Kurzfassung:
Der Artikel fragt nach den außenpolitischen Prioritäten der Trump-Administration. Er gelangt zu dem Ergebnis, dass der neue US-Präsident keine strategische Leitvision hat, abgesehen von der vagen Überzeugung, dass die liberale Weltordnung den Vereinigten Staaten nicht nütze. Im Zentrum des Trumpismus steht vielmehr das Bemühen, die Unterstützung der politischen Basis des Präsidenten zu erhalten, die mit der Richtung, in die sich das Land entwickelt hat, unzufrieden ist. Dazu bedarf es primär einer Botschaft aus strammem Nationalismus, Anti-Elitismus und Globalisierungskritik. Das scheint zu funktionieren.
Abstract:
This article looks at the foreign policy priorities of the Trump Administration. It arrives at the conclusion that the president does not have a grand strategic vision, aside from a vague conviction that the liberal world order is not benefiting the U.S. Instead, at the heart of Trumpism is an effort to mobilize and maintain the support of the president's political base, which is displeased with the direction of the country, around a message of staunch nationalism, anti-elitism, and anti-globalization. It appears to be working
1 Einleitung
„Amerika zuerst“ ist das Schlagwort, mit dem Donald Trump selbst seine Außenpolitik beschreibt. Es erinnert an das Kredo einiger konservativer Nationalisten vor dem Kalten Krieg, die an die Vereinigten Staaten appellierten, sich nicht in die Probleme Europas und Ostasiens hineinziehen zu lassen und sich auf ihre nationalen Interessen zu konzentrieren. In gewisser Weise ist „Amerika zuerst“ ein passendes Schlagwort für die Ziele Trumps. Er hat (wenn auch nicht konsequent) die Bedeutung der North Atlantic Treaty Organization (NATO) und von Bündnissen mit Japan und Südkorea heruntergespielt. Auch die liberale Weltordnung hat er scharf kritisiert. Nach Ansicht Trumps ist das Netzwerk von Sicherheitsbündnissen, Freihandelsabkommen und internationalen Organisationen, das die Vereinigten Staaten seit Beginn der Epoche des Kalten Kriegs aufbauten, gut für andere Länder und für Mitglieder der globalistischen Elite, schlecht dagegen für viele Amerikaner – insbesondere amerikanische Arbeiter.
Insgesamt aber sind die historischen Parallelen von „Amerika zuerst“ eher irreführend als erhellend. Das hängt damit zusammen, dass ungeachtet aller oberflächlichen Ähnlichkeiten mit den dreißiger und frühen vierziger Jahren die Rahmenbedingungen von Trumps Amtszeit ganz andere sind. Die Vereinigten Staaten sind keine aufstrebende Weltmacht, die sich aufgrund ihrer geografischen Isolation aus den Konflikten Eurasiens heraushalten könnte, wie es Politiker glaubhaft (wenn auch nicht unbedingt zutreffend) vor dem Zweiten Weltkrieg behaupten konnten. Vielmehr sind sie eine Supermacht, die im Verhältnis zu aufsteigenden Mächten wie China oder wiederauflebenden Mächten wie Russland in allmählichem Niedergang begriffen ist. Auch Zeit und Raum sind dramatisch eingeschrumpft, sodass sich Probleme und Bedrohungen überall auf der Welt innerhalb von Minuten oder auch augenblicklich auf die Vereinigten Staaten auswirken können. Selbst der Mythos von der Festung Amerika lässt sich nicht länger aufrechterhalten.
Auch kulturelle und ökonomische Ressentiments funktionieren in den zeitgenössischen Vereinigten Staaten anders. Während in der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre ein Großteil der Bevölkerung massive Wohlstandsverluste erlitt – die Arbeitslosigkeit erreichte 25 Prozent und blieb während der gesamten Dauer der Krise zweistellig – sind diese heute begrenzter. Gewisse Regionen und bestimmte Bevölkerungsgruppen stehen heute ökonomisch deutlich schlechter da, und die Löhne der meisten Amerikaner haben stagniert. Andererseits haben viele Gemeinden von der Globalisierung profitiert, und diese hat mehr Rückhalt in der Bevölkerung, als es viele Kommentatoren oftmals wahrhaben wollen. Wissenschaftler sind sich uneins in der Frage, in welchem Ausmaß diese Wohlstandsverluste dazu beigetragen haben, dass unverhohlener Rassismus und ein aggressiver Nativismus unter kulturell konservativen Weißen wiedererstarkt sind, aber diese Debatte ist in gewisser Weise irrelevant. Entscheidend ist, dass viele Amerikaner wütend und fest davon überzeugt sind, dass Politiker sich nicht für ihre Belange interessieren. Das bietet einem Politiker neuen Typs unverhoffte Chancen, und es stellt einen Bruch mit der traditionellen Staatskunst dar.
Ungeachtet der nahezu einhelligen Verurteilung durch liberale Intellektuelle hat der Wahnsinn des Donald J. Trump in der Außenpolitik doch Methode. Anders als alle US-Präsidenten seit Harry Truman tritt er dabei selbstverständlich nicht als Führer der freien Welt auf. Doch wenn man nur genau genug hinsieht, ergibt „Amerika zuerst“ zumindest aus Trumps Perspektive eine Art perversen Sinn. Um dies zu verstehen, müssen wir drei Faktoren betrachten: die Eigenart und den Ursprung der Weltanschauung des Präsidenten, den politischen Kontext, in dem diese entstanden ist, und seine vorrangigen Ziele für die nächsten Jahren. Erst dann können wir beginnen, die wahrscheinlichen Konsequenzen der Politik des Präsidenten zu ermessen.
2 Die Eigenart und der Ursprung der Staatskunst Trumps
Angesichts seiner Inkohärenz und Widersprüchlichkeit in Interviews und öffentlichen Stellungnahmen liegt die Vermutung nahe, dass Trump keine echten Überzeugungen hat. Aber dies ist nicht ganz richtig. Tatsächlich hat er im Lauf der Jahre mehrfach eine Reihe ganz konkreter Anliegen zum Ausdruck gebracht.[1] Im Mittelpunkt seiner Weltanschauung steht die Überzeugung, dass die Vereinigten Staaten in der liberalen Weltordnung schlecht wegkommen. Die Vereinigten Staaten, so behauptet er, hätten Ländern wie Deutschland und Japan militärischen Schutz gewährt, während diese Länder gleichzeitig hohe Handelsbilanzüberschüsse erzielten. Die Vereinigten Staaten hätten die Rechnungen für die Sicherheit anderer Länder bezahlt, während Berlin und Tokio reich geworden seien. Schlimmer noch: All dies sei auf Kosten des amerikanischen Arbeiters geschehen, der, inflationsbereinigt, dramatische Lohneinbußen hinnehmen musste, sofern er Glück hatte, oder dessen Arbeitsplatz ins Ausland verlagert wurde, wenn er Pech hatte. Trump hat versprochen, diesem Zustand ein Ende zu setzen, indem er mit Verbündeten und Handelspartnern Vereinbarungen treffen würde, die für Amerika vorteilhafter wären. Nötigenfalls würde er auch Strafzölle verhängen und sogar strategische Ressourcen wie Ölfelder beschlagnahmen.
Dieser Aspekt von „Amerika zuerst“ trug Trump den Spott von Experten ein. Der Merkantilismus sei ein überholtes Konzept, behaupten sie, und wenn die Vereinigten Staaten sich diesen zu Eigen machten, würde dies die Weltwirtschaft destabilisieren. Viele Nationen würden erhebliche Wohlstandsverluste erleiden, einschließlich langfristig der Vereinigten Staaten. Obgleich diese Analyse höchstwahrscheinlich zutreffend ist, verfehlt sie doch, bis zu einem gewissen Grad, das Wesentliche. Der Präsident wird, selbst dann, wenn er die wahrscheinlichen Folgen seiner Vision begreifen würde – was er vermutlich nicht tut – seine Meinung nicht ändern. Und zwar deshalb, weil Trump keinen Zusammenhang zwischen den Interessen der Vereinigten Staaten und dem Überleben der liberalen Weltordnung erkennt.
Statt des konservativen oder liberalen Internationalismus, der die Außenpolitik all seiner Vorgänger nach dem Zweiten Weltkrieg auszeichnete, ist daher Nationalismus das übergeordnete Thema, das die verschiedenen Aspekte von Trumps Weltanschauung verbindet. Aber es ist kein auf Prinzipien basierender, konservativer Nationalismus einer Persönlichkeit wie Senator Robert Taft. Vielmehr ist es ein emotionaler, reaktiver, nostalgischer Nationalismus. Sein Wahlkampfslogan lautete schließlich „Amerika wieder groß machen“.
Einige haben Parallelen zwischen Trump und Andrew Jackson gezogen, dem Präsidenten, der im 19. Jahrhundert die Zwangsumsiedlung amerikanischer Ureinwohner betrieb, sich als Vorkämpfer des gewöhnlichen (weißen) Mannes stilisierte und sich in Streitfragen wie der Second Bank of the United States mit dem Establishment anlegte.[2] Obgleich der Trumpismus eindeutig einige Jacksonschen Züge aufweist – darunter seine Verachtung für Eliten, seinen aggressiven Patriotismus und seine Anziehungskraft für weiße Kleinstädter und Landbewohner – unterscheidet er sich doch in Schlüsselaspekten von der Jacksonschen Weltanschauung.
Der wichtigste davon ist, dass der Trumpismus ausdrücklich als eine Ablehnung der Globalisierung und des Internationalismus formuliert worden ist – die beide zu Jacksons Zeiten keine Anliegen waren – und eine mythische Vergangenheit beschwört, in der das Leben für weiße Arbeiter besser und leichter war. Der einzige Weg, um der Arbeiterschaft Wohlstand zurückzubringen, so hat Trump immer wieder betont, bestehe darin, keine neuen Handelsabkommen zu schließen, Handelspartnern, die angeblich die Vereinigten Staaten ausgenutzt haben, wie etwa China und Mexiko, die Stirn zu bieten und bestehende Abkommen wie etwa das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) neu zu verhandeln oder aufzukündigen.
Der Hinweis auf die Jacksonsche Tradition vermittelt keine relevanten Aufschlüsse über diesen Aspekt des Trumpismus, und das Gleiche könnte über den konservativen Nationalismus gesagt werden. Weitaus aufschlussreicher sind in dieser Hinsicht die Lehren einer anderen konservativen Weltanschauung: des Paläokonservatismus. Auch wenn keine Einigkeit über die genauen Konturen dieser Denkschule besteht, würden die meisten Wissenschaftler doch zustimmen, dass sie mit dem Glauben an traditionelle gesellschaftliche Wertvorstellungen, der Ablehnung eines föderalen Machtzentrums, einer paranoiden Angst vor ausländischen Einflüssen und einer aggressiven, wenn auch nicht-interventionistischen Spielart des Nationalismus verbunden ist. Der vielleicht bekannteste Paläokonservative ist Pat Buchanan, ein ehemaliger Redenschreiber Richard Nixons, der in den neunziger Jahren für die Präsidentschaft kandidierte. Nicht zufällig machte auch er sich den Slogan „Amerika zuerst“ zu Eigen.[3]
Dies bedeutet, dass Trumps politische Überzeugungen nicht einzigartig sind. Sie stützen sich auf eine bestimmte intellektuelle Tradition, wenn auch eine, die bislang nur einen begrenzten Einfluss auf die nationale Politik hatte. Dies wirft eine Frage auf: Weshalb hat sich Trump – der abgesehen von seiner Fokussierung auf Handelsfragen im Lauf der Jahre die unterschiedlichsten politischen Standpunkte vertreten hat – eine Reihe von Ideen zu eigen gemacht, die in der Vergangenheit nicht zu Wahlerfolgen führten? Um dies zu verstehen, müssen wir uns ansehen, wie sich die politische Landschaft in den letzten Jahren verändert hat und wie sich Trump diesen Wandel zunutze machte.
3 Der politische Kontext: Schwindende Unterstützung für die liberale Weltordnung
Nach dem Zweiten Weltkrieg haben Eliten in den beiden großen politischen Parteien jahrzehntelang eine internationalistische Außenpolitik unterstützt. Sie glaubten, es sei im Interesse der Vereinigten Staaten, die liberale Weltordnung zu fördern. Die Bevölkerung, deren Lebensstandard stetig anstieg, teilte größtenteils diese Überzeugung. Diejenigen, die diese gängige Meinung in Frage stellten, wie etwa die John Birch Society, wurden als Extremisten abgestempelt.
Dies hat sich in den letzten Jahren geändert, weil viele begonnen haben, den überparteilichen Konsens in Bezug auf ein stärkeres internationales Engagement in Frage zu stellen. So sind zum Beispiel die meisten Amerikaner – und eine deutliche Mehrheit der Republikaner – der Überzeugung, die Weltwirtschaft schade den Vereinigten Staaten. Die Demokraten sind alles in allem weiterhin Anhänger einer internationalistischen Außenpolitik. Und auch wenn die Unterstützung für Sicherheitsbündnisse insgesamt weiterhin relativ stark ist, lehnen die begeistertsten Anhänger Trumps ausländische Engagements und Verpflichtungen im Rahmen der NATO, der Flüchtlings- oder Auslandshilfe tendenziell ab.[4]
Was sind die Gründe für diese dramatische Entwicklung? Zunächst einmal sind weiße Arbeiter von einer Krise betroffen, die viele Facetten hat. Eine Facette ist ihre ökonomische Lage. Weiße Arbeiter haben den tiefgreifenden Strukturwandel der US-Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten am stärksten zu spüren bekommen. Die Vernichtung von Arbeitsplätzen in einer Reihe traditioneller Industrien hatte den Niedergang und die Verarmung ganzer Regionen im Mittleren Westen und Südosten der Vereinigten Staaten zur Folge. Aber die Deindustrialisierung hatte nicht nur ökonomische Auswirkungen; sie führte auch zu einem wachsenden Zukunftspessimismus und einer sinkenden Lebenserwartung.[5]
Diese Krise schuf die Voraussetzungen für einen tiefgreifenden Wandel der politischen Kultur in den Vereinigten Staaten, der sich auf mehreren Ebenen vollzog. Da ist zum einen das Wiederaufflackern eines unverhohlenen Rassismus und verschiedener Formen des weißen Nationalismus. Zum anderen hat sich die Republikanische Partei radikalisiert. Politikwissenschaftler sind zu dem Schluss gelangt, dass die politische Polarisierung vor allem deshalb zugenommen hat, weil die Grand Old Party (GOP) nach rechts gerückt ist.[6] Verärgert darüber, dass Parteiführer anscheinend ausschließlich die Interessen wohlhabender Spender und Großkonzerne vertreten, misstrauen konservative Wähler und Aktivisten mittlerweile republikanischen Politikern und verlangen radikale Veränderungen, insbesondere in der Einwanderungs- und Handelspolitik.
Daher ist die GOP, die ehedem eine Mitte-rechts-Partei war, sehr konservativ geworden, mit einer Reihe von Konsequenzen. Eine davon ist ein zunehmend extremes Verhalten. Dazu gehört auch die Drohung, die Staatsverwaltung zu schließen oder einen Staatsbankrott zu provozieren, um politische Zugeständnisse von den Demokraten zu erzwingen. Ein weiteres Problem ist die Förderung von Verschwörungstheorien. So bezweifeln fast 75 Prozent der republikanischen Wähler, dass Barack Obama US-Bürger ist.[7]
Trump hat diese Umstände nicht geschaffen, aber er ist der erste Politiker, der sie geschickt für seine Zwecke instrumentalisiert. Tatsächlich war sein Präsidentschaftswahlkampf ungeachtet seines Dilettantismus gezielt darauf ausgerichtet, sich die Radikalisierung der GOP und den Wunsch konservativer Wähler nach einem atypischen Politiker mit einer anderen Agenda zunutze zu machen. Und auch wenn sich Trumps Rhetorik im Jahr 2016 im Vergleich zu dem, was er vor ein paar Jahren sagte, deutlich radikalisiert hat (so sagte er zum Beispiel im Jahr 2012 zu CNN, er halte nichts davon, eine große Zahl illegaler Einwanderer abzuschieben), schien dies die Leute, die ihn wählten, nicht zu stören. Sie mögen seine derbe Sprache und seine Neigung zu Beschimpfungen und die Tatsache, dass er bislang die Absicht zu haben scheint, seine Wahlkampfversprechen in Bezug auf Einwanderung, Handel und Terrorismus zu halten. Wie Wählerbefragungen gezeigt haben, hat die überwiegende Mehrheit der Wähler, die diesen Fragen Priorität einräumten, für Trump gestimmt.[8]
Niedrige Zustimmungsraten sind für Trump gegenwärtig ein Anlass zur Sorge. Wichtiger aber sind die Daten, die darauf hindeuten, dass seine politische Basis mit seiner Leistung zufrieden ist.[9] Ihre anhaltende Begeisterung für den Trumpismus sowie eine gleich hohe Unterstützung – ob nun begeistert oder nicht – von denselben Republikanern, die bei den Wahlen im Jahr 2016 für ihn stimmten, könnten ausreichen, um ihm eine zweite Amtszeit zu sichern.
4 Trumpismus: Die Außenpolitik als eine Fortsetzung der Innenpolitik
Trumps Außenpolitik liegt keine Grand Strategy – Gesamtstrategie – zugrunde, sondern lediglich die Überzeugung, dass die liberale Weltordnung den Vereinigten Staaten kaum Vorteile gebracht hat. Das zentrale Leitprinzip seiner Politik ist vielmehr die Notwendigkeit, die Unterstützung seiner politischen Basis zu gewinnen und zu erhalten. Aus diesem Grund hätte es niemanden überraschen sollen, dass er seinen engsten Berater, den weißen Nationalisten Steve Bannon, im Januar 2017 in den Hauptausschuss des Nationalen Sicherheitsrats berief, während er den Director of National Intelligence (Direktor der nationalen Nachrichtendienste) und den Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs zurückstufte (eine Maßnahme, die er inzwischen aber wieder rückgängig gemacht hat). Bannon war im Endspurt des Wahlkampfs dafür zuständig, Trumps Botschaft über die globalistische Elite den letzten Schliff zu geben. Als solches ist er für die politische Zukunft des Präsidenten viel wichtiger als der Mann an der Spitze der Geheimdienste oder der ranghöchste Soldat.
Sobald wir die besondere Eigenart des Trumpismus einmal verstanden haben, können wir beginnen, einige Schlussfolgerungen über seine wahrscheinlichen Handlungen im Lauf der kommenden vier (oder acht) Jahre zu ziehen. Man kann mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass jene Vorhersagen nicht zutreffen werden, wonach Trump sich schon „normalisieren“ würde, sobald er einmal die ehrfurchteinflößende Verantwortung der Präsidentschaft übernommen hat. Zwar gibt es einflussreiche Mitglieder der Trump-Administration, die ihn in Richtung einer traditionellen Außenpolitik im Sinne eines konservativen Internationalismus lenken wollen. Aber es ist zu erwarten, dass Trumps Instinkte (die er für unfehlbar hält) und sein Mangel an Disziplin und intellektueller Offenheit derartige Bemühungen letztlich vereiteln werden. Der katastrophale Ausgang seines Treffens mit Bundeskanzlerin Angela Merkel im März 2017 hat das deutlich erkennen lassen, als er sich gewohnt offensiv und uninformiert verhalten hat.[10]
Von daher ist davon auszugehen, dass Trump in erster Linie darauf bedacht sein wird, die Versprechen seiner radikalen Wahlkampfrhetorik umzusetzen, und zwar besonders in den Bereichen Einwanderung, Handelspolitik und Terrorismusbekämpfung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass viele seiner besonders aggressiven und/oder desaströsen politischen Maßnahmen und Tendenzen die Grundlage der Anziehungskraft sind, die er auf seine politische Basis ausübt. Und in der Tat: er hat Maßnahmen in die Wege geleitet hat, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu errichten. Er prüft intensiv die Option, Zölle auf Einfuhren aus Mexiko und China zu erheben, und er hat Unternehmen öffentlich an den Pranger gestellt, die Arbeitsplätze ins Ausland verlagern; außerdem hat er ein Einreiseverbot gegen Staatsbürger einer Reihe von Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit verhängt (allerdings wurden dieses Dekrete von Bundesgerichten außer Kraft gesetzt), und kaum eine Woche im Amt billigte er ein Kommandounternehmen gegen einen Al-Qaida-Stützpunkt im Jemen. Allerding ließ er – was viele Beobachter verblüffte – im April 2017 einen syrischen Luftwaffenstützpunkt mit 59 Tomahawk Marschflugkörpern angreifen, von dem zuvor Chemiewaffen gegen Städte eingesetzt worden waren, die sich in Rebellenhand befinden. Dieser Schritt markierte aber keine Wende in der Politik, er zeigte nur, dass Trump ein aggressiver Nationalist ist und weder ein Isolationist noch ein Pazifist.
Obgleich das Kommandounternehmen weithin kritisiert wurde, können wir in den kommenden Jahren mit einer Zunahme gezielter Antiterroreinsätze von Spezialeinheiten und Luftwaffe im Nahen Osten rechnen. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass größere US-Truppenkontingente in die Region entsandt werden (auch wenn Trump hin und wieder gesagt hat, dies sei eine Möglichkeit), weil die politischen Kosten beträchtlich wären. Es ist bemerkenswert, dass Trumps Spielart von „Amerika zuerst“ in Bezug auf Kampfeinsätze im Ausland in sich widersprüchlich ist. Einerseits ist sie von einer aggressiven Rhetorik über unfreundliche Nationen durchdrungen und deutet oft den Einsatz massiver militärischer Gewalt gegen Bedrohungen an. Anderseits steht sie den jüngsten Interventionen wie etwa dem Krieg im Irak, die unpopulär geworden sind und mit einem massiven Einsatz von Bodentruppen verbunden waren, kritisch gegenüber.
Die Erklärung für diesen Widerspruch liegt in der Natur des Trumpismus. Eine militante Rhetorik kommt bei seinen Unterstützern gut an. Aber die Söhne und Töchter der kulturell konservativen weißen Arbeiter, die seine Basis bilden, stellen einen hohen Prozentsatz der Truppen, die ins Ausland entsandt werden, und sie trugen daher die Hauptlast der langen Einsätze in Afghanistan und Irak. Es ist unklar, wie sich dieser Widerspruch im Fall eines militärischen Konflikts auswirken wird, aber das wahrscheinlichste Szenario – weil es vermutlich politisch am tragfähigsten wäre – ist, dass es eine Menge kämpferische Rhetorik und Drohgebärden sowie vielleicht auch wieder Luftwaffeneinsätze geben wird, aber keinen größeren Einsatz von Bodentruppen.
Dies sollte auch beim Iran der Fall sein. Wir werden eine Menge aggressive Rhetorik erleben, aber letztendlich wird der Präsident sehr wahrscheinlich einen ähnlichen Kurs verfolgen wie die Regierung Obama. Dazu gehört auch der Verzicht auf größere militärische Operationen gegen die Islamische Republik. Dies hängt damit zusammen, dass ungeachtet der harten außenpolitischen Linie, die angeblich von Beratern wie Verteidigungsminister James Mattis vertreten wird, und Trumps Wahlkampfversprechen, das Atomabkommen zu „zerreißen“, eine länger andauernde militärische Konfrontation mit Teheran keines der Probleme der Region lösen würde (und Mattis ist dagegen, das Abkommen aufzukündigen). Es würde die Regierung zudem dazu zwingen, viel Zeit und Energie von ihrer innenpolitischen Agenda abzulenken.
Tatsächlich ist eine der größten Stärken des Trumpismus während des Wahlkampfs – nämlich dass außenpolitische Herausforderungen in einer Weise formuliert wurden, die bei der Basis gut ankamen – eine schwere Bürde, wenn es um praktische Politik geht. Es ist eine Sache, im Wahlkampf populistische Floskeln über den Rückzug aus der NATO und die Demütigung Chinas von sich zu geben; eine ganz andere Sache ist es, diese Politik in einer Weise umzusetzen, die nicht in eine Katastrophe führt. Obgleich die US-Regierung andere NATO-Mitgliedstaaten weiterhin dazu drängen wird, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen und weniger Interesse an multilateralen Aktionen wie der Intervention in Libyen im Jahr 2011 zeigen wird, sind aggressivere Abgrenzungen der Vereinigten Staaten von der Allianz unwahrscheinlich. Obgleich wir zudem mit einem konfrontativeren Verhältnis zu China rechnen müssen – insbesondere was die Handelspolitik anlangt –, wäre es doch erstaunlich, wenn der Präsident einen Kurs verfolgen würde, der zu einem Krieg führte. Tatsächlich hat er seine Drohung, die Ein-China-Politik nicht länger anerkennen zu wollen, bereits fallengelassen.
Vielleicht am schwierigsten vorherzusehen ist die Entwicklung des Verhältnisses zu Russland. Der Präsident würde zweifellos gern eine Annäherung herbeiführen. Wenn ihm dies gelänge, könnte dies den Weg zu einer Kooperation auf mehreren Feldern ebnen, etwa beim Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat. Die Verbesserung der Beziehungen zu Moskau zahlt sich innenpolitisch jedoch kaum aus. Vielmehr ist sie bereits zu einer Bürde für ihn geworden. Es ist eines der wenigen Themen, bei denen einige Republikaner ihre Bereitschaft bekundet haben, ihn in die Schranken zu weisen, und falls Trump tatsächlich unzulässige Beziehungen zur russischen Regierung unterhalten haben sollte – ein Vorwurf wohlgemerkt, der bislang nicht zweifelsfrei bewiesen ist –, könnte dies sogar seine Präsidentschaft gefährden. Es ist vielleicht kein Zufall, dass der Präsident, nachdem er während des Wahlkampfs signalisierte, er würde die US-Sanktionen aufheben und auch nichts dagegen unternehmen, dass Russland in seiner unmittelbaren Nachbarschaft seine Interessen aggressiv durchsetzt, mittlerweile in dieser Hinsicht vorsichtiger geworden ist.[11]
Die häufigen Kehrtwenden und Kontroversen, die die Positionierung der neuen US-Regierung gegenüber Moskau begleiteten, und andere anfängliche politische Herausforderungen sind kein Zufall. Sie sind das Produkt eines chaotischen und in höchstem Maße politisierten Entscheidungsprozesses in Fragen der nationalen Sicherheit. Dies wird sich wohl so bald nicht ändern. Das hat mehrere Gründe. Einer ist ideologisch: Trump und vieler seiner engsten Berater, darunter Steven Bannon, glauben, die Entscheidungsfindung in Fragen der nationalen Sicherheit sei von der elitären politischen Kultur vereinnahmt worden, die sie zerstören wollen. Dies führt zu einem Misstrauen gegenüber traditionellen Verfahren und einer Tendenz, bislang apolitische Institutionen wie den Nationalen Sicherheitsrat zu politisieren.[12]
Unwissenheit und Unerfahrenheit verschärfen das Problem noch. Wenn ein neu gewählter Präsident mit wenig außenpolitischer Erfahrung in der Vergangenheit sein Amt antrat, stand ihm ein Beraterstab, dem zumindest einige altgediente Regierungsbeamte angehörten, zur Seite. Doch für das Weiße Haus unter Trump traf das weitgehend nicht zu. Zu seiner Unkenntnis in weltpolitischen Angelegenheiten und seinen mangelnden Lernbereitschaft – seine nationalen Sicherheitsbriefings sind drastisch vereinfacht und abgekürzt worden[13] – kam die Tatsache, dass er Schwierigkeiten hatte, Topberater zu finden. Viele republikanische außenpolitische Experten unterstützten ihn nicht und wurden daher entweder auf die schwarze Liste gesetzt oder weigern sich, in seiner Regierung zu arbeiten.[14]
5 Fazit
Regierungschefs weltweit sind beunruhigt über die Richtung der US-Außenpolitik während der Ära Trump, und sie sollten es sein. Eine gefährliche Mischung aus Kriegslust, Unwissenheit und Impulsivität haben bislang das Handeln des Präsidenten bestimmt. Seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Zustand der liberalen Weltordnung – abgesehen von der Handelspolitik, wo er sie entschieden ablehnt – lässt Zweifel an den zukünftigen Beziehungen zu Alliierten in Europa und Asien aufkommen. Und in Anbetracht seiner Weltanschauung und der Art, wie er den nationalen Sicherheitsapparat leitet, besteht kaum Grund zu der Annahme, dass sich dies in absehbarer Zukunft deutlich ändern wird. Selbstverständlich tun einige Mitglieder der Regierung, wie etwa Verteidigungsminister Mattis und Vizepräsident Mike Pence ihr Bestes, um Verbündete zu beruhigen und die schlimmsten Schäden zu reparieren.
Aber sie haben nur begrenzten Einfluss, vor allem deshalb, weil andere Regierungsmitglieder ihre Bemühungen häufig konterkarieren. Vor Pences Europareise im Februar zum Beispiel, mit der er seine Unterstützung für die transatlantischen Beziehungen zum Ausdruck bringen wollte, sagte Bannon dem deutschen Botschafter in den USA, seines Erachtens sei die Europäische Union zum Untergang verurteilt. Ein solches kontraproduktives Verhalten sollte uns nicht überraschen. Stattdessen sollten wir es in unsere Planungen für die nächsten Jahre einkalkulieren. Widersprüchlichkeit, die Politisierung der Diplomatie und mangelnder Respekt für langjährige Verbündete sind schließlich natürliche Nebenprodukte des Trumpismus.
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