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Publicly Available Published by De Gruyter June 1, 2022

Coronaspezifische Gesundheitskompetenz zu drei Messzeitpunkten

Corona-specific health literacy at three measurement points
  • Orkan Okan ORCID logo EMAIL logo , Torsten Michael Bollweg , Ullrich Bauer , Klaus Hurrelmann and Doris Schaeffer
From the journal Public Health Forum

Zusammenfassung

Die coronaspezifische Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland lag im Jahr 2020 zwischen 34,8% und 50,1%, wobei sie sich im Jahresverlauf signifikant verbessert hatte. Einem großen Teil der Bevölkerung fällt es nicht immer leicht, mit Gesundheitsinformationen zu Covid-19 umzugehen, so wie es die hier beschriebene HLS-Covid-19 Studie zur coronaspezifischen Gesundheitskompetenz aufzeigt. Die größte Herausforderung stellt das Beurteilen von Informationen dar. Die Ergebnisse deuten zudem auf einen sozialen Gradienten für niedrige coronaspezifische Gesundheitskompetenz hin.

Abstract

In 2020, corona-specific health literacy of the population in Germany ranged from 34.8–50.1%, with significant improvement over the year. A large proportion of the population does not always find it easy to deal with and manage health information about Covid-19, as shown by the present HLS-Covid-19 study of corona-specific health literacy. Appraising information poses by far the greatest challenge amongst all information tasks. The results also suggest a social gradient for low corona-specific health literacy.

Hintergrund

Gesundheitsinformationen und die Kommunikation über gesundheitliche Themen haben durch die Corona-Pandemie an Bedeutung gewonnen [1], [2], [3] – insbesondere digitale Kommunikationstechnologien stellen hierbei eine Herausforderung dar [4], [5], [6]. Der Zugang zu Informationen und die Einschätzung ihrer Vertrauenswürdigkeit, gerade im Internet und auf Social Media Kanälen, erfordert Menschen in der Krise viel ab [7]. Für den Umgang mit Informationen und informierten Entscheidungen wird heute Gesundheitskompetenz (GK) benötigt [8], [9], wobei coronaspezifische GK (c-GK) beschreibt, wie einfach (oder auch nicht) es Menschen fällt, Zugang zu Informationen über Covid-19 zu erlangen, Präventionsempfehlungen zu verstehen und in das eigene Handeln zu übersetzen [10].

Im Rahmen der hier vorgestellten HLS-Covid-19 Studie wurden neben der c-GK weitere Variablen erhoben (z. B. Informations- und Präventionsverhalten, Impfeinstellungen und -bereitschaft) [11], allerdings wird an dieser Stelle nur die c-GK vorgestellt. Die erweiterten Ergebnisse der Studie zeigen z. B., dass Personen mit einer geringen c-GK sich weniger gut informiert fühlen, sich seltener informieren, häufiger durch Informationen verunsichert sind (Stichwort: „Infodemie“ [12]), seltener präventive Verhaltensweisen anwenden und deren Wirksamkeit für den Infektionsschutz bezweifeln, die Gefahren der Pandemie für übertrieben halten und eine negative Einstellung zum Impfen sowie geringere Impfbereitschaf vorweisen [11].

Methodik

Zu drei Messzeitpunkten im Jahr 2020 (31.3.-7.4.: n=1037; 22.9.-5.10.: n=1030; 24.11.-7.12.: n=1036) wurden für deutsche Internetnutzer repräsentative Stichproben online befragt. Die Trendstudie beabsichtigt, die c-GK der Bevölkerung ab 16 Jahren und Veränderungen im Zeitverlauf zu beobachten. Hierzu wurde der HLS-COVID-Q22 Fragebogen genutzt, der mit 22 Fragen die empfundene Schwierigkeit des Findens, Verstehens, Bewertens und Anwendens von coronaspezifischen Informationen erfasst [10]. Der Fragebogen weist eine hohe interne Konsistenz auf (Cronbachs α=0.94). Mittelwertunterschiede wurden durch t-Tests für unabhängige Stichproben auf Signifikanz geprüft.

Ergebnisse

Über drei Wellen hinweg wurden insgesamt n=3103 Personen ab 16 Jahren befragt (Tabelle 1). Zum ersten Messzeitpunkt im Frühjahr 2020 konnte bei 14,4% (n=150) eine exzellente, bei 35,5% (N=368) eine ausreichende und bei 50,1% (n=519) sogar eine geringe c-GK festgestellt werden (MW=2,99) (vgl. Abbildung 1). Zum zweiten Messzeitpunkt ist eine signifikant verbesserte (p<0.001) c-GK beobachtbar: Der Anteil der Menschen mit einer hohen c-GK steigt auf gut das doppelte (auf 31,2%), während der Anteil mit einer geringen c-GK um fast ein Drittel kleiner wird (auf 34,8%). Zum dritten Messzeitpunkt hin ergeben sich minimale Verschiebungen in der Verteilung, die jedoch gegenüber dem zweiten Messzeitpunkt nicht signifikant sind. Die Unterschiede zwischen dem Niveau der c-GK in der ersten (M=2,99; SD=,49) und der zweiten Welle (M=3,18; SD=,54) ist signifikant (p<0,001). Auch der Unterschied zwischen der ersten und dritten Welle (M=3,14; SD=,56) ist signifikant (p< 0,001). Es konnte allerdings keine Signifikanz zwischen der zweiten und dritten Welle festgestellt werden. Über alle drei Messzeitpunkte hinweg ist das Bewerten (gegenüber dem Finden, Verstehen und Anwenden) von coronaspezifischen Gesundheitsinformationen für die Befragten am schwierigsten.

Tabelle 1:

Stichprobe der HLS-COVID-19 Studie (n=3103) [10], [11], [13].

Häufigkeiten Prozente
Stichprobe
Gesamt 3103 100,0
Geschlecht
Männlich 1587 51,1
Weiblich 1516 48,9
Alter
16–29 667 21,5
30–44 795 25,6
45–59 949 30,6
60+ 693 22,3
Bildung
Niedrig 780 25,1
Hoch 1039 33,5
Mittel 1284 41,4
Einkommen
Bis 1.750€ 920 29,7
1.750–2.999€ 984 31,7
Ab 3.000€ 1199 38,6
Chronische Erkrankung*
Nein 917 29,6
Mindestens eine 1151 37,1
Ausbildung/Studium im Gesundheitsberuf*
Ja 324 10,5
Nein 1744 56,2
  1. *Nur in Wellen 2 und 3 erhoben.

Abbildung 1: Coronaspezifische Gesundheitskompetenz im Zeitverlauf [10], [11], [13].
Abbildung 1:

Coronaspezifische Gesundheitskompetenz im Zeitverlauf [10], [11], [13].

Hinsichtlich der soziodemografischen Variablen konnte ein signifikanter Zusammenhang zwischen niedriger c-GK und niedriger Bildung (r=,056, p<0,01) und niedrigerem Einkommen (r=,071, p<0,001) festgestellt werden. So nimmt der Anteil der Menschen mit geringer c-GK über die verschiedenen Bildungsgruppen (niedrige, mittlere, hohe Bildung) hinweg kontinuierlich ab (44,6%, 41,8%, 38,3%), was ebenso für die Einkommensgruppen (bis 1.750 €; bis 2.999 €, ab 3.000 €) gilt (44,3%, 41,9%, 37,9%). Keine signifikant relevanten Unterschiede konnten für das Geschlecht und Alter, dem Vorliegen einer chronischen Erkrankung oder der Ausbildung in einem Gesundheitsberuf festgestellt werden.

Diskussion und Fazit

Zu allen drei Messzeitpunkten im Jahr 2020 gibt es einen erheblichen Anteil von Menschen, für die der Umgang mit coronaspezifischen Gesundheitsinformationen nicht immer einfach ist. Zwar wird dieser Anteil zwischen dem ersten und zweiten Messzeitpunkt kleiner, aber auch zum dritten Messzeitpunkt fallen deutlich mehr als ein Drittel der Befragten in die Kategorie „geringe c-GK“.

Obwohl die c-GK zwischen den Erhebungszeitpunkten zwei und drei stagniert und nicht weiter gesteigert werden konnte, fällt sie deutlich positiver aus, als die allgemeine GK [11]. Dies könnte in erster Linie daran liegen, dass die Präventionsbotschaften und Gesundheitsinformationen einfach zugänglich, leicht zu verstehen und praktikabel umsetzbar waren [10], [11], [13]. Abstandhalten, Hygiene und Mundschutz sind als Empfehlungen für das Gesundheitsverhalten deutlich einfacher zu verstehen und anzuwenden, als komplexe Informationen zum Selbstmanagement von Erkrankungen oder zur Ernährung, zu gesunden Essgewohnheiten und anderen Gesundheitsverhaltensweisen [11]. Zudem wurden die Botschaften im Rahmen der Gesundheitskommunikation kontinuierlich und über einen langen Zeitraum wiederholt [11], [13].

Ähnlich wie in vorangegangen Studien zur GK in Deutschland [2], [14] oder in Europa [15], [16], konnte auch in dieser Studie ein sozialer Gradient festgestellt werden, wobei niedrigere Bildung und niedrigeres Einkommen häufiger mit einer niedrigen c-GK einhergehen. Im Unterschied zu diesen vergangenen Studien konnten aber in der HLS-Covid-19-Studie keine Assoziationen zwischen der c-GK und dem Geschlecht, Alter oder einer chronischen Vorerkrankung festgestellt werden und auch nicht hinsichtlich der Ausbildung in einem Gesundheitsberuf. Auch dies kann interpretiert werden als ein Hinweis darauf, dass Menschen generell profitieren, wenn Informationen leicht zugänglich, einfach zu verstehen und praktikabel für die Umsetzung gestaltet sind. Auch die kontinuierliche Kommunikation und Bereitstellung über Medien hat sich als förderlich für die Rezeption und Anwendung von Informationen herausgestellt [11]. Diese Maßnahmen sollten in zukünftigen Strategien zur Stärkung der GK berücksichtigt werden. Sie zielen vor allem auf die GK von Informations- und Dienstleistungsanbietern, womit ein Fokus auf die organisationale GK naheliegt [17], um Strukturen und Verhältnisse den Bedarfen von Informations- und Dienstleistungsnutzenden anzupassen. Da insbesondere die Beurteilungskompetenz deutlich abfällt, sollte der Schwerpunkt bei der individuellen GK daher auf der Stärkung dieser Fähigkeit und dem kritischen Denken sowie im Rahmen der systemischen Seite auf der Umsetzung von Mechanismen zur Sicherstellung der Vertrauenswürdigkeit von Informationen liegen (z. B. offizielle Seiten, Faktenprüfungen, Nachverfolgung, etc.). Im Jahr 2021 wurden zwei weitere Erhebungen in dieser Studie durchgeführt, deren Analysen die vorliegenden Ergebnisse noch ergänzen und später publiziert werden.


*Korrespondenz: Prof. Dr. Orkan Okan, Technische Universität München, Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften, Georg-Brauchle-Ring 60/62, 80992 München, Germany

  1. Autor:innenerklärung

  2. Autor:innenbeteiligung: Alle Autor:innen tragen Verantwortung für den gesamten Inhalt dieses Artikels und haben der Einreichung des Manuskripts zugestimmt. Finanzierung: Das Projekt „HLS-Covid-19“ wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF; Welle 1; Förderkennzeichen: 01EL1824A, Funder Id: http://dx.doi.org/10.13039/501100002347) und dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG; Wellen 2 und 3; Förderkennzeichen: 2520COR009, Funder Id: http://dx.doi.org/10.13039/501100003107). Interessenkonflikt: Die Autor:innen erklären, dass kein wirtschaftlicher oder persönlicher Interessenkonflikt vorliegt. Ethisches Statement: Für die Forschungsarbeit wurden weder von Menschen noch von Tieren Primärdaten erhoben.

  3. Author Declaration

  4. Author contributions: All authors have accepted responsibility for the entire content of this submitted manuscript and approved submission. Funding: The project received funding by the Federal Ministry of Education and Research (BMBF; Wave 1; Funding code: 01EL1824A, Funder Id: http://dx.doi.org/10.13039/501100002347) and the Federal Ministry of Health Germany (BMG; Waves 2 and 3; Funding code: 2520COR009, Funder Id: http://dx.doi.org/10.13039/501100003107). Conflict of interest: Authors state no conflict of interest. Ethical statement: Primary data for human nor for animals were not collected for this research work.

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Online erschienen: 2022-06-01
Erschienen im Druck: 2022-06-27

©2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 7.12.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/pubhef-2022-0031/html
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