Abstract
Real estate markets have been all but neglected by historical research. Following a workshop held in Bielefeld in September 2019, this volume seeks to contribute to a better understanding of their characteristics. The introduction starts out with a definition of some key concepts. It then summarizes the state of historical research and argues for a focus on the social and institutional embeddedness of real estate markets. The introduction also gives an outline of the individual papers and a brief summary of some overall findings.
Immobilien sind von zentraler ökonomischer und gesellschaftlicher Bedeutung. Dass sie über Märkte finanziert und gehandelt werden, hat enorme, nicht zuletzt in der Finanzkrise von 2007/08 zutage getretene Konsequenzen. In den eineinhalb Jahrzehnten seit dieser Krise sind Immobilienmärkte deshalb zu einem vielbeachteten Thema öffentlicher Debatten geworden. [1]
Die marktförmige Allokation von Immobilien ist allerdings ein vergleichsweise junges, in weiten Teilen der westlichen Welt erst seit dem 18. Jahrhundert zu beobachtendes Phänomen. Wie Märkte für Grund und Boden zustande kamen und welche Bedeutung sie entfalteten, ist dabei im Hinblick auf institutionelle Rahmenbedingungen wie beispielsweise den Abbau feudaler Bindungen gut bekannt. Auch das makroökonomische Gewicht von Immobilien und ihre Rolle für die Stabilität des Finanzsektors sind in den letzten Jahren vermehrt zum Gegenstand historischer Forschungen geworden. [2]
Die spezifische Funktionsweise von historischen Immobilienmärkten hat bisher hingegen nur wenig Aufmerksamkeit genossen. Der vorliegende Band möchte einen Beitrag dazu leisten, diese Forschungslücke anzugehen. Diese Einleitung betrachtet in einem ersten Schritt den Begriff der Immobilie und die Eigenheiten von Immobilienmärkten. Zweitens wird der Stand der historischen Forschung skizziert. Abschnitt drei präsentiert die methodischen und inhaltlichen Grundfragen des Bandes. Der vierte Abschnitt stellt die Beiträge des Heftes vor. Am Ende steht der Versuch eines vorläufigen Fazits.
1 Immobilien und Immobilienmärkte
Zunächst zum Begriff der Immobilie. In seinem allgemeinsten Sinne umfasst er jede Form des privaten, unter Marktbedingungen bewirtschafteten Eigentums an Grund und Boden. [3] Im Vordergrund steht dabei der Bezug auf dessen ökonomischen Wert und nicht, wie etwa beim Begriff der Wohnung, die Art der sozialen oder kulturellen Nutzung. [4] Im Kern ist mit der Immobilie also der Boden als Produktionsfaktor gemeint. Immobilien lassen sich aber auch als Investitions- oder als Konsumgüter betrachten. Der Begriff hat demnach eine große Spannbreite. Physisch gewendet, umfasst er zum Beispiel ländliche und städtische, bebaute und unbebaute Grundstücke sowie alle Arten von Gebäuden von der eigentümergenutzten Garage bis zum geleasten Fußballstadion. In diesem Sinne wird der Ausdruck im deutschsprachigen Raum seit dem frühen 18. Jahrhundert, das äquivalente englischsprachige real property beziehungsweise real estate seit der Mitte des 17. Jahrhunderts verwendet. [5] Ob sich hinter dieser ostentativen begrifflichen Kontinuität feinere Bedeutungsverschiebungen verbergen, wäre genauer zu untersuchen. Eine Begriffsgeschichte der Immobilie ist ein Desiderat der Forschung.
Immobilienmärkte sind in ökonomischer Perspektive zunächst nichts anderes als der virtuelle Ort des preisbildenden Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage nach Immobilien. [6] Die spezifischen Eigenschaften von Grund und Boden haben jedoch zur Folge, dass sich Immobilienmärkte in wesentlichen Punkten von anderen Märkten unterscheiden. Immobilien sind, wie der Name schon sagt, ortsgebunden und überaus heterogen; die Märkte für sie sind deshalb häufig stark lokalisiert, sehr intransparent und mit hohen Transaktionskosten verbunden. Das Gut ist darüber hinaus typischerweise sehr teuer, weshalb Fragen der Finanzierung eine zentrale Rolle für das Marktgeschehen spielen. Schließlich weisen Immobilien eine außerordentlich lange Herstellungsdauer auf, so dass Angebot und Nachfrage nur mit großer Verzögerung aufeinander reagieren können. [7]
Die Funktionsweise von Immobilienmärkten bedarf deshalb der separaten Analyse. In den Wirtschaftswissenschaften fällt sie der Immobilienwirtschaftslehre beziehungsweise der real estate economics zu. [8] Die Erkenntnisse dieser Teildisziplin finden jedoch nur selten ihren Weg zurück in die ökonomische Theoriebildung. Aus deren Blickwinkel erscheint sie als ein esoterisches Spezialgebiet und nicht als Lieferant von potentiell verallgemeinerbaren Überlegungen. [9] Eine solchermaßen randständige Bedeutung hat die Beschäftigung mit Immobilien auch in der Wirtschaftsgeschichte. Dies steht in starkem Kontrast zur enormen gesamtwirtschaftlichen Bedeutung des Feldes. Grund und Boden bildeten die zentrale ökonomische Ressource der Vormoderne, und gegenwärtig machen Immobilien etwa 70 Prozent der weltweiten Vermögenswerte aus – mit entsprechenden Konsequenzen auch für ihre finanzwirtschaftliche Bedeutung. [10]
Aus dem Befund einer Spannung zwischen dem realen Gewicht dieses Wirtschaftszweiges und seiner Marginalisierung in den Geistes- und Sozialwissenschaften erwächst die Herausforderung, einen angemessenen Umgang mit dem Thema zu entwickeln. Es ist die Ausgangsthese des vorliegenden Heftes, dass dies angesichts der Vielzahl der Friktionen, die für Immobilienmärkte typisch sind, nur dann gelingen kann, wenn sie nicht allein als Treffpunkt von Angebot und Nachfrage, sondern auch als „Arenen sozialen Handelns“ [11] begriffen und analysiert werden. Die hier versammelten Aufsätze tun dies in historischer Perspektive.
2 Forschungsstand
Es ist sicher keine Übertreibung, Immobilienmärkte als einen blinden Fleck der historischen Forschung zu bezeichnen. Jedoch hängt dieser Befund auch damit zusammen, dass der Begriff der Immobilie im oben skizzierten Sinne quer zur etablierten Arbeitsteilung des Faches liegt. Er aggregiert sehr heterogene Gegenstände zu einer Einheit und impliziert beispielsweise eine Gleichsetzung ländlicher und städtischer Verhältnisse, die üblicherweise von unterschiedlichen historischen Teildisziplinen bearbeitet werden.
Lässt man sich auf dieses Problem ein, so kann man drei Ansätze identifizieren, auf denen eine Geschichte der Immobilienmärkte aufbauen kann: erstens die aus der Agrargeschichte hervorgegangene Geschichte der ländlichen Bodenmärkte in der Vormoderne und der Sattelzeit; zweitens die Geschichte städtischer Wohnungsmärkte des 19. und 20. Jahrhunderts; und drittens die in jüngster Vergangenheit entstandene, insbesondere am Problem makroökonomischer Krisen interessierte und deshalb zumeist quantitativ arbeitende Wirtschaftsgeschichte und Soziologie von Immobilien- und Finanzmärkten.
Die Geschichte ländlicher Bodenmärkte in der Frühen Neuzeit hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten große Aufmerksamkeit genossen. Zwei eng miteinander zusammenhängende Probleme dominieren die neuere Forschung. Zum einen fragt sie mit Bezug auf das klassische, von Karl Polanyi in einprägsamer Weise formulierte Problem des Übergangs zur Marktgesellschaft [12] nach den institutionellen Rahmenbedingungen für die Entstehung von Bodenmärkten. Dabei spielt in der Regel die Herausbildung exklusiver property rights eine zentrale Rolle. Die jüngere Literatur datiert den Beginn dieses Prozesses auf einen sehr viel früheren Zeitpunkt als die ältere – für Oberitalien teilweise schon auf das Hoch- und Spätmittelalter –, betont jedoch die Notwendigkeit einer starken regionalen und sachlichen Differenzierung dieses Befundes. [13] Zum anderen untersucht sie intensiver als ältere Forschungen die konkreten Mechanismen der Bodenmärkte, d.h. insbesondere Landtransaktionen und Pachtverhältnisse. Auch hier fallen die Befunde gemischt aus. Zwar lassen sich solche ökonomischen Beziehungen ebenfalls schon zu frühen Zeitpunkten nachweisen, aber wirklich preisbildende Märkte resultierten daraus erst sehr viel später. In Westfalen etwa waren Landtransaktionen selbst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch stark von sozialen Netzwerken dominiert. [14]
Die zweite Grundlage einer Geschichte der Immobilienmärkte, die Geschichte der städtischen Wohnungsmärkte, setzt hingegen erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts und damit an einem Zeitpunkt an, zu dem preisbildende Märkte eindeutig dominierten. [15] Ihren Ursprung hat diese Forschungsrichtung in den zeitgenössischen, nicht zuletzt von Ökonomen geführten Debatten über die Wohnungsfrage. [16] Auch im 20. Jahrhundert war es vor allem die mit dem Wohnen verbundene sozialpolitische Problematik, die historische Forschungen inspirierte. Besonders nach 1945 ist die Beschäftigung mit Wohnungsmärkten dabei eher vernachlässigt worden. Stattdessen sind andere Aspekte des Themas in den Vordergrund gerückt. Das gilt erstens für die aus der Architekturgeschichte herrührende Städtebau- und Stadtplanungsgeschichte, die auch von der Stadtgeschichte aufgegriffen und wesentlich erweitert worden ist. [17] Zweitens hat in den 1970er und 1980er Jahren die Alltagsgeschichte eine wesentliche Rolle für die Erforschung des Wohnens gespielt. [18] Und drittens sind in den 1990er Jahren einige Arbeiten erschienen, die sich dem Thema aus einer politikgeschichtlichen Perspektive näherten. Sie berühren sich stellenweise mit den sozialwissenschaftlichen housing studies, die der vergleichenden Sozialstaatsforschung entstammen. [19]
Der Fokus auf den Aspekt der Wohnungspolitik ist insofern naheliegend, als der Wohnungsmarkt in den meisten westlichen Ländern – mit der nennenswerten, aber auch nur teilweisen Ausnahme der USA – seit 1914 so stark von staatlichen Interventionen gekennzeichnet war, dass man ihn ohne eine Berücksichtigung dieses Themas schlicht nicht verstehen kann. Das bedeutet freilich nicht, dass die Geschichte des Wohnungsmarktes in der Geschichte der Wohnungspolitik aufgeht, und noch weniger geht die Geschichte der Immobilienmärkte in der Geschichte ihrer staatlichen Regulierung auf.
Vor diesem Hintergrund ist seit der Finanzkrise von 2007/08, die ihren Ausgangspunkt bekanntlich im US-amerikanischen Immobilienmarkt hatte, [20] auch für das 19. und 20. Jahrhundert wieder ein verstärktes Interesse an der spezifisch ökonomischen Dimension von Grund und Boden festzustellen. Die aus diesem Kontext stammenden Arbeiten sind der dritte Forschungszweig, auf den sich eine Geschichte der Immobilienmärkte stützen kann. An erster Stelle sind hier quantitativ arbeitende Wirtschaftshistoriker*innen zu nennen. Sie haben die lange Zeit unterschätzte, aber offenkundig enorme makroökonomische Bedeutung des Immobiliensektors zum Anlass genommen, um historische Daten über die globale Hauspreisentwicklung seit dem späten 19. Jahrhundert und über das finanzwirtschaftliche Gewicht des Immobiliensektors zu sammeln und zu analysieren. [21] In ähnlicher Manier ist vor allem in der US-amerikanischen Forschung der Zusammenhang zwischen Immobilienmärkten und Wirtschaftskrisen in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. [22] Und schließlich ist auch in benachbarten Fächern wie der Soziologie und der Politikwissenschaft eine nennenswerte Literatur entstanden, die – häufig unter dem Rubrum der Finanzialisierung – ein breites Spektrum an Problemen von Immobilienmärkten und Immobilienfinanzierungen behandelt. Zumeist konzentriert sie sich dabei, ähnlich wie die spezifisch immobilienwirtschaftliche Literatur, auf den Zeitraum seit den 1990er, seltener seit den 1970er Jahren. [23] Nur einige wenige, dafür aber umso wertvollere Beiträge nehmen eine deutlich längerfristige Perspektive ein. [24]
Bei den Untersuchungen dieses dritten Zweiges handelt es sich insgesamt um außerordentlich wichtige und vielbeachtete Forschungen mit z.T. frappierenden Ergebnissen. Was sie allerdings – mit Ausnahme der zuletzt genannten Einzelfälle – nicht leisten, ist eine historisch angelegte Untersuchung der Institutionen, Akteure und Mechanismen von Immobilienmärkten. Auch zu deren Erforschung gibt es zwar einige Ansätze, die – um zunächst im Horizont der deutschen Forschung zu verbleiben – zum Beispiel den Wohnungsmarkt des Kaiserreiches [25] und insbesondere die Rolle der Terraingesellschaften, [26] bundesrepublikanische Wohnungsmärkte und Wohnungsunternehmen, [27] Immobilienkrisen und -spekulationen [28] oder Finanzierungsfragen in den Blick nehmen. [29] Aber ebenso auffällig sind die Lücken, die auf diesem Feld bestehen. So scheint es, um einige beispielhafte, wiederum den deutschen Fall betreffende Desiderata zu benennen, keine Geschichte der Bodenreformbewegung oder der Bodenbesteuerung, [30] keine historische Arbeit über den gewerblichen Immobiliensektor, nur eine einzige quellenbasierte Geschichte einer Hypothekenbank, [31] keine nennenswerten Untersuchungen der Geschichte von Maklerbüros und Maklerverbänden, keine Wissenschaftsgeschichte der Immobilienökonomie und auch keine Untersuchung der Umbrüche auf Wohnungs- und Immobilienmärkten nach dem Boom oder im Zuge der deutschen Vereinigung zu geben. [32] Als systematisches Forschungsfeld einer qualitativ ausgerichteten Wirtschaftsgeschichte existiert eine Geschichte der Immobilienmärkte bisher also nicht.
Über die Ursachen für diesen Umstand kann man nur spekulieren. Bereits erwähnt worden sind der geringe Stellenwert von Immobilienmärkten in den Wirtschaftswissenschaften und die Tatsache, dass ihr Gegenstand in den Geschichtswissenschaften traditionell von unterschiedlichen Teildisziplinen bearbeitet wird. Daneben spielt vermutlich auch die atomisierte Struktur der Immobilienbranche eine Rolle, weil kleine Unternehmen weniger Akten hinterlassen als große. Und schließlich dürfte das Fehlen starker Berufsbilder und Branchenverbände ein Faktor sein. Es hat jene historische Selbststilisierung von Akteuren der Immobilienwirtschaft verhindert, die etwa in den USA der 1980er Jahre als negativer Ausgangspunkt für den Versuch zur Etablierung einer akademischen Real Estate History gedient hat. [33]
Dieser Versuch war jedoch erfolglos. Die internationale Forschung ist deshalb insgesamt nicht wesentlich besser aufgestellt als die deutsche. So gibt es zwar zu Großbritannien Arbeiten zu Land- und Immobilienmärkten im frühen 19. Jahrhundert oder zur Geschichte des gewerblichen Immobiliensektors; [34] zu den USA einige neuere Publikationen, die zum Beispiel Märkte für Hypothekendarlehen oder den Beitrag privatwirtschaftlicher Akteure zum Phänomen der sozialen Segregation untersuchen; [35] und zu Frankreich eine bemerkenswerte Untersuchung des Pariser Immobilienmarktes im späten 19. Jahrhundert. [36] Deren Autorin hat zudem jüngst einen weitgespannten, eher stadt- als wirtschaftsgeschichtlich interessierten Überblick über Forschungen zur Globalgeschichte von Immobilien vorgelegt. Aber auch diese Skizze kommt zu dem Schluss, dass „capitalist private property in land and buildings – real estate – […] remains largely without a history.” [37]
3 Methodische und inhaltliche Anliegen
An dieser Stelle setzt das vorliegende Themenheft an. Es liefert Bausteine für eine historische Grundierung des wachsenden wissenschaftlichen Interesses an Immobilienmärkten. Dabei betrachten die hier versammelten Beiträge diese Märkte als historisch situierte Arenen sozialen Handelns. Sie fragen danach, welche Institutionen, Akteure, Praktiken und Wissensbestände für ihre Konstituierung wesentlich waren; welche Verschiebungen sich in diesen Hinsichten im Zeitverlauf ergaben; an welche Rahmenbedingungen diese Verschiebungen geknüpft waren und welche Folgen sie hatten.
Bei der Beantwortung dieser Fragen rückt das Heft die Eigenheiten dieser Märkte in den Mittelpunkt und geht von den Schwierigkeiten aus, die die marktförmige Allokation von Immobilien mit sich bringt. Ein besonderes Augenmerk liegt deshalb auf den eng verbundenen Problemen der Immobilienbewertung und der Immobilienfinanzierung. Sie stellen zentrale Aspekte der Kommodifizierung dieser Güter dar. Vor allem die Immobilienbewertung hat in der Entstehungsgeschichte des Heftes eine zentrale Rolle gespielt. Das Projekt, aus dem es hervorgegangen ist (Teilprojekt „Markt und Wert: Praktiken der Immobilienbewertung vom 18. bis zum 20. Jahrhundert“ im SFB 1288 „Praktiken des Vergleichens“), untersucht den historischen Wandel von Vergleichs- und Bewertungspraktiken auf Immobilienmärkten, die Akteure dieser Veränderungen und den Zusammenhang von Bewertungspraktiken mit Preisen und Markttransaktionen. Es greift dafür auf praxistheoretische Ansätze zurück [38] und verknüpft sie mit der wirtschaftssoziologischen Diskussion über das Phänomen des Marktes, wie sie unter anderem von Jens Beckert geprägt worden ist.
Markttransaktionen werden in dieser Perspektive prinzipiell als unwahrscheinliche Phänomene betrachtet, denen hohe Hürden entgegenstehen. [39] Immobilienmärkte können in besonderer Weise über die sozialen Handlungen Aufschluss geben, die zur Überwindung dieser Hürden nötig sind, weil diese aufgrund der Eigenschaften des gehandelten Gutes stärker expliziert werden müssen als auf anderen Märkten und mithin besser greifbar sind. Das mag auch eine besondere exemplarische Relevanz einer Geschichte der Immobilienmärkte für die Geschichte des Kapitalismus begründen. Es ist vielleicht kein Zufall, dass eine der populärsten Veranschaulichungen von Privateigentum und Märkten, das Brettspiel Monopoly, gerade auf den Immobilienmarkt rekurriert. [40]
Man muss die skizzierte, an die Marktsoziologie angelehnte methodischtheoretische Perspektive freilich nicht teilen, um die Frage nach den Institutionen, Praktiken und Akteuren auf historischen Immobilienmärkten angehen zu können. Viele der hier versammelten Beiträge bedienen sich anderer Zugänge. Was sie aber zusammenhält, ist – neben einem gemeinsamen Begriff von Immobilien – ein Fokus auf Fragen ihrer Bewertung, Finanzierung, Allokation (samt deren Verteilungswirkung) und Besteuerung, der aus der Berücksichtigung der Spezifika dieses Gutes resultiert.
4 Beiträge in diesem Heft
Die sieben Beiträge dieses Heftes verfolgen diese Fragen mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. Der zeitliche und geographische Fokus liegt dabei auf den deutschen Territorien im langen 19. Jahrhundert, mit einigen Seitenblicken auf Großbritannien und die USA sowie einem Ausblick auf das 20. Jahrhundert.
Im Mittelpunkt der ersten drei Aufsätze stehen Mechanismen von und Transaktionen auf ländlichen Bodenmärkten zwischen etwa der Mitte des 18. und dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Johannes Bracht und Friederike Scholten untersuchen den Pachtmarkt und die Preisbildung auf westfälischen Landgütern. Als Ausgangspunkt dient ihnen dabei die in der Forschung verbreitete, auf der Ricardianischen Rententheorie aufsattelnde These, dass Pachtverhältnisse Marktbeziehungen widerspiegeln und deshalb als Indikatoren für die Messung der landwirtschaftlichen Produktivität herangezogen werden können. Bracht und Scholten setzen dieser Auffassung die Überlegung entgegen, dass soziale Beziehungen wie etwa ein wohlwollender Paternalismus die Preisbildung beeinflusst haben könnten. Ihre empirische Untersuchung zeigt, dass die Pachtpreise im Zeitraum vor 1830 tatsächlich häufig unterhalb der Ricardianischen Rente lagen und insofern nicht als Maßstab für die Produktivitätsentwicklung dienen können. Die Ursache hierfür scheint aber weniger in paternalistischen Sozialbeziehungen gelegen zu haben als vielmehr in dem Umstand, dass in Zeiten geringer Nachfrage der Preisbildungsmechanismus versagt hat. Dies führte zu einer Situation, in der wichtige Nachfrager als Monopsonisten auftreten konnten.
Eine ähnliche Stoßrichtung verfolgt der zweite Aufsatz. Stephan Fasold widmet sich der Auktion als Mechanismus des Verkaufs von Grund und Boden im England des 19. Jahrhunderts. In weniger formalisierter Form als die moderne Auktionstheorie, aber in inhaltlich durchaus vergleichbarer Art und Weise versprachen sich zeitgenössische Akteure von diesem Modus der Transaktion eine höhere Publizität und eine effizientere Bewertung und Allokation der gehandelten Immobilien. In der Praxis bildeten die komplexen formellen und informellen Regeln des englischen Auktionswesens jedoch ein Einfallstor für die Manipulation von Preisen. Fasold argumentiert, dass dies die Anbieter von Landgütern begünstigt, die Nachfrager aber benachteiligt habe. Den erheblichen Bedeutungsgewinn, den Immobilienauktionen im Laufe des 19. Jahrhunderts verbuchen konnten, führt er folglich nicht auf die besondere Effizienz dieses Preisbildungsmechanismus, sondern auf die machtpolitisch begründete Fähigkeit von Landbesitzern zu seiner Durchsetzung zurück.
Kirsten Wandschneiders Beitrag fügt diesem Bild einer starken Verkoppelung des ländlichen Immobilienmarktes mit sozialen und institutionellen Gegebenheiten eine weitere Facette hinzu. Wandschneider untersucht die Folgen der Entstehung der Landschaften – neuartiger Bodenkreditinstitute – im Ostpreußen des 18. Jahrhunderts und fragt nach den Auswirkungen dieser dem Adel vorbehaltenen Einrichtungen auf die Verteilung des Grundbesitzes im 19. Jahrhundert. Dabei kann sie nachweisen, dass der Zugang zu den Krediten der Landschaften positiv mit dem Größenwachstum der kreditierten Güter korrelierte. Auch einen – schwächeren – bremsenden Effekt der Institute auf die Verbürgerlichung adligen Besitzes zeigt der Aufsatz auf. Die institutionelle Ausgestaltung des Kreditsystems hatte also erhebliche Auswirkungen auf die ökonomischen und sozialen Ergebnisse des ostpreußischen Bodenmarktes im 19. Jahrhundert.
Die nächsten drei Aufsätze übertragen die Frage nach der sozialen Konstituierung von Immobilienmärkten auf die städtische Szenerie in der Hochphase der Urbanisierung, also im letzten Drittel des 19. und im frühen 20. Jahrhundert. Friederike Sattler untersucht die Rolle der seit den 1860er Jahren in großer Zahl entstandenen Hypothekenbanken. Sie finanzierten mittels des von den Landschaften übernommenen Pfandbriefsystems die Expansion urbaner Räume und profilierten sich so als „Städtebauer der Neuzeit“. [41] Ihr starkes Wachstum und ihre unübersichtlichen Organisationsstrukturen führten jedoch zu einer Aufweichung der ursprünglich strengen Regeln der Darlehensvergabe. Die Folge waren unlautere Geschäftspraktiken, Immobilienkrisen und Unternehmenszusammenbrüche. Das Hypothekenbankgesetz von 1899 stellte das Pfandbriefsystem und damit die städtischen Immobilienmärkte des Kaiserreichs auf eine neue, stabilere Grundlage. Seine Nebenwirkung war jedoch die bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts reichende Abschottung der deutschen Hypothekenbanken vom westeuropäischen Markt.
Die Verwerfungen auf den Immobilienmärkten und die soziale Problematik der Wohnungsfrage forderten jedoch nicht nur die Hypothekenbanken, sondern auch die Wirtschaftswissenschaften des späten 19. Jahrhunderts heraus. Rudolf Eberstadt etwa nahm sie zum Anlass, um eine zeitgenössisch heftig kritisierte und in der Retrospektive meist eher belächelte Analyse der städtischen Grundstücksspekulation zu formulieren. Wie Felix Schroeter zeigt, geht deren Bedeutung jedoch über den Horizont immobilienwirtschaftlicher Fragestellungen hinaus. Eberstadt entwickelte aus diesen eine allgemeine Theorie der Spekulation, die grundlegende Fragen des Verhältnisses von Markt und Wert thematisierte. Ihr zufolge eröffneten die institutionellen Rahmenbedingungen des Kaiserreiches Kapitalbesitzern die Möglichkeit, Renten nicht nur spekulativ zu antizipieren, sondern sie mittels ihrer Kontrolle über die Mechanismen der Wertbestimmung selbst zu erschaffen und ihre Erwirtschaftung den Konsument*innen aufzubürden. Eberstadts Auffassung von der Asymmetrie und Manipulierbarkeit der Institutionen der Bewertung stand in fundamentalem Gegensatz zum Diktum der Neutralität des Marktes, das die Mehrheit der zeitgenössischen Ökonomen favorisierte.
Seine Analyse ist unter anderem von der Bodenreformbewegung aufgegriffen worden. Anna Grotegut analysiert deren auch gegenwärtig wieder diskutiertes Projekt einer Besteuerung des Bodenwertzuwachses. Sie sollte die von vermeintlichen oder tatsächlichen Spekulanten erzielten Bodenrenten abschöpfen und so einen Beitrag zur Entschärfung der städtischen Wohnungsfrage leisten. Tatsächlich ist eine solche Steuer 1911 reichsweit eingeführt, aber nur zwei Jahre später wieder abgeschafft worden. Wie Grotegut erläutert, lagen die Ursachen für diesen Fehlschlag weniger im ausbleibenden Steuerungseffekt der sogenannten Reichswertzuwachssteuer. Vielmehr war diese von Beginn an nicht als bodenreformerisches Projekt, sondern als Mittel zur Erhöhung des Steueraufkommens im Kontext der Aufrüstung des Reiches konzipiert worden. Als das Steuersystem 1913 einen grundlegenden Umbau erfuhr und die allgemeine Vermögenszuwachssteuer eingeführt wurde, war die – ohnehin mit großen Erhebungsschwierigkeiten behaftete – Bodenwertzuwachssteuer aus fiskalischer Sicht überflüssig geworden. Eine Beeinflussung des Bodenmarktes über die Besteuerung ist in der Folgezeit zwar immer wieder eingefordert, aber zumindest in Deutschland nie wieder versucht worden.
Den Abschluss des Bandes bildet ein Ausblick auf die langfristige Entwicklung der Immobilienfinanzierung von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Sebastian Kohl untersucht in seinem Beitrag den säkularen Wandel der Wohnungsbauinvestitionen privater Versicherungen aus Deutschland und den USA. Der bekannten These des „Great Mortgaging“, [42] also der weithin für die wachsende Instabilität des Finanzsystems verantwortlich gemachten Zunahme des langfristigen Kreditgeschäfts privater Geschäftsbanken, setzt er die These eines „Great De-Mortgaging“ der Bilanzen des Versicherungsgewerbes entgegen. So fiel der Anteil des Hypothekarkredits am Portfolio dieser Anlegergruppe von um die 90 Prozent im 19. auf unter fünf Prozent am Beginn des 21. Jahrhunderts. Während die Versicherungen ihre Investitionen zunehmend in Pensionsfonds umschichteten und damit deren Finanzialisierung stark beschleunigten, wirkten sie auf die Finanzialisierung der Wohnungsmärkte eher bremsend. Ursprünglich einmal sehr prominente deutsch-amerikanische Unterschiede im Risikoprofil der Investitionen in den Wohnungsbau und in der Art der bevorzugten Immobilien schliffen sich dabei insbesondere im Zeitraum seit dem Zweiten Weltkrieg deutlich ab.
5 Fazit
Der explorative Charakter der hier versammelten Überlegungen erlaubt es kaum, an dieser Stelle empirisch abgesicherte Schlussfolgerungen zu ziehen. Der Fokus der Beiträge auf das 19. Jahrhundert und die in etwa gleichgewichtige Betrachtung ländlicher und städtischer Immobilienmärkte eröffnen aber immerhin die Chance, zumindest tentativ nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Kommodifizierung von Grund und Boden am Übergang von einer ländlich zu einer städtisch geprägten Immobilienwirtschaft zu fragen. Dieses Problem ist in der bisherigen Literatur aufgrund der völlig unterschiedlichen makroökonomischen Relevanz dieser beiden Teilmärkte unbeachtet geblieben.
Wenn sich aus den vorliegenden Beiträgen jedoch eine Gesamtthese ergibt, dann wohl diejenige, dass der synchrone Blick auf die Mechanismen und Institutionen ländlicher und städtischer Immobilienmärkte ein hohes Maß an Kontinuitäten und Gemeinsamkeiten erahnen lässt. Am Übergang von nicht preisbildenden zu preisbildenden Bodenmärkten scheint es zwar – naheliegenderweise – eine deutliche Veränderung von Bewertungs-, Finanzierungs- und Allokationsmechanismen gegeben zu haben. Doch dieser Übergang war nicht gleichbedeutend mit dem Übergang von der Dominanz ländlicher zur Dominanz städtischer Immobilienmärkte. An der zuletzt genannten Schwelle lässt sich wohl eher von einem Erhalt alter und einer zwiebelschalenartigen Anlagerung neuer Marktmechanismen sprechen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Finanzierung über Pfandbriefe in Preußen beziehungsweise Deutschland. Sie war sowohl für den ländlichen Bodenmarkt der zweiten Hälfte des 18. als auch für den städtischen Immobilienmarkt des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts von konstitutiver Bedeutung. Zudem scheint es auch eine Kontinuität der Verteilungseffekte von ländlichen und städtischen Immobilienmärkten gegeben zu haben. Im späten 18. wie im frühen 20. Jahrhundert begünstigten sie offenbar tendenziell – allerdings in Abhängigkeit von der konkreten Marktsituation – die Anbieter von Grund und Boden gegenüber den Nachfragern. Die hier präsentierten Befunde legen jedoch die Vermutung nahe, dass dies kein Ergebnis unveränderlicher Eigenschaften von Immobilienmärkten, sondern eine Folge der konkreten Ausgestaltung ihrer Bewertungs-, Finanzierungs- und Allokationsmechanismen und somit grundsätzlich veränderbar war.
Man mag in diesen Überlegungen auch eine Botschaft für die gegenwärtigen Debatten über den Immobiliensektor erkennen. Es sei jedoch betont, dass sie nur sehr vorläufiger Natur sind und einer genaueren Überprüfung bedürfen. Zudem erscheint es wünschenswert, weitere und weiter gespannte Forschungen zu unternehmen, also zum Beispiel zusätzliche Praktiken oder Akteursgruppen wie etwa die hier kaum in den Blick genommenen Makler oder privaten developers zu analysieren. Darüber hinaus wäre es dringend nötig, stärker über den Tellerrand der deutschen Entwicklung hinauszublicken, als das hier geschehen kann. Wenn die präsentierten Beiträge einen Anstoß zu solchen weiteren Erkundungen geben, haben sie ihr Ziel erreicht.
About the author
Peter Kramper
hat in Mainz, Freiburg und London Neuere und Neueste Geschichte, Politikwissenschaft, Philosophie und Wirtschaftsgeschichte studiert. 1999 MSc Economic History, London School of Economics; 2006 Promotion zum Dr. phil., Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; 2016 Habilitation ebenda. Nach beruflichen Stationen in Freiburg, London und München ist er seit 2016 Professor für Allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bielefeld. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte des Wohnungs- und Städtebaus, der Messung, Standardisierung und Normung sowie der Industrialisierung und des Kapitalismus.
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