Abstract
Der Aufsatz geht von der Hypothese aus, dass die Veränderungen im ästhetischen Bewusstsein nur in ihrer vollen Bedeutung begriffen werden können, wenn sie als spezifische Symptome einer übergreifenden Veränderung des Kapitalismus begriffen werden und vor dem Hintergrund der Transformationen der kapitalistischen Produktionsweise im 20. Jahrhundert analysiert werden. Unter Produktionsweise versteht man nicht nur eine bestimmte ökonomische Konfiguration, sondern ein Zusammenwirken verschiedener Lebensformen, eine Konstellation mit sozialen, anthropologischen, ästhetischen und ethischen Komponenten. Im Mittelpunkt der Analyse steht die Frage nach dem Status des Kunstwerks und des künstlerischen Tuns im Zeitalter des Postfordismus, d. h. in einer Zeit, in der die kognitive Arbeit hegemonisch ist.
Unser Zeitalter ist das des general intellect.[1] Wir leben in einer Zeit, in der die kognitive Arbeit hegemonisch ist.[2] Damit ist nicht gemeint, dass die kognitive Arbeit hegemonisch im Sinne der Quantität geworden ist, sondern dass jede Form der Arbeit (inklusive die nicht-kognitive) unter die Kontrolle der kognitiven Arbeit gekommen ist. Man sollte nicht den Begriff der kognitiven Arbeit mit dem der immateriellen Arbeit durcheinanderbringen, weil die Notion der Immaterialität zu unklar und ungenau ist, um die heutigen Produktionsverhältnisse und Arbeitsformen zu beschreiben. Die Produktion kann auch noch materiell sein, indem sie materielle Gegenstände herstellt, dennoch wird sie durch kognitive Prozesse generiert. Der Hinweis auf die kognitive Arbeit erlaubt das Verständnis der materiellen und immateriellen Dimensionen der Produktionsprozesse.
Wenn hier die Rede von der Produktion innerhalb kapitalistischer Verhältnisse ist, geht es nicht darum, zum traditionellen Bereich des Ökonomischen zurückzukehren, sondern darum, zu zeigen, wie im Zeitalter des Postfordismus (d. h. des general intellect) das Ökonomische nicht mehr vom Politischen und vom Ästhetischen getrennt werden kann. Unter Produktionsweise versteht man nicht nur eine bestimmte ökonomische Konfiguration, sondern ein Zusammenwirken verschiedener Lebensformen, eine Konstellation mit sozialen, anthropologischen, ästhetischen und ethischen Komponenten.
Die Veränderungen im ästhetischen Bewusstsein können nur in ihrer vollen Bedeutung begriffen werden, wenn sie als spezifische Symptome einer übergreifenden Veränderung des Kapitalismus begriffen werden und vor dem Hintergrund der Transformationen der kapitalistischen Produktionsweise im 20. Jahrhundert analysiert werden. Aber man könnte auch sagen, dass eine Analyse, die sich auf die Veränderung der Kunst und des künstlerischen Tuns konzentriert, dazu dient, die Transformationen der kapitalistischen Produktionsweisen ans Licht zu bringen. Im folgenden Text werden beide Seiten der Frage berücksichtigt.
Beginnen wir mit einigen Bemerkungen über den Status des Kunstwerks. Für die Griechen stellte die Kunst einen Modus der Wahrheit dar. Das Kunstwerk war ein Hervorbringen. Hervorbringen heißt hier, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Die Wahrheit ans Licht zu bringen ist ein Ereignis, ein Geschehnis. „Im Werk ist das Geschehnis der Wahrheit am Werk“ – so schreibt Heidegger (1997b, S. 45) in seiner Abhandlung „Der Ursprung des Kunstwerkes“ aus den Jahren 1935-1936.
So verstanden, bestand die Kunst in keinem praktischen, willentlichen Prozess, weil sie einfach einen Modus der Wahrheit darstellt. Mit Wahrheit ist hier der griechische Begriff a-letheia gemeint: Wahrheit als Entbergung. Im Hinblick auf die Griechen soll man die zentrale Erfahrung der Kunst als poiesis verstehen, d. h. als Produktion in die Anwesenheit, das heißt das Faktum, dass etwas vom Nichtsein ins Sein, aus der Verborgenheit ins volle Licht des Werks tritt. Das wesentliche Merkmal der poiesis besteht nicht darin, dass es sich dabei um einen praktischen, willentlichen Prozess handelt, sondern darin, dass sie als Entbergung interpretiert werden soll. Das Ins-Werk-Setzen der Wahrheit ist kein Ergebnis eines Tuns, keine Tätigkeit eines menschlichen Machens: Es ist eher das Wesen der Kunst. Das Ins-Werk-Setzen der Wahrheit ist das Wesen der Kunst. Für das griechische Denken beruht das Wesen der Kunst wie auch das Wesen des Wissens in der aletheia, in der Entbergung des Seienden. Das Kunstwerk eröffnet das Sein des Seienden. Die Kunst ist das Sich-ins-Werk-Setzen der Wahrheit.
Heidegger übersieht nicht, dass das Werkhafte des Werkes „in seinem Geschaffensein durch den Künstler“ besteht. Er schreibt: „Das Geschaffensein des Werkes lässt sich aber offenbar nur aus dem Vorgang des Schaffens begreifen. So müssen wir unter dem Zwang dieses Sachverhaltes anfangen, auf die Tätigkeit des Künstlers einzugehen, um den Ursprung des Kunstwerks zu treffen. Der Versuch, das Werksein des Werkes rein aus diesem selbst zu bestimmen, erweist sich als undurchführbar“ (ebd.).
Wir können sagen, dass sich die Wahrheit durch den Künstler, d. h. durch das Subjekt offenbart, obwohl sie kein Resultat eines Tuns oder eines willentlichen Prozesses des Subjekts ist. Die Wahrheit erweist sich durch ein Subjekt; ihre Offenbarung ist nur möglich durch ein subjektives Moment, aber sie ist kein Ergebnis eines Tuns des Subjektes.
Man könnte sagen, dass das Werk für die Griechen wichtig ist, insofern in ihm etwas aus dem Nichtsein ins Sein tritt, so dass eine Welt errichtet wird. Obwohl die Griechen mit demselben Wort τέχνη Handwerk und Kunst benennen, bedeutet τέχνη weder Handwerk noch Kunst und vollends nicht das Technische im heutigen Sinne. τέχνη „meint überhaupt niemals eine Art von praktischer Leistung. Das Wort τέχνη nennt vielmehr eine Weise des Wissens. [...] Das Wesen des Wissens beruht für das griechische Denken in der ἀλήθεια “ (ebd., S. 46f.). Für die Griechen ist das Kunstwerk nicht das Ergebnis eines Tuns, nie die Tätigkeit eines Machens. Das Kunstwerk ist eine Hervorbringung, die die Wahrheit ans Licht bringt. Damit zeigt Heidegger, dass das Geschaffensein wesentlich zum Werk gehört und dass das Tun des Künstlers vom Wesen des Schaffens bestimmt wird und nicht vom Handwerklichen her erfahren wird.
Die Griechen trafen eine sehr klare Unterscheidung zwischen poiesis und praxis, zwischen Produzieren im Sinne von ins Sein bringen und Tun im Sinne von Tätigsein. Während die zentrale Idee der poiesis die Produktion in die Anwesenheit ist, steht im Zentrum des Begriffes der Praxis die Idee des Willens, der sich jeweils unmittelbar in einer Handlung ausdrückt (s. Agamben 2012).
Der Eintritt der Kunst in die ästhetische Dimension ist deshalb nur dann möglich, wenn die Kunst selbst bereits die Sphäre der Produktion, der poiesis, verlassen hat und in die der praxis hinübergewechselt ist. Hier lösen sich zwei verschiedene philosophische Denkkategorien ab: die ästhetische Dimension, als moderne Dimension, sollte nicht mit dem griechischen poietischen Bereich verwechselt werden. Die moderne ästhetische Disposition beginnt in dem Moment, in dem die Kunst aufhört, Hervorbringung zu sein und zur Praxis oder Tätigkeit wird, die ihre Erfüllung in sich selbst findet. In der Evolution des okzidentalen Denkens ist das Kunstwerk aus der Sphäre der poiesis in jene der praxis hinübergewechselt und hat seinen Status im Rahmen einer Metaphysik des Willens, das heißt des Lebens und seiner Kreativität, gefunden (ebd., S. 97). In unserer Zeit wird die produktive Tätigkeit des Menschen als Praxis verstanden. Alles, was der Mensch tut, ist Praxis, Ausdruck des Willens. Aber wie erwähnt wurde in anderen historischen Epochen das menschliche „Tun“ auch ganz anders verstanden.
Agamben bemerkt, dass in der abendländischen Tradition die Unterscheidung innerhalb des Bereiches des „Tuns“ zunehmend verwischt. „Was die Griechen als poiesis dachten, wurde von den Römern als ein Modus des Handelns (agere), als ein Etwas-ins-Werk-Setzen, ein operari verstanden. [...] Damit tritt an die Stelle der grundlegenden Erfahrung der poiesis [...] nun die Frage des „Wie“, also die Frage nach dem Prozess, durch welchen ein Objekt hergestellt wurde. Was das Kunstwerk betrifft, heißt dies, dass der Akzent sich von dem, was für die Griechen das Wesen des Werks ausmachte, [...] auf das operari des Künstlers verschob, das heißt auf das kreative Genie und auf die besonderen Eigenschaften des künstlerischen Prozesses, in welchem dieses zum Ausdruck kommt“ (ebd., S. 93f.).
In der neuzeitlichen Geschichte ist die Welt zum Bild und der Mensch zum Subjectum geworden. Das ist der Grundvorgang der Neuzeit, wie er von Heidegger in seiner 1938 publizierten Schrift Die Zeit des Weltbildes beschrieben wird (Heidegger 1997a, S. 92). Die Neuzeit ist die Zeit der Repräsentation.
Aber dieses moderne Regime der Kunst oder dieses neuzeitliche Zeitalter der Repräsentation haben wir schon seit jeher abgelegt oder sind auf dem besten Weg, es hinter uns zu lassen. Wenn das Wort keine Quelle von Missverständnissen wäre, könnten wir sagen, dass wir die Moderne hinter uns gelassen haben und in eine undefinierte Post-Moderne hinübergewechselt sind. In diesem Durchgang und bei dieser Verschiebung entstehen Figuren des Übergangs, die auch Krisenfiguren sind. Die Verschiebung von einem Paradigma zu einem anderen bringt das Unbehagen in der Ästhetik mit sich. Das Unbehagen offenbart sich als Gefühl einer Nicht-Koinzidenz, einer Dischronie mit der eigenen Zeit. Ein „nicht mehr“, aber auch ein „noch nicht“: Das Unbehagen ist Erfahrung des dazwischen. Es präsentiert Ähnlichkeiten mit der von Agamben gegebenen Definition der Zeitgenossenschaft: „Zeitgenossenschaft ist also ein spezielles Verhältnis zur Gegenwart: Man gehört ihr an, hält jedoch gleichzeitig Abstand zu ihr; genauer gesagt ist sie jenes Verhältnis zur Zeit, in dem man ihr durch eine Phasenverschiebung, durch einen Anachronismus angehört“ (Agamben 2011, S. 23).
In den von Heidegger (und auch teilweise von Agamben) entwickelten Analysen werden die ästhetischen Verschiebungen anhand einer epochalen Geschichte des Seins analysiert. Aber solche Transformationen können auch auf der Grundlage der Veränderung der kapitalistischen Produktionsweise interpretiert werden.
Die Analysen des italienischen Philosophen Paolo Virno gehen in diese Richtung, wenn er die Transformationen der kapitalistischen Produktionsweise mit Rückgriff auf die Konzepte von praxis und poieisis analysiert. Seine Überlegungen erläutern die aktuellen Produktionsweisen und beschreiben die Transformation der Natur der Arbeit im Zeitalter des Postfordismus.[3]
Virno bezieht sich auf die klassische aristotelische Aufteilung der menschlichen Erfahrung in drei grundlegende Bereiche, die der Arbeit, dem politischen Handeln und dem Intellekt entsprechen. Gemäß dieser alten Tradition kann der Raum der menschlichen Tätigkeit in drei feste und definierte Teile gegliedert werden – Arbeit, Politik und Intellekt, d. h. poiesis, Praxis und Theorie. Das ist es, was die Tradition uns lehrt. Aber darauf können wir nicht mehr bauen, wenn wir nicht gegen diese Tradition angehen.
En passant ist hier anzumerken, dass Virno keine Unterscheidung zwischen der Arbeit und der poiesis einführt. Er identifiziert Arbeit einfach mit poiesis. Dass sich die Griechen mit der Arbeit als Grundmodus des menschlichen Handelns neben der poiesis und der praxis nicht theoretisch auseinandersetzten, weil sie die Arbeit der nackten biologischen Existenz zuschrieben, ist für Virno kein Thema. Aber lassen wir diese Kritik beiseite und reflektieren die Argumentation in seiner Analyse.
Virno versteht die Beziehung zwischen poiesis und praxis, die Aristoteles in der Nikomachischen Ethik beschreibt, als Unterscheidung zwischen Arbeit (die in seiner Analyse der poiesis entspricht) und politischem Handeln (das in seinen Überlegungen der praxis entspricht). Die Arbeit als poiesis ist Produktion, Herausbringen. Wenn ein Objekt produziert wird, spricht man von Arbeit. Der Arbeit gehören hier einige Merkmale, die sie als einen repetitiven Prozess oder als einen Automatismus verstehen lassen. Im Gegensatz dazu hat das politische Handeln mit den sozialen Verhältnissen, mit dem Möglichen und dem Unvorhersehbaren zu tun. Die politische Handlung ist Praxis, die auf die sozialen Verhältnisse einwirkt. Noch ein Merkmal unterscheidet die Arbeit vom politischen Handeln. Während das politische Handeln seinen Zweck in sich selbst hat, soll man die Arbeit als eine Tätigkeit verstehen, die ein Produkt, ein Objekt, einen Gegenstand herstellt.
Laut Virno sind die gewohnten Grenzen zwischen Intellekt, Arbeit und Handlung zusammengebrochen, überall zeigen sich Zeichen der Unterwanderung und Überbrückung. Virno erklärt, dass die klassische Aufteilung zwischen Arbeit und Politik von Hannah Arendt in The Human Condition (Vita activa oder vom tätigen Leben) wieder aufgenommen wurde. Aber Hannah Arendt geht einen Schritt weiter in Richtung einer Analyse der Gegenwart, und zwar mit der Pointe, dass die Gegenwart die Grenzen zwischen Arbeit und Politik aufhebe. Ihre These lautet, dass die Politik im 20. Jahrhundert begonnen habe, die Arbeit zu imitieren.
Virno hingegen bemerkt, dass, auch wenn Hannah Arendt einen Schritt weiter geht, sie sich täuscht, weil sie die Beziehung zwischen Arbeit und Politik umkehrt. Im Gegensatz zu Arendt legt Virno dar, dass sich nicht die Politik der Arbeit angepasst habe, sondern die Arbeit die traditionellen Eigenschaften des politischen Handelns angenommen habe.
Unter Politik sei die allgemein menschliche Erfahrung zu verstehen, das heißt das politische Handeln in seiner klassischen Bedeutung, welches die Interaktion oder die Kommunikation, die sich zwischen den Individuen abspielt, voraussetzt. Oder wie Virno betont: Politik bedeutet, sich den Blicken der Anderen auszusetzen. Wenn die Arbeit die traditionellen Eigenschaften des politischen Handelns angenommen hat, dann verschwindet die alte Dreiteilung zwischen poiesis, praxis und Intellekt. Die Arbeit ist nicht mehr der repetitive Prozess, der sich als ein Automatismus wiederholt. „Im Postfordismus verlangt die Arbeit nach einem ‚Raum, der wie die Öffentlichkeit strukturiert ist‘, und ähnelt einer virtuosen Darbietung (ohne Werk). Dieser Raum heißt bei Marx ‚Kooperation‘ “(Virno 2005, S. 71).
Die Arbeit existiert nur in der Form der sozialen Verhältnisse, der Kooperation und des transversalen Netzes. Darüber hinaus wird sie zur intellektuellen Arbeit. Hier wird die klassische Aufteilung aufgelöst, in dem Moment, in dem die Arbeit die Eigenschaften der Politik und der Theorie angenommen hat.
Um diese Verschiebung oder Änderung zu erklären, bezieht sich Virno auf den Begriff der Virtuosität. Unter diesem Begriff versteht er die besonderen Fähigkeiten eines ausführenden Künstlers oder einer Künstlerin. Die Virtuosen verrichten eine Tätigkeit, die ihre Erfüllung, ihren Zweck in sich selbst findet, ohne sich in einem fertigen Produkt zu sedimentieren, das heißt in einem Gegenstand, der über die Ausführung hinaus existiert. Tätigkeit ohne Werk, könnte man sagen. In zweiter Linie handelt es sich um eine Tätigkeit, die die Anwesenheit anderer voraussetzt und nur im Angesicht eines Publikums existiert (ebd., S. 66). Mit diesem Begriff von Virtuosität kennzeichnet Virno den „virtuosen“ Charakter der heutigen kapitalistischen Produktionsweise, in der die produktive Arbeit in ihrer Gesamtheit sich die besonderen Wesenszüge der künstlerischen, darstellenden Tätigkeit zu eigen gemacht hat. Das politische Handeln ist in sich virtuos. Wo es ein Werk, ein selbständiges Produkt gibt, dort hat man es mit „Arbeit“ und nicht mehr mit Virtuosität zu tun.
Marx fragte sich, wie die Arbeit ohne Werk produktiv sein kann. Die Antwort darauf besteht darin, zu zeigen, dass sich die produktive Arbeit in ihrer Gesamtheit die besonderen Wesenszüge der künstlerischen, darstellenden Tätigkeit zu eigen gemacht hat (vgl. Nigro 2015, S. 19-26). Die These Virnos erläutert die aktuellen Produktionsweisen und beschreibt die Transformation der Natur der Arbeit im Zeitalter des Postfordismus, wie er es nennt (vgl. Marazzi 2010). Was lehrt uns diese These?
Sie zeigt, dass die Kooperation das Fundament, die Prämisse und das Epizentrum jeder poiesis, jeder Produktion als Hervorbringung ist. Man sollte hier unter Produktion auch die Bildung des Subjekts innerhalb transindividueller Strukturen verstehen (vgl. Balibar/Morfino 2014). Der Intellekt, das Gemeinsame, die Kooperation werden die wichtigsten Produktivkräfte. Es gibt hier keinen Raum mehr für eine Metaphysik des Willens und des Künstler-Genies. Die Frage richtet sich nun auf die Genese oder die Bildung des Subjekts innerhalb transindividueller Strukturen und auf die Produktion als Ergebnis der Kräfte des general intellect. Die Idee des gründenden Subjekts hat sich zum Verständnis eines konstituierten Subjekts hin verschoben (vgl. Balibar 2011, S. 87-126; Descombes 2013, S. 88-171).
Diese Analysen bringen wichtige Implikationen mit sich. Schon die Analyse als Geschichte des Seins hat gezeigt, dass Kunst nicht mehr ihren Status im Rahmen einer Metaphysik des Willens findet. Ausgehend von den Analysen von Virno können wir aber auch sagen, dass Kunst ihren Status im Rahmen von Dispositiven und Wahrheitsregimen findet.[4] Paradoxerweise würde die Frage nach dem Ursprung des Kunstwerkes in der Post-Moderne auf die griechische Konzeption der Produktion als Hervorbringung zurückkommen. Diese Rückkehr involviert aber auch einen großen Unterschied, weil es in der Post-Moderne nicht mehr darum geht, die Wahrheit als Entbergung zu interpretieren, sondern sie als Wahrsprechen zu verstehen. Man sollte darunter verstehen, dass die Wahrheit sich weder auf Gerechtigkeit noch auf Notwendigkeit gründet, und dass die Rede damit auf die Nicht-Notwendigkeit jedweder Wahrheit verweist. Die Nicht-Notwendigkeit jedweder Wahrheit hat nichts mit der Idee des Relativismus jeder Form der Wahrheit zu tun. Es geht dabei nicht darum, Wahrheit als veränderlich oder das Subjekt als relativ zu denken (Foucault 2014, S. 115-117).
Die Frage ist hier also, unter welchen (sozialen und politischen) Bedingungen das Wahre in der Geschichte formuliert wird und zur Sprache kommt. Oder auch, unter welchen (sozialen und politischen) Bedingungen besondere Praktiken und Tätigkeiten zur Kunst kommen. Es ist die Frage nach der Wahrheit als Pflicht, Zwang, Verbindung und Politik: Es geht also um die Frage, wie sich Subjektivität (und, wenn man so will, die künstlerische Subjektivität) historisch durch Wahrheitspflichten konstituiert.
Wenn es um die Produktion der Subjektivität geht, wird die Frage nach der Subjektivität schon unter einem besonderen Blickwinkel interpretiert. Die zeitgenössischen Diskussionen um die Frage nach dem Subjekt haben zu einem Verständnis der Subjektivität als plural und polyphon geführt. Wenn es um die Konstituiertheit der Subjektivität geht, dann nicht, um zu den traditionellen binären Bestimmungssystemen (materieller Unterbau – ideologischer Überbau) zurückzukehren. So betont Félix Guattari (2014, S. 7): „Die verschiedenen semiotischen Register, die dazu beitragen, Subjektivität hervorzubringen, unterhalten keine bindenden, ein für alle Mal fixierten hierarchischen Beziehungen. […] Die Subjektivität kennt keine dominante Bestimmungsinstanz, die die anderen Instanzen gemäß einer univoken Kausalität führt.“ Mit der Frage nach der Produktion der Subjektivität sucht Guattari nach neuen Wegen, die in einem postmassenmedialen Zeitalter über die etablierten unterwerfenden Subjektivierungsregime hinausgehen können. Im Mittelpunkt seiner Analyse steht die Frage nach den Produktionsweisen, oder, anders gesagt, die Frage nach den Produktionsweisen kann ausgehend von seinen Überlegungen nicht von der Frage nach der Subjektivität gelöst werden. Er versteht die Produktionsweisen als transversale Dimensionen, die maschinische Komponenten enthalten, wie semiotische Produktionen der Massenmedien, der Informatik usw., signifikante semiologische Komponenten und asignifikante semiologische Komponenten.[5]
Die Analyse von Guattari ist wichtig, weil sie die traditionelle Aufteilung zwischen Ästhetik, Ökonomie und Politik hinter sich lässt und die Suche nach einem neuen ästhetischen Paradigma postuliert. In seinem Buch Chaosmose insistiert Guattari unter anderem auf das neue ästhetische Paradigma. Er bemerkt, dass das ästhetische Empfindungsvermögen auf dem besten Weg sei, „innerhalb der kollektiven Enunziationsgefüge unserer Epoche eine privilegierte Position einzunehmen“ (Guattari 2014, S. 129). Hier liegt ein erweitertes Verständnis von Ästhetik zugrunde. Vielmehr ist das neue ästhetische Paradigma auch ein ethisches Paradigma, das auf neuen Formen der Produktion von Subjektivität beruht, ein „ethisch-ästhetisches Paradigma“. Guattaris letztes Buch beginnt mit einer intensiven Untersuchung der Frage, wie Subjektivität produziert wird. Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist die lange Geschichte der klassischen Opposition von individuellem Subjekt und Gesellschaft – und auch die Geschichte der Überwindung dieser Opposition. Seine Analyse soll im Zusammenhang mit einer langen Reihe von Analysen, die im Laufe der Jahre oder der Jahrhunderte die Figuren einer Metaphysik des Willens und der Theorie des Subjekts dekonstruiert haben, zusammengestellt werden.
Anhand der neuen Definition der Subjektivität als plural und polyphon müssen wir annehmen, dass das Geschaffensein des Werkes nicht mehr unter dem Zwang der Tätigkeit des Künstlers (als Ausdruck seines Willens) steht, sondern dass es sich offenbar nur aus dem Vorgang eines (ästhetischen) Dispositivs begreifen lässt. Darüber hinaus, wenn der general intellect als der Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint, dann sind die Produktivkräfte unter die Kontrolle eines Dispositivs geraten, welches heterogene Elemente, Praktiken, Wissen und Erkenntnis versammelt.
Das Dispositiv setzt heterogene Elemente und Praktiken in Beziehung. Es ist ein Netz von Beziehungen und als solches ermöglicht es Erfahrungsfelder. Das Dispositiv verbindet verschiedene Aspekte und Praktiken miteinander, es ist ein heterogenes Ensemble, das Gesagtes ebenso wie Ungesagtes umfasst. Ein Dispositiv bestimmt das, was wir in einem historischen Machtgefüge sehen und sagen können. Es hat aber nichts mit dem Zeitgeist einer Epoche zu tun. Es ist vielmehr die Art und Weise, wie sich Dinge, Praktiken, Beziehungen usw. in der Zeit und durch die Zeit ergeben und versammeln. Ein Dispositiv vermittelt sich nicht nur in Diskursen, sondern auch in Institutionen, in architektonischen Einrichtungen, Gesetzen, wissenschaftlichen Aussagen, philosophischen oder moralischen Lehrsätzen. Der Begriff des Dispositivs erlaubt das Hervorbringen zu denken, ohne Hinweis auf eine anthropologische Dimension der Produktion. Die Kräfte des Ästhetischen, die Kräfte des Sinnlichen sind nicht mehr in einer menschlichen Dimension als vielmehr in maschinischen oder virtuellen Zusammensetzungen verankert. Das Dispositiv ermöglicht die Entstehung der Kräfte, ihren Einbruch auf die Bühne. Das Dispositiv ist immer in ein Machtfeld eingeschrieben, immer an Wissensgrenzen gebunden; Wissensgrenzen, die von ihm stammen und es gleichzeitig festsetzten. Es ist ein Ensemble von Strategien und Beziehungen, das Wissensformen bedingt und von Wissensformen bedingt wird.
Das Geschaffensein des Kunstwerkes als Hervorbringen liegt beim Dispositiv.
Aber das Dispositiv erklärt noch nicht die besondere Lage der Subjektivität. Es erklärt das Ins-Werk-Setzen des Kunstwerkes. Es offenbart, dass das Kunstwerk auf kontingenten Praktiken, Macht- und Wissensdispositionen beruht. Dass seine Offenbarung nur durch ein Subjekt möglich ist (wie wir im Hinblick auf die Griechen gezeigt haben), heißt einfach, dass das Dispositiv die Entstehung einer unterworfenen Subjektivität mit sich bringt. Unterworfene Subjektivität sollte hier nicht mit unterdrückender oder verdrängter Subjektivität vermischt werden. Die Idee der Unterwerfung muss von derjenigen der Unterdrückung oder der Verdrängung differenziert werden. Während die Unterdrückung ein Wesen des Subjekts voraussetzt, welches verdrängt wird, postuliert der Begriff von Unterwerfung die Idee einer Konstitution oder Bildung der Subjektivität, die sich parallel zur Unterwerfung verhält.
Das Leben und die Zeit von Individuen werden beschlagnahmt und zur Arbeit gezwungen. Unterwerfung und Disziplinierung, die Transformation von Menschen in produktive Subjekte oder in Arbeitskraft, impliziert den Zwang zur Arbeit.[6]
Aber wenn die Arbeit die Eigenschaften des politischen Handelns und des Intellekts angenommen hat (wie wir im Hinblick auf die Analysen von Virno gezeigt haben), wenn die Arbeit zur intellektuellen oder kognitiven Arbeit geworden ist, dann nimmt die Nötigung zur Arbeit eine besondere Form an. Die Arbeit stellt sich als Kooperation, Austausch, Sprache, Affekt dar. Sie besteht in diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken, in Wissensformen und Erkenntnissen, in Kooperation. Die Subjektivität muss an dieses Netz angepasst werden. Subjektivität bildet sich durch ihre Beziehung mit diesen diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken heraus. Es sind diese Verhältnisse, die sie konstituieren und transformieren. Das Subjekt interagiert ständig mit Praktiken, Wissen, Erkenntnissen, Wahrheiten oder Diskursen: Es muss sich ihnen unterwerfen, sich ihnen beugen. Es ist nicht nur, dass alle semiotischen und maschinellen Komponenten, die eine Gesellschaft charakterisieren, das Subjekt durchqueren: Vielmehr prägen sie es. Sie werden in ihm eingeschrieben. Sie sind Teile der Subjektivität. Die Subjektivität besteht aus diesen Komponenten. Sich dem Wahrheitsregime zu beugen, ist die Voraussetzung für die Reproduktion des Wahrheitsregimes. Die unterworfene Subjektivität ist der Grundpfeiler der Reproduktion des Macht-Wissens des Dispositivs, des Wahrheitsregimes sowie auch des ganzen Systems oder Regimes der Kunst.
Hier selbstverständlich taucht eine besondere Konzeption der Subjektivität auf.
Subjekt sein heißt „unterworfen sein“ nicht im Sinne einer Unterwerfung unter eine ihm äußerliche Ordnung in einem reinen Herrschaftsverhältnis, sondern im Sinne einer Einschreibung von Individuen in ein homogenes und kontinuierliches normatives Dispositiv. Subjekt wird hier in seinen wörtlichen Bedeutungen verstanden als logisch-grammatikalisches subjectum einerseits und als juristisches, politisches und theologisches subjectus andererseits. In den beiden im Begriff Subjekt zusammengeführten Bedeutungen wird der Doppelsinn des Subjekt-Seins deutlich: Subjekt zu sein heißt, gleichzeitig seine eigene Führung zu übernehmen und von den anderen geführt zu werden. Der Begriff vereint in sich die Selbstregierung und die Regierung der anderen.
Unterwerfung/Subjektivierung: Nur in dieser Doppeltheit ist die volle Bedeutung des Begriffs Unterwerfung (assujettissement) zu begreifen. Der Begriff umfasst nicht nur die Dimension der Herrschaft oder der Abhängigkeit, sondern will auch die Dimension der Konstitution oder der Bildung des Subjekts ans Licht bringen. Unterwerfung also bedeutet nicht nur Herrschaft, sondern auch die Bildung und die Konstitution von Subjekten. Unterwerfung stellt die Art und Weise dar, wie Menschen zu Subjekten gemacht werden. Der Mensch ist ein Effekt einer je vorhergehenden Unterwerfung. Er ist Effekt einer politischen Anatomie und kann nicht unabhängig von den Prozeduren, die ihn generiert haben, gedacht werden.
In der Geschichte des Kapitalismus nimmt Unterwerfung eine bestimmte Form an: Sie transformiert Menschen in produktive Subjekte oder, anders gesagt, sie konstituiert sie als Arbeitskraft.[7] Das Subjekt wird damit zu einem geteilten: Auf der einen Seite ist es Herr seiner Arbeitskraft, auf der anderen kann diese Kraft von ihm getrennt werden. Der disziplinäre Zwang ermöglicht die Verbindung zwischen der Zunahme von Herrschaft auf der einen, der Steigerung der Arbeitskraft und der Arbeitsfähigkeit auf der anderen Seite. Marx erklärt diesen Prozess, indem er zwischen Arbeit und Arbeitskraft unterscheidet; die Logik der Ausbeutung beruht auf der Trennung von Kraft und Arbeitsprodukt.
Im Zeitalter des general intellect erscheint die Arbeit in ihrem Doppelcharakter: Sie ist miserable Grundlage und Quelle des Reichtums. Die Arbeitskraft selbst erscheint in ihrem Doppelcharakter: Sie ist Ware und Subjekt gleichzeitig. Dieser antagonistische Doppelcharakter ist das Hauptmerkmal des Zeitalters des general intellect. Der Kapitalismus, der als Produktionsverhältnis zu verstehen ist, reduziert ständig die produktive Kraft zur Ware. Die Arbeitskraft kommt unter die Kontrolle der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und erscheint nur als absolutes Elend, unterworfene Subjektivität. Auf der anderen Seite ruft das Kapital alle Mächte der Wissenschaft und der Natur wie der gesellschaftlichen Kombination und des gesellschaftlichen Verkehrs ins Leben, um die Schöpfung des Reichtums zu entwickeln. Das bedeutet, dass das Kapital ständig die Produktion der Subjektivität fördern muss, weil sie der Grundpfeiler der Schöpfung des Reichtums ist.
Im Zeitalter des general intellect existiert die produktive Kraft, d. h. die kognitive Arbeitskraft, in der Form der Subjektivität. Die Subjektivität regiert die produktive Kooperation. Deshalb wird der Kampf um die Produktion der Subjektivität die zentrale Frage der Produktion des Gemeinsamen heute (vgl. Hardt/Negri 2009).
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