PWP: Die Vereinigten Staaten haben einen neuen Präsidenten. Joe Biden ist ein überaus schwieriges Erbe angetreten: Das Land ist politisch gespalten wie nie, und das Corona-Virus hat die Wirtschaft aus dem Tritt gebracht. Die Krise hat auf dem Arbeitsmarkt tiefe Spuren hinterlassen. In der Spitze betrug die Arbeitslosigkeit 14 Prozent, und auch jetzt liegt sie noch bei 7 Prozent, doppelt so viel wie zu den besten Zeiten in der Ära Trump. Was ist da zu tun, und tut Präsident Biden das Richtige?
Burda: Die Corona-Krise ist eine von den vielen schlimmen Krisen, die Amerika gerade durchrütteln. Und ja, die Arbeitslosigkeit ist enorm in die Höhe geschossen. Ein so ausgefeiltes Instrument wie die deutsche Kurzarbeiterregelung gab es nicht. Man hat zwar ad hoc ein „Payroll protection program“ aufgelegt, aber das konnte nicht dieselbe Wirksamkeit entfalten. Was die wirtschaftliche Erholung angeht, bin ich ziemlich sicher, dass der Aufschwung rasch kommen wird, wenn erst die Pandemie im Griff ist. Wie schnell eine Erholung kommen kann, haben wir schon im dritten Quartal 2020 gesehen – da ist das Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zum Vorquartal um 33 Prozent gewachsen. Das hat die 31 Prozent Rückgang im Vorquartal zum großen Teil ausgeglichen. Und im vierten Quartal war die Bilanz ebenfalls positiv. Jedenfalls schlägt eine wirtschaftliche Erholung stets auch auf den Arbeitsmarkt durch, und der Arbeitsmarkt ist in seiner gegenwärtigen Verfassung seinerseits keine Bremse für den Aufschwung, denn er ist in den Vereinigten Staaten bekanntlich ausgesprochen flexibel. Das Problem ist der Konsum. Solange die Pandemie die Konsumausgaben drückt, kann es kein Wachstum geben. Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Pandemie etliche Wirtschaftszweige erheblich beschädigt, nicht zuletzt die Gastronomie, den Einzelhandel und den Tourismus. Die oberste Priorität für Joe Biden ist es und muss es deshalb auch ganz klar sein, das Virus unter Kontrolle zu bekommen. Es lähmt die Wirtschaft.

PWP: Ein Glück, dass es jetzt Impfstoffe gibt.
Burda: Ja, in der Tat, und man ist da in Amerika jetzt, glaube ich, auf einem recht guten Weg. Die Impfkampagne läuft, und das viel erfolgreicher als in Deutschland. Das ist schon sehr beachtlich. Die Vereinigten Staaten sind ein Riesenland, die Bundesstaaten haben wenig Geld, es gibt keine straff organisierten Gesundheitsämter wie in Deutschland, der Prozess ist völlig anders organisiert. Aber es läuft. Es muss auch, denn es ist ein Wettrennen mit der Zeit. In einigen Bundesstaaten, zum Beispiel New York, Massachusetts, und auch in meiner Heimat Louisiana, ist die Sterblichkeit furchtbar hoch. In den Vereinigten Staaten leben sehr viele Menschen, und wenn sehr viele von ihnen erkranken, fördert gerade die Durchseuchung das Entstehen immer gefährlicherer neuer Mutationen des Virus. Wenn wir das nicht stoppen, wird es für die ganze Menschheit brenzlig.
PWP: Zurück zum Arbeitsmarkt. Erklärt die niedrige Arbeitslosigkeit in den besten Zeiten unter Trump, warum so viele Menschen und insbesondere Schwarze und Hispanics Trump gewählt haben?
Burda: Bestimmt. Gerade die Arbeitslosenquoten unter den Schwarzen und den Hispanics waren in der modernen amerikanischen Geschichte noch nie so niedrig wie in der Trump-Zeit. Deswegen haben viele von ihnen – und mehr, als man denkt – Trump gewählt. Er mag ein Rassist sein, aber ökonomisch hat er durch seine Steuersenkungen die Wirtschaft so angefeuert und die Nachfrage nach Dienstleistungen, die die benachteiligte Bevölkerung erfüllen kann, dermaßen angeheizt, dass deren Arbeitslosenquoten recht niedrig wurden. Bei solchen Arbeitslosenquoten sind Lohnsteigerungen fast automatisch vorgegeben, denn wir wissen, dass schlecht bezahlte Arbeitnehmer ständig suchen und in bessere Jobs wechseln. Das heißt, im Ergebnis haben die Benachteiligten tatsächlich von Trump profitiert, sogar mehr als seinerzeit von Obama. Es ist schon ironisch, dass Obama nicht so nachdrücklich handeln konnte, weil er sonst als „angry black man“ gegolten und die weiße Mehrheit ihn so nie wiedergewählt hätte. Joe Biden hat es da erheblich leichter, ein breiteres Spektrum der Bevölkerung für seine Politik zu gewinnen – eine Politik, die nichts mit Sozialismus zu tun hat, auch wenn viele das so brandmarken.
PWP: Zu den ersten Maßnahmen, die Biden angekündigt hat, gehört die Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Dollar im ganzen Land. Ist das eine gute Idee?
Burda: Aus moralischen Gründen wäre ich unbedingt dafür. Der vom Bund vorgeschriebene Mindestlohn liegt in Amerika derzeit bei 7,25 Dollar. Das letzte Mal, dass er erhöht wurde, war 2009. Es hat nicht einmal eine Inflationsanpassung gegeben. Davon kann man in vielen Städten der Vereinigten Staaten schlicht nicht leben. Das ist der Grund dafür, dass einige Bundesstaaten eigenhändig draufgesattelt haben. In Kalifornien, New York und New Jersey zum Beispiel hat man die Untergrenzen angehoben und ist gar nicht mehr so weit von den jetzt angesteuerten 15 Dollar entfernt. Wirklich greifen würde die Anhebung in jenen Bundesstaaten, wo die meisten Trump-Wähler leben, und wo die Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor am meisten profitieren würden. Ich bin allerdings nicht sicher, dass es tatsächlich zu einer Erhöhung des Mindestlohns in diesem Ausmaß kommen wird. Die Stimmenverhältnisse im Senat sind dafür nicht wirklich günstig. Die Mehrheit der Demokraten ist hauchdünn; wenn einer von ihnen krank wird oder aus irgendwelchen Gründen von der Parteilinie abweichend stimmt, sieht es schlecht aus.
PWP: Befürchten Sie nicht, dass der Mindestlohn Arbeitsplätze vernichtet?
Burda: Hier nützt es nichts, dogmatisch an der klassischen Arbeitsmarktlehre zu hängen, und bei allem Respekt gehöre ich zu den Agnostikern, was ihre Gültigkeit bei niedrigem Lohnniveau angeht. Es gibt sehr wenig Evidenz dafür, dass sich Lohnerhöhungen in diesem Bereich negativ auf die Gesamtbeschäftigung auswirken, zumindest kurzfristig nicht. Ich denke in diesem Zusammenhang natürlich an die Forschungsarbeiten von Alan Krueger und David Card, wobei es allerdings auch Gegenstimmen gibt, zum Beispiel von David Neumark und William Wascher. Insgesamt ergibt sich das Bild, dass in mittlerer Frist vermutlich zwar einige Arbeitsplätze verloren gehen werden, aber keinesfalls in erheblichem Umfang. Einerseits ist die empirische Nachfrageelastizität nach solchen Arbeitskräften niedrig, und andererseits gibt es nicht selten auf einigen Arbeitsmärkten Monopsone, also lokal dominante Arbeitgeber – in vielen Fällen heißen sie Walmart oder McDonalds. Diese Unternehmen haben häufig lokale Marktmacht und setzen niedrige Löhne, die von den Arbeitnehmern angenommen werden, weil diese immobil sind. Vor allem trifft das bei den vielen illegalen Arbeitskräften zu, weil sie wenige Alternativen haben, wenn sie im Lande bleiben wollen. Wir liberale Ökonomen predigen immer gern freie Arbeitsmärkte, aber das setzt natürlich voraus, dass es keine derartige Marktmacht gibt.
PWP: Das ist das klassische ordnungsökonomische Argument, das auf Walter Eucken zurückgeht. Das Problem ist, dass in einer Monopsonsituation die relativen Preise – hier

also die Löhne – nicht die Wahrheit sagen, also ihrer Steuerungsfunktion nicht mehr richtig nachkommen können.
Burda: Nicht alle dieser Monopsonsituationen haben übrigens mit der Privatwirtschaft zu tun. Es geht nicht nur um Walmart. Viele Fälle betreffen den Staatssektor, zum Beispiel öffentliche Krankenhäuser oder Pflegeheime. Die Anomalien auf dem Arbeitsmarkt für Krankenschwestern und -pfleger sind auffällig; ihre Löhne sind einfach zu niedrig und oft über mehrere Arbeitgeber gleichlautend. Die Arbeitgeber sind rational und nutzen es aus, dass die Elastizität des lokalen Arbeitsangebots nicht unendlich ist: Irgendetwas muss man ja arbeiten, um Geld zu verdienen. Da in der Privatwirtschaft die Gewerkschaften keine Rolle mehr spielen, gibt es wenig Gegenmacht. Die Löhne bleiben im Keller. Neben Thünens Ballungseffekten erklärt auch dies das höhere Lohnniveau in Großstädten, da dort mehr Wettbewerb unter den Arbeitgebern herrscht. Solange das so ist, mache ich mir wenig Sorgen um unliebsame Effekte eines höheren Mindestlohns.
PWP: Ein klassisches und sehr effektives liberales Instrument zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut ist der „Earned income tax credit“, der jetzt ebenfalls ausgedehnt werden soll.
Burda: Das ist eigentlich nichts anderes als die negative Einkommensteuer von Präsident Richard Nixon, wie sie Milton Friedman immer befürwortet hat. Wenn die Jahreseinkünfte einen nominalen Schwellenwert nicht erreichen, gibt es eine gestaffelte Gutschrift vom Fiskus, insbesondere wenn man Kinder hat. Dieser Schwellenwert dürfte angehoben werden. Den Staat kostet solche Umverteilung natürlich Geld. Aber dieses Instrument ist aktivierend und insofern besser als die „Food stamps“, die gerade in der Pandemie ebenfalls notwendig waren und ausgebaut wurden.
PWP: Eine andere Maßnahme, die Biden plant, ist ein ausgeweitetes und höheres Arbeitslosengeld.
Burda: Da bin ich erheblich vorsichtiger. Das hängt mit den Stimulus checks der Regierung in Höhe von bis zu 2000 Dollar zusammen, die Bezugsberechtigte enthalten. Diese Einmalzahlungen stimulieren nicht nur den Konsum, sondern sie stärken die „Fallback position“ für das Arbeitsangebot. Das heißt, die Leute müssen noch mehr motiviert werden als bisher, um einen Job anzunehmen. Kommt ein höheres monatliches Arbeitslosengeld hinzu, wirkt es noch stärker in dieselbe Richtung. Es gibt einiges an wissenschaftlicher Evidenz aus Amerika darüber, dass eine höhere Arbeitslosenunterstützung die allgemeinen Lohnvorstellungen in die Höhe treibt und damit letztlich die Beschäftigung reduziert. Diese Maßnahme könnte die bereits erwähnte Flexibilität des Arbeitsmarkts schwächen. Sie beruht ja darauf, dass die Menschen im amerikanischen System relativ rasch die Realität anerkennen und ihren Beruf wechseln, wenn es nicht anders geht. It’s America.
PWP: Also wäre es besser, den Leuten mit den Stimulus checks einen höheren Einkommensausgleich zu geben, statt dauerhaft und systematisch die Arbeitsanreize zu schwächen?
Burda: Ja, auf jeden Fall. Die Demokraten haben nach vier Jahren Trump ein bisschen Nachholbedarf und verfallen jetzt offenbar in den Reflex, alles auf einmal machen zu wollen. Vielleicht trägt Joe Biden auch seinem eigenen Alter Rechnung und will sicher gehen, die Weichen gestellt zu haben für das, was kommt. Man weiß ja nie. Auf jeden Fall bin ich sehr erleichtert, dass er für den Rat der Wissenschaft offen ist, anders als sein Vorgänger – auch in ökonomischer Hinsicht. Und ich würde ihm raten, von der Arbeitslosenunterstützung die Finger zu lassen. Was die anderen geplanten Maßnahmen angeht, zum Beispiel die staatlich unterstützte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall: Das sollte gerade in dieser Pandemiesituation eine Selbstverständlichkeit sein, aber viele Amerikaner haben das lange als staatliche Einmischung abgelehnt. Es ist auch Amerikas libertärer Geist, der bei solchen Externalitäten zum Verhängnis wird.
PWP: Die Stimulus checks, die Biden ebenfalls aufstocken will, sollen ja nicht nur den Armen helfen, sondern sie sollen eine Konjunkturmaßnahme sein. Das bringt uns zum Kapitel Fiskalpolitik. Wie stark ist der Impuls, den Sie davon erwarten?
Burda: Natürlich freut sich jeder über mehr Geld in der Tasche. Aber wir wissen aus sehr vielen Forschungsarbeiten, dass ein Teil davon Leute begünstigt, die das Geld eigentlich nicht brauchen. Sie bringen es zur Bank, statt ihren Konsum zu erhöhen. Die Sparquote steigt in Amerika so stark wie seit der Finanzkrise nicht mehr, ähnlich wie woanders auch. Und die Reichen sparen am meisten. Sie haben gegenwärtig keine Gelegenheit zum Konsumieren und wollen es auch nicht: Wer mag schon in ein Sternelokal gehen, wenn man Gefahr läuft, sich dort zu infizieren? Dann aber gibt es Leute, die keine Arbeit haben und von der Hand in den Mund leben. Sie können nicht sparen. Sie werden das Geld gleich ausgeben; nur von ihnen verspreche ich mir insofern einen konjunkturellen Impuls. Dieser Nachfrageeffekt wird zwar nicht gerade riesig sein, aber spüren wird man ihn schon. Wesentlich größer wird der fiskalische Impuls dort sein, wo das Geld nicht erst durch die Taschen der Empfänger geht, die einen Teil davon sparen können – also in den Infrastrukturvorhaben, für die der Staat 1,3 Billionen Dollar über 10 Jahre bereitstellt, in den Investitionen in erneuerbare Energie, für die sogar 2 Billionen Dollar über 4 Jahre fließen sollen, und natürlich auch ganz direkt in der Impfkampagne.
PWP: Wie beurteilen Sie das Gesamtpaket der Konjunkturmaßnahmen? Ist das Timing richtig oder muss man befürchten, dass es damit in dem Moment, wo die Pandemie hoffentlich bald abebbt, der Konsum wieder in Gang kommt und die Wirtschaft Fahrt aufnimmt, zu einer Überhitzung kommt, mit einer Überauslastung des Produktionspotentials und einem entsprechenden Inflationsdruck?
Burda: Die Fiskalpolitik – Stimulus checks, Pandemiebekämpfung, Infrastruktur – lässt mich einen starken Anstieg des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts erwarten, der kurzfristig zu einer Aufwertung des Dollars führen könnte, weil Europa noch länger vor sich hindümpeln wird. Dann kommt die Fed in die Bredouille, ob sie die Zinsen wegen der sich anheizenden Wirtschaft anhebt. Eigentlich muss sie das sogar schon vorausschauend tun, sich also „gegen den Wind lehnen“. Sie wird damit zögern, weil sie den Aufschwung nicht abwürgen will – zumal der Fed-Gouverneur Jerome Powell kein Falke ist, sonst wäre er schon längst nicht mehr im Amt. Das aber ist genau, was in den siebziger Jahren passiert ist. Damals hatte Nixon den Fed-Gouverneur Arthur Burns unter Druck gesetzt, die Zinsen stabil zu halten, und daraufhin gab es natürlich noch mehr Inflation. Wenn es wieder so läuft, dann müsste die Zinsbremse umso stärker auffallen, und in der Folge später eine Abwertung des Dollar erwarten – also ein Zickzack.
PWP: Also halten Sie die Inflation tatsächlich für eine Gefahr?
Burda: Ja. Der Gesamtimpuls, den die Regierung setzen will, ist schon sehr groß, vor allem wenn die Pandemie vorüber ist. Manchmal habe ich den Eindruck, dass viele der jüngeren Menschen – und meiner jüngeren Kollegen – die Inflationsgefahr nicht ernst nehmen, weil sie sie nicht erlebt haben. In den siebziger Jahren habe ich persönlich als Teenager ordentlich Inflation kennengelernt. Man vergisst, wie es damals dazu gekommen ist. Es begann schon Ende der sechziger Jahre mit den allmählich steigenden Inflationsraten. Als Nixon 1971 die Bindung des Dollars an das Gold aufhob und zwei Jahre später, 1973, die Wechselkurse freigegeben wurden, war der Geist aus der Flasche. Der Dollar wertete daraufhin massiv ab, was einen ziemlichen Preisschub mit sich brachte. Dann kamen auch noch die Ölpreiserhöhungen dazu. Beides zusammen sorgte für mächtige Inflation.
PWP: Viele Jahre hatte es jetzt so ausgesehen, als käme die Inflation nicht mehr zurück, gestützt von der These der säkularen Stagnation – die Zinsen sind so niedrig, weil eine alternde Bevölkerung viel spart, und daran wird sich auch nicht so rasch etwas ändern. Das Hysterese-Szenario eines Abbruchs des Produktionspotentials, verbunden mit einem großen Konjunkturpaket und einem starkem Nachholkonsum, das hatten wir nicht auf dem Schirm, wie ja auch die ganze Pandemie nicht.
Burda: Genau. Aber Inflation ist wie ein Tanker. Sie kommt ganz langsam um die Ecke. Dann aber gelangt sie ins Bewusstsein und hinterlässt tiefe Spuren. Sie könnte auch die Gewerkschaften stärken und Streiks zurückbringen. Gegen Ende der siebziger Jahre musste Präsident Jimmy Carter einen drei Monate dauernden Bergarbeiterstreik gerichtlich beenden und die Streikenden zwingen, die Arbeit wiederaufzunehmen. Niemand will Carter sein, und Joe Biden ist es zu wünschen, dass es nicht so kommt. Aber wer weiß?
PWP: Wenn es so kommt, wie wir uns gerade sorgenvoll ausmalen, dann gäbe es immerhin wieder Zinsen.
Burda: Ja, für die Sparer wäre das gut. Allerdings ist nicht gesagt, dass auch die deutschen Sparer davon etwas abbekommen würden, denn das setzt ja voraus, dass die EZB dann auch in der Lage wäre, es der Fed nachzutun. Da bin ich nicht so zuversichtlich. Es würde wegen der unterschiedlichen Staatsverschuldung eine Zerreißprobe für den Euro – ein Alptraumszenario. Wenn es hart auf hart kommt, das heißt wenn wir wieder eine Situation wie 1979/80 bekommen, als der Notenbankchef Paul Volcker in Amerika die Zinsen massiv anhob, dann weiß ich nicht, wie Europa das stemmen will. Man sähe auf jeden Fall eine starke Abwertung des Euro, was für das Exportland Deutschland gut wäre, aber die importierte Inflation würde nicht schmecken. Aber das greift weit voraus und wird wohl erst in zwei, drei Jahren relevant.
PWP: Der Trend geht ja in Richtung einer engeren Verzahnung von Fiskal- und Geldpolitik. Dadurch, dass die Vorgängerin von Jerome Powell in der Fed, Janet Yellen, jetzt Finanzministerin ist, dürfte sich dieser Trend noch verstärken. Wie ist das aus Ihrer Sicht zu bewerten?
Burda: Das ist sicher so, und Janet Yellen wird dafür sorgen. Nun wissen wir, dass die Geldschöpfung über die Kreditvergabe erfolgt. Der Zustand des Bankensystems ist das Entscheidende. Man darf zwar nicht nur auf die Geldmenge starren, aber als vorlaufender Indikator für die Inflation ist die reale Geldmenge M2 schon ziemlich gut. Sie hat einen Vorlauf von vier bis sechs Quartalen. Seit Anfang 2020 wächst sie dreimal so schnell wie im vorpandemischen Vorjahr. Die Fed hat die massiven Transfers des Fiskus einfach direkt finanziert. Janet Yellen weiß das, aber ihre Priorität ist im Moment sicher, die Nachfrage auf Pump zu stabilisieren. Die Regierung will nicht, dass es zu 25 Prozent Arbeitslosigkeit kommt.
PWP: Kommen wir zur Steuerpolitik. Biden plant nicht nur, die Einkommensteuer-Spitzensätze anzuheben, sondern auch die Unternehmenssteuer.
Burda: Ja, das ist zwar angekündigt, aber wie gesagt könnten dafür die politischen Mehrheiten fehlen. Ich halte es für keine Katastrophe, wenn die Steuerbelastung auf breitere Schultern verteilt würde. Biden hat noch etwas anderes vor, was Trump zwar versprochen, aber nicht geliefert hatte: Die Abschaffung der „Carried interest provision“, wonach die Einkünfte von Fondsverwaltern zum erheblich niedrigeren Kapitalertragsteuersatz besteuert werden. Dieser ganz merkwürdige Aspekt des amerikanischen Steuersystems ist eine heftige Subvention für die Wall Street, die keiner ökonomischen Rechtfertigung unterliegt – außer der starken Arbeit von Lobbyisten. Eine „progressive“ Steuerpolitik von Biden kann zu einer negativen Reaktion an der Börse führen, aber derzeit sehen wir an den Märkten ohnehin eine Blase. Man sieht das an den hohen Price-earnings-ratios sowie daran, dass sich inzwischen auch Kleininvestoren massiv an Call-Optionen beteiligen; das endet meistens nicht gut. Das deutet darauf hin, dass die Blase irgendwann platzt und es zu einer Korrektur kommt – spätestens dann, wenn die Zinsen angehoben werden. Wenn es an den Aktienmärkten bergab geht, spielt das wieder den nun oppositionellen Republikanern in die Hände. Eins ist jedenfalls klar: Es wird ein risikoreiches Jahr.
PWP: Eine gute Nachricht ist sicherlich, dass Biden die Vereinigten Staaten wieder zum Multilateralismus zurückführt.
Burda: Aber Biden wird uns nicht die Globalisierung zurückbringen oder zurückbringen können, wie sie einmal war. Das ist vorbei. Als Konsumenten profitieren die Amerikaner am meisten vom Freihandel, aber unter den Produzenten und Arbeitnehmern gibt es einfach zu viele Verlierer der Globalisierung. Ihnen geht es wirklich schlecht. Viele von ihnen sind Trump-Wähler. Sie wurden nicht aus den „Gains of trade“ für ihre Einkommensverluste kompensiert.
PWP: Mir leuchtet das mit der Kompensation theoretisch grundsätzlich ein, aber praktisch ist mir nicht klar, wie das laufen soll. Wie würde man festlegen, wer einen Anspruch hat? Wie berücksichtigt man die individuell unterschiedlichen Ausmaße von Verlust? Wie vermeidet man Mitnahmeeffekte und Negativanreize? Und wie stellt man sicher, dass den Begünstigten dann auch klar ist, wofür sie das Geld bekommen, und dass sie damit tatsächlich zufrieden sein können?
Burda: Das ist tatsächlich ein Problem. Statt individueller Schecks mit Anspruchsprüfung kann man die Kompensation über die Bereitstellung öffentlicher Güter laufen lassen, indem man zum Beispiel Freibäder und Freizeitparks baut, unter der Annahme, dass das den Leuten gefällt.

Oder eine leistungsfähigere Infrastruktur, was zur Gesamtproduktivität des Landes beitragen kann. Aber wer wegen der Konkurrenz aus China seinen Job verliert, hat das Gefühl, er habe als Person keinen Wert mehr. Das lässt sich allein mit öffentlichen Gütern wohl kaum ausgleichen; und wie soll eine Behörde eine Kompensationszahlung berechnen, die diesem individuellen und subjektiven Leid entspricht und den Menschen ein gutes Selbstwert- und Lebensgefühl zurückgibt? Wenn das mit der Kompensation nicht so leicht möglich ist, dann braucht man einen anderen Ansatz. Meines Erachtens liefe das am besten über Bildung. Die Menschen müssen befähigt werden, sich nach einem Jobverlust, wie er nun einmal im Zuge der internationalen Arbeitsteilung geschehen kann, rasch wieder neu zu orientieren – und nicht nur, indem sie bei Walmart Tüten packen. Dazu brauchen sie vor allem eine bessere Bildung.
PWP: Amerika hat Spitzenuniversitäten, aber ein dürftiges System der Grundbildung. Und die ersten Leidtragenden sind die gesellschaftlich Benachteiligten, die Armen, die Minderheiten. Warum ändert sich daran nichts?
Burda: Viele Leute sprechen nicht gern darüber, aber die Mängel im amerikanischen Bildungssystem haben wesentlich mit dem Rassismus zu tun, dem historisch prägenden und bis heute zirkulierenden Gift in der Gesellschaft der Vereinigten Staaten. Die Historikerin Jill Lepore hat das in ihrem Buch „These Truths“[1] eindrücklich geschildert. Es gab nach dem Bürgerkrieg durchaus eine Zeit, in der die Schwarzen ökonomisch prosperieren und gesellschaftlich aufsteigen konnten, in der sie Anwälte, Ärzte und ähnliches wurden. Aber dann bildete sich Ende des 19. Jahrhunderts eine Gegenbewegung heraus, die darauf aus war, diese Entwicklungen auszubremsen. Die Weißen hatten offenbar Angst vor dieser aufsteigenden neuen ökonomischen Macht, und man hat Institutionen eingesetzt, die die Schwarzen klein gehalten haben. Ein Mittel der Repression war, ihren Kindern auf schlechten öffentlich finanzierten lokalen Schulen wenig Bildung zu vermitteln. Schlechte Bildungschancen führten zu gesellschaftlicher Segregation. Heute sehen wir infolge der lokalen Bildungsfinanzierung eine Verstetigung dieser Umstände. Wir sehen keine Investitionen in das Bildungssystem, wo die Grenzerträge nicht nur für den einzelnen Bürger, sondern auch für die gesamte Gesellschaft am höchsten sind. Viele meiner Landsleute wollen diese Zusammenhänge nicht sehen, aber Präsident Biden hat sie im Blick.
PWP: Das klingt nach einer weiteren großen Aufgabe.
Burda: Ein Bildungssystem zu reparieren, ist natürlich ein teures Unterfangen. Aber es würde sich lohnen. Im tertiären Bereich, an den Universitäten, gibt Amerika doppelt so viel wie Deutschland aus, aber der größte Teil dieser Mittel wird privat finanziert – und manches ist Verschwendung. Im primären Bereich, in den Grundschulen, wendet Deutschland mehr auf, und es gibt lange nicht die krassen Qualitätsunterschiede wie in Amerika. Das amerikanische Bildungssystem, das viele Gruppen der Gesellschaft benachteiligt, lässt ein ungeheures Potential verkommen. Wir wissen aus Studien, wie sehr das einer Volkswirtschaft schadet, genauso wie die Geschlechterdiskriminierung. Eine konsequente Bildungsreform wird zwar viel Geld kosten, aber hat noch höhere Opportunitätskosten.
PWP: Apropos hohe Kosten. Viele Leute machen sich Sorgen, dass die Vereinigten Staaten jetzt mit den umfangreichen Stützungsmaßnahmen – wie andere Länder auch – in eine Schuldenfalle laufen. Teilen Sie diese Sorge?
Burda: Ökonomisch ist längst erwiesen, nicht zuletzt durch die Arbeiten von Robert Barro, dass öffentliche Schulden keine Sünde, sondern ein wichtiges Instrument für Notfallsituationen sind. Die Corona-Pandemie ist ein Jahrhundertereignis, das den Staat fordert wie ein Krieg, und es ist ein Segen, dass er heute über die notwendigen Instrumente zum Eingreifen verfügt. Im Vereinigten Königreich gab es schon seit 1751 „Consols“ – Anleihen mit unendlicher Laufzeit. Solche Emissionen von Staatsschulden wird es immer geben, und daran geht kein Land zugrunde. Man sieht in den historischen Daten sehr schön, wie die Verschuldung im Vereinigten Königreich – anteilig am Bruttoinlandsprodukt – mit jedem Krieg stieg, aber dann folgte ein Abbau der Schulden, entweder durch Wachstum oder durch Rückkauf, also Tilgung. In der Regel trägt man die Bürde ab, indem die Wirtschaftsleistung schneller wächst als die Schulden. Nur wenn die Wirtschaft nicht wächst, hat man Probleme. Ich bin sehr zuversichtlich, dass Amerika die Kurve bekommen wird. Die Wirtschaft dort ist ein Gigant, mit vielen Arbeitskräften, viel Kapital, viel Technologie und viel Erfindergeist. Ökonomische – und übrigens auch ökologische – Neuerungen bahnen sich in ganz anderer Größenordnung und Geschwindigkeit ihren Weg als hierzulande. Deshalb muss man angesichts der Schuldenberge nicht in Panik verfallen.
PWP: Die Klimapolitik ist tatsächlich noch so eine Herausforderung. Biden ist gleich als erstes dem Pariser Klimaabkommen wieder beigetreten, das Trump aus ökonomischem Nationalismus verlassen hatte. Die New York Times titelte kürzlich: „Biden walks the climate-economy tightrope“. Es gilt klimapolitisch mehr zu tun als bisher, ohne aber die Wirtschaft abzuwürgen. Wie kann das gelingen?
Burda: Nur durch einen CO2-Preis, der die externen Effekte internalisiert. Man müsste nur möglichst schnell flächendeckend damit anfangen. Und dann besteht die Hoffnung, keinen absoluten Konflikt, keinen Trade-off zwischen Ökonomie und Ökologie mehr zu haben. Ich leugne nicht, dass es derzeit schmutziges Wachstum gibt, und neben China sind die Vereinigten Staaten dafür mitverantwortlich. Aber das muss nicht so bleiben. Das Ziel muss für Biden sein, eine klimapolitische Dividende zu generieren, indem er Anreize dafür setzt, dass grüne Technologien entwickelt und erfolgreich vermarktet werden. Ich bin sehr sicher, dass es im Wettbewerb gelingen wird, auf dem Weg zu sauberem Wachstum hier sehr weit zu kommen. Manche nordeuropäischen Länder haben gezeigt, dass es möglich ist, auf diese Weise die Klimabelastung zu begrenzen. Aber es ist klar, dass der Staat hier gefordert ist, die Rahmenbedingungen zu definieren. Der Markt kann das allein nicht lösen.

Mit Michael Burda sprach Karen Horn. Michael Burda wurde von Matthias Lüdecke fotografiert, Karen Horn von Beatríz Barragán.
Zur Person
Michael C. Burda: Arbeitsmarkt, Gesamtwirtschaft, Europa
Karen Horn
Michael Christopher Burda, geboren 1959 in New Orleans, lebt seit Ende der achtziger Jahre in Europa, der Heimat seiner Vorfahren. Väterlicherseits stammt er von polnischen Einwanderern aus dem Karpatenvorland ab, die sich Ende des 19. Jahrhunderts in Texas niedergelassen hatten; eine Generation später führten seine Großeltern dort gemeinsam ein Kaufhaus. Sein Vater wiederum, ein Rheumatologe, „war ein echter Wissenschaftler“, sagt der Sohn, „ich bin nur Ökonom“. Die Mutter war eine aus dem englischen Liverpool nach Louisiana eingewanderte Schauspielerin. Michael Burda besuchte die Jesuit High School in Shreveport, wo die sechsköpfige Familie seit 1962 lebte. Seine mathematische Begabung zeigte sich früh, aber er interessierte sich auch für Politik.
Von dort war der Weg zum Interesse für Ökonomie nicht mehr weit. Denn Politik habe schließlich immer mit endlichen Ressourcen zu kämpfen, meint er, und zwischen deren verschiedenen Verwendungsrichtungen entstünden ständig Konflikte. Sehr bewusst erlebte der Heranwachsende das Ende des Bretton-Woods-Systems, die erste Ölkrise und die starke Inflation der siebziger Jahre, in deren Zuge sich in der öffentlichen Debatte eine Menge wilde Verschwörungsgeschichten über die amerikanische Notenbank entwickelten. „Ich hielt das alles intuitiv für Unsinn und habe mich daraufhin eingehend damit beschäftigt, was die Fed macht.“ Die Ökonomie wurde auf diese Weise zum Hobby. Auch im schulischen Debattenclub ging es regelmäßig um ökonomische Fragen; ein großes Thema waren die Prognosen des Club of Rome. „Das hat mich sehr geprägt“, sagt Burda.
Nach dem Abitur ergatterte Burda einen Studienplatz am Harvard College in Cambridge, Massachusetts, wo er in seinem ersten Jahr die große Ökonomievorlesung „Ec10“ des deutschstämmigen Ökonomen Otto Eckstein hörte. Noch beeindruckender war für ihn die dazugehörige Übung, die Thomas Pugel abhielt, der heute an der New York University lehrt. „Er war eine echte Inspiration“. Großen Einfluss auf ihn hatten auch Benjamin Friedman, für den er als wissenschaftliche Hilfskraft tätig war und der ihm so einen Einblick in die Arbeit an einem Lehrstuhl ermöglichte, Olivier Blanchard und Jeffrey Sachs sowie

James Poterba und der damals gerade einmal 23 Jahre alte Larry Summers, für den er am National Bureau of Economic Research arbeitete. Sie alle bedingten seine makroökonomische Sozialisierung.
Nach dem Bachelor in Economics 1981 war Burda trotzdem unschlüssig, ob er weitermachen und auf eine volkswirtschaftliche Promotion zusteuern sollte. Zunächst ging er deshalb mit einem Rotary-Stipendium zur Horizonterweiterung für ein Jahr nach Deutschland, an die Universität Göttingen, wo im 19. Jahrhundert der große Gelehrte Johann Carl Friedrich Gauss gelehrt hatte, der „Princeps Mathematicorum“, dessen statistische Arbeiten für Ökonomen zum Alphabet zählen. Nach der mit viel Druck verbundenen College-Zeit genoss Burda in Göttingen das freie Leben deutscher Studenten und belegte neben Lehrveranstaltungen in Volkswirtschaftslehre auch Vorlesungen zu Mozart und zur symbolischen Logik. Diese Zeit in Göttingen, sagt er, sei schön gewesen und für seinen weiteren Lebensweg „ziemlich entscheidend“.
Zurück in Cambridge, arbeitete Burda parallel zum Graduiertenstudium weiter am National Bureau of Economic Research sowie als Teaching Fellow an der Harvard University; seine Doktorarbeit schrieb er bei Blanchard, der 1983 jedoch ans MIT gewechselt war, sowie bei Jeffrey Sachs. Dieser war es auch, der ihn drängte, sich in seiner Dissertation der Zunahme der Arbeitslosigkeit in Europa zu widmen statt, wie ursprünglich geplant, der Theorie realer Konjunkturzyklen – und der junge Doktorand sah ein, dass das Thema Arbeitslosigkeit von großer Relevanz war. Auf Rat von Sachs ging er auch 1985 als DAAD-Forschungsstipendiat ans Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Die Promotionsprüfung legte Burda 1987 ab.
Nach der Promotion lockte das Thema der Arbeitslosigkeit in Europa Burda wieder auf den alten Kontinent, und beide ließen ihn fortan nicht mehr los. Trotz amerikanischer Angebote ging er nach Europa, nach Fontainebleau vor den Toren der französischen Hauptstadt, um dort eine Assistenzprofessur am INSEAD (Institut Européen d’Administration des Affaires) anzutreten. Von dort aus wurde er auch als Gastwissenschaftler an die London School of Economics entsandt, zum Gouverneursrat des Federal Reserve Systems in Washington und an das Institut für Konjunkturforschung (OFCE) in Paris. In Fontainebleau arbeitete Burda eng mit Charles Wyplosz[2] („eine Vaterfigur“) zusammen, mit dem er später auch ein erfolgreiches makroökonomisches Lehrbuch verfasste und dieses in mehreren Auflagen aktualisierte[3]. Schon damals bearbeitete er auch arbeitsmarktbezogene Fragen, die nach dem Fall der Mauer und mit der beginnenden Transformation des Ostens aufkamen.
Im Jahr 1993 nahm Burda dann einen Ruf nach Deutschland an, nach Berlin – auf einen Lehrstuhl für makroökonomische Wirtschaftstheorie der sich nach der deutschen Einheit allmählich wieder neu aufstellenden, baulich zunächst noch einigermaßen ramponierten Humboldt-Universität. Diese Aufbauzeit war spannend, getragen von Pioniergeist der damaligen Kollegen sowie jeder Menge aufregender makroökonomischer Fragen vor der Haustür.
Im Rückblick erweisen sich Burdas Arbeiten gleichsam als Spiegel der Zeitgeschichte im wiedervereinigten Deutschland. Zunächst dominieren die Fragen nach dem Zusammenspiel von Strukturwandel und Beschäftigung, nach der Mobilität der Arbeitskräfte und der Wanderung von Ost nach West, der unterschiedlichen Entlohnung in den neuen und alten Ländern, der Rolle der Gewerkschaften, den Wirkungen der aktiven Arbeitsmarktpolitik sowie der institutionellen Einbettung des Arbeitsmarkts. Mit der Einführung des Euro kamen mehr Themen der europäischen Integration hinzu, sowie unter anderem die Frage, welche Lehren sich für andere Länder aus den erfolgreichen Hartz-Reformen seit 2003 ziehen ließen, die Deutschland ein „Arbeitsmarktwunder“ beschert hatten[4]. Nach der Finanzkrise 2008/9 beschäftigte ihn dann unter anderem die Wiederholung dieses Wunders durch den erfolgreichen Einsatz der Kurzarbeit als Krisenmaßnahme in Deutschland.
Im Jahr 2003 lehnte Burda eine von den Arbeitgebern vorgeschlagene Berufung in den Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung in Nachfolge von Horst Siebert ab, um sich intensiv weiter der Forschung widmen zu können. „Ich will noch etwas für die Wissenschaft tun“, erklärte er damals, aber es war auch eine Zeit des höchst unfreundlichen Umgangs der Politik mit den Vertretern der Wissenschaft, denen man nicht selten „Professorengeschwätz“ vorwarf. In den Jahren 2011 bis 2014 war er Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik. Um ihn machte er sich insbesondere durch die Ausarbeitung und Verabschiedung eines Ethik-Kodexes verdient, der dem Vorwurf interessengeleiteter Auftragsforschung begegnete, ebenso wie durch den Relaunch der Perspektiven der Wirtschaftspolitik.
Bis heute arbeitet Burda in dem Gebäude der ehemaligen Berliner Handelshochschule mit der Heilig-Geist-Kapelle an der Spandauer Straße, das nicht nur die DDR, sondern auch die umfangreiche Neubauaktivität in der Nachbarschaft nach der Wende überstanden hat, die einen Teil des sandigen Untergrundes und des Bauwerks gefährlich absacken ließ. Seine gegenwärtigen Forschungsinteressen richten sich nach wie vor auf die Schnittstelle von Arbeitsmarkt und gesamtwirtschaftlichem Geschehen, zum Beispiel mit Blick auf die Bedeutung der Lage am Arbeitsmarkt für den persönlichen Einsatz am Arbeitsplatz und für die Produktivität.[5] Und jüngst interessiert er sich außerdem für die Entstehung und die makroökonomischen Folgen von Kryptowährungen.
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