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Publicly Available Published by De Gruyter June 12, 2017

Das Ende einer Dreiecksbeziehung: wehrtechnische Zusammenarbeit Chinas, Russlands und der Ukraine im Schatten der Krim-Krise

  • Sarah Kirchberger EMAIL logo

Zusammenfassung:

Aufgrund eines US/EU-Waffenembargos ist China seit 1989 vom Handel mit den führenden Waffenproduzenten – mit Ausnahme Russlands und der Ukraine – ausgeschlossen. Eine bis Anfang 2014 bestehende militärisch-industrielle Symbiose zwischen der Ukraine und Russland wiederum kam als Folge der russischen Besetzung der Krim zu einem abrupten Ende. Dieser plötzliche Abbruch sämtlicher verteidigungsindustrieller Beziehungen bietet der Forschung nun die unerwartete Chance, die Besonderheiten transnationaler Waffenproduktion und deren strategische Implikationen unter Krisenbedingungen zu untersuchen. China wird wahrscheinlich von der neuen Situation profitieren können, während die westlichen Sanktionen gegen China und gegen Russland gegenwärtig Anreize für beide Staaten schaffen, ihre bilaterale strategische Zusammenarbeit weiter zu vertiefen.

Abstract:

Due to a U.S./EU arms embargo that was imposed on China in 1989, China remains excluded from trading with any of the leading arms producers except for Russia and Ukraine. The previously existing military-industrial symbiosis between Ukraine and Russia, however, came to an abrupt end in 2014 with Russia’s invasion and resulting occupation of Crimea. The sudden break of defense-industrial ties between these two closely interwoven military-industrial complexes offers analysts the unusual chance to study the nature of transnational arms production arrangements and their strategic implications under crisis conditions. China is poised to benefit from this, while Western sanctions create incentives for China and Russia to enhance their mutual strategic co-operation.

1 Einleitung[1]

Transnationale kooperative Waffenproduktion findet typischerweise im Rahmen langfristiger strategischer Allianzen statt. Diese werden zwischen militärisch-industriellen Akteuren, den entsprechenden Regierungen sowie den Beschaffungsbehörden in Kundenländern, die eine militärtechnologische Entwicklung anstreben, gebildet. Meistens sind die militärisch-industriellen Akteure staatliche oder teilweise staatliche Unternehmen in den technologisch hoch entwickelten Ländern. In vielen Fällen ist kooperative Rüstungsgüterproduktion in ein umfassendes System bilateraler Austauschbeziehungen eingebettet. Sie kann Teil einer größeren Kooperation sein, die auch zivile Technologietransfers wie zum Beispiel Kernkraftwerke, Verkehrsinfrastrukturen oder andere Arten von Großprojekten umfassen kann. In der Regel erfordert sie sogenannte Offsets (Gegengeschäfte) aus dem Geberland ins Kundenland, die nicht unbedingt mit Waffenproduktion im eigentlichen Sinn zusammenhängen müssen. Mitunter entstehen als Resultat solcher Partnerschaften sogar dauerhafte Infrastrukturen, etwa spezialisierte Instandhaltungseinrichtungen oder durch das Geberland betriebene Trainings- und Ausbildungsstätten. Häufig erzeugen solche Kooperationen langfristige Abhängigkeitsmuster zwischen den Empfängern und Gebern militärischer Hochtechnologien und sind daher eine Quelle strategischer Verwundbarkeit.[2]

Die besonderen Charakteristika derartiger strategischer Allianzen sind ein bisher wenig beachteter Aspekt der Sicherheitspolitik. Dies ist verwunderlich, da diese Allianzen Transfers militärischer Hochtechnologie enthalten und die Beziehungen zwischen Staaten erheblich beeinflussen können. Generell werden technologische Entwicklungen und Produktionszusammenhänge in der Politikwissenschaft nicht ausreichend beachtet. Dies ist bedauerlich angesichts der „gravierenden Kausalwirkung“, die ein sich veränderndes Niveau der technologischen Innovationsfähigkeit eines Staates im internationalen System entfalten kann.[3]

Hierzu bemerken Maximilian Mayer, Mariana Carpes und Ruth Knoblich zutreffend:

[L]arge technical systems […] as well as the technological zones that facilitate production, trade, finance, communication, surveillance, and weapon systems are far more complex, multi-sited, and interconnected than any state-centric framework of social collective action allows for.[4]

Die nachfolgende Analyse bemüht sich daher, eine industrielle Perspektive der Betrachtung einzunehmen, womit sie in die von Mayer et al. so bezeichneten „Assemblage-Ansätze“ innerhalb des Forschungsfeldes „Global Politics of Science and Technology“ fällt.

Die mangelnde Beachtung einer militärisch-industriellen Perspektive fällt auch bei Analysen der russischen Krim-Annexion von 2014 auf. Obwohl viele Beobachter die hohe strategische Bedeutung des von der Ukraine an Russland verpachteten Marinestützpunkts Sewastopol auf der Krim als möglichen geostrategischen Anreiz für die russische Invasion betonen, erwähnen nur wenige Analysen das darüber hinausgehende strategische Interesse Russlands an der Kontrolle über andere militärische und militärisch-industrielle Infrastrukturen auf der Halbinsel – darunter das einzige zu jener Zeit für Russland zugängliche Flugzeugträger-Pilotenausbildungszentrum NITKA.[5]

Ausgehend von ihrer Verbundenheit zu Sowjet-Zeiten hatten Russland und die Ukraine seit 1991 eine quasi-symbiotische Arbeitsteilung im Bereich der Waffentechnologie fortgesetzt. Mit der russischen Besetzung der Krim, in deren Folge Russland einige bedeutende ukrainische militärische Infrastrukturen beschlagnahmte, kam es 2014 zum Abbruch jeglicher kooperativen Waffenproduktion der beiden Länder. Der Zusammenbruch eines nahezu symbiotischen militärtechnischen Kooperationsregimes ermöglicht es der Forschung nun, strategische und wirtschaftliche Aspekte solcher Kooperationen näher zu beleuchten. Die Frage ist, welche Auswirkungen dieser Zusammenbruch auf die Entwicklung der betreffenden industriellen Infrastrukturen und Innovationssysteme beider Staaten in Zukunft haben wird.

Im Zentrum der Analyse stehen aber nicht nur die Ukraine und Russland, sondern auch China. Die Volksrepublik hatte Waffentechnik zunächst vorwiegend aus der Sowjetunion und später aus Russland importiert. Nach 1991 ging China zusätzlich eine engere Kooperation mit dem ukrainischen militärisch-industriellen Komplex ein, um einseitige Abhängigkeiten von Systemen und technischer Unterstützung aus Russland zu verringern. China ist somit von der gegenwärtigen Krise zwischen seinen beiden Hauptlieferanten militärischer Hochtechnologie indirekt betroffen.

Vor dem Hintergrund des westlichen Waffenembargos, das Chinas Auswahl an Kooperationspartnern seit 1989 erheblich einschränkt, und angesichts westlicher und ukrainischer Sanktionen gegen Russland seit der Krim-Krise ist die militärisch-industrielle Dreiecksbeziehung zwischen China, Russland und der Ukraine ein interessantes Beispiel für den Umgang mit strategischen Verwundbarkeiten in transnationalen militärtechnischen Kooperationen. Die folgende Analyse zielt darauf ab, die Auswirkungen der Krim-Annexion auf die militärtechnische Zusammenarbeit zwischen Russland, China und der Ukraine unter besonderer Beachtung der industriellen Perspektive zu erörtern.

2 Grundcharakteristika transnationaler Waffenproduktion

Transnationale wehrtechnische Kooperationen sind nicht zuletzt deshalb relativ langlebig, weil der Betrieb komplexer Militärtechnik – das heißt von Kampfflugzeugen, Marineschiffen oder von Schlüsselkomponenten wie zum Beispiel leistungsfähigen Antriebssystemen oder Sensoren – normalerweise den ununterbrochenen Zugang zu einer Vielzahl an Original-Ersatzteilen erfordert. Ebenso bedarf es dafür ständiger Wartungsdienstleistungen des Herstellers. In manchen Fällen führt diese Anforderung zur Herausbildung einer spezialisierten Instandhaltungs-, Schulungs- und Logistikinfrastruktur innerhalb des Empfängerlandes, die von Personal aus dem Geberland betrieben wird. Der Lieferant des betreffenden Systems (und damit die Regierung seines Herkunftslandes) erlangt dadurch dezidierten politischen Einfluss. Dies kommentiert Armin Krishnan wie folgt:

The export of more complex equipment […] usually implies that the exporting countries provide the support capacities for the equipment, which could be withdrawn at any time. This means that there is more uncertainty on both sides: the arms suppliers have less control over the degree to which technology is transferred, while the recipients cannot be sure, whether the support for imported systems can be secured in the long term.[6]

Die politischen Auswirkungen von Waffentransfers und besonders von kooperativer Waffenproduktion für beide Seiten sollten daher nicht unterschätzt werden.

Reibungen zwischen den Partnern sind in transnationalen militärtechnischen Kooperationsprojekten dennoch keineswegs ungewöhnlich. Konflikte können zum Beispiel durch Vorwürfe des illegalen Kopierens (reverse engineering) fortschrittlicher Technologien durch das Empfängerland hervorgerufen werden, ebenso durch Kritik an einem angeblich unzureichenden Technologietransfer durch das Geberland. Relativ häufig kommt es zu Konflikten aufgrund von Projektkostenüberschreitungen oder Bauverzögerungen. Ungeachtet solcher Meinungsverschiedenheiten erweisen sich transnationale Kooperationen dieses Typs in der Regel jedoch als langlebig, vor allem dann, wenn gleichzeitig ein formales Sicherheitsbündnis oder Verteidigungsabkommen zwischen beiden Ländern besteht. Ein externer Faktor, der die Dauerhaftigkeit von kooperativer Waffenproduktion noch deutlich erhöhen kann, ist ein Mangel an Alternativen seitens des Empfängerlandes. Dies ist für China aufgrund des 1989 von den USA und der EU verhängten Waffenembargos gegeben.[7]

2.1 Kritische Technologien und ihre Produktion

Im Bereich der Produktion von Rüstungsgütern sind die meisten Länder in ein Netz hierarchischer Austauschverhältnisse eingebunden, in dem sie entweder als autarker Produzent, als Geber/Exporteur (Lieferant) oder als Empfänger (Kunde) bestimmter Technologien gegenüber einer Vielzahl anderer Länder fungieren. Dabei können sie im Hinblick auf einige Partnerländer eine anders geartete hierarchische Rolle einnehmen als gegenüber anderen, dasselbe Land kann also zugleich Lieferant oder Empfänger jeweils unterschiedlich komplexer Waffentechnologien sein. In Abhängigkeit von der Art der jeweils untersuchten Waffentechnologie oder bezogen auf das Gesamtbild ihrer Austauschbeziehungen können Länder in unterschiedliche Ebenen innerhalb einer globalen Hierarchie der Waffenproduktion eingeordnet werden, wie sie von Keith Krause konzipiert wurde (vgl. Tabelle 1).[8]

Die Hierarchie der Waffenproduktion nach Keith Krause (1992)

Lieferanten der 1. Ebene (first-tier suppliers)...innovate at the technological frontier“
Lieferanten der 2. Ebene (second-tier suppliers)...produce (via the transfer of capacities) weapons at the technological frontier and adapt them to specific market needs“
Produzenten der 3. Ebene (third-tier producers)...copy and reproduce existing technologies (via transfer of design), but do not capture the underlying process of innovation or adaptation
Starke Kunden der 4. Ebene (fourth-tier/strong

customers)...
obtain (via material transfers) and use modern weapons“
Schwache Kunden der

5. Ebene (fifth-tier weak

customers)...
„either obtain modern weapons and cannot use them, or do not even obtain them“

Quelle: Leicht adaptiert nach Krause 1992: 31–32.

Innerhalb des Geflechts seiner bilateralen Beziehungen ist die Machtposition eines Staates zum Teil durch seinen Status innerhalb der transnationalen Waffenproduktionsnetzwerke bestimmt. Zugleich bietet seine Position einem Land verschiedene Hebel zur Ausübung von Einfluss an, zum Beispiel durch das Zurückhalten von technischer Unterstützung oder, im Falle eines Kundenlandes, von Zahlungen. Im Extremfall können Kundenländer damit drohen, die militärtechnische Zusammenarbeit ganz abzubrechen und eine Allianz mit anderen Partnern einzugehen, was strategische Auswirkungen etwa bezüglich des potenziellen Verrats von militärtechnologischen Geheimnissen an potenzielle Rivalen haben kann. Die Abhängigkeiten, die zwischen Staaten durch langfristige wehrtechnische Kooperationen entstehen, sind somit alles andere als einseitig.

Zu berücksichtigen ist auch, welchen Grad an strategischer („kritischer“) Bedeutung eine bestimmte Waffentechnologie hat. Abhängig vom Niveau ihrer technologischen Innovationskapazität und ihres Zugangs zu Hochtechnologie (entweder durch Importe oder durch eigene Innovation) sind Staaten strukturell ungleich. Waffentechnologien wiederum können anhand ihres strategischen Wertes und der relativen Schwierigkeit ihrer Produktion, Reproduktion, ihres Erhalts und ihrer Inbetriebnahme ebenfalls auf unterschiedlichen Niveaus klassifiziert werden: nicht alle Waffentechnologien sind gleichermaßen kritisch.

Welche Technologien im Einzelfall als kritisch eingestuft werden, ist jedoch in historischer Perspektive variabel und hängt zum Teil von der individuellen strategischen Situation eines Landes ab. Wie Bruce A. Bimber und Steven W. Popper bemerken, ist die Qualität der kritischen Bedeutung somit „nicht der Technologie an sich innewohnend“.Vielmehr entsteht sie aus der „Wichtigkeit des konkreten outputs eines Systems, dessen konstituierender Bestandteil diese Technologie ist, sowie aus der Bedeutung, die dieser Technologie zukommt, um das betreffende System zu ermöglichen.“[9] Daraus folgt, dass nur einige, aber nicht alle Arten von Militärtechnologien für die Bewertung der militärischen Macht eines Landes wichtig sind. Die Fähigkeit von Ländern, sogenannte kritische Technologien selbst herzustellen, kann wiederum Aufschluss über den Verlauf der militärisch-industriellen Bruchlinien in der gegenwärtigen Weltordnung geben.[10]

Für einen Staat wie China, der die geografische Reichweite seiner Streitkräfte erweitern und seine Überlegenheit gegenüber Konkurrenten in territorialen Konflikten stärken will – etwa bezogen auf die Inselkonflikte im Ost- und Südchinesischen Meer oder in der Taiwan-Frage – sind besonders solche Technologien, die „netzwerkzentrierte Kriegführung“ ermöglichen, kritisch. Dies umfasst bestimmte leistungsfähige Sensoren (besonders Phased-Array-Radarsysteme), Computernetzwerke, verschlüsselte Datenverbindungen und Spezialsoftware, die in der Lage ist, Daten aus multiplen Quellen zu interpretieren und an verschiedene schwimmende und fliegende Einheiten zu verteilen, die ein taktisches Lagebild miteinander teilen sollen. Weiterhin umfasst dies eine weltraumbasierte Infrastruktur von Navigations-, Aufklärungs- und Kommunikationssatelliten. Die umfassende „Informationalisierung“ der Streitkräfte ist seit Langem ein erklärtes Ziel der chinesischen Führung. Aufgrund der hohen Bedeutung von Anti-access/area denial (A2/AD)-Fähigkeiten in Chinas Abschreckungsstrategie gegenüber den Vereinigten Staaten ist Raketentechnologie ebenfalls von hoher Bedeutung für das Land.

Abgesehen von den genannten Beispielen können manche Arten von Technologien grundsätzlich als kritisch eingestuft werden, da sie die grundlegende Funktionsweise verschiedener Waffensysteme überhaupt erst ermöglichen. Dies gilt etwa für leistungsfähige Antriebsanlagen, die Marineschiffen oder Flugzeugen die benötigten hohen Geschwindigkeiten und/oder großen Reichweiten verleihen. Zu nennen sind hier Gasturbinen, Düsentriebwerke, konventionelle luftunabhängige U-Boot-Antriebe (AIP) sowie Nuklearantriebe. Solche Antriebstechnologien sind extrem schwierig herzustellen, zu reproduzieren und instand zu halten und können weltweit jeweils nur von einer sehr kleinen, einstelligen Zahl an Herstellern produziert werden.

Die meisten Waffen produzierenden Länder beschränken den Export kritischer Technologien auf die allervertrauenswürdigsten Verbündeten, und selbst dann werden diese oft nur in einer herabgestuften Version zur Verfügung gestellt. Weder Russland noch die Sowjetunion haben jemals ihre modernsten kritischen Technologien an einen potenziellen strategischen Rivalen wie China verkauft. Tatsächliche Transfers der modernsten Rüstungstechnologien sind daher relativ selten, was die Situation eines kleinen „Kerns“ und einer weitgefächerten und geschichteten „Peripherie“ in der globalen Waffenproduktion seit Jahrzehnten zementiert.[11]

2.2 Die Position von China, Russland und der Ukraine innerhalb einer weltweiten Hierarchie der Waffenproduktion

China ist ein interessanter Fall, der es erlaubt, kooperative Waffenproduktion unter Embargobedingungen zu untersuchen. Wie Tai Ming Cheung ausführlich beschrieben hat, bemüht sich die Führung bereits seit Jahrzehnten, eine moderne und weitgehend autarke Verteidigungsindustrie aufzubauen, die in der Lage ist, die eigenen Streitkräfte zu versorgen.[12] Gemäß dem oben skizzierten Ebenen-System von Keith Krause muss China in vielen High-End-Technologiefeldern jedoch auch Anfang 2017 noch als ein Waffenproduzent der dritten Ebene angesehen werden.

2011 hat Richard Bitzinger in einer Bewertung den Schluss gezogen, dass „die technologische Kluft zwischen Chinas Verteidigungsindustrie und den führenden westlichen Waffenproduzenten in mehreren kritischen Bereichen nach wie vor signifikant bleibt“.[13] Diese damalige Einschätzung wird von neueren Analysen weiterhin gestützt. So wiesen erst in jüngster Zeit verschiedene Beobachter darauf hin, dass chinesische Versuche, importierte Düsentriebwerke und Phased-Array-Radarsysteme in China zu reproduzieren, bislang nur wenig erfolgreich gewesen seien und anscheinend trotz jahrelanger Anstrengungen, hochrangiger politischer Unterstützung und dem Einsatz umfangreicher finanzieller Ressourcen nicht die gewünschten Fortschritte gemacht hätten.[14]

Während Chinas Verteidigungsindustrien zumindest in den meisten Feldern „vorhandene Technologien kopieren und reproduzieren“ können (dritte Hierarchie-Ebene nach Krause), scheinen sie bisher – zumindest in einigen der kritischen Technologiefelder, vor allem bei Düsentriebwerken, Gasturbinen und fortschrittlichen Sensoren sowie Elektronik – nicht generell den „zugrunde liegenden Prozess der Innovation oder Anpassung“ (Ebene zwei) zu beherrschen. Andernfalls wäre es nicht notwendig, weiterhin fortschrittliche Militärtechnologien als vollständige Waffensysteme aus Russland einzuführen, während zeitgleich selbst entwickelte Systeme desselben Grundtyps gebaut werden. Genau dies hat China jedoch wiederholt getan: bei Zerstörern der Sovremenny-Klasse, U-Booten der Kilo-Klasse, bei Luftabwehrsystemen und bei verschiedenen Typen von Sukhoi-Kampfflugzeugen. Andernfalls sähe sich das Land auch nicht gezwungen, Gasturbinen, Schiffsdieselmotoren oder Kampfflugzeugantriebe in Lizenzvereinbarungen mit der Ukraine, Deutschland oder Frankreich herzustellen, wie dies in den vergangenen Jahren geschehen ist.[15]

In einigen wenigen Technologiefeldern ist China jedoch wahrscheinlich in der Lage, an der technologischen Grenze zu produzieren, was die Kompetenz eines „Waffenlieferanten der zweiten Ebene“ nach Krause darstellt. In einigen Nischenkompetenzen kann China wahrscheinlich sogar als „Produzent/Lieferant der ersten Ebene“ angesehen werden, zum Beispiel bei ballistischen Anti-Schiffs-Raketen (ASBM). Die tatsächliche Qualität und Zielgenauigkeit der chinesischen Flugkörper-Systeme ist allerdings mangels zuverlässiger Leistungsdaten schwierig zu bestimmen. Ein kürzlich geschlossener Vertrag Chinas mit Russland über die Lieferung von sechs Bataillonen des russischen S-400-Luftabwehrraketensystems lässt klar erkennen, dass China in diesem Bereich noch nicht führend ist.[16]

Die Ukraine kann zumindest bei einigen kritischen Waffentechnologien als „Lieferant der zweiten Ebene“ charakterisiert werden, insbesondere bei einigen Antriebssystemen (zum Beispiel Gasturbinen) und in einigen Bereichen der Luft- und Raumfahrttechnik. Manche der ukrainisch produzierten Systeme beruhen zwar auf älteren sowjetischen Technologien, sind aber dennoch attraktiv genug, um von China in Ermangelung des Zugangs zu modernen Technologien aus den USA oder der EU importiert zu werden. Sensortechnologien sind ein weiteres Gebiet ukrainischer Kompetenz, das für China besonders interessant war, denn die Ukraine hat anscheinend den Prototyp eines Phased-Array-Radarsystems nach China verkauft, auf dem das später in China entwickelte aktive Phased-Array-Radarsystem Dragon Eye basierte.[17] Zudem war es die Ukraine, die China für seinen ersten einsatzfähigen Flugzeugträger, die Liaoning, einen leeren Schiffsrumpf überließ, den es mit einem Antriebssystem versehen und fertigstellen konnte.

Russland wiederum muss in einigen Technologiefeldern als „Lieferant der ersten Ebene“ und in anderen Bereichen als „Lieferant der zweiten Ebene“ eingestuft werden. Russland ist nach wie vor für viele Länder einer der wichtigsten Exporteure von Militärtechnologie, darunter sind China, Indien und Vietnam. Indien hat jedoch im Vergleich zu China von Russland Zugang zu weit fortschrittlicheren Waffentechnologien erhalten. Zu diesen Geschäften zählen das bis dahin weltweit beispiellose Leasing eines voll funktionsfähigen nukleargetriebenen U-Boots (SSN) sowie die umfangreiche Modernisierung und Lieferung eines voll funktionsfähigen gebrauchten Flugzeugträgers der Kuznetsov-Klasse.

3 Die Entstehung einer militärtechnologischen Dreiecksbeziehung zwischen Russland, China und der Ukraine

Der Zusammenbruch der Sowjetunion führte zur Aufspaltung des sowjetischen militärisch-industriellen Komplexes, beendete die bipolare Weltordnung und schuf eine Reihe neuartiger Anreize für Russland, China, die Ukraine und viele andere Mächte, ihre wehrtechnischen Kooperationen umzustrukturieren. Einige ehemalige Warschauer-Pakt-Staaten begannen, sich mit Blick auf ihren anvisierten NATO-Beitritt an westlichen technischen Standards zu orientieren, während sich für die ehemals verfeindeten Mächte China und Russland neue Chancen der Kooperation auftaten.

3.1 China als Empfängerland sowjetischer und westlicher Technologien bis zum Waffenembargo von 1989

Unmittelbar nach ihrer Gründung 1949 war die damals international isolierte Volksrepublik China extrem abhängig von sowjetischer Militärhilfe. Die Beijinger Führung importierte vollständige Produktionsanlagen und -infrastrukturen, verschiedene Waffentechnologien sowie sowjetische Anlagen und Verfahren für Wartung und Ausbildung. Die sowjetische Hilfe lief somit de facto auf die Übertragung einer vollständigen Organisationskultur hinaus, und das Vermächtnis dieses Transfers überdauerte die strategische Partnerschaft zwischen China und der UdSSR, die bereits in den frühen 1960er-Jahren endete. Das sowjetische Erbe ist im chinesischen militärisch-industriellen Komplex und in der Organisationskultur der Streitkräfte auch heute noch durchaus präsent.[18]

Trotzdem war die sowjetische Hilfe niemals allumfassend, da die UdSSR ihre modernsten Militärtechnologien nicht mit China teilte. Nach dem chinesisch-sowjetischen Schisma war die Volksrepublik gezwungen, ihre Atomwaffenprogramme allein voranzutreiben. Dabei musste sie sämtliche Defizite durch die Entwicklung der eigenen Rüstungsindustrien kompensieren. Dies geschah zumeist durch Reverse-Engineering auf der Basis älterer, in den Jahren zuvor legal aus der Sowjetunion importierter Systeme.[19] China verwendete somit über lange Zeiträume hinweg veraltete sowjetische Waffensysteme und förderte parallel dazu Eigenentwicklungen, die jedoch wiederum auf jenen älteren sowjetischen Modellen basierten.

Nach dem Ende der Mao-Ära wurde für China ab den 1980er-Jahren kurzzeitig eine vielfältigere Auswahl an ausländischen Waffentechnologien verfügbar.[20] Aufgrund der sino-sowjetischen Spannungen und der auftauenden Beziehungen zu den USA begann die Reagan-Administration, US-Beschränkungen für Hochtechnologieexporte nach China zu lockern. 1984 erhielt China sogar Zugang zum System Foreign Military Sales (FMS), dem Waffenexport-Unterstützungsprogramm der USA, das auch ein Finanzierungsinstrument namens Foreign Military Finances (FMF) für Rüstungskäufe bei US-Unternehmen beinhaltet. Daraufhin wurde in den Folgejahren eine ganze Reihe von Waffengeschäften mit China abgeschlossen.[21] Diese neue US-amerikanische Exportstrategie war damals „hauptsächlich gegen die UdSSR gerichtet“.[22] Aus chinesischer Sicht war dies hochwillkommen, nicht zuletzt, weil es dem Land erlaubte, seine Produktionsstätten zu modernisieren:

[D]efense enterprises and their civilian counterparts concentrated on the import of large-scale plant equipment that was based on the requirements and orders of government ministries. This approach was reminiscent of the wholesale importation of Soviet factories during the 1950s. The primary objective of the procurement strategy was to renovate outdated manufacturing capabilities.[23]

Die Kooperation mit den USA umfasste gemeinsame Projekte in der Avionik und beim Bau von Kampfflugzeug-Triebwerken sowie den Import US-amerikanischer Gasturbinen für den Antrieb großer Marineschiffe. Darüber hinaus importierte China während dieser Phase französische und italienische Sensoren, Lenkwaffen und Elektronik. Auch nach dem Embargo von 1989 fuhren einige westliche Nationen fort, verschiedene Arten von Wehrtechnik nach China zu liefern (siehe Tabelle 2).[24]

Ausländische Systeme auf chinesischen Marineschiffen nach 1989

QuelleNo.SystemJahr(e) der

Lieferung
Schiffe
Frankreich2100mm Naval Gun19891 Jianghu II FFG
14Castor-2 Fire Control Radar1994–20022 x Lühu, 1 x Lühai, 3 x Lüda I DDG, 8 x Jiangwei II FFG
6DRBV-15 Sea Tiger Radars1987–19992 x Lühu, 2 x Lühai, 2 x Lüda I DDG
5DUBV-23 Sonars1991–19992 x Lüda, 1 x Lühai, 2 x Lühu DDG
2DUBV-43 Sonars1994–19962 x Lühu DDG
336R-440 Crotale SAM1990–20022 x Lühu, 1 x Lühai, 3 x Lüda DDG
28AS-365/AS-565 Dauphin Helos1987–1991Various
Italien17RTN-20S Fire Control Radars1991–20012 x Lühu, 1 x Lüda III, 1 x Lühai DDG, 6–7 Houjian PTG
Russland10Ka-27PL (Helix-A) Helos1997–2000Various
4Fregat/Top Plate Air Surv. Radars20042 x Lüzhou, 2 x Lüyang I DDG
8MR-90/Front Dome FC Radars20042 x Lüzhou, 2 x Lüyang I DDG
14448Ng/SA-10 Grumble SAM2002-?2 x Lüzhou DDG
2649M317/SA-17 Grizzly SAM20052 x Lüyang I DDG
Kilo-class SSK, Sovremenny-class DDG (als vollständige Waffensysteme importiert)

Quelle: SIPRI-Daten, zitiert nach Grubb and Collins 2008: 48.

Die meisten Kontakte mit westlichen Waffenherstellern kamen jedoch nach der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten auf dem Tian'anmen-Platz am 4. Juni 1989 abrupt zum Erliegen. Hunderte bereits abgeschlossene Verträge mit US-amerikanischen Produzenten wurden ausgesetzt und mindestens 300 Exportabkommen aufgrund von US-Sanktionen blockiert. Die Beschränkungen wurden nur wenig gelockert, nachdem China 1994 den Nichtverbreitungsvertrag unterzeichnet hatte. Die USA verwenden die Sanktionen seither regelmäßig als „Hebel zur Förderung der Zusammenarbeit Chinas mit den Vereinigten Staaten bei einer Vielzahl internationaler Sicherheitsthemen, etwa nukleare Proliferation und Raketentechnologie“.[25] Sie betreffen vor allem vier besonders sensible Bereiche: Raketentechnologie, Nukleartechnik, Aufklärungs- und Überwachungs-Technologie sowie U-Boot-Jagd-Technologien.[26]

Der Effekt des Waffenembargos von 1989 auf einige laufende chinesische Rüstungsprogramme war erheblich. Die Sanktionen beeinträchtigten mehrere sensible Projekte, weil wesentliche Komponenten (zum Beispiel die oben erwähnten US-amerikanischen Gasturbinen) nicht mehr wie geplant erhältlich waren. Seither ist China offiziell von militärtechnischen Partnerschaften mit den führenden westlichen Waffenproduzenten ausgeschlossen und kann mit ihnen lediglich im Bereich von Dual-Use-Technologien kooperieren, etwa im Bereich der Luft- und Raumfahrttechnik. China versucht diese Einschränkungen durch eine Doppelstrategie des Imports älterer Technologien (vor allem aus Russland und der Ukraine) und paralleler Eigenentwicklungen auszugleichen. Aufgrund des anhaltenden sowjetischen Erbes, das bis heute in den wehrtechnischen Industrien Chinas vorherrscht, liegen diesen Entwicklungsversuchen häufig noch sowjetische Designprinzipien zugrunde. Um die technologische Lücke zu westlichen State-of-the-Art-Technologien zu schließen, haben Chinas Rüstungsindustrien daher – ohne Zweifel mit höchster politischer Unterstützung – eine Vielzahl von Bewältigungsstrategien angewendet, darunter akademischen Austausch und staatlich geförderte Spionage, während legal importierte ausländische Dual-Use-Technologien im Hinblick auf ihr militärisches Potenzial ausgeschöpft werden.[27]

Neben regulären Waffenimporten und freiwilligen Technologietransfers durch willige Partner wie Russland und die Ukraine waren auch mehrere unfreiwillige Transfers zu verzeichnen, etwa „erzwungene Technologietransfers im Rahmen von Joint Ventures, durch Zertifizierungspraktiken und Spionageaktivitäten“.[28] Eine typische Beschwerde, die von ausländischen Technologieanbietern in China häufig vorgebracht wird, betrifft die chinesische Tendenz zum Klonen ausländischer Technik, und zwar sowohl westlicher als auch russischer Systeme. China scheint außerdem wiederholt Zugang zu „erbeuteter“ Militärtechnologie erhalten zu haben, darunter zu Resten explodierter US-amerikanischer Marschflugkörper und zu Blindgängern, die im Irak, in Serbien, Afghanistan und im Sudan eingesammelt wurden, sowie vereinzelt zu Wracks von Fluggeräten, etwa einem F-117Stealth-Kampfflugzeug, das in Serbien 1999 abgeschossen wurde. 2011 äußerten US-Verteidigungsfunktionäre die Sorge, dass Pakistan, Chinas „Allwetter-Freund“ und Hauptwaffenkunde, ihm Zugang zum Wrack eines nicht näher bezeichneten Stealth-Hubschraubers gewähren könnte, der während der Bin-Laden-Tötung auf pakistanischem Gebiet am 1. Mai 2011 zurückgelassen worden war.[29]

3.2 Russlands Waffenhandel mit China nach 1991

Der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991/1992 veränderte Chinas Situation in Bezug auf Waffenimporte erheblich, da die von einer Wirtschaftskrise gebeutelten russischen und ukrainischen Rüstungsindustrien der Regierung in Beijing nun ihre Unterstützung anboten. Diese Angebote waren größtenteils ökonomisch begründet. Bis in die Mitte der 1980er-Jahre hinein war die Sowjetunion ein weltweit führender Waffenproduzent gewesen, der den USA in etwa gleichkam. Die starke Kontraktion der russischen Wirtschaft nach 1992 führte zu einer schwierigen Lage für die landeseigenen Rüstungsindustrien. Ihr Anteil an der weltweiten Waffenproduktion sank dramatisch, und zwar von einem Drittel der weltweiten Gesamtproduktion vor 1985 auf nur noch etwa vier Prozent im Jahre 1996. Bezogen auf 1992 beschreibt Ming-yen Tsai die Lage folgendermaßen:

[N]early 21 percent of Russian defense enterprises stood on the verge of bankruptcy, while 43 percent would soon be classified as barely viable. By 1993, the financing of arms production had been reduced by nine times, and Russian military orders were fulfilled by no more than 10–15 percent of the defense industry's production capacities.[30]

Die großen Marinewerften der Sowjetunion waren 1992 sämtlich in den Besitz der Ukraine übergegangen. Mehrere Marineschiffbauprojekte, die für die Sowjetunion bestimmt gewesen waren, blieben damals unvollendet, darunter der Varyag-Flugzeugträgerrumpf, der später von China erworben und in Liaoning umgetauft wurde. Die russischen Rüstungsindustrien haben sich seitdem zwar wieder erholt. Russischen Medienberichten aus dem Jahr 2009 zufolge, die von Neuman zitiert wurden, waren jedoch auch damals „nur 36 Prozent der russischen strategischen Verteidigungsunternehmen solvent – viele davon nur aufgrund von Exportaufträgen – während weitere 30 Prozent sich am Rande des Konkurses befanden“.[31]

Russlands Rüstungsindustrien, deren Produkte im Ausland von der russischen Exportagentur Rosoboronexport vermarktet werden, sind mit wenigen Ausnahmen in Staatsbesitz.[32] Die Abhängigkeit dieser Betriebe von Exportaufträgen ist dennoch sehr hoch. Der oben zitierten Studie zufolge stellten Exportaufträge 2008 etwa 60 Prozent ihres Gesamtumsatzes dar und „einige Forschungs- und Entwicklungs- (F&E)- und Produktionsprogramme sind speziell auf ausländische Kunden und nicht auf das russische Militär selbst zugeschnitten“.[33]

Die politische und strategische Bedeutung der Rüstungsindustrien für die russische Innenpolitik wird besonders deutlich, wenn man die Größe und das relative ökonomische Gewicht dieses Sektors berücksichtigt. Schätzungen für das Jahr 1994 gingen davon aus, dass der Anteil des verteidigungsindustriellen Sektors in diesem Jahr fast 60 Prozent der gesamten Industrieproduktion Russlands ausmachte und rund vier Millionen Arbeitskräfte in etwa 2.000 Produktionsstätten beschäftigt waren. Die wirtschaftliche Lage von 80 russischen Städten – sogenannten Rüstungsindustrie-Städten – war nahezu vollständig von den lokalen Verteidigungsindustrien abhängig.[34]

Von Rosoboronexport im Jahr 2014 veröffentlichte Umsatzzahlen zeigen, dass Russland im Jahr 2013 Waffentechnik im Wert von 13,2 Milliarden US-Dollar in 60 Länder weltweit exportiert hat. Etwa 75 Prozent dieser Umsätze wurden allein in den sechs Ländern Algerien, China, Indien, Indonesien, Venezuela und Vietnam erzielt.[35] 2011 veröffentlichte Schätzungen von Jane’s Defence Weekly legen den Schluss nahe, dass die chinesischen Rüstungsimporte aus Russland im Zeitraum von 2000 bis 2011 einen jährlichen Umfang von ca. ein bis drei Milliarden US-Dollar hatten. Insgesamt entfielen damit rund 20 Prozent der russischen Exportaufträge in den Jahren von 1997 bis 2007 allein auf China.[36] Russland ist somit in quantitativer sowie qualitativer Hinsicht Chinas primäre Quelle für moderne Verteidigungsausrüstung geworden. Der Wert der ukrainischen Rüstungsexporte nach China ist im Vergleich dazu geringer anzusetzen. Er dürfte im Durchschnitt einige hundert Millionen US-Dollar pro Jahr betragen haben.[37]

Dass sich die russischen Verteidigungsindustrien noch nicht vollständig erholt haben, zeigte der kürzlich erfolgte Versuch, westliche Marineschiffbautechnik zu importieren. Ein Abkommen mit der französischen Schiffbau-Gruppe DCNS aus dem Jahr 2011 über den Kauf von zwei amphibischen Schiffen (LHDs) der Mistral-Klasse deutete an, dass in Russland ein Mangel an Fähigkeiten zum Design moderner amphibischer Schiffe bestand, obwohl die technische Komplexität eines LHD als weitaus geringer einzuschätzen ist als etwa die von modernen Lenkwaffen-Zerstörern, die es herstellen kann. Dieses Defizit haben russische Vertreter in Presseberichten eingeräumt. Russlands Marineschiffbauindustrie kann daher im Hinblick auf ihre technologische Innovationsfähigkeit wohl nicht mit den führenden westlichen Marinewerften gleichgesetzt werden. Peter Dunai und Guy Anderson zufolge sind die Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Russland zudem nach wie vor deutlich niedriger als in allen westlichen Ländern (sie belaufen sich auf ca. 33 Prozent des deutschen Niveaus) und die Produktivität in der russischen Schiffbauindustrie wird von ihnen als deutlich niedriger eingeschätzt. Die durchschnittliche Fertigungszeit veranschlagen sie im Vergleich zu ausländischen Konkurrenzwerften auf zwei- bis zweieinhalbmal länger und die Anzahl der benötigten Konstruktionsstunden auf drei bis fünf Mal höher.[38]

Ähnlich seinen strategischen Rivalen Indien und Vietnam ist China seit Langem einer der größten Importeure russischer Militärtechnologie. Dies hat dazu beigetragen, dass die Volksbefreiungsarmee (VBA) aufgrund langjährig etablierter, auf russische Systeme zugeschnittener Wartungs- und Trainingsinfrastrukturen wahrscheinlich besser in der Lage ist, fortschrittliche Technologien aus postsowjetischen Staaten zu absorbieren als aus anderen Quellen. Auch gibt es Anzeichen dafür, dass Chinas Rüstungsindustrien noch immer von russischer Militärtechnologie lernen können.

Mitte der 1990er-Jahre begann China, in mehreren Tranchen zu Sowjetzeiten entworfene Marineschiffe und Flugzeuge als vollständige Waffensysteme aus Russland einzuführen, darunter vier dampfbetriebene Zerstörer der Sovremenny-Klasse. Letzteres geschah, obwohl gerade mehrere einheimische Programme für Lenkwaffen-Zerstörer gleichzeitig liefen. Ab 1994 importierte es insgesamt zwölf russische Diesel-U-Boote der Kilo-Klasse, obwohl zur selben Zeit eigene U-Boot-Entwürfe im Bau waren. Zudem wurden Sukhoi-Kampfflugzeuge eingekauft. Diese Tendenz hat sich entgegen den Erwartungen westlicher Beobachter bis in die jüngste Zeit hinein fortgesetzt, denn erst kürzlich wurde ein weiteres, im Ausmaß vergleichbares Rüstungsgeschäft zwischen Russland und China abgeschlossen. Dieses neue Abkommen bezieht sich unter anderem auf den Verkauf von 24 modernen Su-35-Kampfflugzeugen und sollte ursprünglich auch vier russische Diesel-U-Boote der Lada-Klasse umfassen, was eine deutliche Verbesserung gegenüber den bestehenden Kilos darstellen würde.[39] Die zwischenzeitliche Einstellung des Lada-Programms in Russland hat letzteren Teil des Abkommens jedoch mittlerweile infrage gestellt.

China beabsichtigt möglicherweise, den großen, von Russland Anfang 2013 angekündigten „Maritimen Sanierungsplan“ zu nutzen. Dieser sieht umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur der russischen Schiffbauindustrie sowie größere Serien von Neubauten für die russische Marine vor. Mit einem Gesamtvolumen von ca. 42 Millarden US-Dollar plant Russland, bis zum Jahr 2025 fünfzig moderne Überwasserschiffe und zwanzig neue U-Boote zu bauen.[40] Falls dies angesichts der derzeitigen Wirtschaftskrise tatsächlich umgesetzt werden kann, würde es den Großkunden russischer Marinetechnik – darunter China – Synergien durch Skaleneffekte bieten. Russland wiederum bewertet die rüstungsindustrielle Beziehung zu China wahrscheinlich auch unter strategischen Aspekten:

While commenting on Russian arms transfers to China, one Russian military officer stressed that apart from the purely economic advantages, supplying weapons to China could provide a chance of influencing China's military and political strategy and maintaining ally-like relations with that country. As such, Russia might increase its political leverage in the region and in relation to the U.S.[41]

Trotz dieser sich abzeichnenden Konvergenz der strategischen Absichten Russlands und Chinas war die Praxis der russisch-chinesischen Beziehungen im Rüstungssektor niemals frei von Spannungen.[42] So gab es mehrfach Anzeichen dafür, dass die russischen Unternehmen im Umgang mit China nach wiederholten Fällen von Reverse-Engineering russischer Systeme misstrauisch geworden sind.[43] Chinesische Ingenieure scheinen die Strategie des Klonens von Technik häufig gegen Russland angewendet zu haben, wie Interviews mit Vertretern der russischen Rüstungsindustrie durch Kanwa Asian Defense nahelegen. So wurden in der Dezember-Ausgabe von 2009 mehrere russische Industrievertreter mit der Aussage zitiert, China baue importierte Technik illegal nach. Oleg Azizov, der damalige Direktor des Marineausrüstungsausschusses der Exportagentur Rosoboronexport, sagte auf einer Pressekonferenz, dass China durch den Import der Sovremenny-Zerstörer auch das darauf installierte Mineral-ME-Feuerleit-Radarsystem sowie das Fregat-ME-Radarsystem erhalten habe. Kurz darauf erschienen ihm zufolge „fast identische“, geklonte Versionen davon auf Chinas einheimischen Lenkwaffenfregatten des Typs 054A (Jiangkai II).[44] Ein ungenannter Vertreter des russischen Designbüros Typhoon erklärte hierzu laut Kanwa:

China purchased a total of 8 Mineral-ME radar systems along with a large amount of spare parts, sufficient to assemble several additional sets. We had some suspicion at that time. Shortly after that, the Chinese invited our technical expert group to visit and pleaded us to help assemble ‘back-up radar' in China. They had sufficient parts, but our expert group refused, as the assembling work was not easy and required special equipments [sic] as well as approval from the authority. Following that, our experts received several reports from the Chinese side, claiming that the systems we provided had encountered technological problems. After our technical experts examined the systems, we noticed some of the parts were not original, and this meant that they had started imitating the component parts of the radar. Through such contacts with our experts, they intended to identify the problems in their imitation projects.

Ein anderer Vertreter der russischen Rüstungsindustrie wurde an gleicher Stelle wie folgt zitiert:

[T]hey did not acknowledge that they imitated our radar. They said that they designed the radar independently and had full intellectual property rights of the equipments [sic]. We believe that anyone with common sense would know from the physical appearance of those systems that they were the same systems[....] [T]he distrust in China within the [Russian] industry is growing, and we have decided at [a] strategic level that the Chinese market will no longer [be] a priority.[45]

Das oben erwähnte Mineral-ME-Radarsystem (NATO-Bezeichnung: Bandstand) war das erste Überhorizont-Feuerleitradar der chinesischen Marine. Bis heute ist es in seiner geklonten Version auf allen neu gebauten großen Überwasserschiffen zu finde (vgl. Abb. 1).[46]

3.2

Abbildung 1:

Funktionsketten moderner chinesischer Überwasser-Marineschiffe

Quelle: Eigene Darstellung, korrigiert nach Kirchberger 2015: 191.

Kanwa-Berichterstatter wiesen außerdem darauf hin, dass eines der zwölf importierten U-Boote der Kilo-Klasse in China mindestens zwei Jahre lang kontinuierlich am Pier gelegen habe. Dies deutet an, dass China dieses Boot entweder für Reverse-Engineering oder für Testzwecke bezüglich der Wartungsprozeduren verwendet haben könnte. Laut demselben Bericht hat das russische Verteidigungsministerium das chinesische Unterseeboot des Typs 041 Yuan als „Nachahmung“ der Kilo-Klasse klassifiziert.[47]

3.3 Chinas militärisch-industrieller Komplex und die Waffenimportstrategie unter Embargo-Bedingungen

Die sogenannte Raketenkrise zwischen China und den USA anlässlich der ersten demokratischen Präsidentschaftswahlen auf Taiwan 1996 löste in der Volksrepublik verstärkte Modernisierungsbemühungen bei den Streitkräften aus. Dies trug zu einem schnelleren Tempo in der Waffenproduktion insgesamt bei.[48] Infolgedessen ist die Rüstungsindustrie heute weit vielschichtiger und komplexer geworden. Im Jahre 2012 bestand sie bereits aus mehr als 1.000 staatlichen Unternehmen, die unter elf großen staatseigenen Holdinggesellschaften zusammengefasst waren und mehr als eine Million Arbeitskräfte beschäftigten.[49] Berücksichtigt man die gesamte Rüstungsindustrie einschließlich aller teilprivatisierter Tochtergesellschaften und anderer Privatunternehmen, die in irgendeiner Weise in militärische Produktionsprozesse eingebunden sind, so liegen die Schätzungen zur Größe des militärisch-industriellen Komplexes heute bei etwa 10.000 Betrieben und ca. 2,5 Millionen Beschäftigten.[50]

Ein markanter Rückgang der chinesischen Rüstungsimporte zwischen 2007 und 2011 von ca. 58 Prozent nach SIPRI-Angaben sowie ein zeitgleicher Anstieg der chinesischen Waffenausfuhren um 95 Prozent zwischen 2001 und 2011 schienen zunächst nahezulegen, dass das Land auf dem Weg zur weitgehenden Autarkie in der Waffenproduktion bereits große Fortschritte gemacht habe. Ebenso signalisieren seine Waffenexporte etwa nach Pakistan, dass es zumindest in einigen Feldern gelungen ist, von einem Waffen produzierenden Land des „dritten Ranges“ zu einem „Waffenlieferanten des zweiten Ranges“ aufzusteigen.[51]

Diese Aussage bezieht sich jedoch vornehmlich auf Landsysteme, während China in den kritischen Technologiefeldern der Luft- und Seeverteidigung trotz jahrzehntelanger intensiver Forschung und Entwicklung nach wie vor auf ausländische Importgüter angewiesen bleibt. Dies zeigt sich an einem Mangel an einheimischen Produktionskapazitäten für Hochleistungs-Düsentriebwerke, die noch immer aus Russland importiert werden, für Gasturbinen, die in China unter einer Lizenzvereinbarung mit der Ukraine hergestellt werden, und für Schiffsdiesel, die vorwiegend aus Deutschland (MTU) und Frankreich (Pielstick) importiert beziehungsweise unter Lizenz dieser Firmen hergestellt werden. Antriebsanlagen für Kampfflugzeuge und Marineschiffe sind grundsätzlich als kritische Komponenten einzustufen. Chinas anhaltende Abhängigkeit von externen Quellen bei derartig strategisch relevanten Technologien trotz langjähriger Bemühungen, eben diese Abhängigkeit zu überwinden, ist daher aufschlussreich.[52] Ein weiterer Bereich, in dem China noch immer von ausländischen Transfers abhängig ist, ist der der militärischen Transportflugzeuge und Hubschrauber. Auch werden viele elektronische Systeme für chinesische Marineschiffe und Flugzeuge entweder importiert oder sie basieren zumindest auf früheren Einfuhren aus Russland oder westlichen Ländern. Eine Diskussion der Produktionskapazität in Jane's Defence Weekly kam 2013 zu folgendem Ergebnis:

[T]he existing capability gap between China and the industrialised states of the West and Russia is apparent in the Chinese industry's generally unsuccessful attempts to develop and produce major systems such as aero-engines and a wide range of fourth- and fifth-generation technologies that will enable China to reach its ‘informationisation' goal.[53]

Neuere Analysen des Importverhaltens gegenüber Russland und der Ukraine stützen die damalige Schlussfolgerung weiterhin. Offizielle Berichte in den Staatsmedien von 2012 und 2013 über ein geplantes neues Waffenimportabkommen zwischen Russland und China über 24 Su-35-Kampfflugzeuge und vier Lada-U-Boote, das im November 2015 dann offiziell angekündigt wurde, deuteten darüber hinaus an, dass weiterhin ein Qualitätsgefälle zwischen chinesischen und russischen Rüstungstechnologien besteht. Dies lässt auf einen noch vorhandenen Mangel an Innovationsfähigkeit in China schließen, zumindest auf dem höchsten Technologieniveau und bei einigen kritischen Marine- und Luftfahrttechnologien.[54] Andernfalls wäre es aus chinesischer Sicht unnötig, erneut vollständige Waffensysteme in ihrer Exportversion aus Russland zu importieren und begleitend dazu Technologietransfer und gemeinsame Produktion von Russland zu verlangen.

Diese Ansicht deckt sich mit Erkenntnissen aus Cheungs Analyse. Aus seiner Betrachtung der Modernisierungsbemühungen in den vergangenen Jahrzehnten zog er den Schluss, dass der größte Teil der Rüstungstechnik (Stand 2009) den technologischen Standard der späten dritten Generation erreicht hatte (also vergleichbar war mit Waffensystemen, die im Westen in den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren produziert wurden), während der Stand der frühen vierten Generation (vergleichbar mit westlichen Waffensystemen aus den 1990er-Jahren) nur in einigen ausgewählten Bereichen erreicht wurde. Dies war zum Beispiel bei einigen Raketen, beim Kampfflugzeug F-10 und dem Panzer T-98 der Fall. In der Summe jedoch, so Cheung, „[w]hile this progress is significant (on the whole), the Chinese defense economy still lags as much as two generations behind the latest global standards in most areas“.[55] Auch wenn diese Einschätzung bereits einige Zeit zurückliegt, erscheint es aus heutiger Sicht zweifelhaft, ob die Zusammenarbeit mit Russland dazu führen wird, den beschriebenen Zustand zu beheben. Erst vor Kurzem zeigte sich, dass dem aktuellen russischen Sukhoi T-50 PAK-FA-Jet, obwohl er als Flugzeug der fünften Generation angekündigt wurde, anscheinend die entsprechenden Fähigkeiten fehlen.[56]

Tabelle 3 veranschaulicht Cheungs Einordnung der wichtigsten chinesischen Marineschiffe und Raketensysteme in das erwähnte System technologischer „Generationen“.

Technologische Generationen wichtiger chinesischer Waffensysteme

WaffensystemF&E/ProduktionsstatusGeneration*
Zerstörer des Typs 051 (Lüzhou-Klasse)Entwicklung seit den späten 1990er-Jahren, einsatzfähig seit ca. 2006späte 3.
Fregatte des Typs 054

(Jiangkai I- oder Ma'anshan-Klasse)
Entwicklung seit den späten 1990er-Jahren, einsatzfähig seit ca. 2003späte 3.
Fregatte des Typs 053H2G

(Jiangwei-Klasse)
Entwicklung seit Mitte der 1990er-Jahre, einsatzfähig seit 1996späte 3.
Diesel-U-Boot des Typs 039 (Song-Klasse)Entwicklung seit den frühen 1990er-Jahren, einsatzfähig seit ca. 1998späte 3.
Atomgetriebenes Jagd-U-Boot des Typs 093

(Shang-Klasse)
Entwicklung seit den späten 1980er-Jahren, einsatzfähig seit 2006frühe 3.
Strategisches U-Boot des Typs 094 (Jin-Klasse)Entwicklung seit den späten 1980er-Jahren, einsatzfähig seit ca. 2008späte 3.
Ballistische Mittelstreckenrakete DF-21Entwicklung seit 1980, in Serienproduktion seit den späten 1980er-Jahrenspäte 3.
Ballistische Mittelstreckenrakete DF-15 (M-9)Entwicklung seit 1985, in Serienproduktion seit Mitte der 1990er-Jahrespäte 3.
  1. * Die Generationseinstufung folgt der US-amerikanischen und russischen Konvention. Die in China gebräuchliche Generationeneinteilung hinkt demgegenüber eine Generation hinterher, weil die Generation 1 in China komplett ausgelassen wurde.

Quelle: Leicht adaptiert von Cheung 2009: 173.

Angesichts dieser Tatsachen ist es nicht verwunderlich, dass China bei der Wartung und Instandhaltung seiner russischen Waffenimporte noch immer relativ abhängig von russischer Unterstützung zu sein scheint. So hat der Betrieb verschiedener aus Russland importierter Marineschiffsklassen anscheinend die Einrichtung lokaler russischer Support-Enklaven auf chinesischem Boden notwendig gemacht. Durch die Präsenz russischer Hochtechnologie in mehreren missionskritischen Bereichen ist somit ein potenzielles Gebiet strategischer Verwundbarkeit entstanden. James C. Bussert und Bruce A. Elleman bemerkten im Hinblick auf die älteren, in China gebauten Lüda-, Lühu- und Lühai-Zerstörer:

„Even though these ships are indigenously constructed, and are evolutionary in upgrades, there are doubts if the crews can maintain, repair, and properly operate the complex systems at sea“.[57]

Solche Probleme sind jedoch anscheinend noch gravierender bei denjenigen Schiffsklassen, die als komplette Waffensysteme aus Russland importiert wurden – den Sovremenny-Zerstörern und Kilo-U-Booten:

China is still largely dependent on Russian advisers for training and operations. Maintenance and repair of foreign equipment can be particularly difficult, and China's Sovremennyys rely on Russian technicians for maintenance. China was forced to return two Russian-made Type 2D-42 diesel generators to the Elektrosila plant in Russia for repairs.[58]

So deuten zuerst von Kanwa Asian Defence veröffentlichte Informationen darauf hin, dass in China eine spezialisierte Infrastruktur, bestehend aus langfristig entsendeten russischen Beratern, in zwei isolierten „Unterstützungskokons“ in der Nähe des chinesischen Ostflottenhauptquartiers in Ningbo entstanden ist, die für den Betrieb der importierten Schiffe notwendig zu sein scheint:

The Sovremennyys largely remain in the Russian support cocoon at the isolated port of Dinghai, on Zhoushan Island, rather than at a large city fleet base. Russia repeatedly urges China to have overhauls conducted by its Zvezdochka Factory, which has facilities and documentation for 956E and EM as well as Kilo submarines. China repeatedly refuses and is trying to establish 956 maintenance capability at Bohai Shipyard, and Russia has so far trained thirty-five technical staff. Every piece of equipment was totally new to the PLAN except for the Palm Frond navigation radar, the RBU-1000 ASW launcher, the Kite Screech and FC radars, the SA-N-7 Shtil SAM, and the Ka-28 ASW helicopter. […] The modern Kilo submarines have a similar Soviet technical support enclave at the nearby harbor of Xiangshan, while Kilo submarine crews are trained and supported there.[59]

Derart umfangreiche technische Unterstützung aus Russland schien zumindest zum Berichtszeitpunkt 2011 für diese beiden importierten Schiffsklassen notwendig zu sein. Nach der oben zitierten Studie war es „unklar, ob die Chinesen diese Schiffe und Boote in einsatzfähigem Zustand halten könnten“, falls sie auf sich allein gestellt wären.[60] Das Risiko einer solchen Regelung liegt in der Abhängigkeit von Unterstützung durch eine andere Nation – in diesem Fall Russland –, die jederzeit aus politischen Gründen reduziert oder zurückgehalten werden könnte. Ein weiterer Nachteil ist der geringe Grad an Integration innerhalb der Flotte, wenn bestimmte Schiffe aufgrund ihrer spezialisierten Bedürfnisse getrennt von anderen Schiffen desselben Typs stationiert und gewartet werden müssen und vollkommen anderes Training für die Besatzung erfordern. Die geplante neue Partnerschaft im Unterseeboot- und Kampfflugzeug-Bereich zwischen China und Russland muss auch vor diesem Hintergrund gesehen werden.

3.4 Die Rolle der Ukraine als Lieferant fortschrittlicher Waffentechnik nach Russland und China

In einigen Hochtechnologie-Bereichen, in denen Russland zögerte, fortschrittliche Systeme mit China zu teilen, waren ukrainische Anbieter eine willkommene Alternative. Dokumentierte Fälle, in denen ukrainische Zulieferer einsprangen, nachdem Russland Technologie oder Unterstützung zurückhielt, betrafen Wartungsanleitungen für Kilo-U-Boote, Phased-Array-Radartechnologie und nicht zuletzt Flugzeugträgertechnologie.

Die Ukraine war 1991 das erste Land, das seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärte. Dies alarmierte Moskau nicht zuletzt deshalb, weil auf dem Gebiet der Ukraine mehr als ein Drittel der militärisch-industriellen Produktionskapazitäten der Sowjetunion angesiedelt waren.[61] Zu den wichtigsten Rüstungsindustrien und militärischen Infrastrukturen, die die Ukraine von der Sowjetunion erbte, gehörten die großen Marinewerften, die phasenweise „30 % der gesamten Schiffbauindustrie der Sowjetunion ausmachten“.[62] Weitere Felder militärtechnologischer Kompetenz in der Ukraine waren Bauteile für schwere Raketen, gepanzerte Fahrzeuge, Transportflugzeuge, Gasturbinen und Düsentriebwerke.[63] In geostrategischer Hinsicht hätte der Verlust des Zugangs zu einigen Militärstützpunkten auf ukrainischem Territorium zudem für Russland inakzeptable Konsequenzen gehabt. Wie der ehemalige US-amerikanische Nationale Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski 1997 unterstrich:

Prior to 1991, the Black Sea was the point of departure for the projection of Russian naval power into the Mediterranean. By the mid-1990s, Russia was left with a small coastal strip on the Black Sea and with an unresolved debate with Ukraine over basing rights in Crimea for the remnants of the Soviet Black Sea Fleet, while observing, with evident irritation, joint NATO-Ukrainian naval and shore-landing maneuvers and a growing Turkish role in the Black Sea region. Russia also suspected Turkey of having provided effective aid to the Chechen resistance.[64]

Auch nach 1991 bestand eine mitunter als Symbiose bezeichnete Arbeitsteilung zwischen den wehrtechnischen Industrien Russlands und der Ukraine, die auch mehrere große Projekte kollaborativer Waffenproduktion umfasste. Darüber hinaus verpachtete die Ukraine die Marinebasis Sewastopol und das Flugzeugträgerpiloten-Ausbildungszentrum NITKA auf der Krim langfristig an Russland. Für das Jahr 2013 wurde die Höhe der ukrainischen Waffenexporte nach Russland auf ca. 400 Millionen US-Dollar geschätzt, also auf ein Viertel der insgesamt 1,6 Milliarden US-Dollar Gesamtumsatz in diesem Jahr.[65] Die Anzahl der von ukrainischen Rüstungsunternehmen nach Russland gelieferten Produktlinien wurde auf ca. 3.000 veranschlagt.[66] Dabei blieben einige Gebiete die exklusive Domäne eines der beiden Partner. Insbesondere die Kompetenz der Ukraine im Bereich Düsentriebwerks- und Gasturbinenproduktion ist hierfür ein Beispiel.

Im Jahr vor dem Ausbruch der Krim-Krise hatten Russland und die Regierung Janukowitsch weitreichende militärische Kooperationen vereinbart. Die Ukraine hatte außerdem bereits beschlossen, ihre wehrtechnischen Industrien nach dem russischen Modell durch die Gründung von Ukroboronprom umzustrukturieren, einer Exportagentur ähnlich dem russischen Pendant Rosoboronexport. Damals bezeichnete ein Analyst das russisch-ukrainische Antonov An-70-Transportflugzeug-Programm als das „Herzstück“ der bilateralen Rüstungskooperation.[67] Ein weiterer wichtiger Bereich der Zusammenarbeit betraf die fortgesetzte Verpachtung des Flugzeugträger-Pilotenausbildungszentrums NITKA bei Saki auf der Krim:

NITKA „remains the only former USSR base equipped with the hardware necessary to train pilots to fly the Sukhoi Su-33 and Mikoyan MiG-29K carrier-capable fighters off Admiral Kuznetsov-class carriers“.[68]

Zwar war dieses Trainingszentrum nach dem Untergang der Sowjetunion an die Ukraine vererbt worden, doch die ukrainische Marine hatte aufgrund fehlender Trägerkapazität keinerlei Verwendung für NITKA.

Da Chinas einziger einsatzfähiger Flugzeugträger, die Liaoning, ebenfalls ein Schiff der Kuznetsov-Klasse ist, war es (neben Indien) eine Nation mit potenziellem Interesse an der Nutzung der NITKA-Basis für die Ausbildung von Trägerpiloten. Russland wiederum verfügte über keine vergleichbare Einrichtung auf russischem Territorium. Vor der Invasion in Georgien hatte Russland NITKA von der Ukraine gepachtet und bezahlte für die Nutzung der Anlage durch Gegengeschäfte, „darunter größtenteils Flugzeugteile für die Sukhoi-Kampfflugzeuge, die noch von der Ukraine betrieben werden“.[69] Eine neue Vereinbarung sah Geldzahlungen vor, aber Ende 2013, kurz vor dem Ausbruch der Krim-Krise, plante die Ukraine Berichten zufolge, die ausschließliche Nutzung von NITKA den chinesischen Marinefliegern (PLANAF) oder als Alternativlösung Indien anzubieten, weil Russland nicht bereit war, eine höhere Nutzungsgebühr zu zahlen. Chinesische Funktionäre hatten Berichten zufolge hohes Interesse an dieser Anlage und dem Fachwissen des dortigen Personals signalisiert, obwohl China bereits eine eigene Ausbildungsstätte in der Nähe von Xi’an in Betrieb genommen hatte, die nach dem Vorbild von NITKA errichtet worden war.[70] Die Annexion der Krim Anfang 2014 führte schließlich zur gewaltsamen russischen Übernahme von NITKA.

Im Verhältnis der Ukraine zu China trug dessen Quasi-Abhängigkeit von russischen Waffenimporten nach 1991 massiv dazu bei, dass ukrainische Technologiekompetenz für China als Druckmittel bei Verhandlungen mit Russland immer interessanter wurde. So führten Unstimmigkeiten zwischen China und Russland hinsichtlich der Instandhaltung und Modernisierung der russischen Kilo-U-Boote im Ergebnis zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen China und der Ukraine. Laut einer anonymen russischen Industriequelle zogen sich die chinesisch-russischen Gespräche über die Instandhaltung der Boote jahrelang hin, weil China darauf bestand, dass alle notwendigen Arbeiten mithilfe russischer Experten in China durchgeführt werden sollten. Von diesen wurde zudem erwartet, chinesisches Wartungspersonal auszubilden. Die russische Seite jedoch beharrte darauf, alle Arbeiten ausschließlich auf spezialisierten Werften in Russland durchzuführen. Aus derselben Quelle wurde weiter berichtet, China habe sich schließlich an die Sewastopol-Werft in der Ukraine gewandt, von der es dann Wartungspläne für die Kilo-Klasse erhielt, allerdings für einen älteren Typ. Daraufhin habe China unabhängig von russischer Unterstützung in Eigenregie mit den Wartungsarbeiten begonnen.[71] Der Erfolg dieser unorthodoxen Vorgehensweise ist ungewiss. Die Kilo-Boote wurden in den direkten Folgejahren nur selten auf Mission gesehen, was ein Resultat von Wartungsproblemen sein könnte.

Ein weiteres Feld kritischer Unterstützung durch die Ukraine betraf Phased-Array-Radartechnologie. China hatte für das Zerstörer-Programm Typ 051CLüzhou zwei russische 30N6EI TombstonePhased-Array Flap Lid-Antennen aus Russland erhalten, die die Schlüsselkomponente des frühesten potenziell flächenverteidigungsfähigen Kampfsystems darstellten, das bis dahin auf einem chinesischen Kriegsschiff installiert worden war.[72]

Noch wichtiger für die Entwicklung eines chinesischen Phased-Array-Radarsystems scheint jedoch ein Transfer ukrainischer Radar-Technologie gewesen zu sein. Dem Nanjing Research Institute of Electronic Technology gelang es letztendlich, ein Radarsystem mit aktiver elektronischer Strahlschwenkung zu entwickeln, das erstmals 2004 auf den Zerstörern der Lüyang-II-Klasse installiert wurde und das wahlweise als Typ 346 oder Typ 348 Dragon Eye bezeichnet wird. Norman Friedman geht davon aus, dass dieses System auf einem ukrainischen aktiven Phased-Array-Radar basiert, das im C-Band arbeitet, vom Kvant Design Bureau produziert und 2004 von der Ukraine mitsamt den Designunterlagen und dem erforderlichen technischen Hilfspaket an China verkauft wurde.[73]Dragon Eye und seine Derivate bilden heute die Kernkomponente des „chinesischen AEGIS“.

4 Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die wehrtechnischen Kooperationen zwischen der Ukraine, Russland und China

Am 22. Februar 2014 floh der abgesetzte prorussische Präsident der Ukraine Viktor Janukowitsch vor dem Hintergrund der Euromaidan-Revolution nach Russland. Diese Protestbewegung war ausgelöst worden durch die Entscheidung seiner Regierung, ein Assoziationsabkommen mit der EU nicht zu unterzeichnen. Zuvor hatte Russland angestrengte Versuche unternommen, die Regierung in Kiew von der Unterzeichnung abzubringen – „notably with the threat – from Russian presidential advisor Sergei Glazyev in 2013 August – that bilateral defence industrial co-operation […] would be a casualty of the accord“.[74] Im folgenden Abschnitt werden die strategischen Implikationen dieser Krise für die hier zu untersuchende militärisch-industrielle Dreiecksbeziehung diskutiert.

4.1 Die russische Besetzung der Krim und ihre Auswirkungen auf die ukrainisch-russische Verteidigungskooperation

Direkt nach Janukowitschs Flucht begannen die Vorbereitungen einer russischen Annexion der Krim. Der Wert dieser Halbinsel aus geostrategischer, militärischer und militärisch-industrieller Sicht lag für viele Beobachter auf der Hand, nicht zuletzt wegen des russischen Schwarzmeerflottenstützpunkts Sewastopol (der von der Ukraine im Rahmen einer im Jahr 2010 zuletzt erneuerten Vereinbarung an Russland verpachtet worden war) und auch wegen des bereits erwähnten Flugzeugträger-Pilotenausbildungszentrums NITKA, dessen neuerliche Verpachtung an Russland zu jener Zeit noch verhandelt wurde. Der Verlust des Zugangs zu diesen Einrichtungen hätte für Russland große Schwierigkeiten bei der Verwirklichung seiner regionalen Ambitionen zur Folge gehabt.[75] Darüber hinaus ist die russische Marine auf die ukrainischen Werften am Schwarzen Meer für Reparatur- und Wartungsarbeiten angewiesen, da die russischen Werften viel zu weit von diesem Einsatzgebiet entfernt liegen. Eine stärkere Kontrolle über die Schwarzmeerregion ist für Russland daher auch wegen des benötigten Zugangs zu industrieller Infrastruktur notwendig. In den Jahren vor der Krise von 2014 hatte Russland bereits verschiedentlich Versuche unternommen, seine strategische Abhängigkeit von ukrainischen Industrien zu reduzieren, und bemühte sich darum, die wichtigsten Akteure in der ukrainischen Verteidigungsindustrie, etwa die Firmen Motor Sich und Zorya-Mashproekt, unter ein Dach russischer Holdinggesellschaften zu bringen.[76]

Am 29. März 2014 beendete die ukrainische Exportagentur Ukroboronprom alle Ausfuhren militärischer Ausrüstung nach Russland und im Juni verbot der ukrainische Präsident Petro Poroschenko schließlich offiziell jegliche militärtechnische Zusammenarbeit mit dem Aggressor. Russland wiederum erließ zwischen Frühjahr und Sommer 2014 eine Reihe von Handelsbeschränkungen gegen die Ukraine, die Agrarprodukte ebenso wie Rüstungsgüter umfassten und die effektiv in einem Verbot russischer Militärausfuhren in die Ukraine resultierten. Dies sorgte für gravierende Engpässe in der Lieferkette der ukrainischen Rüstungsindustrie.[77] Damit war die wehrtechnische Symbiose endgültig beendet. Seither hat die ukrainische Regierung Schritte unternommen, die Zusammenarbeit mit der EU und der NATO auch in wehrtechnischer Hinsicht zu vertiefen.[78] Ende 2014 ratifizierte die Ukraine ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union und trat am 1. Januar 2016 der Vertieften und umfassenden Freihandelszone (DCFTA) der Europäischen Union, Georgiens und Moldawiens bei, was auf die ungebrochenen Absichten Kiews hindeutet, sich stärker in den Westen zu integrieren.

Wegen der Annexion der Krim und als Folge separatistischer Aktivitäten im östlichen Teil des Landes, durch die Ukroboronprom die effektive Kontrolle über eine Reihe wehrtechnischer Produktionsanlagen dort verlor, hat die Ukraine als Ergebnis der russischen Aggression einen Verlust von rund zehn Prozent ihrer gesamten Rüstungsindustrie zu verzeichnen – ein bedeutender Anteil. Zudem versetzte der plötzliche Verlust ihres größten Marktes dem militärisch-industriellen Komplex der Ukraine einen weiteren schweren Schlag. Um den Verlust des russischen Exportanteils auszugleichen, hat die Ukraine seit dem Ausbruch der Krise die wehrtechnischen Beziehungen unter anderem zu Indonesien, Pakistan, Polen, Thailand, Saudi-Arabien und Südafrika verstärkt und Abkommen über Verteidigungskooperationen mit all diesen Ländern geschlossen. Nach offiziellen Angaben von Ukroboronprom erreichte der ukrainische Verteidigungsexport im Jahr 2015 schon einen Wert von einer Milliarde US-Dollar, was eine bemerkenswert hohe Summe ist.[79]

4.2 Die Bedeutung des militärisch-industriellen Komplexes der Ukraine für Russland

Aus russischer Sicht führte der Verlust ukrainischer Wehrtechnik-Lieferungen zu der Notwendigkeit, sehr kurzfristig etwa 3.000 wichtige Produktlinien zu ersetzen. Nach der Einschätzung eines Analysten wird der Ersatz dieser zuvor importierten Artikel durch eine eigene Entwicklung für Russland sowohl kostspielig als auch schwierig sein. So befindet sich im Südosten der Ukraine, in Saporischschja, ein Produktionskomplex aus dem Designbüro Ivchenko-Progress und der Produktionsanlage Motor Sich, die zusammen „eines der größten überlebenden Flugzeugtriebwerk-Unternehmen aus Sowjetzeiten“ darstellen. Nach Einschätzung lokaler Funktionäre ist dies „the only Soviet-era enterprise capable of designing and building a jet engine from scratch in a more or less standalone capacity“.[80] In der Vergangenheit war der ökonomische Anreiz für Russland, seine Abhängigkeit von ukrainischen Zulieferern zu überwinden, nur gering gewesen, da viele Komponenten lediglich in kleinen Mengen und mit geringen Gewinnmargen produziert wurden. Johnson führt daher aus:

Some higher-end items, such as the Motor Sich engine models for Russian helicopters and combat jet trainer aircraft and gas-turbine power plants for naval vessels from Zorya-Mashproekt in Mykolaiv, are almost incapable of being produced in Russia without huge investments, as are many of the items needed to support the regular operations of the Antonov An-124 Ruslan military cargolifters.[81]

Die Flugzeugtriebwerks-Produktionsanlage Motor Sich ist nur eine von mehreren wichtigen Industrieanlagen, die kritische Komponenten für russische Waffensysteme herstellten. Dazu schreibt Moore:

Basically all of Russia’s military helicopters use engines made by Motor-Sich. The firm also makes the engines for Russia’s Yak 160 fighter/trainer. Russian military analyst Vladimir Voronov says Russia has an ambitious plan to add 1,000 attack helicopters to its armed forces, but this would be almost impossible without Motor Sich’s provision of engines.[82]

Die erwähnte Firma Zorya-Mashproekt, einer der weltweit führenden Hersteller von Gasturbinen für Marineschiffe, ist ein weiterer bedeutender Zulieferer für russische Rüstungsprogramme, dessen Verlust schwer zu kompensieren sein wird. Abnehmer ukrainischer Gasturbinen außer Russland, dem ehemaligen Hauptexportmarkt, sind unter anderem Weißrussland, Indien, China, Vietnam und Südkorea. Nach dem Ausbruch der Krise führte der Verlust des russischen Auftragsvolumens bei Zorya-Mashproekt zu einem erheblichen Produktionseinbruch, sodass die Auslastung Mitte 2014 nach offiziellen Angaben nur noch bei 65 Prozent lag.[83] Aus russischer Sicht dürfte der Verlust dieser Komponenten jedoch weit problematischer sein, denn von den 54 Überwasser-Beschaffungsprogrammen, die die russische Marine zu derselben Zeit geplant hatte, waren bei 31 Programmen ukrainische Antriebsanlagen vorgesehen.[84] Der für die Verteidigungsindustrie zuständige stellvertretende russische Ministerpräsident Dmitri Rogosin räumte im Juni 2015 öffentlich ein, dass Russland seine derzeit laufenden Überwasser-Schiffbauprogramme nicht weiterführen könne, da sie für den Einbau von derzeit nicht verfügbaren ukrainischen Gasturbinen konstruiert worden seien. Er deutete außerdem an, dass Russland nicht vor 2018 in der Lage sein werde, eigene Gasturbinen herzustellen.[85]

Zusätzlich zu den oben bereits aufgeführten Produzenten kritischer Komponenten sind noch die Produktionsanlagen von Charkiw zu nennen, die Kampfpanzer und Luft-Luft-Raketen für Kampfjets herstellen, die in Russland verwendet werden. Dieser Produktionskomplex ist laut Moore „home to a vibrant parts and systems design and manufacturing industry that services many sectors of Russia’s military, including Russia’s newest Su50 PAK/FA fighter aircraft“.[86]

Die russische Weltraumagentur Roskosmos ist eine weitere Einrichtung, die durch das Ende der Produktionssymbiose mit der Ukraine stark beeinträchtigt wurde. Ihre fortschrittliche Raketenindustrie (vor allem das Designbüro Yuzhnoye und die Produktionsstätte von YushMash in Dnepropetrovsk) macht die Ukraine zu einer der wenigen Nationen der Welt, die über eine ausgereifte Raumraketen-Produktionskapazität verfügen:[87]

Located in south-eastern Ukraine’s Dnepropetrovsk, it produced many of the rockets in the early Soviet space program, as well as parts for many missiles and rockets such as Russia’s famous Soyuz, and components for the International Space Station. It also designed, manufactured and today still services Russia’s main intercontinental ballistic missile, the deadly SS18.[88]

Interne russische Schätzungen, die an Kommersant gestreut wurden, taxierten die benötigten Finanzmittel zum Ersatz ukrainischer Produktionslinien durch russische Eigenentwicklungen auf ca. 940 Millionen US-Dollar bis zum Jahr 2018. Dieses erzwungene Importsubstitutionsprogramm angesichts sinkender Ölpreise und einer allgemeinen Wirtschaftskrise in Russland zu finanzieren, ist nur durch das Beschneiden anderer Programme möglich. Demselben Bericht zufolge plante die Regierung, Mittel aus dem Raumfahrtprogramm, aus dem nationalen Verteidigungsmodernisierungsprogramm sowie aus staatlichen Fördermitteln der Föderation abzuzweigen und diese bereits unterfinanzierten Programme dadurch zusätzlich zu belasten. Der stellvertretende Premierminister Dmitri Rogosin schätzte den notwendigen Zeitrahmen für die Entwicklung und Herstellung von Ersatz für alle ukrainischen Produktlinien auf zwei Jahre, aber westliche Verteidigungsanalysten gehen eher von drei bis fünf Jahren Zeitbedarf aus.[89]

Aufgrund der westlichen Sanktionen steht Russland vor dem zusätzlichen Problem, dass es effektiv nicht in der Lage ist, schnell Alternativen auf dem Weltmarkt zu finden. Außerdem verlor es auch den Zugang zu Schlüsselkomponenten aus NATO- und EU-Staaten. Vizepremier Rogosin erklärte, dass ca. 640 Produkte – in ihrer Mehrzahl optische und radioelektronische Komponenten – als Folge der westlichen Sanktionen nun durch eigene Entwicklungen ersetzt werden müssten.[90]

Angesichts dieser schwierigen Umstände und in Anbetracht der pro-russischen Stimmung in einigen Teilen der Ost-Ukraine ist es daher nicht überraschend, dass ein illegaler Schmuggelverkehr von Rüstungsgütern aus der Ukraine nach Russland eingesetzt hat. Einem Bericht zufolge haben ukrainische Sicherheitskräfte am 4. Februar 2016 im Bezirk Wowtschansk (Charkiw Oblast) unweit des Donez-Beckens eine Ladung Mikrochips abgefangen, die anscheinend für Russland bestimmt war. Obwohl der Gesamtwert dieser Ladung mit weniger als 7.000 US-Dollar vergleichsweise gering angegeben wurde, waren diese mikroelektronischen Bauelemente dennoch sehr wertvoll für Russland, weil es laut dem Bericht dort „keinen entsprechenden Ersatz für sie“ gebe und sie „bei der Produktion von ballistischen Raketen und Booster-Raketen in der Raumfahrt“ verwendet würden. Dem offiziellen Bericht zufolge schienen sie außerdem illegal produziert worden zu sein.[91]

In der Zusammenschau scheint es, dass vor allem die Qualität und nicht so sehr der Umfang der zu ersetzenden ukrainischen Produktlinien die russische Seite vor Schwierigkeiten stellt. Das Ausmaß der Probleme, die in Russlands Rüstungsindustrie durch die Unterbrechung der Versorgungslinien bisher verursacht und die zum Beispiel an den oben erwähnten erheblichen Bauverzögerungen bei Überwasserschiffen konkret sichtbar wurden, legt nahe, dass die Invasion der Krim möglicherweise kein langfristiger Plan der russischen Regierung war. Denn andernfalls wäre eigentlich zu erwarten gewesen, dass Russland bereits früher mit der Substitution der ukrainischen Importe begonnen hätte. Betrachtet man die Entwicklung der Ukraine-Krise einschließlich ihrer Vorgeschichte durch die Brille der russischen Rüstungsindustrie, so scheint es, dass die Abhängigkeit dieser Industrie von ukrainischen Produkten den russischen Militärplanern nur allzu bewusst gewesen ist. Wäre die Ukraine-Krise von ihnen langfristig also erwartet worden, so wäre davon auszugehen gewesen, dass es deutlich früher Anzeichen für russische Versuche hätte geben müssen, die Quasi-Abhängigkeit von kritischen Komponenten aus der Ukraine durch stärkere Autarkiebemühungen in der Waffenproduktion zu reduzieren. Solche frühen Versuche scheinen jedoch kaum nachweisbar zu sein.

Falls diese Überlegung zutrifft, könnte es sich bei der Invasion um eine eilige, relativ schlecht vorbereitete Aktion gehandelt haben mit dem Ziel, den unmittelbar drohenden Verlust des Zugangs zu militärisch relevanten Anlagen auf der Krim und in anderen Teilen der östlichen Ukraine zu verhindern. Nach Ansicht von Moore könnten russische Ängste vor einem Verrat militärischer Geheimnisse an die Westmächte sogar zu den Haupttriebkräften bei der russischen Entscheidung zur Invasion gehört haben:

For Moscow, the loss of Ukraine to the EU (or worse, to the North Atlantic Treaty Organization as well), would mean the potential loss of all of this capacity, and the need to replace it rapidly, not to mention the loss of military secrets that could help competitors of the Russian military industrial complex. Ukrainian scientists and engineers know many of Russia’s deepest military secrets, and in fact fathered some of them.[92]

Moore weist darauf hin, dass der russisch initiierte Widerstand gegen Kiew in den östlichen Teilen der Ukraine am stärksten zu sein scheint, die in unmittelbarer Nähe zu den wichtigsten Produktionsstandorten des militärisch-industriellen Komplexes des Landes liegen: Charkiw (Panzer), Mykolajiw (Schiffsbau), Dnepropetrowsk (Raumfahrt/Raketenindustrie) und Saporischschja (Jet-Motoren von Motor-Sich). Daraus schließt er:

The value and importance of Ukraine’s military industrial complex to Russia is an important reason Moscow will not let go of eastern and southern Ukraine, and consequently it may be that sanctions alone will not be enough to make Putin back down.[93]

Es könnte allerdings auch sein, dass die russische Führung fälschlicherweise davon ausging, im Falle einer Krise und Invasion nur mit geringem bewaffneten Widerstand der Ukraine konfrontiert zu werden und dass es das Ziel war, die gesamte russisch-sprachige Ukraine zu annektieren. In diesem Fall wäre die Eroberung und Annexion der Krim nur ein erster Schritt im Rahmen einer eigentlich größer geplanten Aktion gewesen, die das Ziel gehabt haben könnte, sich weit größere Teile des ukrainischen militärisch-industriellen Komplexes anzueignen. Auch diese Überlegung könnte im Zusammenspiel mit der Wirtschaftskrise erklären, warum Russland seine Abhängigkeit von ukrainischen Technologieimporten nicht schon früher bekämpfte.

4.3 Implikationen der Ukraine-Krise für Chinas militärisch-industrielle Entwicklung

Welche Folgen könnte die Ukraine-Krise für Chinas Militärentwicklung haben? Ein bereits messbarer Effekt betrifft die russische Kooperationsbereitschaft. Derzeit gibt es angesichts der westlichen Sanktionen für Russland noch weit stärkere Anreize als zuvor, die militärisch-industriellen Beziehungen mit China zu vertiefen. Dies wurde sichtbar durch den Abschluss eines neuen und bisher beispiellosen Export- und Technologietransferabkommens über den Verkauf von U-Booten der Lada-Klasse, von Su-35-Kampfflugzeugen und des Langstrecken-Boden-Luft-Raketensystems S-400. Obwohl dieses Übereinkommen bereits seit Jahren in der Verhandlungsphase war, erhielt es erst nach der Krim-Krise die Unterstützung der höchsten politischen Ebene in Russland.[94]

China bleibt aufgrund des Mangels an Alternativen bis auf Weiteres in einer Situation der doppelten Abhängigkeit von Russland und der Ukraine. Zwar ist die wehrtechnische Kooperation mit Russland umfangreicher und auch strategisch relevanter als die Zusammenarbeit mit der Ukraine, allerdings gibt es zwischen China und der Ukraine weniger Reibungsflächen als mit Russland und auch keine strategische Rivalität. Weiterhin hat China von der Ukraine Zugang zu einigen kritischen Technologien erhalten, die von Russland nicht geliefert wurden, darunter ein Flugzeugträger-Rumpf, ein Prototyp eines aktiven Phased-Array-Radarsystems und ein Lizenzabkommen zur Produktion von Gasturbinen für Marineschiffe. Dennoch bleibt China bei der Versorgung seiner älteren und neueren russischen Schiffe und Flugzeuge weiterhin auf russische technische Unterstützung angewiesen. Es dürfte sich kaum leisten können, diese Unterstützung zu verlieren, wenn die importierten russischen Systeme funktionstüchtig bleiben sollen. Das neue Rüstungsabkommen kann, wenn es wie geplant durchgeführt wird, diese Art der Beziehung zwischen beiden Seiten auf Jahrzehnte zementieren.

Ein rascher Durchbruch Chinas auf dem Weg zu einer höheren Stufe in der „Hierarchie der Produktion“ mit dem Ziel, größere Autarkie in der Waffenproduktion zu gewinnen, scheint in naher Zukunft unwahrscheinlich. Aktuelle Berichte zeigen, dass China bisher in seinen Versuchen, zum Beispiel importierte Jet-Triebwerke aus der Ukraine und Russland durch eigene Entwicklungen zu ersetzen, nicht erfolgreich war.[95] Somit bleibt China bislang bei dem von Hongdu Aviation gebauten L-15 Düsenjäger von ukrainischen Triebwerken abhängig. Quellen aus der ukrainischen Rüstungsindustrie haben zudem darauf hingewiesen, dass es zumindest in den vergangenen Jahren keine wesentlichen Fortschritte im chinesischen Minshan-Triebwerksentwicklungsprogramm gegeben hat. Technische Probleme, die von ihnen genannt wurden, bezogen sich besonders auf die Bereiche Verbrennungstechnik, Heißteiltechnik und das Design von digitalen Steuerungssystemen.[96]

Ein weiterer Indikator für Chinas bisher fehlende Kapazität zur Herstellung von Flugzeugantrieben war die offiziell am 19. November 2015 verkündete, oben erwähnte Entscheidung, 24 russische Su-35-Kampfflugzeuge zu importieren. Dieses Geschäft war mindestens seit 2008 verhandelt worden und wurde schließlich unter direkter Beteiligung des Kremls und der höchsten Vertreter der chinesischen Militärführung abgeschlossen. Für diese Importentscheidung scheinen zwei Komponenten entscheidend gewesen zu sein: Der russische Saturn 117S-Antrieb und das NIIP N035 Irbis-E-Radar, ein Phased-Array-Radarsystem mit passiver elektronischer Strahlschwenkung (PESA). Ein Vertreter eines ukrainischen Luft- und Raumfahrtunternehmens berichtete in einem Interview mit Johnson, dass chinesische Spezialisten bislang nicht erfolgreich darin gewesen seien, ein entsprechendes PESA selbst zu entwickeln und zu fertigen und erst recht kein aktives Phased-Array-Radar (AESA) mit der gewünschten Leistung.[97] Das neue Su-35-Abkommen beinhaltet eine Zusage Russlands, die notwendigen Quellcodes mit der chinesischen Shenyang Aircraft Corporation zu teilen, sodass chinesische Waffen in die Flugzeuge integriert werden können. Dieses Zugeständnis erfolgte trotz der früheren Anschuldigungen, China habe die Su-27-Kampfflugzeuge illegal kopiert.[98] China kann somit von den gegenwärtigen wirtschaftlichen Problemen Russlands und seiner politischen Isolation profitieren, indem es trotz bestehender Reibungen über frühere Urheberrechtsverletzungen nun vorteilhaftere Exportbedingungen aushandeln kann als bisher.

Solange die derzeitige Krisensituation zwischen Russland und der Ukraine anhält, kann China daher vornehmlich als Nutznießer der stark veränderten Dynamik in diesem militärisch-industriellen Dreieck angesehen werden. Russland hat zurzeit ein starkes Interesse daran, die strategische Zusammenarbeit mit China vor dem Hintergrund westlicher Sanktionen, niedriger Ölpreise und schwerwiegender wirtschaftlicher Probleme zu intensivieren, nicht zuletzt, weil diese Umstände die ehrgeizigen Modernisierungspläne für das Militär gefährden. Die Ukraine wiederum muss ihre zuvor auf Russland entfallenen Exportanteile durch neue Kunden ersetzen, um ihren militärisch-industriellen Komplex zu erhalten und im Interesse der eigenen Verteidigungsfähigkeit möglichst auch zu stärken. Daher dürfte sie besonders daran interessiert sein, ihre Beziehungen zu China (ebenso wie zu anderen Staaten) weiter zu verbessern und zu nutzen – nicht nur als Ersatzmarkt für verlorene russische Aufträge, sondern auch als Kanal, um politischen Druck auf die russische Seite auszuüben. All dies könnte sich zugunsten Chinas auswirken und es ihm ermöglichen, kurzfristig Zugang zu fortschrittlicheren Technologien von beiden Seiten zu erhalten als jemals zuvor.

Sollte sich die Ukraine jedoch in der Tat für eine engere Integration mit den Westmächten auch im militärischen Bereich entscheiden, dann könnte dies in der Zukunft zu einer veränderten Dynamik führen, in der das Wissen der ukrainischen Waffenproduzenten für China allmählich weniger zugänglich wird, da dann wiederum Anreize bestünden, dem westlichen Waffenembargo gegen China Folge zu leisten.[99] In diesem Fall würde die einseitige Abhängigkeit von russischer technologischer Unterstützung die chinesische Führung wahrscheinlich dazu veranlassen, sich noch stärker als bisher um Importsubstitution zu bemühen, um einen geringeren Grad an strategischer Verwundbarkeit zu erreichen. Die Schwierigkeit und Komplexität einer solchen Aufgabe ist nicht zuletzt aus den gegenwärtigen russischen Problemen beim Ersatz ukrainischer Systeme zu ersehen. Es scheint fast unvermeidlich, dass ein solcher Kurs negative Folgen für das Tempo der militärischen Modernisierung Chinas hätte, besonders angesichts der Tatsache, dass sich die wirtschaftliche Lage in China derzeit ebenfalls verschlechtert.

5 Schlussfolgerungen

Die militärisch-industrielle Symbiose zwischen Russland und der Ukraine kam mit dem gewaltsamen Eingreifen Russlands und der resultierenden Annexion der Krim zu einem abrupten Ende. Der plötzliche Abbruch der Beziehungen zwischen zwei früher eng miteinander verflochtenen militärisch-industriellen Komplexen bietet der Forschung die ungewöhnliche Chance, die Charakteristika transnationaler Waffenproduktion und deren strategische Implikationen unter Krisenbedingungen zu studieren. Beide Seiten waren gezwungen, Waren und Dienstleistungen, die zuvor ausschließlich vom damaligen Partner bezogen wurden, schnell zu ersetzen, und beide Seiten müssen jetzt andere Kunden für ihre Rüstungsgüterexporte finden. Darüber hinaus gelten für Russland auch Anfang 2017 noch immer westliche Sanktionen und wahrscheinlich fürchtet die Regierung weiterhin, dass einige seiner militärtechnologischen Geheimnisse den westlichen Mächten übermittelt werden könnten, da sich die Ukraine stärker in Richtung NATO und EU orientiert. Zudem versucht diese, neue verteidigungsindustrielle Partnerschaften mit weiteren Ländern zu schließen. Die Art, wie die Rüstungsindustrien beider Länder in den kommenden Jahren reagieren und welche Anpassungen sie vornehmen werden, wird die Qualität der ehemaligen quasi-symbiotischen Beziehung stärker sichtbar machen.

Aufgrund des Waffenembargos der USA und der EU bleibt China vom Handel mit den führenden Herstellern militärischer Hochtechnologie weiterhin ausgeschlossen. Trotz deutlicher Fortschritte bei der Entwicklung seiner wehrtechnischen Industrien und seines militärischen Innovationssystems gibt es derzeit noch viele Hinweise darauf, dass sich China bei einer Reihe von kritischen Rüstungsgütern noch immer in einer teilweisen Abhängigkeit von Russland befindet, auch wenn Chinas relative ökonomische Kapazität deutlich größer ist als diejenige Russlands. China steht daher unter Druck, diese ungünstige Situation zu verändern, indem es seine rüstungstechnologische Innovationskapazität ausbaut – was bisher mit gemischtem Erfolg gelungen ist. Aus Sicht der Forschung bietet die Konzentration auf Aspekte der Rüstungsgüterproduktion innerhalb der komplexen russisch-chinesischen Beziehungen die Chance, manche Verhaltensweisen in bilateralen Verhandlungsprozessen zu erklären, die dem allgemein verbreiteten Eindruck einer deutlich stärkeren Verhandlungsposition Chinas gegenüber Russland in wirtschaftlicher und strategischer Hinsicht zuwiderlaufen.

Kurzfristig besteht nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass China und die Ukraine eine deutliche Veränderung in der Qualität ihrer bilateralen Rüstungskooperation erfahren werden. Die Ukraine und Russland waren sich in der Vergangenheit oft uneinig in Bezug auf Waffenausfuhren nach China, wobei die Ukraine gelegentlich China dabei half, Beschränkungen zu umgehen, die Russland in Bezug auf seine fortgeschrittenen Technologieexporte durchzusetzen versuchte. Seit Beginn der Krim-Krise hat die Ukraine nun ein starkes Interesse daran, internationale Unterstützung gegen die russische Aggression zu kultivieren, und muss außerdem neue Kunden für den zuvor auf Russland entfallenen Waffenexport-Anteil finden. Es gibt zahlreiche Anzeichen dafür, dass die Ukraine auf lange Sicht versuchen wird, stärkere militärische und rüstungsindustrielle Beziehungen mit den NATO-Staaten aufzunehmen. Ein NATO-Beitritt könnte durchaus weiterhin ein Ziel der Ukraine sein, die darüber bereits seit Jahren diskutiert. In diesem hypothetischen Fall, für den auch aufseiten der NATO die Bereitschaft zu einem solchen Schritt bestehen müsste, würde eine neue Reihe von Anreizen auf die Ukraine einwirken, ihre Waffenexport-Beziehung zu China zu bremsen. Zwar würde eine solche Entwicklung von China zweifellos als schädlich angesehen, aber sie bleibt bis auf Weiteres eine sehr entfernte Möglichkeit.

Abhängigkeitsverhältnisse in der kooperativen Waffenproduktion sind ein potenzieller Quell strategischer Verwundbarkeit, und die Verringerung dieses strategischen Risikos ist daher sehr wahrscheinlich eine Priorität für jede Nation, die sich, wie China, in einer strategischen Umgebung mit hohem oder mittleren Bedrohungsniveau befindet und die der abhängigere Part in einer hierarchischen rüstungsindustriellen Partnerschaft ist. Dabei ist es gleichgültig, wie stabil oder langlebig diese auch erscheinen mag. Auf der anderen Seite schaffen derartige Bindungen Anreize, auch in anderen strategischen Feldern enger zu kooperieren. Als Folge der gemeinsamen Waffenproduktion entsteht außerdem eine Grundlage für militärtechnologische Kompatibilität, die wiederum die Fähigkeit beider Seiten zur militärischen Zusammenarbeit im Krisenfall verbessern kann. Die jüngst erstmalig durchgeführten gemeinsamen Militärübungen Chinas und Russlands in der Arktis und im Südchinesischen Meer könnten somit durchaus der Auftakt zu einer weitergehenden strategischen Zusammenarbeit sein.

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Online erschienen: 2017-6-12

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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