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BY-NC-ND 4.0 license Open Access Published by De Gruyter March 14, 2017

Gesundheitskompetenz in der Schweiz: bestätigte Befunde - aber nicht so gut wie erwartet

Health literacy in Switzerland: confirmed findings, but not as good as expected
  • Beat Sottas EMAIL logo
From the journal Public Health Forum

Zusammenfassung

In einer repräsentativen Befragung (n=1.107 plus 505 MigrantInnen) wurde in der Schweiz die Gesundheitskompetenz betr. „Krankheitsbewältigung‟, „Krankheitsprävention‟ und „Gesundheitsförderung‟ analysiert. Eine von zehn Personen verfügt über eine ausgezeichnete Gesundheitskompetenz, bei einem Drittel ist sie ausreichend, bei fast der Hälfte aber problematisch und bei neun Prozent unzureichend. Das Ergebnis ist unerwartet schlecht: weit hinter den Niederlanden und Deutschland sowie auch hinter Irland, Polen und Griechenland.

Abstract

A representative survey (n=1107 plus 505 immigrants) focused on health literacy in respect of tackling health issues, prevention and health promotion. One out of 10 persons has a very good health literacy, one third is on a satisfactory level, almost half of the respondents have problematic deficits, and nine percent are insufficient. The result is much worse than expected – far behind the Netherlands and Germany, but also behind Ireland, Poland and Greece.

Gesundheitspolitischer Rahmen

Die Schweiz hat eines der teuersten Gesundheitssysteme. Im OECD-Vergleich 2013 rangiert sie in der Spitzengruppe mit rund 11% des BIP [1]. Das Finanzvolumen, die jährliche Steigerung von 4,5% sowie der Verwendungszweck gelten indessen als problematisch: Für 8 Mio. Einwohner werden über 80 Milliarden Euro ausgegeben. Mit 4.163,00 € pro Kopf liegen die Kosten deutlich über den Nachbarländern (3.550,00 € (D) bzw. 2.108,00 € (I) [2]). Das System ist auf Akutversorgung im stationären und ambulanten Bereich ausgerichtet. Rehabilitation und Langzeitversorgung sind teilweise gedeckt, Zahnmedizin ist nicht inbegriffen, nur marginal finanziert sind Prävention, Gesundheitsförderung, Patientenedukation und andere Ansätze, welche chronische Erkrankungen adressieren.

Gesundheitspolitisch verfolgt die Regierung mit der nationalen Strategie Gesundheit 2020 eine Mehrebenen-Strategie: durch „die Stärkung der Gesundheitskompetenz und der Selbstverantwortung der Bevölkerung“ sollen sich die Menschen „effizienter im Gesundheitssystem bewegen können, Krankheiten besser vorbeugen und mit ihrer Gesundheit sorgsamer umgehen können“ [3] sowie dadurch zur Kostendämpfung beitragen.

Um ein Gesamtbild der Gesundheitskompetenz zu erhalten, wurde 2015 die repräsentative „Erhebung Gesundheitskompetenz“ bei 1.107 Personen durchgeführt. Zusätzlich wurden 255 portugiesische und 250 türkische Migranten befragt [4]. Verwendet wurde der European Health Literacy Survey-Fragebogen mit 47 Einzelitems, so dass die Resultate mit den acht EU-Ländern Bulgarien, Spanien, Österreich, Deutschland, Griechenland, Polen, Irland, Niederlande verglichen werden können.

Ergebnis durchzogen, schlechter als erwartet

Analysiert wurde die Gesundheitskompetenz in den Bereichen „Krankheitsbewältigung‟, „Krankheitsprävention‟ und „Gesundheitsförderung‟. Dabei zeigt sich, dass die Schweizer Wohnbevölkerung vor allem im Bereich der Krankheitsprävention Schwierigkeiten hat, Informationen zu verstehen und zu beurteilen (s. Abbildung 1).

Abbildung 1: Gesundheitskompetenz der Schweizer Bevölkerung: eine von zehn Personen
						verfügt über eine ausgezeichnete Gesundheitskompetenz, bei
						etwas mehr als einem Drittel ist sie ausreichend, bei rund 45 Prozent aber
						problematisch und bei 9 Prozent unzureichend [5].
Abbildung 1:

Gesundheitskompetenz der Schweizer Bevölkerung: eine von zehn Personen verfügt über eine ausgezeichnete Gesundheitskompetenz, bei etwas mehr als einem Drittel ist sie ausreichend, bei rund 45 Prozent aber problematisch und bei 9 Prozent unzureichend [5].

Größere Probleme bestehen in der Schweiz vor allem rund um das Thema Impfungen: Seit Jahren polarisieren dogmatische Debatten über Masern-, Mumps und Rötelnimpfung sowie in geringerem Maße über die Grippe- und HPV-Impfung. Die schweizerischen Befragten haben mehr Schwierigkeiten als ihre europäischen Pendants zu beurteilen, welche Impfungen nötig sind (für 50% sehr oder ziemlich schwierig) oder zu verstehen, warum Impfungen nötig sind (für 32% schwierig) oder warum es sinnvoll ist, sich gegen Grippe impfen zu lassen (für 40% schwierig).

Unsicherheiten bestehen auch bei Vorsorgeuntersuchungen. Ähnlich wie den Befragten in den EU-Ländern fällt es eher schwer zu beurteilen, welches die Vor- und Nachteile sind und wann eine zweite Meinung eingeholt werden sollte. Geringer sind die Schwierigkeiten beim Befolgen von Anweisungen von Ärztinnen und Apothekern und bei Anleitungen zur Einnahme von Medikamenten. Generell fällt es leicht, Warnungen vor gesundheitsschädlichem Verhalten oder Informationen über gesundheitsfördernde Maßnahmen zu verstehen.

Bestätigte Annahmen

Wie erwartet, findet sich eine höhere Gesundheitskompetenz bei gut gebildeten und finanziell bessergestellten Personen. Und: je niedriger das Einkommen, desto geringer ist die Gesundheitskompetenz. Bestätigt wurde auch, dass sich Personen mit einer niedrigen Gesundheitskompetenz meist weniger gesund fühlen, häufiger ein länger andauerndes Gesundheitsproblem mit einer oder mehreren Krankheiten haben und öfters Spitalaufenthalte oder Notfalldienste benötigen – zudem sind sie mit höherer Wahrscheinlichkeit Raucher. Frauen weisen eine leicht höhere Gesundheitskompetenz auf als Männer. Der Migrationshintergrund ist nur sekundär von Belang.

Trotz der Übereinstimmung mit anderen Ländern gibt es einen Unterschied beim Sozialstatus. Die Befragten positionieren sich vergleichsweise hoch, aber ihre Antworten sind überdurchschnittlich oft mit einer niedrigeren Gesundheitskompetenz assoziiert, was nicht den Erwartungen entspricht. Die Analyse der Experten legt nahe, dass sich die Schweizer Befragten in einer insgesamt wenig stratifizierten Gesellschaft selber einen vergleichsweise hohen sozialen Status zuschreiben – höher jedenfalls als wenn er aus Einkommen und Bildung abgeleitet wird. „Sozialstatus scheint im Schweizer Kontext nicht dasselbe zu bedeuten wie in den EU-Ländern“, urteilen die beauftragten Experten [6].

Als Fazit lässt sich festhalten, dass in der Schweiz eine problematische Gesundheitskompetenz häufiger anzutreffen ist als in den meisten HLS-EU-Ländern. Geringe Gesundheitskompetenz ist assoziiert mit bescheidenen finanziellen Verhältnissen, sportlicher Inaktivität, niedrigem Bildungsniveau, Alter und teilweise auch Migrationshintergrund. Im Gegenzug ist für Menschen mit hoher Gesundheitskompetenz typisch, dass sie mehr Sport treiben, ihren Gesundheitszustand besser einschätzen können, weniger an chronischen Erkrankungen leiden und auch seltener ins Krankenhaus müssen.

Diskussion

Unerwartet, geradezu ernüchternd war das schlechte Abschneiden der Schweiz im Direktvergleich mit Ländern, die viel geringere Gesundheitskosten haben. Die Rangierung hinter Irland, Polen und Griechenland wirkt dabei viel schlimmer als der deutliche Abstand auf die Niederlande (25,1% ausgezeichnet bzw. 46,3% ausreichend) und Deutschland (19,6% ausgezeichnet bzw. 34,1% ausreichend). Die hohe Versorgungsdichte und die Leistungsfähigkeit des Schweizer Systems scheinen wenig zur Befähigung der Menschen beizutragen, im täglichen Leben Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die Gesundheit auswirken.


Korrespondenz: Dr. Beat Sottas, Careum Stiftung Zürich, Pestalozzistraße 3, CH-8032 Zürich

  1. Conflicts of interest: Alle Autoren tragen Verantwortung für den gesamten Inhalt dieses Artikels und haben der Einreichung des Manuskripts zugestimmt. Finanzierung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanzielle Förderung erhalten haben. Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass kein wirtschaftlicher oder persönlicher Interessenkonflikt vorliegt. Ethisches Statement: Für die Forschungsarbeit wurden weder von Menschen noch von Tieren Primärdaten erhoben.

  2. Conflicts of interest: All the authors have accepted responsibility for the entire content of this submitted manuscript and approved submission. Funding: Authors state no funding involved. Conflict of interest: Authors state no conflict of interest. Ethical statement: Primary data for human nor for animals were not collected for this research work.

Literatur

1. http://www.oecd.org/berlin/presse/Health-Statistics-Deutschland-Laendernotiz.pdf.Search in Google Scholar

2. Indikatoren «Gesundheit 2020», erste Auswertung 2016. http://www.bag.admin.ch/gesundheit2020/16066/index.html?lang=de (download 2.10.2016).Search in Google Scholar

3. http://www.bag.admin.ch/gesundheit2020/15523/index.html?lang=de (Zugriff am 3.10.2016).Search in Google Scholar

4. http://www.bag.admin.ch/themen/gesundheitspolitik/00388/02873/index.html?lang=de (Zugriff am 3.10.2016).Search in Google Scholar

5. Faktenblatt Gesundheitskompetenz http://www.bag.admin.ch/themen/gesundheitspolitik/00388/02873/index.html?lang=de (Zugriff 30.9.16).Search in Google Scholar

6. Bericht „Erhebung Gesundheitskompetenz 2015“ (download siehe [4]).Search in Google Scholar

Ergänzende Literatur

Kompetenzzentrum Patientenbildung (2016). Machtfaktor Patient: Gesundheit gemeinsam gestalten. Zürich: Careum Stiftung. Volltext.

http://www.careum.ch/patientenbildung

http://blog.careum.ch/.

Gesundheitskompetenz in der Schweiz – Stand und Perspektiven. Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (2015). Swiss Academies Reports 10 (4).

WHO-Regionalbüro für Europa (2016). Gesundheitskompetenz: Die Fakten. Hg. von I. Kickbusch, J. M. Pelikan, J. Haslbeck, F. Apfel, & A. D. Tsouros. Zürich: Kompetenzzentrum Patientenbildung, Careum Stiftung. Volltext.

Online erschienen: 2017-03-14
Erschienen im Druck: 2017-03-01

©2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 License.

Downloaded on 28.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/pubhef-2016-2147/html
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