ist Informatiker sowie Technischer Mathematiker und als Universitätsassistent am Institut für Produktion und Logistik der Karl-Franzens-Universität Graz beschäftigt. Forschungsschwerpunkte sind die Kombinatorische Optimierung sowie anwendungsbezogene mathematische Fragestellungen.
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