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BY 4.0 license Open Access Published by De Gruyter March 6, 2021

Corona und die junge Generation: Ein sozialpsychologischer Blick

Corona and the young generation: a social psychological glance
  • Barbara Krahé EMAIL logo
From the journal Public Health Forum

Zusammenfassung

Die Corona-Pandemie trifft Jugendliche und junge Erwachsene hart. Zentrale Entwicklungsziele wie Autonomie, Mobilität und soziale Kontakte können nur sehr eingeschränkt befriedigt werden, gleichzeitig führt die entwicklungstypische Suche nach Anregung und Risiko sowie das Gefühl eigener Unverwundbarkeit zu einer Unterschätzung der Bedrohung durch die Pandemie. Trotzdem belegen Umfragen, dass sich entgegen der öffentlichen Meinung die Mehrzahl junger Menschen verantwortlich in der Krise verhält.

Abstract

Adolescents and young adults are hit hard by the Covid-19 pandemic. The pursuance of central developmental goals of autonomy, mobility, and social contacts is severely restricted. At the same time, the threat by the pandemic is underestimated due to sensation seeking and feelings of personal invulnerability that are typical of this developmental period. Despite this tension, surveys show that the majority of young people adjust their behavior to the crisis in a responsible way.

In der öffentlichen Diskussion um Ansteckungsrisiken mit Covid-19 werden junge Menschen vielfach pauschal als Gefahrenquelle für die unkontrollierte Verbreitung des Virus gesehen. Medial vermittelte Bilder von feiernden, ausgelassenen Gruppen ohne Masken und Sicherheitsabstand sollen diesen Eindruck unterstreichen. Junge Menschen werden dabei als weitgehend unzugänglich für rationale Warnungen und Aufklärungen dargestellt, was sich auch im Ton und Ansatz der im November 2020 von der Bundesregierung verbreiteten Videospots #besonderehelden widerspiegelt [1]. Diesem Bild stehen Befunde aktueller Umfragen gegenüber, nach denen die Bereitschaft zur Beachtung der Schutzmaßnahmen gegen Covid-19 von der Mehrzahl junger Menschen hoch ist [2]. In einer repräsentativen YouGov-Umfrage vom Oktober 2020 bejahten 69% der Befragten im Alter zwischen 16 und 24 Jahren die Frage, ob sie sich immer an die Regeln zum Tragen eines Mund- und Nasenschutzes im öffentlichen Raum halten würden [3]. Auch wenn dieser Wert unter dem Durchschnitt aller Altersgruppen von 86% lag, widerspricht er doch klar dem Bild der verantwortungsfernen Jugend.

Corona und Entwicklungsziele im Jugend- und jungen Erwachsenenalter

Das Jugend- und junge Erwachsenenalter ist durch eine Reihe von Entwicklungszielen und-bedürfnissen gekennzeichnet, die stark von der Corona-Pandemie betroffen sind. Eines dieser Ziele ist die Autonomie, definiert als die Fähigkeit, das eigene Leben selbstreguliert und unabhängig von den Vorgaben anderer zu gestalten [4]. Durch die von außen vorgeschriebenen Regeln des Schutzverhaltens wird dieses Autonomiebedürfnis für alle Menschen stark eingeschränkt, jedoch von jungen Menschen als besonders einschränkend erlebt. Freiheitseinschränkungen führen zu Widerstand, der sich auf der Verhaltensebene in der Verletzung von Kontaktverboten, aber auch auf mentaler Ebene in Form der Leugnung des Risikos niederschlagen kann.

Ein zweites zentrales Ziel ist die Mobilität. Sie bezieht sich sowohl auf die Möglichkeit des Reisens als auch im weiteren Sinne auf den Aufbruch in neue Lebensabschnitte, wie z.B. die Aufnahme eines Studiums oder einer Berufsausbildung. Junge Menschen sind in einer Lebensphase, in der sie in den Startlöchern stehen, in die Welt hinaus zu gehen, neue Erfahrungen zu sammeln, ihre Wünsche und Träume zu verwirklichen. Diese Erwartungen sind aktuell kaum erfüllbar.

Als drittes herausragendes Entwicklungsziel junger Menschen ist die Erweiterung ihrer sozialen Kompetenzen und Intensivierung sozialer Kontakte zu nennen. Durch die verordneten Kontaktbeschränkungen wird auch dieses Ziel aktuell stark ausgebremst, und die Missachtung der Regeln zugunsten von Feiern und Geselligkeit kann als Reaktion auf die damit verbundenen Frustrationen verstanden werden. Eine Befragung im Auftrag der TUI-Stiftung ergab, dass Menschen zwischen 16 und 26 Jahren verglichen mit den höheren Altersgruppen Einschränkungen bei Feiern im öffentlichen oder privaten Rahmen als deutlich schwerwiegender empfinden [5].

Corona und Risikowahrnehmung im Jugend- und jungen Erwachsenenalter

Zu der Einschränkung zentraler Bedürfnisse kommen zwei weitere typische Merkmale dieser Entwicklungsphase hinzu: Dies ist zum einen ein ausgeprägtes „sensation seeking“ im Sinne der Suche nach dem Nervenkitzel des Risikos und der Vermeidung von Langeweile [6]. Diese Suche nach Anregung zeigt sich in vielen Verhaltensbereichen und schlägt sich auch in der aktuellen Situation nieder. Sie wird begleitet und psychologisch ermöglicht durch ein Gefühl der eigenen Unverwundbarkeit, das die Grundlage bildet, potenziell gefährliche Aktivitäten und Situationen aufzusuchen und als positiv zu erleben. Im Hinblick auf Corona führt dieses Gefühl zu der Einschätzung, selbst im Falle einer Ansteckung vor einem schweren Krankheitsverlauf gefeit zu sein. Dadurch ergibt sich die schwierige Situation, dass man von den jungen Menschen erwartet, Opfer zugunsten der Allgemeinheit zu bringen, ohne dass sie für sich selbst eine Notwendigkeit und einen Nutzen damit verbinden.

Ausblick

Corona hat in kürzester Zeit das Leben von Menschen aller Altersgruppen grundlegend verändert, wobei der Umgang mit der Pandemie in jedem Lebensabschnitt seine eigenen Herausforderungen mit sich bringt. Dass gerade die junge Generation jetzt bei ihrem Start ins Erwachsenenleben beeinträchtigt ist und zentrale Bedürfnisse nicht befriedigen kann, wird sie prägen und verändern. Junge Menschen erleben als Gruppe zur Zeit in bislang unbekanntem Maße, wie sich Verzicht anfühlt, aber auch, wie sie durch verantwortliches, solidarisches Handeln einen dringend benötigten Beitrag zur Überwindung der kollektiven Bedrohung leisten können. Darin liegt eine wertvolle Erfahrung, die auch für den Umgang mit künftigen Krisensituationen genutzt werden kann.


*Korrespondenz: Prof. Dr. Barbara Krahé, Universität Potsdam, Department Psychologie, Karl-Liebknecht-Str. 24-25, 14476 Potsdam, Germany

  1. Autorenerklärung

  2. Autorinnenbeteiligung: Die Autorin trägt die Verantwortung für den gesamten Inhalt dieses Artikels. Finanzierung: Die Autorin erklärt, dass sie keine finanzielle Förderung erhalten hat. Interessenkonflikt: Die Autorin erklärt, dass kein wirtschaftlicher oder persönlicher Interessenkonflkt vorliegt. Ethisches Statement: Für die Forschungsarbeit wurden weder von Menschen noch von Tieren Primärdaten erhoben.

  3. Author Declaration

  4. Author contribution: The author is responsible for all content of this article. Funding: The author declares that she has not received any funding. The author has no financial or personal conflict of interest to declare. Ethics statement: For this article, no data were collected from humans or animals.

Literatur

1. https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/besonderehelden-1-1811518; sowie https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/besonderehelden-2-1811526, Zugriff 19.11.2020.Search in Google Scholar

2. Calmbach M, Flaig B, Edwards J, Möller-Slawinski H, Borchard I, Schleer C. Sinus Jugendstudie 2020: Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland. Köln: Bundeszentrale für Politische Bildung, 2020. https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/311857/sinus-jugendstudie-2020-wie-ticken-jugendliche. Zugriff: 19.11.2020.Search in Google Scholar

3. https://yougov.de/opi/surveys/results/#/survey/102f9543-1374-11eb-a5b2-df6a067ee32b/question/5708ca3f-1374-11eb-932f-31182ac3d7ad/age. Zugriff: 19.11.2020.Search in Google Scholar

4. Soenens B, Vansteenkiste M, Van Petegem S. Autonomy in adolescent development: toward conceptual clarity. New York: Routledge, 2017.10.4324/9781315636511Search in Google Scholar

5. TUI-Stiftung. Junges Deutschland in Zeiten von Corona mit Einordnung im europäischen Vergleich, 2020. https://www.tui-stiftung.de/wp-content/uploads/2020/10/2020_YouGov_TUI-Stiftung_Junges-Deutschland-in-Zeiten-von-Corona.pdf. Zugriff: 29.12.2020.Search in Google Scholar

6. Zuckerman M. Sensation seeking and risky behavior. Washington, DC: American Psychological Association, 2007.10.1037/11555-000Search in Google Scholar

Online erschienen: 2021-03-06
Erschienen im Druck: 2021-03-26

©2021 Barbara Krahé, published by De Gruyter, Berlin/Boston

This work is licensed under the Creative Commons Attribution 4.0 International License.

Downloaded on 3.6.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/pubhef-2020-0127/html
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