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Der Konflikt um das nordkoreanische Kernwaffen- und Raketenprogramm nimmt mittlerweile einen großen Stellenwert in der internationalen Politik ein. Manche vergleichen ihn gar mit der Kuba-Krise von 1962. Tatsächlich hat dieser Konflikt das Potenzial in einen Krieg überzuleiten, der millionenfache Todesopfer und Zerstörungen zur Folge hätte. Selbst wenn – was zu hoffen ist – es zu keinem Krieg kommt, kann der Konflikt absehbar zu einer Neustrukturierung der strategischen Kräfterelationen beitragen, die die Sicherheitsbeziehungen nicht nur in Ostasien, sondern auch weltweit beeinflussen dürfte. Der Ausgang dieses Konfliktes wird nicht nur entscheidend für die Zukunft des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags von 1970 sein, er wird auch zeigen, ob die regionale Sicherheitsarchitektur der USA in Ostasien noch zu halten ist. Der Konflikt kann auch zum Katalysator einer weitgehenden weltpolitischen Kräfteverschiebung werden, etwa dann, wenn sich am Ende die strategische Kooperation zwischen Russland und China zu einer Allianz entwickeln sollte.

Die deutsche und die europäische Debatte zur Nordkorea-Krise sind unter dem Eindruck der kriegerischen Rhetorik stark von der Furcht vor einer Eskalation geprägt. Dabei geht der Blick für die politischen Hintergründe ebenso verloren wie die rationale Auseinandersetzung mit realistischen Auswegen. Tatsächlich herrscht bei uns wie in den USA und in Ostasien eine „Aporie“ vor, was so viel bedeutet wie Ratlosigkeit oder Ausweglosigkeit. Eine Ursache für diese Aporie könnte sein, dass wir den Konflikt möglicherweise durch die falsche Linse betrachten. In der Regel wird der Konflikt als eine Krise des nuklearen Nichtverbreitungssystems verstanden, bei dem USA, China und Russland eigentlich das gleiche Ziel verfolgen (nämlich die Denuklearisierung Nordkoreas), allerdings mit unterschiedlicher Dringlichkeit, und bei den USA auch unter Rückgriff auf militärische Drohungen, bei Russland und China unter Verzicht auf solche. Was ist, wenn dieses Bild gar nicht der Realität entspricht? Die Debatte wird auch stark von technischen Spekulationen geprägt, die sich auf die Fähigkeiten Nordkoreas zur eigenständigen Entwicklung von Raketen und Kernwaffen beziehen. Was ist, wenn die Raketen und Kernwaffen gar nicht aus Nordkorea stammen? In dieser Ausgabe der Zeitschrift SIRIUS wird der Konflikt in drei Artikeln behandelt, die es allesamt nahelegen, die bisherigen Einschätzungen einer kritischen Revision zu unterwerfen. Der Literaturbericht von Sven-Eric Fikenscher setzt sich kritisch mit den Erkenntnissen westlicher Experten zu den nordkoreanischen Kernwaffen- und Raketenprogrammen auseinander und gelangt zu dem Schluss, dass ein auffällig hohes Maß an Unterschieden bei der Beurteilung der technischen Möglichkeiten besteht und von daher nur teilweise von einer gesicherten Erkenntnisbasis ausgegangen werden kann. Der Artikel von Enrico Fels analysiert die unterschiedlichen militärischen und politischen Optionen, mit denen eine Denuklearisierung Nordkoreas erreicht werden könnte und endet mit der nüchternen Erkenntnis, dass keine dieser Optionen eine realistische Chance auf Erfolg hätte. Die Nuklearisierung Nordkoreas sei vorerst nicht zu stoppen, es kommt jetzt viel mehr darauf an, die sicherheitspolitischen Konsequenzen einzudämmen. Noch radikalere Schlüsse legt der Artikel von Robert Schmucker und Markus Schiller nahe. Beide sind Raketeningenieure, die die Raketenrüstung Nordkoreas (insbesondere deren Tests und die Zurschaustellung von einzelnen Exemplaren) mit einem anderen Blick betrachten als politische Beobachter. In ihrer Analyse kommen sie zu dem Ergebnis, dass die mittlerweile im Westen weit verbreitete Annahme einer eigenständigen und fortgeschrittenen Kapazität Nordkoreas zum Bau von Raketen falsch sei. Es gäbe keine Hinweise auf entsprechende Entwicklungs- und Testaktivitäten, die man in einem derartigen Fall hätten finden müssen. Tatsächlich wären die Raketen weitgehend russischer und chinesischer Herkunft. Wie diese Raketen ihren Weg nach Nordkorea gefunden hätten, sei vorrangig zu klären. Entweder gäbe es eine Proliferationsquelle, die unabhängig von staatlichen Stellen operiere und den Nordkoreanern einzelne Raketen meist unterschiedlicher Technologielinien aus vergangenen Jahrzehnten habe zukommen lassen, oder die Regierungen in Moskau und Peking sind viel tiefer in die Beschaffung Nordkoreas bei Raketenwaffen (und vielleicht auch der Kernwaffen) verstrickt. Die Analyse von Schmucker und Schiller legt zwei Schlussfolgerungen nahe: Zum einen hat Nordkorea offenkundig kein großes, eigenes Arsenal an Raketenwaffen um ernsthaft einen Krieg zu führen, zum anderen müssten diplomatische Initiativen zur Lösung des Konflikts sich erst einmal auf die Herkunft der Raketen konzentrieren – was bedeutet, dass kritische Fragen an Moskau und Peking zu stellen wären. Initiativen mit dem Ziel, dass deutsche oder europäische Spitzenpolitiker zwischen dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un und dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump vermitteln, sind eher wenig hilfreich.

Eine wichtige Rolle kommt der Rationalität und Berechenbarkeit der amerikanischen Außenpolitik unter Präsident Donald Trump zu. Diese wird von Vielen angesichts der unberechenbaren und narzisstischen Persönlichkeit des Präsidenten sehr kritisch gesehen, wenngleich in der Außen- und Sicherheitspolitik mittlerweile davon ausgegangen wird, dass ein Kordon von Realisten und Transatlantikern den Präsidenten umgibt und so verhindert, dass allzu große Fehler begangen werden. Der Beitrag von Josef Braml untersucht die innenpolitische Agenda des amerikanischen Präsidenten. Er gelangt zu der alarmierenden Feststellung, dass mit dem systematischen Abbau des Bundesstaates und der Regulierungen des Bundes ein Staatszerfall in den USA einsetzt, der schwerwiegende internationale Konsequenzen haben kann.

Mit dem Beitrag von Karl-Heinz Kamp nimmt die Zeitschrift SIRIUS ein weiteres, strittiges Thema auf: die Rolle von Kernwaffen in der Strategie der NATO. Der Beitrag zeigt auf wie wichtig es für die NATO ist, unter der veränderten strategischen Gesamtlage die Rolle von Kernwaffen nüchtern zu erwägen und Festlegungen zu treffen, die geeignet wären eine Abschreckungswirkung gegen russische Bedrohungen aufzubauen.

Die Berichte befassen sich mit der Auswertung der jüngsten Militärmanöver im Ostseeraum. Der Artikel von Sebastian Bruns und Sarah Kirchberger analysiert das chinesisch-russische Seemanöver vom Sommer 2017 und versucht dieses in einen größeren strategischen Kontext einzubetten. Die Autoren schließen nicht aus, dass dieses Manöver den Beginn einer stärkeren militärischen Kooperation markiere, die in einer strategischen Allianz enden könnte. Der Bericht von Mathieu Boulègue zieht ein erstes Fazit der im September veranstalteten russisch-belarussischen Großübung Zapad-2017. Seiner Einschätzung nach markiert diese Übung die Absicht Russlands, der NATO seine Fähigkeiten zur regionalen Eskalation mit aller Macht zu demonstrieren. Der Bericht von Stefan Hedlund behandelt die gleichzeitig veranstaltete schwedische Großübung Aurora 2017, an der die Streitkräfte der USA, Frankreichs und anderer NATO-Staaten mitgewirkt hätten. Für Hedlund markiert diese Übung die faktische Aufgabe der schwedischen Neutralität angesichts der massiven Drohkulisse Russlands in der Ostseeregion.

Die Kurzberichte über die Ergebnisse von Studien aus der Welt der strategischen Thinktanks befassen sich mit globalen Trends, strategischen Konzepten der Terrorismusbekämpfung, der Marinestrategie Russlands sowie dem Aufbau einer russischen Nationalgarde. Weitere Themen sind der Konflikt in der südchinesischen See und dessen mögliche Auswirkungen auf europäische Sicherheitspolitik sowie die Verteidigungskooperation in Europa. Die Buchrezensionen behandeln Themen wie Rüstungswettläufe, den Aufstieg Chinas zur Regionalmacht, zukünftige Aufgaben der Bundeswehr sowie die öffentliche Sichtweise von Bundeswehreinsätzen.

Die Herausgeber

Published Online: 2017-12-14

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 1.12.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/sirius-2017-0082/html
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