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Publicly Available Published by De Gruyter May 19, 2021

Weniger Arbeit, mehr Urlaub

  • Justus Haucap EMAIL logo

Liebe Leserin, lieber Leser,

noch immer werden wir Tag für Tag mit neuen Zahlen zu Inzidenzen, Verbreitungsraten und Impfungen konfrontiert. Noch immer breitet sich dabei bestenfalls sehr begrenzt Optimismus aus. In unserer Zeitschrift verzichten wir auf diese Zahlen, auch weil wir angesichts unserer produktionstechnischen Vorlaufzeiten nur einen bei Erscheinen schon veralteten Rückblick präsentieren könnten. Stattdessen zeigen wir Ihnen in diesem Heft in der Rubrik Unsere Welt in Zahlen eine langfristige Entwicklung, die viele als positiv ansehen dürften: Wir arbeiten immer weniger, und wir haben immer mehr Urlaub. Die jährliche Arbeitszeit in Deutschland ist in den vergangenen 50 Jahren im Durchschnitt von etwa mehr als 2000 Arbeitsstunden auf gut 1350 Arbeitsstunden geschrumpft. Aus heutiger Sicht haben also Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor gut 50 Jahren 50 Prozent mehr Zeit mit ihrer Arbeit verbracht als heute. Auch in Österreich und der Schweiz hat sich die jährliche Arbeitszeit reduziert, auf etwa 1600 Arbeitsstunden im Jahr. Dieses Niveau liegt noch deutlich höher als in Deutschland, aber der Trend entspricht auch hier anderen westlichen Industrienationen.

Zugenommen haben hingegen unsere Urlaubstage. In Deutschland haben wir heute im Durchschnitt 43 Urlaubs- und Feiertage, in der Schweiz immerhin 33. Für Österreich lagen bei Our World in Data keine Daten vor; laut Statista sind es heute 38.[1] Das ist in jedem Fall deutlich mehr als die 20 freien Tage in den Vereinigten Staaten – ein Niveau wie hierzulande vor mehr als hundert Jahren. Ganze 18 Urlaubs- und Feiertage gab es im Jahr 1900 jeweils in Deutschland und der Schweiz.

In der Rubrik Aus dem Verein für Socialpolitik veröffentlichen wir die spannende Thünen-Vorlesung, die Klaus Schmidt (München) auf der Jahrestagung unseres Vereins im vergangenen Jahr gehalten hat. Er betrachtet das Design von Klimaschutzverhandlungen – angesichts des Regierungswechsels in den Vereinigten Staaten und ihrer Rückkehr an den Klimaschutzverhandlungstisch ein sehr aktuelles Thema. Schmidt analysiert Martin Weitzmans Vorschlag, Verhandlungen auf einen einheitlichen CO2-Mindestpreis zu fokussieren. Nach Schmidts Untersuchungen wäre dieses Vorgehen demjenigen überlegen, wie es auf dem Weg zu den Abkommen von Paris und Kyoto praktiziert wurde. Seine Vorlesung gibt nebenbei auch einen guten Vorgeschmack auf unsere kommende Jahrestagung, die vom 26. bis 29. September 2021 unter dem Oberthema „Climate Economics“ stattfinden wird.

Weitgehend unbemerkt von der noch immer auf Corona fokussierten Öffentlichkeit hat der Deutsche Bundestag im Januar eine geradezu revolutionäre Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) beschlossen, und die Europäische Kommission hat im Dezember noch weiter gehende Änderungen in der Regulierung digitaler Plattformen vorgeschlagen. Heike Schweitzer (HU Berlin) und ich beleuchten die neue Kartellrechtslage in der Rubrik Aus aktuellem Anlass.

In der Rubrik Wissenschaft im Überblick befasst sich unser ehemaliger Mitherausgeber Franz W. Wagner (Tübingen) mit der Neuausrichtung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK). Dieser verpflichtet börsennotierte Kapitalgesellschaften nun auf eine Geschäftspolitik im Interesse der Stakeholder von Unternehmen. Hat der DCGK also den Interessen-Primat der Kapitaleigner aufgegeben? In der Tat wird aktuell intensiv über den höheren Zweck von Unternehmen diskutiert, und viele sehen ihn – anders als einst Milton Friedman – nicht in der Gewinnmaximierung. Freilich geht die finanzwirtschaftliche, politikwissenschaftliche und soziologische Literatur davon aus, dass die Globalisierung der Finanzmärkte und das Vordringen institutioneller Investoren eine irreversible Kapitalmarktorientierung der Finanzsysteme eingeleitet hat. In deren Folge nutzten Unternehmen auch ihre Stakeholder-Beziehungen als Wettbewerbsfaktoren zur Steigerung des Unternehmenswertes. Franz Wagner zufolge ist daher vom Stakeholder-Appell des deutschen DCGK eher ein politisches Signal an die Öffentlichkeit als ein Einfluss auf Unternehmensziele zu erwarten.

Das Gespräch führte Karen Horn mit dem ehemaligen Vorsitzenden unseres Vereins Michael C. Burda (HU Berlin) über das in vielerlei Hinsicht schwierige Erbe, das Präsident Biden in den Vereinigten Staaten angetreten hat. Unter anderem warnt Burda – ähnlich wie Olivier Blanchard und Larry Summers – vor den Inflationsgefahren, die sich infolge der Krisenbekämpfung in Amerika mittelfristig aufbauen. Weitere Aspekte sind unter anderem Mindestlöhne, Arbeitslosengeld, Bildung und die langen Schatten des Rassismus. Es ist wie so oft ein äußerst lesenswertes Interview.

Im ersten der beiden Beiträge aus der Forschung befassen sich Christian Hagist (Vallendar) und Stefan Seuffert (Freiburg) mit der „doppelte Haltelinie“ in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV). Durch die Verknüpfung zwischen GRV und Sozialer Pflegeversicherung (SPV) beeinflussen Beitragssatzänderungen in der SPV in Zukunft die Ausgabenstruktur der GRV. Die beiden Autoren beschreiben den zugrundeliegenden Wirkungsmechanismus und zeigen auf, dass die Beibehaltung der „doppelten Haltelinie“ über 2025 hinaus der Einführung eines SPV-Bundeszuschusses zur Entlastung von Rentnern und Rentnerinnen gleichkäme.

Im zweiten Beitrag aus der Forschung fragt Maximilian Hubmann (Würzburg), ob Deutschland eine Wegzugsbesteuerung für Akademiker braucht. Ausgangspunkt ist der Leitsatz, dass dem Grundsatz des Äquivalenzprinzips folgend mit der Besteuerung von Einkommen und Vermögen ein pauschalierter Ausgleich für die Nutzung staatlicher Leistungen erhoben werden soll. Bei Unternehmen wird so die Besteuerung der stillen Reserven begründet, wenn diese Wirtschaftsgüter ins Ausland übertragen oder ihren Sitz verlegen. Beim Wegzug natürlicher Personen werden ebenfalls die stillen Reserven des Sachkapitals besteuert, nicht aber das Humankapital. Gerade bei Hochschulabsolventen entsteht hier eine steuerliche Ungleichbehandlung.

Wie immer wünsche ich Ihnen Spaß und den ein oder anderen Erkenntnisgewinn beim Lesen. Für Ihr Feedback bin ich jederzeit dankbar.

Justus Haucap

Twitter: @PerspektivenWP

Online erschienen: 2021-05-19
Erschienen im Druck: 2021-05-05

© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 5.12.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/pwp-2021-0011/html
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