Zusammenfassung
Dieser Beitrag ist aus aktuellem Anlass den zentralen Thesen des volkswirtschaftlichen Bestsellers Capital in the Twenty-First Century von Thomas Piketty gewidmet. Karl-Heinz Paqué stellt fest, dass Piketty in historizistischer Tradition eherne Gesetze des Kapitalismus zu identifizieren sucht, allen voran den Trend zu zunehmender Ungleichheit der personellen Vermögensverteilung, getrieben durch die säkulare Differenz zwischen Realzins und Wachstumsrate. Pikettys empirische Analyse liefert dabei eine faszinierende Fülle an wichtigen Erkenntnissen. Sie leidet aber an drei Schwächen: (1) den für seine Kernthese dünnen statistischen Belegen für die letzten Jahrzehnte, (2) der zum Teil abwegigen Deutung der verschiedenen Entwicklungsphasen des Kapitalismus und vor allem (3) der Vernachlässigung des Arbeitsmarktes bei der Bestimmung der Einkommens- und Vermögensverteilung. Auch Pikettys Zukunftsprognosen können nicht überzeugen, weil er wichtige Trends, die sich derzeit schon abzeichnen – Knappheit an Arbeitskräften einerseits, Kapitalschwemme andererseits – völlig außer Acht lässt. Pikettys politische Vorschläge zur massiven Besteuerung von Einkommen, Vermögen sowie Nachlässen und Schenkungen tragen jakobinische Züge. Ziel ist eine radikale Umverteilung zur Wiederherstellung einer Meritokratie, in der die Einkommen das Ergebnis persönlicher Leistung sind statt von leistungsunabhängigen Transfers und Glück bestimmt zu werden. Dabei bleibt unklar, wo die Grenzen der eigenen Leistung genau liegen. Die Vorschläge sind deshalb weder ökonomisch und sozialphilosophisch überzeugend noch politisch zielführend.
Danksagung
Der Verfasser dankt Karen Horn und Gerhard Schwödiauer für wertvolle Anregungen und Hinweise.
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