PWP: Das Jahr 2020 stand voll im Schatten der Corona-Krise, und die Zukunft ist ungewiss. Eines jedoch ist klar: Es ist jetzt nicht die Zeit, um über „Degrowth“ nachzudenken – wir brauchen so schnell wie möglich wieder ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum. Was werden die Treiber sein?
Schnitzer: Es erscheint mir wichtig, dass man nicht mit Gewalt die alten Strukturen zu erhalten versucht. Es wird nie wieder so sein, wie es einmal war. Und das ist auch völlig in Ordnung so. In manchen Branchen hat sich schon vor der Corona-Krise ein Strukturwandel abgezeichnet, aber die Unternehmen haben das zum Teil ganz bewusst nicht vorangetrieben. Ein Beispiel sind die Automobilbauer, die sich nicht in dem Maße auf E-Mobilität eingestellt haben, wie sie das eigentlich hätten tun müssen. Darum wäre es auch ganz falsch gewesen, wenn der Staat jetzt wieder eine Auto-Kaufprämie für Verbrennerautos gezahlt hätte. Die Maßnahmen, die man jetzt ergreift, sollten darauf ausgerichtet sein, in die Zukunft zu investieren. Das ist nicht nur in der Automobilindustrie wichtig, sondern auch in anderen Branchen, die sich auf den Klimawandel ein- und auf erneuerbare Energien umstellen müssen. Ein anderes Beispiel ist der Einzelhandel, der vor einer Verödung der Innenstädte warnt, weil durch die Corona-Krise noch mehr Transaktionen ins Internet verlagert wurden. Diese Entwicklung wird sich nicht aufhalten lassen. Jetzt geht es darum, neue Konzepte für die Innenstädte zu entwickeln, mit Cafés, Events auch am Sonntag und Läden als Showrooms. Ein anschauliches Beispiel dafür sind die Apple Stores. Sie haben in einer Zeit, als Computer über das Internet verkauft wurden, schicke Läden in bester Lage aufgemacht, um den weniger technikaffinen Kundinnen und Kunden Computer zum Anfassen vorzuführen. So hat Apple auch das iPhone sehr erfolgreich vermarktet.

PWP: Aber wer entwickelt diese Konzepte, und woher weiß man, was zukunftsträchtig ist? Mit der vom Staat zur Zukunftstechnologie proklamierten Photovoltaik haben viele Leute Geld verloren. Wie weit soll der Staat sich da reinhängen?
Schnitzer: Das ist eine sehr wichtige Frage. Ich denke nicht, dass der Staat die Technologie der Zukunft aussuchen sollte. Woher sollte der Staat das wissen? Im Zweifel wird er von Lobbyisten beeinflusst, entweder von Unternehmen, die auf dem entsprechenden Feld schon groß sind und auf Subventionen spekulieren, oder auch von Wissenschaftlern, die an einem bestimmten Thema forschen und auf Unterstützung für ihre Forschung hoffen. Der Staat sollte vielmehr technologieoffen fördern, durch geeignete Rahmenbedingungen, statt auf spezifische Technologien zu setzen. Ich kann das an einem Beispiel verdeutlichen: Batterien versus Brennstoffzelle. Statt auf das eine oder auf das andere zu setzen, sollte der Staat sich auf den hohen CO2-Preis konzentrieren. Dann ist jedem Unternehmen klar, dass es Emissionen vermeiden sollte, und auf welche Technologie man setzt, kann sich jeder selber überlegen. Problematisch wird es natürlich, wenn komplementäre Investitionen erforderlich sind, wie beim Elektromotor. Da braucht man zusätzlich Ladestationen. Hier bedarf es dann möglicherweise einer koordinierenden Funktion des Staates. Ähnliches gilt für Brennstoffzellen, auch da braucht man eine Tankstelleninfrastruktur. Aber ich halte es für falsch, wenn der Staat einseitig auf eine spezifische Technologie setzt.
PWP: Und wenn er bei einem Unternehmen einsteigt, das sich an der Forschungsfront ganz vorn bewegt? Ich habe den Fall Curevac vor Augen, wo sich der deutsche Staat im Juni über die Kreditanstalt für Wiederaufbau für 300 Millionen Euro zu 23 Prozent beteiligt hat; zu schweigen von der Förderung mit 252 Millionen Euro für die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs. Da spielen strategische Gründe und die Versorgungssicherheit eine entscheidende Rolle, aber es besteht die Gefahr, dass man auf das falsche Pferd setzt. Können Sie einen Rat geben, woran man sich bei solchen Tradeoffs orientieren soll?
Schnitzer: Lassen Sie mich, bevor ich auf Curevac eingehe, etwas zur Lufthansa sagen. Auch da ist ja der Staat im Zuge der Corona-Krise eingestiegen. Hier gibt es gute Argumente, warum der Staat sich engagieren sollte, vor allem weil es auch aus ökonomischer Sicht sinnvoll ist, dass es ein deutsches Luftfahrtunternehmen gibt.
PWP: Wieso denn?
Schnitzer: Auf den ersten Blick würde man vielleicht sagen, es ist doch egal, ob ein deutscher oder ein ausländischer Anbieter die Dienstleistungen der Luftfahrt bereitstellt. Der aus meiner Sicht wichtigste Grund, doch einen nationalen Anbieter haben zu wollen, liegt darin, dass man so heimische Hubs behält. Wir haben in Deutschland mit Frankfurt und München zwei sehr wichtige Hubs, von denen aus man überallhin fliegen kann. Diese kurzen Wege in die ganze Welt zu haben, ist für die Exportwirtschaft tatsächlich sehr wichtig. Wer Maschinen in die ganze Welt verkauft, muss auch seine Ingenieure für die Installation und Wartung rasch vor Ort haben. Schauen Sie sich umgekehrt Swiss an: Seitdem Swiss zur Lufthansa gehört, müssen die Schweizer oft erst einmal nach München fliegen, wenn sie nach Italien wollen.
PWP: Fragt sich, ob das so schlimm ist. Aber mal davon abgesehen – wenn man also meint, eine solche Unterstützung müsse sein, worauf muss der Staat dann achten?
Schnitzer: Die staatliche Unterstützung darf nicht bedeuten, dass man den Wettbewerb unterbindet oder schwächt. In der deutschen Luftfahrtbranche herrscht schon jetzt zu wenig Wettbewerb. Darum ist die Auflage der EU richtig, dass Lufthansa kompensatorisch einige Start- und Landerechte abzugeben hat. Nicht richtig wäre es, wenn der Staat eine solche Beteiligung nutzen würde, um aktiv in der Geschäftsführung mitzureden. Manche Leute haben zum Beispiel gefordert, die Beteiligung an Auflagen zum Klimaschutz zu knüpfen oder an die Bedingung, keine Arbeitsplätze abzubauen. Klimaschutz ist wichtig, aber dafür braucht man Auflagen, die für alle Marktteilnehmer gelten, nicht nur für das Unternehmen, in das man eingestiegen ist. Und es wäre ganz verkehrt, wenn man einem Unternehmen, das derart in die Krise geraten ist, vorschreiben wollte, dass es keine Arbeitsplätze abbauen darf. Das wird nicht gehen. Es wird Umstrukturierungen brauchen, und da werden auch Stellen wegfallen. Kurz: Ich finde es richtig, dass sich der deutsche Staat mit solchen Auflagen zurückgehalten hat und dass er möglichst schnell auch wieder aussteigen will. Ob dieser Ausstieg tatsächlich so rasch gelingt, da bin ich allerdings eher skeptisch.
PWP: Und was ist nun mit Curevac?
Schnitzer: Da finde ich die Begründung weniger überzeugend. Das Argument, man müsse fürchten, dass eine solche Art von Forschung privatwirtschaftlich finanziert nicht zustande kommt, zieht ja offensichtlich nicht, wie man am fulminanten Börsenstart des Unternehmens sehen konnte.

Das Interesse ist riesengroß, was in der gegenwärtigen Situation auch nicht anders zu erwarten war. Insofern muss tatsächlich wohl das Argument im Vordergrund stehen, dass man aus strategischen Gründen verhindern will, dass andere Staaten bei diesem Unternehmen einsteigen. Dafür gäbe es aber auch andere Lösungen. Ich habe schon Sorge, dass wir im Zuge der Corona-Pandemie zu viel Staatseinfluss auf die Unternehmen bekommen, der nicht wieder abgebaut wird. Ein Negativbeispiel ist die Commerzbank: In der Finanzkrise ist der Staat eingestiegen und zehn Jahre danach immer noch nicht wieder ausgestiegen – und es läuft nach wie vor nicht gut. Auch bei VW sehe ich die Staatsbeteiligung kritisch. Der Staat ist ganz offensichtlich kein Garant dafür, dass Unternehmen auch gut gemanagt werden.
PWP: Bei Curevac macht mir vor allem Sorgen, dass der Staat dieses Unternehmen gleichsam als Platzhirsch auf dem Markt inthronisiert und damit die Wettbewerbsbedingungen für Konkurrenten verschlechtert – zu deren und zu unser aller Schaden. Die Forschungsdynamik ist damit geschwächt.
Schnitzer: Genau das ist das Problem. Warum beteiligt sich der Staat an Curevac, aber nicht an konkurrierenden deutschen Unternehmen? Wie schon gesagt, der Staat ist kein guter Unternehmer. Es gibt natürlich auch viele private Unternehmer, die keine guten Unternehmer sind. Aber wenn es Wettbewerb gibt, müssen die eben irgendwann den Platz räumen, und ihr Versagen geht nicht gleich auf Kosten aller Steuerzahler. Man muss allerdings anerkennen, dass wir in der Corona-Krise in einer Sondersituation stecken, in der die Politik unter sehr großer Unsicherheit sehr schnell sehr weitreichende Entscheidungen fällen musste. Da können Fehlentscheidungen nicht ausbleiben. Man muss dann nur im Nachhinein auch den Mut haben, eventuelle Fehlentscheidungen anzuerkennen und die Maßnahmen wieder rückabzuwickeln.
PWP: Zurück zu den Innovationen in normalen Zeiten. Wie sehen denn grundsätzlich die Rahmenbedingungen aus, die Innovationen fördern?
Schnitzer: Zunächst ist es wichtig, dass man großzügig in Grundlagenforschung investiert. Viele besonders wertvolle Innovationen nutzen solche wissenschaftlichen Erkenntnisse direkt oder indirekt. Das mag auf den ersten Blick überraschend klingen, weil die Grundlagenforschung von einer praktischen Verwertung weit entfernt erscheint. Wie eng die Verbindung ist, hängt natürlich von der jeweiligen Forschungsrichtung ab. Aber in einer Studie, die ich gemeinsam mit Martin Watzinger erstellt habe[1], stellten wir fest, dass viele Innovationen direkt oder indirekt von Forschungsergebnissen profitieren. Um die Wissenschaftsnähe zu messen, haben wir uns angesehen, ob in den Patenttexten direkt wissenschaftliche Arbeiten zitiert werden oder andere Patente, die ihrerseits dann wissenschaftliche Arbeiten zitieren. Wir haben gezeigt, dass wissenschaftsnahe Innovationen am Markt besonders wertvoll sind, allerdings auch riskant. Es gibt eben nicht nur sehr erfolgreiche Innovationen, sondern natürlich immer mal wieder auch totale Flops. Insofern ist die Spreizung des Innovationswertes größer als bei Innovationen, die nicht wissenschaftsnah sind. Aber im Durchschnitt ist der Ertrag wissenschaftsnaher Innovationen besonders groß.
PWP: Aber wie gelangen die wissenschaftlichen Erkenntnisse überhaupt zu den Unternehmen?
Schnitzer: Da spielt der Transfer eine ganz wichtige Rolle, und der ist in Deutschland ausbaufähig. In den Vereinigten Staaten beobachtet man in Clustern wie zum Beispiel rund um Boston/Cambridge oder im Silicon Valley einen intensiven Austausch zwischen den einzelnen Akteuren. Da gibt es sehr gute Universitäten; außerdem eine Vielzahl von Start-up-Unternehmen, zum Teil Ausgründungen aus den Universitäten; des Weiteren gibt es Entwicklungsabteilungen größerer Unternehmen; plus noch die Wagniskapital-Finanzierer. Alle sind in einem Umkreis von nur wenigen Meilen konzentriert und stehen in engem Austausch. Zusammen mit Martin Watzinger und Lukas Treber untersuche ich diesen Wissenstransfer gerade für deutsche Universitäten. Wir finden, dass sich sehr gute Forschung in der Universität positiv auf die Patententwicklung im Umfeld auswirkt. Und wir zeigen, dass ein Transmissionskanal in Deutschland dafür die Doktoranden sind – sie tragen das, was sie an der Universität gelernt haben, in die Unternehmen hinein. Ausgründungen aus Universitäten hingegen haben wir in Deutschland bisher viel zu wenige.
PWP: Für die Intensität der Verwertung neuen Wissens dürfte in einem solchen Umfeld auch eine Rolle spielen, dass hier großer Wettbewerb herrscht.
Schnitzer: Absolut. Wir erleben ja gerade in der Corona-Krise am Beispiel der Suche nach einem Impfstoff, wie hilfreich Wettbewerb ist. An den Universitäten und in den Pharmaunternehmen wird unter Volldampf gearbeitet. Daran sehen wir, wie wichtig es ist, dass solche Prozesse offen sind. Problematisch wird es immer, wenn man von vornherein auf eine bestimmte Unternehmung setzt und darauf baut, dass diese es schon machen wird. So etwas ist bisher meistens schief gegangen. Generell gilt: Große, dominante Unternehmen, die mit ihrem bisherigen Geschäftsmodell gutes Geld verdienen, haben in der Regel kein Interesse daran, ein neues Produkt zu entwickeln, das ihr eigenes Geschäftsmodell gefährdet oder sogar überflüssig macht. Das bringt mich wieder zurück zu der Branche, von der wir am Anfang schon sprachen, der Automobilbranche. Es ist nicht verwunderlich, dass die Branche in Deutschland nicht viel mehr in die E-Mobilität investiert hat – damit hätte sie ja ihr eigenes Geschäftsmodell kannibalisiert, mit dem sie bisher gut verdient hat. Und weil die Manager in den Führungsetagen dieser Hersteller alle ähnlich gedacht haben, haben sie einander keine Konkurrenz mit neuen Entwicklungen gemacht. Aber dann kommt Tesla, ein Außenseiter, der nichts zu verlieren hat – und zieht an allen anderen vorbei. Vielleicht kommt hier auch eine gewisse Hybris zum Ausdruck: Die deutschen Automobilbauer haben nicht damit gerechnet, dass ihnen ein anderer Anbieter gefährlich werden könnte. Ein anderes Beispiel ist die Telekommunikation.
PWP: Inwiefern?
Schnitzer: In einem aktuellen Projekt untersuchen wir das Innovationsverhalten des amerikanischen Telekommunikationsmonopolisten AT&T vor und nach dessen Zerschlagung 1984[2]. AT&T war bis zur Zerschlagung mehr als 100 Jahre der dominante Anbieter von Telefondienstleistungen in den Vereinigten Staaten und zeitweise das wertvollste Unternehmen der Welt. AT&T hat aber nicht nur Telefonie angeboten, sondern auch Zubehör produziert und in seinem hauseigenen Forschungslabor, den Bell Labs, technologische Innovationen vorangetrieben. Die Bell Labs waren außerordentlich erfolgreich: Zum Beispiel haben Forscher dort schon in den dreißiger Jahren den Anrufbeantworter entwickelt und bis zum Beginn der sechzig Jahre alle entscheidenden Technologien für das Mobiltelefon. Jedoch gibt es historische Evidenz, dass AT&T diese und andere Technologien zurückhielt, statt sie auf den Markt zu bringen, weil das Management Sorge hatte, damit sein eigenes bisheriges Geschäftsmodell zu gefährden. Erst als AT&T 1984 zerschlagen wurde, in Folge eines großen Antitrust-Prozesses gegen AT&T, wurde das Mobiltelefon dann in Windeseile auf den Markt gebracht. Das zeigt: Wenn kein Wettbewerb herrscht, dann werden Innovationen oft nicht entwickelt oder zurückgehalten; wenn hingegen durch neue Anbieter Konkurrenz droht, dann befördert das Innovation.
PWP: Das heißt vor allem, dass die Märkte offen sein müssen.
Schnitzer: Ja. Es muss eine Chance für neue Anbieter geben, auf den Markt einzutreten. Das hatte AT&T behindert, beispielsweise indem es dafür sorgte, dass die Kunden kein Zubehör von anderen Herstellern nutzen konnten. Dafür wurden dann immer irgendwelche technischen Gründe vorgeschoben; eigentlich aber versuchte man, sich konkurrierende Angebote vom Leib zu halten. Es war klar: Man wollte keinen Wettbewerb.
PWP: Dass Innovationen schon da sind, aber zurückgehalten werden, ist wirklich ein Jammer. Eine Perversion des Patentgedankens – natürlich geht es dabei um die Sicherung von Eigentumsrechten, aber mit dem Ziel der Diffusion auf dem Wege der vergüteten Lizensierung. Sie haben sich in ihrer Forschung auch Zwangslizensierungen als Mittel der Wettbewerbspolitik näher angesehen[3].
Schnitzer: Ja. AT&T war schon in den fünfziger Jahren wettbewerbspolitisch unangenehm aufgefallen. Ich hatte eben schon gesagt, dass das Unternehmen auch die Telefonapparate selber herstellte und verkaufte, mit denen man dann Zugang zum Netz bekam. Das Unternehmen war vertikal integriert, obwohl es keinen technischen Grund gab, warum nicht auch andere Unternehmen diese Apparate hätten herstellen sollen. Deswegen war es schon in den fünfziger Jahren zu einem Antitrust-Prozess gekommen, der 1956 dahingehend entschieden wurde, dass die Bell Labs dazu verpflichtet wurden, für die zahlreichen bereits patentierten Technologien anderen Unternehmen Nutzungslizenzen zu geben. Das sollte neuen Anbietern die Chance geben, auf diesen Lizenzen aufzubauen und neue Produkte zu entwickeln. Das hat in Teilen auch gut funktioniert. Überall da, wo AT&T nicht schon selbst auf dem Markt aktiv war, kam es zu einem ungeheuren Innovationsschub; sehr viele kleine Unternehmen sind in den Markt eingetreten. Gordon Moore, der Gründer von Intel, glaubt, dass diese Zwangslizensierung entscheidend zur Gründung des Silicon Valleys beigetragen hat.[4] Nur auf den Markt für Telefonzubehör tat sich nichts. Die Unternehmen wussten, dass sie gegen AT&T keine Chance haben würden: AT&T war in der Lage, die Nutzung der Konkurrenzprodukte zu unterbinden, indem es ihnen den Zugang zum Netz verweigerte. Weil also im Bereich von Telekommunikationszubehör nach wie vor kein Wettbewerb zustande kam, gab es dann später den Antitrust-Prozess von 1984, der in der Zerschlagung von AT&T endete.
PWP: Springen wir wieder ins Heute – und ins Morgen. Was, meinen Sie, bedeutet die Corona-Krise allgemein für die Intensität des Wettbewerbs? Ist nicht zu befürchten, dass sie zumindest in etlichen Branchen weiter abnimmt, weil manche Anbieter nicht überleben werden?
Schnitzer: Das ist in der Tat zu befürchten und auch zu erwarten. Es wird eine Reihe von Insolvenzen geben, und nicht in jedem Fall wird dann gleich ein neuer Anbieter wieder in den Markt eintreten können. Es wird auch zu Unternehmensübernahmen kommen. Ich sehe durchaus die Gefahr, dass es dadurch zu einer Verstärkung der Konzentration kommen kann, die schädlich ist. Das Entscheidende ist deshalb, dass man die Märkte offenhält und dafür sorgt, dass es wieder Chancen für neue Unternehmen gibt. Dazu gehört auch, dass es zu keiner Kreditknappheit kommen darf. Wenn die Kreditmärkte austrocknen, wie das in der Finanzkrise der Fall war, wäre das hochproblematisch.
PWP: Die Corona-Krise hat selbst in Europa so manche nationale Egoismen wieder aufleben lassen. Mit dem im Juli beschlossenen gigantischen Konjunkturpaket der EU versucht man, das wieder vergessen zu machen. Sind Sie zuversichtlich, dass das funktioniert?
Schnitzer: Ich würde es mir auf jeden Fall wünschen, weil ich es für sehr wichtig halte. Wir sind in Europa wirtschaftlich eng verflochten. Unsere deutschen Exporte gehen zu über 60 Prozent in andere EU-Länder, etwas weniger als 60 Prozent unsere Importe kommen aus anderen EU-Ländern. Die solidarische Unterstützung für die unverschuldet am stärksten von der Pandemie getroffenen EU-Mitgliedstaaten halte ich für eine Selbstverständlichkeit, aber sie ist auch wirtschaftlich geboten angesichts dieser engen wirtschaftlichen Verflechtung. Wenn es den anderen Ländern nicht gut geht, dann geht auch bei uns nichts voran. Jetzt muss es darum gehen, den Recovery Fund so einzusetzen, dass den Ländern geholfen wird, die durch die Krise aufgrund ihrer hohen Fallzahlen und ihrer Wirtschaftsstruktur am schlimmsten betroffen sind. Gleichzeitig halte ich es für richtig und legitim, eine Form von Kontrolle über die Mittelverwendung zu behalten, wie dies die „Sparsamen Fünf“ gefordert haben. Die Hilfsmittel müssen zielgerichtet eingesetzt werden, damit sich die Wirtschaftsstruktur tatsächlich so verbessert, dass die Länder aus der Krise herauswachsen. Allerdings darf die Kontrolle nicht so erfolgen, dass es wie eine Gängelung wirkt. Da ist schon Fingerspitzengefühl gefragt, man muss die Bevölkerung mitnehmen. Dass Europa solidarisch zusammensteht, ist übrigens auch aus geostrategischen Gründen wichtig. Die Chinesen schicken sich an, ihren Einfluss in der Welt weiter auszubauen; die Amerikaner hingegen sind in internationalen Organisationen und bei der Koordination gemeinsamer Maßnahmen aktuell ein Totalausfall. Deshalb kommt es jetzt darauf an, dass Europa mehr mit einer

Stimme spricht; nicht zuletzt auch aus verteidigungspolitischen Gründen.
PWP: Die Corona-Krise hat uns einen unerwarteten Digitalisierungsschub verpasst. Werden wir davon dauerhaft profitieren?
Schnitzer: Der Schub war in der Tat enorm. In vielen Unternehmen und auch Behörden wurde in der Krise die Möglichkeit genutzt, im Home-Office zu arbeiten; der Online-Handel hat zugelegt; man hat in gewissem Umfang Erfahrungen mit Online-Unterricht gemacht. Der große Vorteil davon ist, wenn man so will, dass wir einen Teil der Umstellungskosten jetzt schon geschultert haben und dass auch so manche Vorurteile abgebaut worden sind. Deutschland lag bisher bei der Nutzung von Home-Office unterhalb des EU-Durchschnitts; die skandinavischen Länder sind hier weit voraus. Das lag nicht etwa nur an der Wirtschaftsstruktur. Es lag vor allem an der mangelnden Bereitschaft. In den Führungsetagen jedenfalls herrschte große Skepsis. Da hat sich durch Corona etwas bewegt, und das ist sehr gut. Wir haben aber auch gesehen, wo wir Schwächen haben.
PWP: Wo denn?
Schnitzer: Es braucht zum einen eine gute digitale Infrastruktur, und die ist noch längst nicht überall gegeben. Je nachdem, wo ein Zoom-Gesprächspartner wohnt, verfügt er über Breitband oder nicht, und entsprechend gut oder eben schlecht ist die Verbindung. Gerade in der Fläche, auf dem Land, ist das an manchen Stellen nach wie vor ein Problem. Davon abgesehen haben wir zum anderen in den deutschen Behörden, aber auch in öffentlichen Unternehmen und in Einrichtungen wie den Schulen noch einen viel zu geringen Digitalisierungsgrad. Es fehlt an Material, an Infrastruktur, an Ausbildung. Die Lehrkräfte an den Schulen sind bisher nicht für den Umgang und Unterricht mit moderner Informations- und Kommunikationstechnologie in der Schule ausgebildet und reagieren zum Teil sehr reserviert, gerade in der älteren Generation. Immer wieder ist der Einwand zu hören, die Kinder sollten in der Schule lesen und schreiben lernen und nicht ihre Zeit am Computer verschwenden. Das ist eine sehr unglückliche Haltung. Wir müssen die jungen Menschen früh für die digitale Welt fit machen, als Nutzer, aber auch als künftige Entwickler.
PWP: Für die jungen Leute muss man sich, was den Umgang mit dem Computer angeht, keine Sorgen machen, aber was ist mit den älteren, auch jenseits der Schule?
Schnitzer: Die sind ganz schnell abgehängt, und das zeigt, wie wichtig Aus- und Weiterbildung im Beruf ist. Auch ältere Menschen, die nicht mehr im Berufsleben stehen, brauchen heutzutage digitale Schlüsselkompetenzen – beispielsweise um online etwas zu bestellen, um online Bankgeschäfte abzuwickeln, und um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Sie brauchen dabei aber Unterstützung, vor allem dann, wenn sie die nicht durch die jüngeren Generationen in der Familie haben.
PWP: Und wir sind vom Internet abhängig. In düsteren Momenten frage ich mich manchmal, was denn geschehen würde, wenn uns diese Netzinfrastruktur wieder abhandenkäme – zum Beispiel schlicht durch Unglücke und Pannen, durch Überlastung, oder im Zuge von Kriegen, insbesondere Cyberwars. Es ist häufig die Rede von Resilienz im Handel, also davon, dass unsere Versorgung beispielsweise mit Medikamenten nicht zusammenbrechen darf, wenn ein Außenhandelspartner aus irgendwelchen Gründen nicht mehr liefern kann. Aber was, wenn das Netz zusammenbricht?
Schnitzer: Wir brauchen auf alle Fälle mehr Kompetenzen im eigenen Land. Bei der Entwicklung der Corona-App haben wir schon feststellen müssen, wie abhängig wir von Google oder Apple waren, um die App für alle auf den Smartphones verfügbar zu machen. Ähnliches gilt für Cloudlösungen, auch hier haben die großen Tech-Unternehmen als Anbieter die Nase vorn. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass unsere Daten bei diesen Anbietern wirklich sicher sind und nicht zweckentfremdet werden. Dafür braucht es geeignete Maßnahmen für den Datenschutz und die Datensicherheit. Und Behörden, die die nötige Kompetenz haben, dies zu überwachen und durchzusetzen.
PWP: Vielleicht muss man auch die eine oder andere analoge Struktur parallel zum Digitalen erhalten? In den Vereinigten Staaten haben wir gerade gesehen, wie entscheidend es für eine politische Wahl sein kann, ob die analoge Post funktioniert und somit Briefwahl flächendeckend möglich ist.
Schnitzer: Klar, bei allen technischen Neuerungen muss man auch mit bedenken, wie anfällig die Systeme sind. Nicht von ungefähr ist zur Zeit das Stichwort Resilienz in aller Munde. Wenn wir resiliente Systeme wollen, dann müssen wir dafür aber auch die notwendigen Kapazitäten bereithalten. Resilienz hat ihren Preis. Trotzdem führt an der Digitalisierung kein Weg vorbei. Darin liegt ja eine Chance: Die Krise sollte gerade jede Menge junge Unternehmen motivieren, digitale Tools zu entwickeln, die die Digitalisierung in den Unternehmen, Behörden und auch im Bildungsbereich unterstützen. Es gibt viele Möglichkeiten, und selten waren die Marktchancen dafür so groß wie jetzt.
PWP: Wer beispielsweise im Einzelhandel die Umstellung nicht hinbekommt, der wird im digitalen Zeitalter wohl nicht überleben. Man kann auf der einen Seite die tendenzielle Abnahme der Wettbewerbsintensität beklagen, die damit einhergehen wird, aber auf der anderen Seite kann man darin auch eine notwendige Marktbereinigung sehen – und es kommen eben neue Anbieter auf den Markt. Aus einer Effizienzperspektive ist das nur gut, nicht wahr?
Schnitzer: Ja, genauso würde ich das sehen. Wir haben in der Corona-Krise erlebt, wie manche Restaurants sich auf Take-Away und Lieferbetrieb umzustellen wussten; oder wie manche kleinere Buchhandlungen zu Online-Bestellungen und auf Zustellung oder Postversand übergegangen sind, sodass man nicht länger auf Amazon angewiesen war. Das schaffen nicht alle, aus den unterschiedlichsten Gründen. Dafür gibt es neue Anbieter, mit neuen Konzepten.
PWP: A priori sollte man meinen, vor dem Virus seien alle Menschen gleich, aber die Betroffenheit hat sich dann doch als sehr unterschiedlich erwiesen, je nach Alter, Beruf, sozialem Umfeld, Land usw. Wie hat sich die Corona-Krise eigentlich speziell auf Frauen ausgewirkt?
Schnitzer: Im Vergleich zur Finanzkrise sind Frauen in der Corona-Krise wirtschaftlich schneller und auch stärker betroffen gewesen. In der Finanzkrise hat nach dem Bankgewerbe vor allem das verarbeitende Gewerbe stark gelitten, weil die Kreditvergabe beeinträchtigt war; diesmal aber sind wegen des Lockdowns auch die Dienstleistungen stark betroffen gewesen – und da sind nun einmal sehr viele Frauen beschäftigt. Auch von den Schulschließungen sind Frauen besonders betroffen gewesen, weil sie typischerweise in der Familie mehr Sorgearbeit übernehmen. Studien haben gezeigt, dass das daran liegt, dass sie zumeist jünger als ihre Männer und in der Karriere also noch nicht so weit sind und schon allein deshalb weniger verdienen.[5] Wenn das Paar Kinder bekommt, übernehmen die Mütter deshalb häufig einen größeren Teil der Betreuung und arbeiten in Teilzeit. In ihrer Karriereentwicklung sind sie dadurch zurückgeworfen, gerade in Berufen, in denen Arbeitspausen karriereschädlich sind. Das wurde durch die Schulschließungen in der Corona-Krise verschärft, eben weil Frauen typischerweise das niedrigere Einkommen haben. Die Arbeit im Home-Office wurde aber von vielen Frauen als Chance gesehen.
PWP: Zumindest dann, wenn die Kinder anderweitig betreut sind. Ansonsten wird das sehr anstrengend.
Schnitzer: In der Tat. Kinderbetreuung und Home-Office zu kombinieren, das funktioniert nicht. Aber es wäre eine Entlastung, wenn die Präsenzpflicht in den Büros abnähme und man sich die Arbeitszeiten freier einteilen könnte. In den besonders gut bezahlten Jobs ist es doch typischerweise so, dass derjenige den besten Eindruck macht und die interessanten Jobs und Aufträge bekommt, der abends am längsten im Büro ist, obwohl das nicht besonders effizient ist. Das erschwert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie außerordentlich. Dass außerdem die Pendelzeiten wegfallen, ist ein enormer Effizienzgewinn des Arbeitens im Home-Office.
PWP: Und wie sieht es in der Wissenschaft aus?
Schnitzer: In der Wissenschaft sagt zumindest die anekdotische Evidenz, dass jetzt mehr Forscher Paper bei Zeitschriften eingereicht haben, weil sie die Zeit des Lockdowns dazu nutzen konnten, sie fertigzustellen. Bei Forscherinnen ist das weniger der Fall gewesen, vermutlich wegen der Zusatzbelastung durch wegfallende Schul- und Kitabetreuung.
PWP: Die Benachteiligung von Frauen zeigt sich nach wie vor darin, dass sie unterrepräsentiert sind, in der Wirtschaft wie in der Wissenschaft. Der Wandel vollzieht sich nur langsam.
Schnitzer: Das stimmt. In deutschen Vorstandsetagen sind Frauen nach wie vor hoffnungslos unterrepräsentiert und in der Corona-Krise ist ihr Anteil sogar noch zurückgegangen, wie gerade die Studie der AllBright-Stiftung eindrücklich dokumentiert hat.[6] Und auch in der Wissenschaft geht es nicht voran. In den Wirtschaftswissenschaften sind gerade mal 15 Prozent der Lehrstühle mit Frauen besetzt. Und das, obwohl immer betont wird, man suche dringend nach Frauen, sie müssten eben nur gleich gut qualifiziert sein. Das Problem ist, dass man gleiche Qualifikationen oftmals nicht als solche erkennt. In den Köpfen vieler Personalverantwortlicher sitzen Stereotype fest, in deren Folge sie Frauen bei objektiv gleicher Qualifikation systematisch schlechter einschätzen als Männer. Das zeigen viele experimentelle Studien.[7] Solche Stereotypen können aber mit Hilfe von Quoten abgebaut werden, auch das zeigen Studien.[8] Wer Frauen in Führungspositionen erlebt, baut stereotype Vorurteile ab und nimmt sie als kompetent wahr – wenn auch nicht unbedingt als sympathisch.
PWP: Männer in Führungspositionen sind ja auch nicht immer sympathisch.
Schnitzer: Der Unterschied ist: Solche Männer gelten in der Regel als durchsetzungsfähig, Frauen eher als zickig. Eine Quote hat außerdem den Vorteil, dass Frauen merken, dass sie tatsächlich eine Chance haben. Damit lohnt es sich für sie auch eher, in ihre Karriere zu investieren und sich um Führungspositionen zu bemühen. Gleichzeitig nimmt durch eine Quote auch der Anreiz der Arbeitgeber zu, in ihre weiblichen Nachwuchskräfte zu investieren, sie als Führungskräfte aus- und weiterzubilden und zu fördern.
PWP: Gerade in Spitzenpositionen ist die Luft aber bisher ziemlich dünn.
Schnitzer: In der Tat, es fehlt uns an einer kritischen Masse von Frauen. Solange es nur eine Frau in einem Gremium gibt, wird alles, was negativ auffällt, darauf zurückgeführt, dass sie eine Frau ist – und das abschätzige Urteil oder der Vorbehalt wird dann auf alle Frauen übertragen. Wie oft heißt es, wenn wieder mal ein weiblicher Dax-Vorstand abserviert wird: „Die hat es nicht gepackt, jetzt muss mal wieder ein Mann ran“. Ich habe es aber noch nie erlebt, dass es umgekehrt bei einem männlichen Vorstand, der gehen musste, geheißen hätte, nun müsse mal eine Frau ran.
PWP: Wie sollte eine Quote ausgestaltet sein? Wie hoch sollte sie sein? Und sehen Sie sie eher als Selbstverpflichtung oder als allgemeines Gesetz?
Schnitzer: Das hängt vom Kontext ab. Aber eine Selbstverpflichtung, bei der sich viele Unternehmen als Zielgröße einen Frauenanteil im Vorstand von Null vornehmen, wie es aktuell der Fall ist, das ist ganz offensichtlich nicht die Lösung. Politische Parteien, zumal sogenannte Volksparteien, sollten im politischen Prozess die Bevölkerung repräsentieren. Da wäre eine 50:50-Quote für Wahllisten angebracht, um sicherzustellen, dass das Parlament auch die Anliegen der zweiten Hälfte der Bevölkerung im Blick hat.

Mit Monika Schnitzer sprach Karen Horn. Monika Schnitzer wurde von Max Kratzer fotografiert, Karen Horn von Beatríz Barragán.
Zur Person
Unternehmen, Innovation, Evidenz
Monika Schnitzer
Monika Schnitzer, geboren 1961 in Mannheim, fand als Heranwachsende über das Interesse an Politik zur Volkswirtschaftslehre. Wie lassen sich die Verhältnisse verbessern, in denen die Menschen leben? Wovon hängt der Lebensstandard in einem Land ab? Wieso kommt es zu Revolutionen? „Man muss sich schon irgendwann einmal mit Marx beschäftigt haben“, sagt die heutige Professorin für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Es erschien ihr – und erscheint ihr noch heute – sehr wichtig für politische Diskussionen, jeweils die wirtschaftlichen Hintergründe und Zusammenhänge gesellschaftlicher Entwicklungen zu verstehen.
Zum Studium ging sie 1981 nach Köln. Die Stadt hatte subjektiv den Vorteil, weit genug von zuhause weg zu liegen und eine interessante Museums- und Theaterszene zu bieten. Objektiv sprach dafür, dass die Universität einen guten Ruf besaß; Hochschulrankings gab es damals allerdings noch nicht. In Köln lehrte unter anderem Eva Bössmann, eine der an einer Hand abzuzählenden Frauen in der deutschen Volkswirtschaftslehre. Monika Schnitzer war von ihr als Person beeindruckt und blieb auch nach dem Diplom 1986 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an Bössmanns Lehrstuhl am Staatswissenschaftlichen Seminar, obwohl sie sich für die Promotion auf Anregung von Martin Hellwig für die Universität Bonn entschieden hatte. Dort nahm sie am European Doctoral Programme in Quantitative Economics teil. Akademisch erwies sich das als die richtige Entscheidung.
Weil sie sich schon immer für Unternehmen interessiert hatte, wandte sie sich in ihrer Doktorarbeit wettbewerbstheoretischen Themen zu, die sie mit Hilfe von Spiel- und Vertragstheorie bearbeitete. „Der Wettbewerb reizte mich vor allem, weil er Unternehmen zwingt, mit ihren Angeboten um die Konsumentinnen und Konsumenten zu konkurrieren, und weil er die Unternehmen zu Innovationen antreibt“, erklärt Schnitzer. Mit einem Auslandsstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) absolvierte sie 1988/89 ein Auslandsjahr an der London School of Economics.
Im Jahr 1991 wurde sie bei Urs Schweizer mit einer Dissertation zu „Takeovers and tacit collusion – the impact of incomplete contracts on product markets and the market for corporate control“ promoviert. Anschließend

wurde sie Schweizers wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wirtschaftspolitik und schrieb an ihrer Habilitationsschrift zum Thema „Solutions to the sovereign debt problem: Countertrade and Foreign Direct Investment“. Im Fokus standen multinationale Unternehmen, die vor dem Problem stehen, dass im internationalen Kontext Verträge oft nicht leicht durchsetzbar sind, weshalb es beispielsweise schwer ist, ausstehende Zahlungen durchzusetzen oder sich gegen Enteignungen zu wehren. „Das Thema war damals virulent und ist es heute im Grunde wieder“, erklärt Monika Schnitzer.
Sie hätte sich nach eigenem Bekunden nach Studienabschluss sehr gut eine Karriere in einer Unternehmensberatung vorstellen können, doch am Ende entschied sie sich für die Hochschule. Nach Abschluss der Habilitation 1995 wurde sie, wie schon kurz zuvor ihr Mann, Klaus Schmidt, an die Ludwig-Maximilians-Universität München berufen. Weil den beiden die Arbeits- und Lebensbedingungen dort ideal erschienen, ist das – Beruf und Familie stets unter einen Hut bringende – Paar trotz mehrerer gemeinsamer Rufe, unter anderem an die London Business School, nach Zürich, Bonn und an das Max-Planck-Institut in Jena, dem bayrischen Standort treu geblieben. Allerdings führten gemeinsame Forschungsaufenthalte sie immer wieder in die Vereinigten Staaten. Mit der ganzen Familie haben sie mehrfach ein halbes Jahr an der Stanford University, der Yale University, der University of California in Berkeley, der Harvard University und dem Massachusetts Institute of Technology (M. I. T.) verbracht.
Inhaltlich drehte sich die Arbeit von Monika Schnitzer weiter vor allem um Fragen von Unternehmen, Wettbewerb und Handel, um internationale Investitionsstrategien und Fragen der Unternehmensfinanzierung. Daneben wandte sie sich auch verstärkt dem Thema Innovation zu, wobei sie die Grenzen zwischen Mikro- und Makroökonomik leichtfüßig übersteigt.
Ihr ausgeprägtes Interesse für Unternehmen findet ein Pendant in einem von Managementgeist und Führungsstärke getragenen Engagement für wissenschaftliche Einrichtungen, von der European Economic Association bis zum Verein für Socialpolitik, dem sie in den Jahren 2015 und 2016 vorstand und eine dringend notwendige Frischzellenkur verpasste. Sie hat unter anderem dafür gesorgt, dass die Geschäftsstelle des Vereins von Frankfurt, wo sie bei der Deutschen Bundesbank untergebracht war, nach Berlin umzog und dort völlig neu aufgestellt wurde. Den Relaunch der Perspektiven der Wirtschaftspolitik unter der Federführung von Karl-Heinz Paqué hat sie tatkräftig unterstützt. Besonders am Herzen liegt es ihr, für eine evidenzbasierte Wirtschaftspolitik und die dafür erforderlichen Evaluationsstudien zu werben. Für die großen Verdienste, die sie sich damit für die Ökonomik im deutschen Sprachraum erworben hat, wurde sie auf der Vereinstagung 2020 zum Ehrenmitglied ernannt.
Der klare wirtschaftspolitische Anwendungsbezug ihrer Forschung hat Monika Schnitzer überdies in die Politikberatung geführt. Seit 2001 sitzt sie im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Zudem ist sie Mitglied der Economic Advisory Group on Competition Policy der Europäischen Kommission. Sie war Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation der deutschen Bundesregierung, der Expertenkommission Stärkung von Investitionen in Deutschland sowie der Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie.
Seit April 2020 ist Schnitzer zudem Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Dort hat sie die Corona-Krise gleichsam kalt erwischt – aber sie betrachtet es als „außerordentlich reizvoll, in einer solchen Krise die Chance zu haben, sich mit der eigenen Expertise einzubringen“. Als derart herausfordernd und spannend wie die gegenwärtige Situation habe sie bisher nur die deutsche Wiedervereinigung empfunden. Im Sachverständigenrat dürfte ihr dabei besonders ihre Gremienerfahrung aus der Expertenkommission Forschung und Innovation nützlich sein, wo sie stellvertretende Vorsitzende war. „Da waren auch manchmal die Meinungen sehr unterschiedlich. Trotzdem findet man immer Kompromisse, manchmal auch durch das Weglassen von Aspekten, auf die man sich nicht einigen kann“, sagt die fokussierte, zupackende, umgängliche Wissenschaftlerin.
Die Corona-Krise erscheint ihr auch als eine Chance für einen konstruktiven, weniger ideologischen wirtschaftspolitischen Diskurs. „Wir stecken in einer Situation, in der sich alle neu orientieren müssen und auch bereit sind zu diskutieren“, sagt sie. „Es gibt ein deutliches Bedürfnis der Politik, Rat einzuholen. Niemand verfügt über abschließende Weisheiten, sondern wir ringen gemeinsam um gute Antworten.“ Allerdings würde sie sich wünschen, dass noch mehr Fachkollegen aktiv in der tagespolitischen öffentlichen Debatte – beispielsweise in Talkrunden – präsent wären. „Um die ganze Breite der wissenschaftlichen Expertise abzubilden, braucht es auch mehr unterschiedliche Gesichter – und natürlich Positionen“. Sie selbst hat sich mit sehr deutlichen Worten gegen eine Neuauflage der Abwrackprämie für Verbrennerautos gestellt, die befristete Senkung der Mehrwertsteuer zur Stützung der Konjunktur jedoch grundsätzlich gutgeheißen. In einer eigenen Studie dazu konnte sie zusammen mit ihrem Team auf der Grundlage einer ersten Auswertung der Entwicklung der Kraftstoffpreise an deutschen Tankstellen inzwischen auch nachweisen, dass diese Maßnahme durchaus gegriffen hat.[9] Die Mehrwertsteuersenkung wurde tatsächlich an die Verbraucher weitergegeben, allerdings unterschiedlich stark je nach Kraftstofftyp. Wie das zu erklären ist und welche Rolle dabei der Wettbewerb spielt, daran forschen sie und ihr Team aktuell. (orn.)
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