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Publicly Available Published by De Gruyter December 14, 2017

Aurora 2017 – ein neuer Beginn für Schwedens Verteidigung, und für die NATO

  • Stefan Hedlund EMAIL logo

Angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen Russland und der NATO war zu erwarten, dass das Manöver Zapad 2017 große Aufmerksamkeit erregen wird. Aber während überall die Furcht artikuliert wurde, wonach Russland sich für eine Attacke auf die Mitgliedstaaten der NATO im Baltikum vorbereitete, fand gleichzeitig eine fundamentale Transformation der schwedischen Verteidigungspolitik statt, die die Landkarte der regionalen Sicherheit verändern wird – und zwar zugunsten der NATO.

Nach einer Reihe von Jahrzehnten des Winterschlafs ist das schwedische Militär wiedererwacht – und das mit voller Kraft. In einer genau geplanten Antwort auf Zapad 2017 hat Schweden fast zeitgleich die größte Militärübung durchgeführt, die das Land seit 1993 gesehen hat. Vielsagend wurde die Übung „Aurora“ genannt und umfasste etwa 19.000 Soldaten, einschließlich Wehrpflichtiger, Reservisten und Heimatschutzeinheiten. Das der Übung zugrundeliegende Szenario bestand darin einen „strategischen Angriff“ zurückzuweisen, bei dem eine fremde Macht (unschwer zu erraten wer) zwei strategisch wichtige Ziele zu erreichen suchte: Die Insel Gotland zu besetzen und einen Enthauptungsschlag gegen Stockholm durchzuführen.

Das mit der Übung verfolgte politische Hauptziel war es, die zwei hauptsächlichen Sorgen zu zerstreuen, die die schwedische verteidigungspolitische Diskussion der vergangenen zwei Jahrzehnte der Verteidigungslosigkeit bestimmt hatten. Zum einen die Frage, ob es mit relativ kleinen Streitkräften überhaupt möglich ist, ein relativ großes Territorium zu verteidigen, zum anderen die Frage ob die NATO in Krisenzeiten zur Rettung eines Nichtmitgliedstaates wie Schweden eingreifen würde. Die Übung war entsprechend angelegt diese beiden Besorgnisse zu entkräften. Die Übung war auf den schnellen Aufwuchs und die Konzentration der eigenen Truppen ausgerichtet. Sie sendete eine starke Botschaft: Schweden sieht sich als de facto Mitglied der NATO. Um dieses Ziel zu unterstreichen beteiligten sich an der Übung Truppen aus den NATO Mitgliedstaaten Dänemark, Estland, Frankreich, Litauen, Norwegen und den USA. Das Nicht-Mitglied Finnland beteiligte sich ebenfalls.

Der Eröffnungszug der Übung „Aurora 2017“ bestand aus einer Demonstration der Bereitschaft der NATO einen russischen Angriff zurückzuweisen. In Übereinstimmung mit einem kürzlich unterzeichneten Host Nation Abkommen trafen französische und amerikanische Einheiten in Göteborg im Westen Schwedens ein, von wo aus sie weiter verbracht wurden, um gegen Invasionstruppen an der Ostküste vorzurücken. Die US Verbände waren auch mit Patriot Luftabwehrsystemen ausgerüstet.

Was den schnellen Aufwuchs der Kräfte betraf, so sah die Übung nicht nur schwedische mechanisierte und gepanzerte Einheiten, die aus dem Norden Schwedens mit der Bahn verlegt wurden. Es wurden auch Truppen per Luft verlegt, wobei schwedische C-130 Transporter und die großen amerikanischen C-17 Globemaster zum Einsatz kamen, Letztere von dem Schwertransportgeschwader aus Ungarn. Die Bevölkerung von Uppsala, was nördlich von Stockholm liegt, war eingeladen den großen Flugzeugen zuzuschauen wie diese landeten und Geräte und Ausrüstung ausluden. Die Übung sah auch norwegische Versorgungseinheiten im Dienst, die US Hubschrauber mit Kraftstoff versorgten.

Der erste direkte Gefechtskontakt fand statt zwischen einer mechanisierten Einheit der Nationalgarde von Minnesota (ausgerüstet mit Abrams Panzern und Bradley Schützenpanzern) und einer schwedischen Verteidigungstruppe, die mit deutschen Leopard-II Panzern und dem schwedischen Schützenpanzer „Stritsfordon 90“ bewaffnet waren. Nachdem sie zuvor viel Erfahrung mit dem Krieg in der Wüste gemacht hatten, bekamen die Amerikaner nun eine harte Dose schwedischen Schlamms zu spüren und mussten sich zudem den Weg durch Minenfelder schlagen und aggressiven Panzerabwehroperationen aus dem Weg gehen, die durch Einheiten vorgebracht wurden, die das heimatliche Terrain genau kannten. Dabei wurden auf beiden Seiten wichtige Lehren gezogen.

Der politisch wichtigste Teil der Übung war die Schlacht um Gotland. Während des Kalten Krieges war die strategisch wichtige Insel Heimat für eine beachtliche Streitmacht bestehend aus mechanisierten und gepanzerter Einheiten, Artillerie, Luftverteidigung und Küstenverteidigung, die durch Luftwaffen- und Marineeinheiten flankiert wurden. Die Truppenkonzentration auf der Insel war so hoch, dass diese scherzhaft als „Flugzeugträger Gotland“ bezeichnet wurde. Mit dem Ende des Kalten Krieges wurden die Verteidigungsstellungen heruntergefahren. Ab dem Jahr 2000 war die Insel faktisch demilitarisiert, was Kritik herrief, denn nun lag die Insel offen für jede russische Überraschungsoffensive. Unter der neuen schwedischen Militärdoktrin soll Gotland wieder verteidigt werden. Panzer sind auf die Insel gebracht worden und inzwischen ist mit Bauarbeiten begonnen worden, um ein neues Regiment unterzubringen.

Aurora 17 hatte den Zweck einen kombinierten Angriff russischer Teilstreitkräfte auf Gotland zurückzuweisen. Amerikanische Apache Hubschrauber wurden eingesetzt um die schwedische Luftabwehr herauszufordern. Fallschirmjäger der Nationalgarde von Nebraska wurden abgesetzt, um die Verteidiger am Boden zu bedrängen. Der amerikanische Zerstörer USS Oscar Austin führte eine Marine Einsatzgruppe an um die simulierten Angriffe von See aus zu unterstützen. An dieser Einsatzgruppe nahmen auch zwei schwedische Stealth-Korvetten sowie ein litauischer Minensucher teil. Auch hier hatte die Bevölkerung ausreichend Gelegenheit mit zu verfolgen, wie ihre Insel verteidigt wird.

Das Ziel einen Enthauptungsschlag gegen Stockholm zu vereiteln hatte einen gleichfalls zentralen Stellenwert. Die Einwohner der Stadt sahen nicht nur schwere Truppenbewegungen durch die ganze Stadt, sondern auch heftige Häuserkämpfe an verschiedenen Orten. Im Süden von Stockholm beinhaltete das Szenario der Übung auch die größte Hubschraubergestützte Landeoperation in der Geschichte Schwedens, wobei amerikanische Chinooks US Truppen und schwedische Black Hawks schwedische Truppen ausluden. Dann kamen gepanzerte Kolonnen, die den Auftrag hatten die Invasion zurückzuschlagen. Zur gleichen Zeit führten schwedische Marineeinheiten amphibische Operationen an der Küste durch.

Zusätzlich zu den vielen Hubschrauberoperationen führte die schwedische Luftwaffe gemeinsame Übungen mit der Luftwaffe Finnlands durch. Um die logistischen Herausforderungen zu verschärfen, flogen Gripens vom Blekinge Luftwaffenstützpunkt von einer fernab gelegenen Luftwaffenbasis in einem Wald aus Einsätze zusammen mit F18 Hornets von der 31. Jägerstaffel Finnlands.

Wenn es ein Ergebnis dieser Übung gab, dann dies, dass die sicherheitspolitische Landkarte der Region grundsätzlich neugestaltet worden ist. Falls Schweden diesen Kurs beibehalten sollte, dann beginnt ein ganz neues Spiel im Ostseeraum. Dies setzt allerdings voraus, dass jene Parteien in Schweden zurückgehalten werden, die weiterhin auf Abrüstung und unbedingte Neutralität setzen. Die NATO muss sich dann nicht länger um die A2/AD Blase in Kaliningrad sorgen. Estland gegen eine Invasion zu verteidigen, würde dann nicht mehr bedeuten, dass man sich die Ostsee hinauf hochkämpfen muss. Der Weg durch Schweden dürfte viele leichter und sicherer sein. Der Kreml wird zudem Abstriche von seiner Behauptung machen müssen, er habe die Erweiterung der NATO gestoppt. Die zunehmend aggressive Haltung Russlands gegenüber Schweden hat vielmehr dazu beigetragen, dass dessen Neutralität de facto aufgehoben ist.

Abbildung 1:

Übungen im Rahmen von Aurora am Rande von Stockholm, Bildnachweis: Creative Commons, Urheber: Holger Ellgaard.


Der Beitrag erschien zuvor in englischer Sprache bei Geopolitical Intelligence Services, https://www.gisreportsonline.com/opinion-aurora-17-marks-a-new-dawn-for-swedish-defense-and-nato,defense,2353.html


Published Online: 2017-12-14

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 3.10.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/sirius-2017-0090/html
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