Die Autorin ist Leiterin des Ukraine-Forums im Programm für Russland und Eurasien am Royal Institute for International Affairs in London. Ihre Studie befasst sich mit den Anstrengungen Russlands, mit Hilfe nichtstaatlicher Akteure, insbesondere NGOs, das Konzept der Russischen Welt („russkij mir“) zu einem geopolitisches Instrument im postsowjetischen Raum zu machen und einzusetzen. Im Fokus der Untersuchung stehen Träger russischer Einflussnahme, die im öffentlichen Raum arbeiten, angeblich unabhängig sind, aber in Wirklichkeit vom russischen Staat kontrolliert und finanziert werden.
Im „hybriden“ Krieg in der Ukraine im Jahr 2014 sei deutlich geworden, wie umfassend und erfolgreich der Kreml Stellvertreter für die Durchsetzung seiner Ziele in dem als seine eigenständige Einflusssphäre deklarierten Raum, der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), nutzt. Moskau hätte aber schon ein Jahrzehnt, als Reaktion auf die „Orange Revolution“ begonnen, diese Methode zu entwickeln, um dem in seiner Sicht zunehmenden westlichen Einfluss in der postsowjetischen Region zu begegnen. Dabei wende es eine Reihe von Werkzeugen an, um seine Ziele durchzusetzen: „harte“ Diplomatie, militärische Gewalt, finanzielle Hebel, Kontrolle der Energieversorgung, Handelskriege, Propaganda, Desinformation und eben auch lokale Organisationen und Bewegungen, die bereit seien, sich für Moskaus Ziele zu engagieren.
Problematisch sei allerdings die Übertragung der vom Harvard-Politologen Joseph S. Nye entwickelten Begrifflichkeit der „soft power“ auf die russische Außenpolitik. Nyes Definition zufolge sei „weiche“ Macht die Fähigkeit, die Ziele, die man verfolgt, durch die eigene „Attraktivität“ zu verwirklichen. Die unter Putin in fast schon zwei Jahrzehnten entwickelten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse – das „System Putin“ − übten aber in den europäischen Ländern des postsowjetischen Raums nur geringe Anziehungskraft aus. Unter den Samthandschuhen verberge sich infolgedessen eine eiserne Faust. Moskaus Politik im GUS-Raum beinhalte fast immer Elemente von Druck und Zwang.
Die Stellvertreter vor Ort arbeiteten unter dem Deckmantel oder in Zusammenarbeit mit staatlich organisierten russischen Nichtregierungsorganisationen (GONGOs) oder Pseudo-NGOs. Nach russischem Recht als gemeinnützige Organisationen der Zivilgesellschaft registriert, werden solche Gruppen vom Staat oder von ihnen ergebenen Unternehmen finanziert. Ihr Ziel sei es, russische „weiche“ Macht im Ausland zu projizieren und dazu beizutragen, die Herzen und Köpfe der Bürger in den Nachbarländern dazu zu bringen, sich dem Konzept der Russischen Welt zu öffnen.
Zu dieser Welt gehörten nicht nur, so die offiziellen Angaben, die über 30 Millionen ethnische Russen im Ausland (russische „Volksgemeinschaft“, Russisch: obščina) „Russischsprachige“, Russisch: russkojazyčnye), sondern Putin zufolge vereine „sie all diejenigen, die die russische Sprache und Kultur wertschätzen, ganz unabhängig davon, wo sie leben, sei es in Russland oder jenseits seiner Grenzen […] seien es russische Armenier, russische Aserbaidschaner, Russlanddeutsche oder russische Tataren“. Das Konzept werde aktiv von der Russisch-Orthodoxen Kirche unterstützt. In Zusammenarbeit mit vor Ort agierenden Organisationen bekämpften die russischen Pseudo-NGOs, liberale und demokratische, am westlichen Europa und europäischer Integration orientierte Bewegungen und verbreiten russisches und „eurasisches“ Gedankengut.
Die wichtigste staatliche Institution, die die Aktivitäten russischsprachige Gemeinden und prorussischer Organisationen koordiniert und weiche Macht projiziert, ist die Bundesagentur für die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, Landsleute im Ausland und internationale humanitäre Zusammenarbeit (Rossotrudničestvo). Gegründet im Jahr 2008, fungiere sie als Dachorganisation für ein Netzwerk von russischen Landsleuten und finanziere verschiedene Projekte „öffentlicher Diplomatie“. Sie betreibe ein Netzwerk von 60 russischen Zentren für Wissenschaft und Kultur, 25 Repräsentanzen in russischen Botschaften, beschäftige international 600 Mitarbeiter und sei finanziell mit umgerechnet rund 100 Millionen USD ausgestattet.
Die Studie vermittelt einen ausgezeichneten Einblick in die Vielfalt der sowohl deklariert staatlichen als auch als „nicht-staatlichen“ in Russland und im GUS-Raum aktiven Organisationen und Bewegungen für Moskaus Machtprojektion. Dies geschieht in sieben Tabellen, in denen das Gründungsjahr, die Führungspersonen und der Link zur Webseite der jeweiligen Organisation angegeben wird. Im Text werden Mitgliederzahlen, Aktivitäten und Bedeutung der Agenturen russischen Einflusses dargestellt. Insgesamt eine beeindruckende empirische Arbeit mit überzeugender Analyse.
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