Drei Jahre nach dem Wiener Kongress und dem Ende der napoleonischen Kriege wurde Karl Marx geboren. Im Rückblick war dies genau der richtige Zeitpunkt, um später zum großen deutschen Gelehrten des aufstrebenden Kapitalismus zu werden. Denn in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts begann im deutschsprachigen Raum die Industrialisierung, ein bis zwei Generationen später als in Großbritannien. Der glanzvolle Intellektuelle Karl Marx begann damit, „Gesetze“ dieses Wirtschaftssystems aufzustellen und daraus weitreichende Vorhersagen abzuleiten. Egal, ob seine Analysen und Prognosen sich als falsch oder richtig erwiesen, sie waren jedenfalls bahnbrechend und einflussreich, vor allem in der Politik.
Heinz D. Kurz würdigt in diesem Heft der „Perspektiven der Wirtschaftspolitik“ das Werk von Karl Marx. Wir haben dafür die Rubrik „Aus aktuellem Anlass“ ausgewählt – natürlich wegen des 200. Geburtstages von Marx in diesem Jahr 2018. Blickt man allerdings über die weiteren Themen dieses Heftes, so findet man tatsächlich aktuelle Kernfragen des 19. Jahrhunderts wieder: die ökonomische Bedeutung der Bildung, die soziale Frage der Einkommens- und Vermögensverteilung sowie das polit-ökonomische Spannungsfeld zwischen Freihandel und Protektionismus. Wenn nicht Karl Marx selbst, so sind doch die Themen seiner Zeit aktueller denn je.
In der Rubrik „Wissenschaft im Überblick“ prüfen Silke Anger und Stephan Thomsen, wie die Verkürzung der Schulzeit auf acht Jahre, das seit den späten neunziger Jahren in Deutschland eingeführte sogenannte Turbo-Abitur (G8), gewirkt hat. Es zeigt sich in einer Vielzahl von Studien ein differenziertes Bild – jedenfalls widersprüchlich genug, um den Sinn der Rückkehr zum alten Modell (G9), wie jüngst in einigen Bundesländern beschlossen, in Frage zu stellen. Die Autoren sehen darin ein Indiz für das Schwinden bildungsökonomischer Argumente in der politischen Diskussion.
Paul Hufe, Andreas Peichl und Marc Stöckli widmen sich in ihrem Survey dem Maß der Ungleichheit der Ver

teilung von Einkommen, Konsum und Vermögen in Deutschland. Es zeigt sich, dass sich die Verteilung nach einer Zunahme der Ungleichheit über Jahrzehnte in den letzten Jahren stabilisiert hat. Es bleiben allerdings Lücken der empirischen Evidenz, besonders was die Vermögensverteilung betrifft. Detaillierte Aussagen sind deshalb schwierig.
Gabriel Felbermayr widmet sich in der Rubrik „Aus aktuellem Anlass“ der Rückkehr der Machtpolitik in Fragen des internationalen Handels. Die Aktualität des Themas ist offenkundig – mit Blick auf die Strafzölle, die Amerika unter Donald Trump verhängt hat und die mit Retorsionszöllen von Seiten der Europäischen Union und China beantwortet wurden. Die neue Forschung zeigt, dass die Reziprozität ein Kernprinzip ist, um einen Zustand des Freihandels zu stabilisieren – wegen der allfälligen Drohwirkung von (angemessenen) Vergeltungsmaßnahmen. Der Autor sieht deshalb die derzeitige Handelspolitik der Europäischen Union in positivem Licht.
Ein zentrales Thema der Finanz- und Staatswissenschaft steht im Zentrum der Rubrik „Das Gespräch“. Horst Zimmermann sieht den deutschen Bundesstaat auf dem Weg vom Föderalismus zum Unitarismus, und er macht dies an einer Reihe von politischen und fiskalischen Veränderungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte fest – allen voran an der Verlagerung von Aufgaben auf den Bund und an der zunehmenden Selbstkoordinierung der Länder. Er sieht dies kritisch: als schleichende Aushöhlung eines bewährten Systems.
Die beiden Beiträge aus der Forschung widmen sich ganz unterschiedlichen Themen. „Cui bono?“, fragen Christian Bührer, Stefan Fetzer und Christian Hagist mit Blick auf Vorschläge zur Einführung einer Bürgerversicherung. Marie Lechler untersucht die Langzeitfolgen unterschiedlicher institutioneller Strukturen in der Zeit der Kolonialverwaltung Namibias.
Karl-Heinz Paqué
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