Abstract
Ursprünglich diente die Kommasetzung vermutlich intonatorischen Zwecken. Im Laufe der Jahrhunderte ist das intonatorische Prinzip jedoch vom grammatischen bzw. syntaktischen abgelöst worden. Die aktuelle Kommasetzung lässt sich heutzutage fast ausnahmslos auf wenige syntaktische Bedingungen hinunterbrechen. Trotz dieser aus sprachwissenschaftlicher Sicht weitestgehend eindeutigen Verhältnisse, die sich in weiten Teilen auch auf die Norm niedergeschlagen haben, weist nicht nur der aktuelle Usus z. T. normwidrige Kommavarianten auf, die mit intonatorischen Faktoren in Verbindung gebracht werden können. Auch in aktuellen metasprachlichen Thematisierungen der Kommasetzung finden sich intonatorische Kriterien als Orientierungshilfen in der als kompliziert wahrgenommenen Kommasetzung. Der Beitrag zeigt auf, dass in dieser Relevantsetzung intonatorischer Kriterien, die oftmals mit syntaktischen Gegebenheiten konkurrieren, eine Tradition besteht, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Damit erweist sich die metasprachliche Debatte als weitaus stabiler und konservativer als die Kodifizierung der Kommasetzung, die sich seit dem 19. Jahrhundert deutlich von der Intonation emanzipiert hat. In diesem in der metasprachlichen Debatte konservierten Spannungsfeld zwischen Intonation und Syntax könnte ein zentraler Grund für die Entstehung und den Fortbestand von Zweifelsfällen der Kommasetzung liegen.
Verwendete Quellen
Adelung, Johann Christoph (1782): Umständliches Lehrgebäude der deutschen Sprache. Leipzig: Breitkopf.Search in Google Scholar
Amtliches Regelwerk (2018): Regeln und Wörterverzeichnis. Mannheim. https://www.rechtschreibrat.com/DOX/rfdr_Regeln_2016_redigiert_2018.pdf (letzter Zugriff 10. 01.2020). Search in Google Scholar
Berg, Kristian, Ursula Bredel, Nanna Fuhrhop & Niklas Schreiber (2020): Was determiniert das Vorfeldkomma? Untersuchungen zur Verteilung einer nicht-standardisierten Kommatierung. Linguistische Berichte 261, 87–118.Search in Google Scholar
Duden, Konrad (1876): Versuch einer Interpunktionslehre für den Schulgebrauch. Schleiz: Rosenthal.Search in Google Scholar
Dudenredaktion (1961): Die Rechtschreibung. Mannheim: Dudenverlag.Search in Google Scholar
Kirchhoff, Frank (2017): Von der Virgel zum Komma: die Entwicklung der Interpunktion im Deutschen. Heidelberg: Winter.Search in Google Scholar
Klein, Wolf Peter (2003): Sprachliche Zweifelsfälle als linguistischer Gegenstand. Zur Einführung in ein vergessenes Thema der Sprachwissenschaft. Linguistik Online 16 4/03, 5–33.Search in Google Scholar
Klein, Wolf Peter (2006): Vergebens oder vergeblich? Ein Analysemodell zur Untersuchung sprachlicher Zweifelsfälle. In Eva Breindl, Lutz Gunkel & Bruno Strecker (Hrsg.), Grammatische Untersuchungen. Analysen und Reflexionen, 581–599. Tübingen: Gunter Narr.Search in Google Scholar
Klein, Wolf Peter (2014): Gibt es einen Kodex für die Grammatik des Neuhochdeutschen und, wenn ja, wie viele? Oder: Ein Plädoyer für Sprachkodexforschung. In Albrecht Plewnia & Andreas Witt (Hrsg.), Sprachverfall? Dynamik – Wandel – Variation, 219–242. Berlin/Boston: De Gruyter.Search in Google Scholar
Langlotz, Miriam & Linda Stark (2019): Zweifelsfälle der Interpunktion. Zwischen Norm und Usus. In Renata Szczepaniak (Hrsg.), Zweifelsfälle: Definition, Erforschung, Implementierung, 211–248. Hildesheim, Zürich, New York: Olms.Search in Google Scholar
Masalon, Kevin (2014): Die deutsche Zeichensetzung gestern, heute -und morgen (?):eine korpusbasierte, diachrone Untersuchung der Interpunktion als Teil schriftsprachlichen Wandels im Spannungsfeld von Textpragmatik, System und Norm unter besonderer Berücksichtigung des Kommas. https://duepublico2.uni-due.de/servlets/MCRFileNodeServlet/duepublico_derivate_00036075/Dissertation_Masalon.pdf (letzter Zugriff 10. 01.2020).Search in Google Scholar
Mentrup, Wolfgang (1993): Wo liegt eigentlich der Fehler? Zur Rechtschreibung und zu ihren Hintergründen. Stuttgart: Klett.Search in Google Scholar
Müller, Hans-Georg (2016): Zur Divergenz von orthografischer Theorie und praktischer Anwendung in der Kommasetzung. Befunde, Ursachen und Ansätze zu ihrer Überwindung. In Ralph Olsen, Christiane Hochstadt & Simona Colombo-Scheffold (Hrsg.), Ohne Punkt und Komma –Beiträge zu Theorie, Empirie und Didaktik der Interpunktion, 236–262. Berlin: Rabenstück.Search in Google Scholar
Primus, Beatrice (1993): Sprachnorm und Sprachregularität: Das Komma im Deutschen. Deutsche Sprache 3, 244–263.Search in Google Scholar
Rinas, Karsten (2017): Theorie der Punkte und Striche: die Geschichte der deutschen Interpunktionslehre. Heidelberg: Winter.10.26881/sgg.2018.39.12Search in Google Scholar
Rössler, Paul (2016): Pragmatik der Interpunktion an einem Beispiel der Kommasetzung. In: Peter Ernst & Martina Werner (Hrsg.), Linguistische Pragmatik in historischen Bezügen, 273–284. Berlin, Boston: De Gruyter.10.1515/9783110353327-018Search in Google Scholar
Rössler, Paul (2017): Semantik, Rhetorik, Syntax. Nicht kodifizierte Kommasetzungsprinzipien nach Vorfeld. In Kristin George, Miriam Langlotz, Urania Milevski & Katharina Siedschlag (Hrsg.), Interpunktion im Spannungsfeld zwischen Norm und stilistischer Freiheit, 63–94. Frankfurt am Main: Peter Lang.Search in Google Scholar
© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston