Zusammenfassung:
Im Blickpunkt dieses Beitrags stehen die Chancen auf einen kooperationsorientierten Wandel der iranischen Außen- und Sicherheitspolitik im Zuge des Nukleardeals. Wie die nähere Analyse zeigt, enthält das Abkommen zwar weitgehende Beschränkungen der iranischen Nuklearaktivitäten, kann aber mitnichten eine strategische Neuausrichtung des Irans herbeiführen. Die Ideologie des iranischen Regimes, die Agenda und der Einfluss des Teheraner Sicherheitsapparates sowie die gesamte strategische Orientierung des Landes lassen eine unverminderte Aggressivität gegenüber den Vereinigten Staaten, Israel und einer wachsenden Zahl arabischer Staaten erkennen.
Abstract:
This article analyzes the odds of a collaborative-minded transformation of Iran's foreign and security policy in view of the nuclear deal. A closer assessment reveals that the accord severely limits Iran's nuclear activities but cannot facilitate a strategic sea change in Iran. The ideology of the Iranian regime, the agenda and the influence of Tehran's security apparatus, and Iran's overall strategic orientation prove an undiminished belligerence vis-à-vis the United States, Israel, and a growing number of Arab states.
1 Die Stabilität des Nukleardeals und dessen strategische Folgen
Nach langen und zähen Gesprächen konnten die Unterhändler der P-5 plus 1 (sprich der fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates und Deutschlands) sowie des Irans am 14. Juli 2015 einen Durchbruch in den Verhandlungen über die Begrenzung des iranischen Atomprogramms bekanntgeben. Die erzielte Übereinkunft mit dem Namen Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) schränkt Irans nukleare Aktivitäten für einen Zeitraum von bis zu 15 Jahren ein und verpflichtet das Land zur Einhaltung weitreichender Transparenz-Kriterien, während es im Gegenzug die seit Langem angestrebten Sanktionserleichterungen erhält. Bisher wurde der JCPOA größtenteils planmäßig umgesetzt. Die International Atomic Energy Agency (IAEA) erklärte am 16. Januar 2016, dass der Iran sein Nuklearprogramm entsprechend der vereinbarten Vorgaben (vor allem mit Blick auf die Menge an leicht angereichertem Uran und die Anzahl der Zentrifugen) reduziert hat. Im Gegenzug haben die Vereinigten Staaten und die Europäische Union ihre nuklearbezogenen Sanktionen außer Kraft gesetzt. Die vom Weltsicherheitsrat verhängten Zwangsmaßnahmen wurden bis auf wenige im JCPOA klar benannte Ausnahmen im Rahmen einer neuen Resolution (2231) ebenfalls aufgehoben.
Trotz der erfolgreichen Implementierung des Abkommens traten einige Konflikte zwischen den beiden zentralen Akteuren – dem Iran und den Vereinigten Staaten – über die konkreten Pflichten des jeweiligen Gegenparts auf. So gab es beispielsweise Meinungsverschiedenheiten über den Test iranischer Raketen, die sich prinzipiell auch zum Transport nuklearer Sprengköpfe eignen. Die Raketen-Thematik wird im JCPOA zwar nicht behandelt, allerdings ruft die Resolution 2231 den Iran dazu auf („Iran is called upon“), von derartigen Tests abzusehen.[1] Die US-Regierung verurteilte daher einen entsprechenden iranischen Raketentest kurz nach dem Amtsantritt von Donald Trump als Verstoß gegen Resolution 2231, aber nicht gegen den JCPOA. Die iranische Regierung beschuldigte die Vereinigten Staaten indes, das Abkommen verletzt zu haben, weil einige der US-amerikanischen Sanktionen, insbesondere Zwangsmaßnahmen, die aufgrund von Irans Unterstützung terroristischer Akteure verhängt worden sind, weiterhin Anwendung finden. Aus diesem Grund, so die Beschwerde von Teheran, ist das iranische Bankensystem von der internationalen Gemeinschaft immer noch größtenteils isoliert.[2]
Die zentralen Vorgaben des JCPOA sind dennoch eingehalten worden. Die IAEA bescheinigte dem Iran zuletzt, die Grenzen des JCPOA im Rahmen seiner aktuellen Nuklearaktivitäten nicht überschritten zu haben, obwohl kleinere Aspekte noch final geklärt werden müssen.[3] Die P-5 plus 1, inklusive der Vereinigten Staaten, haben sich mit Blick auf die Sanktionserleichterungen trotz gegenteiliger iranischer Beschuldigungen stets an den genauen Wortlaut der Übereinkunft gehalten. Letztere verpflichtet die USA nur zur Aufhebung der Zwangsmaßnahmen, die aufgrund des iranischen Nuklearprogramms verhängt worden sind. Der damalige US-Außenminister John Kerry hat sich dennoch bemüht, den diesbezüglichen Konflikt zu entschärfen, indem er europäische Banken dazu ermutigte, wieder Geschäftsbeziehungen mit iranischen Partnern aufzunehmen.[4]
Obwohl Donald Trump das Abkommen im Wahlkampf noch vehement abgelehnt und angekündigt hatte, es neu aushandeln zu wollen, hat auch seine Administration bislang davon abgesehen, den JCPOA infrage zu stellen. Seine wichtigsten außen- und sicherheitspolitischen Regierungsmitglieder haben in ihren Anhörungen vor dem Senat zudem bekundet, an der Übereinkunft festhalten zu wollen. Verteidigungsminister James Mattis, der in der Vergangenheit für eine harte Linie gegenüber dem Iran plädiert hatte, bezeichnete den JCPOA als „suboptimales Rüstungskontroll-Abkommen“, stellte aber gleichzeitig klar, an dessen Einhaltung nicht rütteln zu wollen. „Wenn Amerika sein Wort gibt,“ so der frühere General, „müssen wir uns daran halten.“[5] Auch Außenminister Rex Tillerson und CIA-Direktor Mike Pompeo, der in seinem vorherigen Amt als Abgeordneter noch zu den schärfsten Kritikern des Nukleardeals zählte, ließen durchblicken, dass sie eine Aufkündigung des JCPOA nicht befürworten.[6]
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass seit der Aushandlung des JCPOA zwar einige ernstzunehmende Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran zu beobachten waren, dennoch hat sich die Übereinkunft bis zum jetzigen Zeitpunkt als recht stabil erwiesen.[7] Sowohl die P-5 plus 1 als auch der Iran haben ein naheliegendes Interesse daran, auch in Zukunft an dem Abkommen festzuhalten. Während die P-5 plus 1 lange für eine Begrenzung des iranischen Atomprogramms gekämpft haben, betonte die iranische Regierung unter Führung von Präsident Hassan Rowhani sowie Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei vor allem ein Ende der westlichen Sanktionspolitik herbeigesehnt zu haben.[8] Trotz ihrer Beschwerden über den genauen Umfang der Sanktionserleichterungen dürfte ihr Handeln daher weiterhin von der Furcht vor einer Wiedereinführung der wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen geprägt sein.
Im Lichte der Stabilität des JCPOA drängt sich die Frage auf, welche Folgen mit dem Abkommen einhergehen. Nach dem Abschluss der Verhandlungen gab es bereits eine kontroverse und mitunter emotionale Debatte über seine Stärken und Schwächen. Der Streit entzündete sich erwartungsgemäß in erster Linie an den Details zur Begrenzung und Überwachung von Irans Nuklearaktivitäten. Was für die Befürworter des Deals eine weitreichende Limitierung darstellte, war für die Gegner völlig ungenügend[9] und würde – in Kombination mit unzureichenden Inspektionen – eine baldige Verletzung des Abkommens ermöglichen.[10] So wichtig diese Diskussion ist, die entscheidenden Argumente für beide Positionen sind, vor allem in der US-amerikanischen Öffentlichkeit sowie in der dortigen akademischen Community, bereits oftmals benannt worden.[11] Diese Überlegungen werden im zweiten Abschnitt kurz reflektiert, um die grundsätzliche Gefahr abschätzen zu können, die nach wie vor von dem Atomprogramm des Irans ausgeht.
Im Zentrum dieses Beitrags steht dagegen die Frage nach den Folgen des JCPOA für die strategische Ausrichtung von Irans Außen- und Sicherheitspolitik. Kritiker wie Israels Premierminister Benjamin Netanjahu haben darauf hingewiesen, dass der Iran durch das Abkommen „Hunderte von Milliarden“ erhalten werde. „Diese Finanzspritze“, so Netanjahu, „wird Irans weltweite Terroraktivitäten befeuern“.[12] Auch die Obama-Administration hielt den Iran für „eine fundamentale Gefahr“ für die regionale Stabilität, wie John Kerry kurz nach Aushandlung des Nukleardeals einräumte. Gleichzeitig charakterisierte der damalige US-amerikanische Außenminister den JCPOA aber als „Heilmittel“, welches den moderaten Kräften im Iran genug Spielraum geben könnte, um einen kooperativen Wandel in der strategischen Ausrichtung des Landes herbeizuführen. Sein iranischer Amtskollege Mohammed Dschawad Zarif habe ihm mitgeteilt, so Kerry, dass ihn ein erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen in seiner Position ausreichend stärken würde, um „regionale Themen“ anzugehen und diesbezüglich mit den USA zu kooperieren.[13] Bei einem Besuch des damaligen Bundesaußenministers Frank-Walter Steinmeier im Herbst 2015 äußerte sich Präsident Rowhani ähnlich. Der Iran und Deutschland sollten Rowhani zufolge „miteinander kooperieren, um regionale und internationale Probleme zu lösen.“ Das gelte insbesondere für einen „effektiveren Kampf gegen Terrorismus“.[14]
Die Rowhani-Administration hatte allen Grund, auch europäische Vertreter in ihrem Optimismus, der Kerrys Erwartungen sogar noch um ein Vielfaches übertraf, zu bestärken. Die Hohe Repräsentantin für Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini reiste bereits zwei Wochen nach Abschluss der Verhandlungen in den Iran und erklärte den Beginn von „hochrangigen Gesprächen zwischen dem Iran und der Europäischen Union über verschiedene Themen, inklusive Energiekooperation, Menschenrechte, Maßnahmen gegen Terrorismus und regionale Themen“.[15] An anderer Stelle sprach sie von „einem neuen Kapitel“ in den Beziehungen zwischen dem Westen und dem Iran sowie der Chance auf eine komplette Neuordnung der sicherheitspolitischen Architektur im Nahen Osten „auf Basis von Kooperation statt Konfrontation“.[16] In diesem Beitrag wird untersucht, ob sich derartige Hoffnungen als berechtigt herausgestellt haben.
2 Das aktuelle Bedrohungspotenzial des iranischen Atomprogramms
Selbst zahlreiche Aussagen von Kritikern des JCPOA lassen anklingen, dass die strategische Ausrichtung des Irans zumindest in den nächsten Jahren gravierendere Folgen haben könnte als Teherans nukleare Ambitionen, da Letzteren klare Grenzen gesetzt sind. Netanjahus Warnung vor einer erhöhten Terrorgefahr ist dafür nur eines von vielen Beispielen. Zwar bekundete der israelische Ministerpräsident in einer ersten Reaktion auf den Deal auch seine Sorge davor, dass dieser dem Iran den Weg zur nuklearen Aufrüstung bereite, nahm dabei aber explizit auf das Zeitfenster nach Ablauf der durch den JCPOA auferlegten Einschränkungen Bezug. Im Wortlaut mahnte Netanjahu, dass „viele der Restriktionen, die ihn [den Iran] davon abhalten sollten, diesen Schritt zu vollziehen, eines Tages aufgehoben werden“.[17] Nach 15 Jahren kann der Iran sein Atomprogramm in der Tat nach eigenem Gutdünken ausweiten (wenngleich der Bau von Kernwaffen durch den Nuclear Non-Proliferation Treaty weiterhin untersagt bleibt), worin eine zentrale Schwäche des Abkommens liegt. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die iranischen Nuklearaktivitäten jedoch erheblich eingeschränkt. Die Anzahl an Zentrifugen, die zur Anreicherung von Uran verwendet werden beziehungsweise zu diesem Zweck verwendet werden können, ist von über 19.000 auf rund 6.000 (allesamt Modelle des älteren und vergleichsweise ineffektiven Typs IR-1) und die Menge an leicht angereichertem Uran von über zehn Tonnen auf 300 Kilogramm reduziert worden.[18]
Unter diesen Voraussetzungen würde die Herstellung einer ausreichenden Menge an waffenfähigem Uran für den Bau einer einzelnen Bombe bis zu rund einem Jahr in Anspruch nehmen, selbst wenn der Iran alle zur Verfügung stehenden Anlagen und Materialien nutzen würde.[19] Die Nutzung der bestehenden nuklearen Infrastruktur, die von IAEA-Inspekteuren intensiv kontrolliert wird, für ein solches break-out-Unterfangen würde zudem sofort registriert werden. Somit hätten die P-5 plus 1, insbesondere die USA, genug Zeit, um entschlossene Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Für eine Wiedereinführung und strenge Umsetzung der Sanktionen, wenn nicht sogar für deren Verschärfung, dürfte sich unter diesen Umständen breite internationale Unterstützung finden. Darüber hinaus bestünde im Notfall jederzeit die Möglichkeit, Militärschläge durchzuführen.
Die Summe dieser Faktoren dürfte den Iran letztendlich davon abhalten, einen break-out-Versuch überhaupt in Angriff zu nehmen. Zugegebenermaßen: Der soeben genannte Zeitrahmen (break-out time) von bis zu zwölf Monaten verringert sich im Laufe der Jahre. Nach zehn Jahren darf der Iran seine aktuellen Zentrifugen durch leistungsstärkere Modelle ersetzen, wobei die Einzelheiten Teil eines öffentlich nicht zugänglichen Ergänzungsabkommens sind. Daher lässt sich auch nicht abschätzen, wie viel Zeit der internationalen Gemeinschaft im Falle eines break-outs unter den neuen Umständen bliebe. Aus Expertenkreisen heißt es, dass sich das Zeitfenster von bis zu einem Jahr zunächst auf mehrere Monate verringert. Gegen Ende der 15-jährigen Restriktionen könnten im ungünstigsten Fall sogar nur noch einige Wochen zwischen dem Ist-Zustand und der Produktion von einer ausreichenden Menge an waffenfähigem Uran für einen nuklearen Sprengkopf liegen.[20]
Der sich stark wandelnde zeitliche Rahmen untermauert Netanjahus Sorge über Irans langfristige nukleare Ambitionen. Während der im JCPOA verankerten Begrenzung von Irans Nuklearaktivitäten erscheint ein break-out allerdings nach wie vor äußerst unrealistisch. Zwar könnten Sanktionen ab einem gewissen Zeitpunkt wohl kaum noch rechtzeitig die gewünschte Wirkung entfalten, die Option eines Militärschlages bestünde aber nach wie vor. Bislang reagierte die iranische Führung auf „rote Linien“ von Washington mit demonstrativer Zurückhaltung. So war in der ersten Jahreshälfte 2012 im Zuge von Präsident Obamas wiederholter Drohung, einen nuklearen Iran nicht zu akzeptieren, eine klare Reduzierung des Vorrates an Uran mit einem Anreicherungsgrad von 20 Prozent zu beobachten. Zudem begann der Iran damals, die Anzahl der für den Anreicherungsprozess genutzten Zentrifugen größtenteils konstant zu halten, nachdem diese zuvor drastisch erhöht worden war.[21] Demnach sollte von der militärischen Option auch in Zukunft ein maßgebliches Abschreckungspotenzial ausgehen. Vor der Implementierung des Abkommens lag das Zeitfenster für einen hypothetischen break-out über einen längeren Zeitraum hinweg ebenfalls nur bei zwei bis drei Monaten.[22] Dennoch konnte eine Eskalation zu jedem Zeitpunkt verhindert werden.
Ein anderes Problem stellt ein sogenannter sneak-out dar, der die graduelle Produktion einer ausreichenden Menge an spaltbarem Material für den Bau einer Bombe im Geheimen beinhaltet. Für ein solches Vorgehen würde der Iran verdeckte Anreicherungsanlagen[23] sowie das erforderliche Material benötigen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich nicht nur der Bau, sondern auch der Betrieb solcher Anlagen, inklusive der Zufuhr von nuklearem Material, dauerhaft geheim halten lässt, ist sehr gering. Der mit einem solchen Unterfangen verbundene Aufwand wäre enorm und die US-amerikanische Intelligence Community wusste bereits vergleichsweise frühzeitig (nicht unmittelbar nach Baubeginn, aber lange vor der Öffentlichkeit) von der Existenz der beiden bislang genutzten Anreicherungsanlagen in Natanz und Fordow, die das Regime in Teheran jeweils im Verborgenen bauen ließ.[24] Die Verifikationsmaßnahmen im Rahmen des JCPOA machen einen erfolgreichen sneak-out noch unwahrscheinlicher.[25] Somit behalten drohende Zwangsmaßnahmen, die in dem wahrscheinlichen Fall einer Enttarnung verhängt werden dürften, ihre abschreckende Wirkung.
Es ist indes keinesfalls ausgeschlossen, dass es zu begrenzten Forschungsaktivitäten kommt, die darauf abzielen, das Wissen und die Technologie für die Umwandlung von spaltbarem Material in eine Nuklearwaffe zu erlangen (weaponization-related activities). Solche Maßnahmen erfordern teilweise nur einen geringen Aufwand an Personal und Material (solange noch kein Nuklearmaterial zum Einsatz kommt), weshalb sie sich deutlich leichter geheim halten lassen als die oben beschriebenen Vorgänge. Das erklärt auch, warum die Kritik profilierter Verifikations-Experten an dem JCPOA nicht zuletzt auf die mangelnden Instrumente zur Enttarnung solcher weaponization-related activities abzielt.[26] Letztere sind jedoch nicht mit dem Bau einer Atombombe zu verwechseln. Stattdessen dürften sie schlimmstenfalls darauf abzielen, die Grundlage für eine spätere break-out- oder, was wahrscheinlicher ist, sneak-out-Option zu legen, als diese tatsächlich in Angriff zu nehmen.[27]
Damit besteht zwar die nicht zu unterschätzende Gefahr einer Verletzung des JCPOA durch Maßnahmen unterhalb eines break- oder sneak-outs, der Weg zur Atombombe dürfte dem Iran jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit versperrt bleiben, solange die Eckpfeiler des Abkommens weiterhin Anwendung finden. Die internationale Gemeinschaft sollte daher gezielt darauf hinarbeiten, den JCPOA zu stärken (beispielsweise könnten verbindliche Absprachen nicht nur die Wiedereinführung, sondern auch die drastische Verschärfung der Sanktionen im Falle eines klar definierten Verstoßes seitens Teherans vorab festlegen). Langfristig ist ein kohärenter Plan zur Abschreckung etwaiger Aufrüstungsbestrebungen nach Ablauf der 15-jährigen Restriktionen notwendig. Kurz- und mittelfristig drängt sich im Lichte dieses Zwischenfazits jedoch primär die Frage auf, wie sich der Iran sicherheitspolitisch nach Abschluss des JCPOA bereits positioniert hat und noch positionieren wird.
3 Die strategische Ausrichtung der iranischen Außen- und Sicherheitspolitik: Hoffnung auf Besserung im Zeichen der Bekämpfung des Islamischen Staates?
Mogherinis Wunsch, eine komplett neue regionale Sicherheitsarchitektur unter Einbindung des Irans zu etablieren, beruht laut ihrer Aussage nicht zuletzt auf dem auch von Rowhani gegenüber Steinmeier beschworenen gemeinsamen Interesse an der Bekämpfung des Terrorismus, insbesondere mit Blick auf den Islamischen Staat (IS).[28] Der Iran hat zu diesem Zweck eigene Truppen im Irak und – im Zuge eines Schulterschlusses mit dem Regime von Baschar al-Assad – auch in Syrien ins Feld geführt. Interessanterweise existiert im Irak bereits eine befremdlich anmutende Aufgabenteilung zwischen US-amerikanischen Streitkräften und iranischen Einheiten. Während Letztere wesentlich dazu beitragen, den IS am Boden in Schach zu halten, greifen die Vereinigten Staaten ihn vor allem aus der Luft an. Mittlerweile haben auch die USA ihre Präsenz am Boden deutlich erhöht. Darüber hinaus konnte die irakische Armee wieder sukzessive gestärkt werden. Iranische Spezialkräfte bleiben bei der Koordination der Bodenoffensive aber nach wie vor von großer Bedeutung.[29] Insofern überlappen sich in der Tat westliche und iranische Interessen. Mehr noch: Momentan ziehen die alten Erzfeinde aus Washington und Teheran im Irak sogar am selben Strang.
In Syrien unterscheiden sich die Vorgehensweisen beider Länder dagegen gravierend. Während die Vereinigten Staaten nur den IS und einige weitere Terrorgruppen angreifen, bekämpfen die dortigen iranischen Truppen die gesamten Oppositionskräfte. Dank der militärischen Rückendeckung – auch durch Russland und schiitische Milizen – konnten Assads Einheiten ihre wichtigsten Stellungen verteidigen und befinden sich mittlerweile sogar auf dem Vormarsch. Dabei gehen sie erschreckend rücksichtslos vor. Den Schätzungen des UN-Gesandten Staffan de Mistura zufolge sind allein bis Frühjahr 2016 rund 400.000 Menschen bei den Kämpfen ums Leben gekommen.[30] Der Iran trägt somit direkt zur Unterdrückung der syrischen Bevölkerung und zum Chaos durch den Bürgerkrieg bei. Es ist nicht das einzige Hindernis, das Mogherinis Vision im Wege steht. Eine nähere Betrachtung ergibt, dass es aufseiten des Regimes in Teheran nach wie vor enorme ideologische Vorbehalte sowie Widerstände innerhalb des Sicherheitsapparates gegen eine kooperative Neuordnung der Nahost-Region gibt. Das zeigt sich auch mit Blick auf die aktuelle strategische Ausrichtung des Irans, die trotz des Durchbruchs in der Nuklearfrage und des gemeinsamen Kampfes gegen den IS im Irak weiterhin von einer großen Militanz gegenüber den USA, Israel und zahlreichen arabischen Staaten geprägt ist.
3.1 Die unvermindert militante Ideologie von Revolutionsführer Khamenei
So moderat Zarifs eingangs erwähntes Versprechen gegenüber Kerry auch klingen mag, „regionale Themen“ und kooperative Vorhaben nach Abschluss des JCPOA aus einer gestärkten Position heraus angehen zu wollen, es impliziert die Notwendigkeit, sich in innenpolitischen Auseinandersetzungen mit Gegnern eines solchen Annäherungsprozesses erst behaupten zu müssen. Mit seinen Aussagen spielte Außenminister Zarif offensichtlich auf die bekannten Vorbehalte von Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei an. Dessen Ressentiments dürfte indes nur schwer beizukommen sein, weil im politischen System des Irans nicht der Staatspräsident, geschweige denn dessen Außenminister, sondern der Revolutionsführer die Richtlinien der Politik vorgibt. Bei sicherheitspolitischen Entscheidungen kommt ihm eine besondere Kontrollfunktion zu. Alle Beschlüsse mit entsprechendem Bezug werden im Obersten Rat für Nationale Sicherheit unter Aufsicht des Präsidenten und eines von ihm bestellten Beraters diskutiert, sind aber erst nach Zustimmung des Revolutionsführers wirksam.[31]
Revolutionsführer Khamenei steht für einen unnachgiebigen Kurs, vor allem gegenüber den Vereinigten Staaten und Israel (in der Diktion des Regimes auch oftmals als „großer“ beziehungsweise „kleiner Satan“ bekannt), die er als Erzfeinde der von ihm propagierten Revolution durch den schiitischen Islam betrachtet. Auf zahlreiche positive Signale aus Washington, wie etwa zwei Briefe aus dem Weißen Haus mit dem Ersuchen um eine gemeinsame Entspannungspolitik, die Präsident Barack Obama zu Beginn seiner Amtszeit gesendet hat, reagierte Khamenei mit Abweisung.[32] Hasstiraden gegen Israel gehören zur Tagesordnung des Regimes und seines Oberhauptes. In Europa, insbesondere in Deutschland, hat sich die Debatte über den virulenten Anti-Israelismus und Antisemitismus der iranischen Führung jahrelang auf die Holocaust-Leugnung durch den damaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad sowie dessen öffentlichen Aufruf zur Vernichtung Israels (beziehungsweise die korrekte Übersetzung der Aussage, Israel solle „von der Landkarte getilgt“ respektive „von den Seiten der Geschichte verschwinden“) konzentriert.[33]
Die nicht weniger aggressive Rhetorik des Revolutionsführers ging dabei stets unter. Khamenei hat Israel wiederholt als „Krebsgeschwür“ bezeichnet. Ende 2014 stellte er auf Twitter sogar die rhetorische Frage „Warum und wie sollte Israel vernichtet werden?“ und sendete anbei einen ausführlichen Frage- und Antwortkatalog, der für die „Eliminierung“ des „zionistischen Regimes“ wirbt.[34] Auch die arabischen Regierungen, insbesondere in der Golf-Region, sind zunehmend zur Zielscheibe Khameneis geworden. Saudi-Arabien bezeichnete er beispielsweise erst kürzlich als „mickrigen Satan“, der „Allianzen mit dem Zionismus und den USA“ eingegangen sei.[35]
Im Zuge der gesamten JCPOA-Verhandlungen positionierte sich Khamenei ebenfalls als Verfechter der alten Feindbilder des Regimes. Bereits kurz nach der Amtseinführung von Präsident Rowhani, der wiederum Zarif das Amt des Außenministers übertrug, stellte Khamenei alle Bemühungen zur Beilegung des anhaltenden Konflikts über das iranische Atomprogramm als bestenfalls taktische Konzessionen dar, die jedoch keinesfalls einen strategischen Wandel zur Folge hätten. In diesem Zusammenhang verglich er das Verhalten des Irans mit dem eines Ringers, der gelegentlich „aus technischen Gründen Flexibilität demonstrieren muss“, aber „nicht vergessen sollte, wer sein Gegner und Feind ist“.[36] Sollte hinter dieser Aussage nicht bloß innenpolitisches Kalkül gesteckt haben, wäre Mogherinis Vision eines kooperativen Arrangements mit dem Iran bereits vom Tisch.
Zwar akzeptierte Khamenei letztendlich das von Zarif ausgehandelte Abkommen, allerdings tat er dies demonstrativ widerwillig. Wenige Wochen nach Bekanntgabe des Durchbruchs bei den Verhandlungen rief er zum Kampf gegen „die dominierenden Mächte“ dieser Welt auf, wobei er vor allem auf die Vereinigten Staaten abhob, in denen er laut eigenem Bekunden immer noch Irans größten Feind sieht.[37] Khamenei charakterisierte den JCPOA sogar als US-amerikanische Falle. Ziel der Obama-Administration sei es demnach gewesen, „das Abkommen als Instrument zu benutzen, um das Land zu penetrieren“.[38] Die mühsam erzielte Übereinkunft ist somit aus Sicht des zentralen politischen Akteurs im Iran nicht der Beginn einer neuen Zeitrechnung, sondern die Fortsetzung der alten Konfrontation zwischen dem iranischen Regime und den Vereinigten Staaten mit anderen Mitteln. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Khamenei einen extrem vorsichtig formulierten Vorstoß von Präsident Rowhani, der davon sprach, Irans Zusammenarbeit mit „verschiedenen Ländern“ nach Abschluss des Nukleardeals auszuweiten, brüsk zurückwies. Stattdessen sollte man sich aus Sicht Khameneis „auf die Fortsetzung des Kampfes gegen Amerika vorbereiten“.[39] Auch mit Blick auf Israel fiel Khameneis Rhetorik unverändert martialisch aus: „Wir unterstützen,“ so der Revolutionsführer, „jeden, der Israel bekämpft, das zionistische Regime zertrümmert und zum Widerstand aufruft“.[40]
3.2 Die Rolle und Agenda der Qods Force
Die radikale Gesinnung des Revolutionsführers wird zudem durch den Einfluss der Qods Force manifestiert. Bei allen Fragen regionaler Sicherheit ist die Qods Force – und entgegen Zarifs Andeutung gegenüber Kerry nicht der Außenminister – die Instanz innerhalb des iranischen Regimes, die für Planung und Ausführung sämtlicher Maßnahmen verantwortlich ist. Bei der Qods Force handelt es sich um einen Teil der Revolutionsgarden, einer militärischen Sondereinheit. Im Gegensatz zu anderen Truppenelementen ist die Qods Force für die „Außenbeziehungen“ der Revolutionsgarden verantwortlich, das heißt, dass ihre Kommandeure Kontakt mit Irans Partnerorganisationen halten und das gemeinsame Vorgehen koordinieren. Ihr Befehlshaber berichtet direkt an den Revolutionsführer.[41]
Der exorbitant hohe Einfluss der Qods Force ließ sich unter anderem im Kontext des Aufstandes gegen die von den USA geführte Multi-National Force im Irak nach dem Sturz Saddam Husseins beobachten. Als die Sorge über die Kollaboration zwischen dem Iran und lokalen schiitischen Milizen, die an dem Aufstand beteiligt waren, wuchs, erhielt der damalige Oberbefehlshaber der Multi-National Force General David H. Petraeus ein Schreiben von seinem Gegenspieler und Qods Force-Anführer Qasem Soleimani. In seiner Nachricht reklamierte Soleimani die Planungshoheit über Irans regionale Sicherheitspolitik für sich. „Sie sollten wissen,“ so der Qods Force-Kommandeur, „dass ich, Qasem Soleimani, Irans Politik mit Blick auf den Irak, den Libanon, Gaza und Afghanistan kontrolliere“.[42] Damit stellte Soleimani in einer Zeit, in der Washington nach Mitteln und Wegen zur Einhegung der Gewalt im Irak suchte, klar, wer der entscheidende Ansprechpartner auf iranischer Seite war.
Petraeus war von dem Inhalt der Nachricht keinesfalls überrascht, da die dominante Rolle der Qods Force bereits überdeutlich zu erkennen war. Selbst der iranische Botschafter in Bagdad sowie dessen designierter Nachfolger zählten zu der Qods Force und berichteten an Soleimani, wie dieser Petraeus in seinem Schreiben noch einmal ausdrücklich in Erinnerung rief.[43] Das iranische Außenministerium war also sogar mit Blick auf seine Kerntätigkeit, den diplomatischen Austausch mit anderen Ländern, völlig ausgebremst. In militärischer Hinsicht beteiligte sich Soleimanis Einheit an der Rekrutierung, Ausbildung, Bewaffnung und Informationsbeschaffung für militante schiitische Gruppierungen, wie etwa die berüchtigte Mahdi Army (oder auch Jaish al Mahdi) unter dem Kommando von Muqtada al-Sadr, mit denen mitunter auch die Planung militärischer Operationen koordiniert wurde.[44] Alle diplomatischen Bemühungen, die darauf abzielten, die Zusammenarbeit zwischen dem Iran und den schiitischen Milizen auf friedlichem Wege zu beenden, liefen ins Leere.[45]
Auch die anderen von Soleimani genannten Brennpunkte untermauern Irans aggressive strategische Ausrichtung unter Federführung der Qods Force. Abgesehen vom Irak, wo mittlerweile, wie oben erwähnt, der gemeinsame Kampf gegen den Islamischen Staat die Agenda bestimmt, zielt die iranische Politik im Libanon, in Gaza und in Afghanistan weiterhin auf die Unterminierung regionaler Stabilität und die Verdrängung des Westens sowie seiner Verbündeten ab. Im Libanon arbeitet Soleimanis Organisation vor allem mit der ebenfalls militant-schiitischen Hisbollah zusammen, die mit iranischer Hilfe in der Vergangenheit zahlreiche verheerende Anschläge auf Zivilisten verübt hat (unter anderem auf die US-amerikanische Botschaft in Beirut im Jahre 1983, die israelische Botschaft in Buenos Aires 1992 und das dortige jüdische Gemeindezentrum 1994).[46]
Mittlerweile ist auch Europa in das Fadenkreuz der Hisbollah geraten. Laut den bulgarischen Ermittlungsbehörden war die schiitische Miliz für einen Bombenanschlag auf einen Bus in Burgas im Jahre 2012 verantwortlich, bei dem fünf israelische Touristen und der bulgarische Fahrer den Tod fanden.[47] Es ist davon auszugehen, dass die Qods Force – und vermutlich auch das iranische Ministerium für Geheimdienste und Sicherheitsfragen – die Hisbollah bei ihren Anschlagsplänen zumeist unterstützt und vermutlich sogar anleitet.[48] Außerdem ist der Iran der zentrale Waffenlieferant der Hisbollah. Dank Teheran verfügt die schiitische Terrororganisation mittlerweile über ein umfassendes militärisches Arsenal, das vergleichsweise präzise Raketen mit einer Reichweite von bis zu 250 Kilometern, Artilleriegeschütze und Radarsysteme umfasst. Auch die finanzielle Unterstützung ist enorm und beträgt vermutlich zwischen 100 und 200 Millionen US-Dollar pro Jahr.[49]
Die Aktivitäten der Qods Force in Gaza und Afghanistan sind im Vergleich zu den soeben beschriebenen Entwicklungen eher begrenzt, beweisen jedoch einmal mehr das militante Vorgehen von Soleimanis Organisation. Im Gaza-Streifen unterstützt die Qods Force die Hamas und den Islamischen Dschihad in Palästina. Wenngleich die palästinensischen Terrorgruppen operativ selbstständig agieren, fördert der Iran dennoch gezielt deren Aggressivität. Wenige Wochen nach der vollständigen Implementierung des JCPOA versprach der iranische Botschafter im Libanon den Familien aller Palästinenser, deren Angehörige bei sogenannten „Märtyrer“-Operationen (sprich Selbstmordattentaten) in Zukunft ihr Leben verlieren, 7.000 US-Dollar.[50] Ähnlich wie bei der Hisbollah beinhaltet die Zusammenarbeit zudem den Transfer von Waffen, Geld und Informationen,[51] wenngleich der Umfang der Kooperation moderater ist. Aus diesem Grund ist das militärische Arsenal der Hamas, insbesondere im Raketensektor, bescheidener und weniger effektiv als das der libanesischen Terrorgruppe.
Das iranische Engagement im Gaza-Streifen hat dennoch große Bedeutung, zumal es keinen Zweifel an den strategischen Zielen Teherans aufkommen lässt. Im Gegensatz zu den schiitischen Milizen im Irak und der ebenfalls schiitischen Hisbollah besteht keine ideologische Nähe zwischen dem Iran und den sunnitischen Akteuren Hamas und Islamischer Dschihad in Palästina. Zudem lehnt die Hamas den vom Iran (und der Hisbollah) vehement verteidigten Herrschaftsanspruch Baschar al-Assads in Syrien ab, was zu Spannungen mit der Qods Force führte. Nach einer vorübergehenden Kürzung der finanziellen Zuwendungen sind die Beziehungen laut Aussage des stellvertretenden Hamas-Führers Moussa Abu Marzouk mittlerweile jedoch wieder „repariert.“[52] Die konsequente Unterstützung radikaler Sunniten im Gaza-Streifen trotz aller Meinungsverschiedenheiten zeigt, wie sehr sich die Qods Force, deren Name aus der persischen Übersetzung von „Jerusalem“ abgeleitet ist, dem Anti-Israelismus von Revolutionsführer Khamenei verpflichtet fühlt. In einer militärischen Übung simulierten die Revolutionsgarden Ende 2015 sogar die Eroberung der Jerusalemer Al-Aqsa Moschee, wenngleich iranische Medien die Basij, eine Schwesterorganisation der Qods Force, als Hauptakteur nannten.[53]
In Afghanistan hat die Qods Force sogar mit erklärten Feinden des iranischen Regimes kooperiert, um die internationalen Truppen unter Führung der USA zu schwächen. Sowohl die dort ansässigen Taliban als auch al-Qaida sind reaktionäre sunnitische Gruppierungen, die die schiitische Staatsform im Iran als das Werk von Ungläubigen betrachten. Das hat das iranische Regime nicht davon abgehalten, schon seit längerer Zeit eine Reihe von al-Qaida-Verantwortlichen zu beherbergen, die zumeist während der US-Invasion 2001 (und somit vor der kontroversen Rede zur Lage der Nation von George W. Bush im Jahre 2002, in der er den Iran zur „Achse des Bösen“ zählte, die oftmals als Ausgangspunkt neuer Spannungen genannt wird[54]) die iranische Grenze überquerten. Offiziell stehen sie unter Hausarrest, konnten in der Vergangenheit aber oftmals mit ihren Mitstreitern kommunizieren und gemeinsame Aktionen planen.[55] Es gibt zudem Hinweise darauf, dass al-Qaida 2009 begonnen hat, den Iran als Transitland zu nutzen, um Dschihadisten in andere Länder schicken zu können.[56] Die Taliban haben seit 2006 offenbar sogar militärische und finanzielle Unterstützung durch die Qods Force erhalten.[57]
3.3 Das Vorgehen des iranischen Regimes mit Blick auf seine neuen strategischen Fixpunkte
Wenn Soleimani sein Schreiben an Petraeus heute aufsetzen würde, könnte er seine Liste noch um Syrien, Jemen und Bahrain ergänzen. Die Aktivitäten der Qods Force in Bahrain sind vergleichsweise überschaubar, tragen allerdings auch dort unmittelbar zu Gewalt und politischen Spannungen bei. Im Dezember 2013 unterrichtete die Küstenwache Bahrains beispielsweise die Öffentlichkeit von der Aufbringung eines mit Waffen und Munition beladenen iranischen Bootes, dessen Ladung offensichtlich für Akteure im schiitischen Untergrund bestimmt war.[58] In der jüngeren Vergangenheit kam es zu ähnlichen Vorfällen.[59]
Im Jemen, wo die Qods Force die schiitischen Houthi-Rebellen in ihrem Kampf gegen die Regierung in Sanaa unterstützt, ist der iranische „Fußabdruck“ noch deutlicher zu erkennen. 2013 wurde ein iranisches Schiff mit einer umfangreichen Waffenlieferung von den jemenitischen Behörden gestoppt und bezeichnenderweise acht Mitglieder der Crew kurz nach ihrer Verhaftung von Houthi-Truppen befreit.[60] Weitere Schiffe mit Waffenladungen wurden im Februar und März 2016 – und somit unmittelbar nach der Implementierung des JCPOA – von der australischen, französischen und US-amerikanischen Marine vor der jemenitischen Küste angehalten. Die militärischen Güter stammten Untersuchungen zufolge eindeutig aus dem Iran.[61] Laut Medienberichten kam eine vertrauliche Studie der Vereinten Nationen im Jahre 2015 zu dem Schluss, dass die Houthis bereits seit mindestens 2009 militärisches Gerät aus dem Iran erhalten haben.[62] Revolutionsführer Khamenei bekräftigte unterdessen – ohne die Verwicklung der Qods Force in den Schmuggel von Waffen explizit einzuräumen – vielsagend die Entschlossenheit des Regimes, die „unterdrückten Völker“ in Bahrain und Jemen auch weiterhin zu unterstützen.[63]
All diese Maßnahmen verblassen jedoch im Vergleich zu dem militärischen Engagement des Irans in Syrien. Wie bereits zuvor erwähnt, hat die iranische Syrien-Politik entscheidend dazu beigetragen, den blutigen Krieg bis heute zu verlängern. Um das Assad-Regime zu verteidigen, haben der Iran und die Hisbollah Tausende von Kämpfern entsandt. Abgesehen von den katastrophalen humanitären Folgen hat sich das iranische Eingreifen in Syrien auch aus sicherheitspolitischer Sicht als völlig verheerend herausgestellt. Die schiitische Allianz, die sich zur Verteidigung eines alawitischen Regimes in Damaskus gebildet hat, hat innerhalb der sunnitischen Bevölkerung das zunehmende Gefühl der Schutzlosigkeit hervorgerufen. Unter diesen Umständen konnte sich der IS als sunnitisches Bollwerk präsentieren und auf diesem Wege zahlreiche neue Anhänger rekrutieren.[64]
Erschwerend kommt hinzu, dass die Qods Force in den zurückliegenden Jahren wiederholt auch selbst als terroristischer Akteur in Erscheinung getreten ist. Der umfassendste Plot war eine geplante Anschlagsserie auf eine Vielzahl US-amerikanischer und jüdischer Ziele in Aserbaidschan, an der beinahe zwei Dutzend Mitstreiter beteiligt waren. Die entsprechenden Pläne flogen 2011 auf.[65] Im selben Jahr konnte ein Bombenanschlag auf den saudischen Botschafter in Washington verhindert werden. Auf Tonbandaufzeichnungen der Strafverfolgungsbehörden sagte der Chef-Planer der Operation, es sei „kein Problem“, wenn die geplante Explosion auch 100 bis 150 Unbeteiligte in den Tod reißen würde.[66] Anfang 2012 kam es kurz hintereinander zu gezielten Angriffen auf israelische Diplomaten in Kenia, Georgien, Indien und Thailand. In den anschließenden Untersuchungen wurde die Qods Force als Urheber dieser Taten identifiziert.[67]
4 Irans wachsende Militanz als strategische Herausforderung für den Westen
Angesichts der geschilderten Entwicklungen ist nicht davon auszugehen, dass der Iran nach Abschluss des JCPOA einen strategischen Schwenk in Richtung einer Kooperation mit dem Westen auch nur ernsthaft in Erwägung gezogen hat. Zarifs Versprechen, die grundlegenden Konflikte zwischen dem Westen und dem Iran nach Abschluss der JCPOA-Verhandlungen in Angriff zu nehmen, hat sich vielmehr als diplomatische Finte erwiesen. Für einen solchen Schritt fehlt dem iranischen Außenminister in jedem Fall die Machtfülle, wobei zweifelhaft ist, ob er überhaupt den entsprechenden Willen hatte.[68] Der JCPOA war zwar nicht der Ausgangspunkt von Irans zunehmender Militanz, die sich bereits seit einigen Jahren verschärft hat, allerdings haben Aushandlung und Umsetzung des Abkommens auch keinesfalls zu einer Mäßigung geführt.
Die Waffenlieferungen an die Houthi-Rebellen haben unmittelbar nach der Implementierung des Nukleardeals sogar zugenommen. Bereits kurz zuvor erfolgte die Ankündigung, den Familien palästinensischer Selbstmordattentäter eine Prämie zu zahlen. Darüber hinaus erreichten die Terroraktivitäten der Qods Force genau dann einen Höhepunkt, als der Iran und die Vereinigten Staaten ein geheimes Gesprächsformat zur Beilegung ihrer Differenzen mit Blick auf das iranische Atomprogramm vereinbarten.[69] Es ist daher geradezu weltfremd, sich ausgerechnet von Teheran positive Impulse im Kampf gegen Terrorismus zu erhoffen.
Man mag gegen diese Schlussfolgerungen einwenden, dass der Iran und der Westen doch bei der Implementierung des Nuklearabkommens ebenso kooperieren wie bei der Bekämpfung des IS im Irak. Das ändert jedoch nichts an dem begrenzten sowie nicht-strategischen Charakter des JCPOA. Und dass die Vereinigten Staaten und der Iran momentan gegen denselben Feind im Irak vorgehen, sollte nicht von den weitreichenden Diskrepanzen zwischen beiden Seiten ablenken. Teherans politischer Einfluss im Irak ist zudem keinesfalls immer konstruktiver Natur.
Auch wenn sich die Qods Force frühzeitig gegen den IS gestellt hat, betreibt das iranische Regime eine geradezu sektiererische Politik gegen Sunniten. Teheran ist somit wesentlicher Treiber des Konflikts zwischen Schiiten und Sunniten in der Region, was dem Islamischen Staat in die Hände spielt. So hatte der damalige irakische Premierminister Nuri al-Maliki mit Unterstützung Teherans sunnitische Vertreter systematisch aus der Regierung vertrieben und politisch kaltgestellt.[70] Und als schiitische Milizen in Zusammenarbeit mit der Qods Force im Herbst 2014 die irakische Stadt Amerli befreiten, kündigten einige Kämpfer bezeichnenderweise an, „die Häuser der Sunniten dem Erdboden gleichzumachen“.[71] Auch zuletzt häuften sich Berichte über Gräueltaten schiitischer Milizen an Sunniten in den Gebieten des Irak, die vom IS befreit worden sind.[72]
Wenngleich die konsequente Einhaltung des JCPOA eine Priorität des Westens bleiben muss, so besteht der größte Handlungsbedarf momentan mit Blick auf das iranische Vormachtstreben in der Region (hauptsächlich durch die Zusammenarbeit mit radikalen Milizen) sowie dessen Unterstützung von Terrorgruppen beziehungsweise der Anwendung terroristischer Methoden durch die Qods Force selbst. Um zu vermeiden, dass Teheran noch mehr Gewalt und politische Unruhen im Nahen Osten herbeiführt, ist eine Abkehr von Mogherinis Kurs der zurückhaltenden Diplomatie und eine umfassende Strategie zur Eindämmung von Irans militantem Vorgehen dringend erforderlich. Eine Beilegung der unterschiedlichen Kriege und Konflikte in der Region – von Syrien bis Afghanistan – wäre in dieser Beziehung und selbstverständlich aus humanitärer Sicht eine enorme Hilfe. Der Iran könnte so daran gehindert werden, das aktuelle Chaos weiterhin zu nutzen, um seinen Einfluss mithilfe lokaler Vasallen systematisch zu vergrößern. Die Chancen auf derartige diplomatische Erfolge sind jedoch angesichts der unversöhnlichen Haltung der jeweiligen Konfliktparteien in der gesamten Region extrem gering. Im Irak sowie in Syrien ist der Iran mittlerweile ohnehin zu einflussreich geworden, um maßgebliche politische Kompromisse gegen seinen Widerstand durchsetzen zu können.
Ein vielversprechenderes Instrument liegt in der Isolierung, De-Legitimierung und Sanktionierung von Irans lokalen Partnerorganisationen. Gegenwärtig wird noch nicht einmal die Hisbollah von allen westlichen Ländern als terroristische Gruppierung eingestuft. Zwar steht sie in den Vereinigten Staaten bereits seit Langem auf der Liste internationaler Terrororganisationen, die EU hat aber bislang nur den militärischen Flügel von Irans langjährigem Partner als terroristischen Akteur deklariert (und wartete selbst mit diesem Schritt bis 2013), während die Gesamtorganisation von dieser Maßnahme verschont geblieben ist. Eine groß angelegte diplomatische Kampagne mit dem Ziel, Irans Partner von internationalen Finanzflüssen abzuschneiden, könnte den Druck auf alle Beteiligten erhöhen.
Die Wiedereinführung der alten Sanktionen, die sich gegen den Iran selbst richteten, würde den JCPOA torpedieren und wäre deshalb kontraproduktiv. Allerdings spricht es für den Erfolg einer konsequenten Sanktionspolitik, dass der Iran nach Jahren des wirtschaftlichen Drucks schließlich zu einer Kompromisslösung in der Nuklearfrage bewogen werden konnte. Darüber hinaus ist es unerlässlich, lokale Verbündete auf staatlicher wie substaatlicher Ebene zu finden beziehungsweise zu stärken, damit diese möglichst effektiv gegen Irans Verbündete vorgehen können. Dabei gilt es vergleichsweise moderate Kräfte, insbesondere unter den Sunniten, die sowohl der Qods Force und ihren Partnern als auch dem Islamischen Staat die Stirn bieten, zu identifizieren und in ein solches Vorhaben einzubinden. Auf diesem Wege könnte jede Form von islamischem Extremismus geschwächt werden. Momentan steht eine schlüssige und umfassende westliche Politik zur Eindämmung des Einflusses des Irans in der Region und zum Umgang mit dessen mehr oder weniger offener Unterstützung terroristischer Gruppen aber noch aus.
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